2430/AB XX.GP
An den
Herrn Präsidenten des Nationalrates
Parlament
1017Wien
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Haider, Scheibner, DI Schöggl und Kollegen
haben am 14. Mai 1997 unter der Nr.241 1/J an mich eine schriftliche Anfrage betref-
fend zukünftige Ausgestaltung der österreichischen Sicherheitspolitik gerichtet, welche
den folgenden Wortlaut hat:
1. Werden Sie, angesichts des Bestrebens der ÖVP nach raschem Beitritt Österreichs
zur NATO (,,Dringlichkeitsstufe römisch eins“), darauf drängen, den diesbezügli-
chen Regierungsbericht so rasch wie möglich dem Parlament vorzulegen?
• Wenn ja, wann soll dieser dem Parlament vorgelegt werden?
• Wenn nein, aus welchen Gründen nicht?
2. Sind Sie ebenso wie der Herr Bundeskanzler der Auffassung, daß es nicht erforder-
lich ist in den nächsten Monaten über einen eventuellen NATO-Beitritt Österreichs
entscheiden zu müssen, da wir (Österreich) „ausreichend Zeit haben die Entwick-
lung zu beobachten“?
• Wenn ja, aus welchen Gründen?
Wenn nein, welche Maßnahmen werden Sie
diesbezüglich wann ergreifen?
3. Ist es zutreffend, daß die NATO derzeit eine „namentlich begrenzte Erweiterungs-
runde von ehemaligen Staaten des Ostblocks“ vor hat, wie Bundeskanzler Mag.
Klima (APA, 12.5.1997) meinte?
• Wenn nein, wie erklären Sie sich den diesbezüglichen Informationsstand des Herrn
Bundeskanzlers?
• Wenn ja, wie ist die von Ihnen in Mons getätigte Aussage: „Ich ... würde eine da-
hingehende Stellungnahme des Gipfels begrüßen, daß alle gegenwärtigen Mitglie-
der der Union (Anm. EU) eingeladen werden, der NATO beizutreten ...„‚ zu verste-
hen?
4. Wird „ein Fernbleiben aus der NATO die Stellung Österreichs in der EU gefähr-
den“, wie Sie in der „Presse“ vom 2.5.1997 meinten?
• Wenn ja, aus welchen Gründen, inwieweit und mit welchen Konsequenzen?
• Wenn nein, was veranlaßte Sie zu dieser Aussage?
5. Existieren in Ihrem Ressort außen- und sicherheitspolitische Untersuchungen und
Beurteilungen betreffend die Ausgestaltung der künftigen österreichischen Außen-
und Sicherheitspolitik?
• Wenn ja, welche und zu welchem Schluß gelangen diese?
• Wenn nein, warum nicht?
6. Wie sieht aus Ihrer Sicht die Zukunft der österreichischen Sicherheitspolitik für den
Fall eines Nicht-Beitritts zur NATO und WEU aus?
• Welche sicherheitspolitische Vorteile erwarten Sie sich durch einen solchen Nicht-
Beitritt?
• Wie kann Ihrer Auffassung nach sonst die Sicherheit Österreichs bestmöglich ge-
währleistet und gestaltet werden?
7. Ihr Regierungspartner SPÖ verteilt Flugblätter mit dem Titel: „Statt NATO und
Waffen Arbeitsplätze schaffen“ (siehe Beilage). Besteht zwischen Sicherheitspolitik
und Arbeitsplatzpolitik Ihrer Auffassung nach
ein Widerspruch?
• Wenn ja, wie sieht dieser aus?
• Wenn nein, wie erklären Sie sich diese Aussage der SPÖ im Verhältnis zur Regie—
rungspolitik?
8. Ist Ihrer Auffassung nach eine NATO-Mitgliedschaft mit den „Kernelementen“ der
österreichischen Neutralität vereinbar?
• Wenn ja, weshalb?
• Wenn nein, warum nicht?
9. Ist Ihrer Meinung nach ein WEU-Mitgliedschaft Österreichs mit der Neutralität
vereinbar?
• Wenn ja, warum?
• Wenn nein, aus welchen Gründen nicht?
10. Auf welche Höhe werden sich die Kosten eines NATO-Beitritts für Österreich be-
laufen?
• Gibt es hinsichtlich der diesbezüglichen Kosten in Ihrem Ressort Berechnungen,
und wenn nein, worauf beruhen Ihre Kostenschätzungen?
• Welche Kosten würden im Bereich der militärischen Landesverteidigung anfallen?
11. Stimmen Sie mit der von Bundeskanzler Mag. Klima in einem Interview
(Salzburger Nachrichten vom 22.2.1997) aufgestellten Behauptung überein, daß
Österreich im Falle eines NATO-Beitritts verpflichtet wäre Nuklearwaffen und/oder
fremde Truppen auf seinem Hoheitsgebiet zu stationieren?
• Wenn nein, warum nicht?
• Wenn ja, worauf stützt sich diese Behauptung?
• Existiert ein NATO-Dokument, das den Vertragsstaaten die unbedingte Stationie-
rung von Nuklearwaffen und/oder fremder Truppen vorschreibt und wenn ja, wel-
ches?
12. Welche Kosten würden entstehen, würde Österreich tatsächlich seine Landesver-
teidigung nach Schweizer Muster, auf sich allein gestellt als bewaffnete Neutralität,
organisieren?
• Wäre Österreich bei der Durchführung seiner Sicherheitspolitik nach Schweizer
Vorbild zu Nachrüstungen im Bereich der militärischen Landesverteidigung ge-
zwungen?
• Wenn nein, warum nicht?
• Wenn ja, auf welche Höhe würden sich die Kosten für eine ernst genommene mili-
tärische Landesverteidigung belaufen?“
Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:
ZU den Fragen1und2:
In Entsprechung der Koalitionsvereinbarung vom 11.3.1996 bekennen sich die Re-
gierungsparteien zu einer umfassenden Sicherheitspolitik, die Fragen der wirt-
schaftlichen, ökologischen und sozialen Stabilität ebensolche Bedeutung beimißt
wie Fragen der inneren und äußeren Sicherheit.
Im Koalitionsübereinkommen wurde auch festgelegt, daß sich die Bundesregierung
im Geiste der europäischen Solidarität und zum Zwecke der dauernden Gewährlei-
stung der Sicherheit der Republik Österreich sowie im Einklang mit den Zielset-
zungen der Europäischen Union für die vollberechtigte Teilnahme Österreichs an
funktionsfähigen Sicherheitsstrukturen einsetzen wird.
Weiters bringen die Regierungsparteien in dieser Vereinbarung ihre Absicht zum
Ausdruck, im Lichte des Verlaufs der EU-Regierungskonferenz und der Entwick-
lungen in der europäischen Sicherheitspolitik alle weiterführenden sicher-
heitspolitischen Optionen, einschließlich der Frage einer Vollmitgliedschaft Öster-
reichs in der WEU einer umfassenden Überprüfung zu unterziehen und dem Parla-
ment hierüber auf einvernehmlichen Antrag
des Bundeskanzlers, des Bundes-
ministers für auswärtige Angelegenheiten und des Bundesministers für Landesver-
teidigung noch vor Übernahme des EU-Vorsitzes durch Österreich, spätestens je-
doch im Laufe des ersten Quartals 1998 zu berichten.
In der Zwischenzeit hat der Nationalrat die Bundesregierung in seiner - am 26. Fe-
bruar d.J. verabschiedeten - Entschließung Nr. 43/E ausdrücklich aufgefordert, die-
se Zielsetzung zu verfolgen und gemäß den beschriebenen Verfahren vorzugehen.
Die Vorgangsweise der Bundesregierung orientiert sich an dieser Entschließung.
Zu Frage 3:
Die NATO hat im September 1995 in einer ,,Erweiterungsstudie“ das Verfahren für
die weitere Behandlung des Beitrittswunsches der Ost- und zentraleuropäischen
Länder sowie der baltischen Staaten festgelegt. Dieses Verfahren dürfte beim
NATO-Gipfel in Madrid durch eine namentliche Einladung jener Staaten, welche
die NATO aus diesem Kreis schon jetzt aufzunehmen bereit ist, einen vorläufigen
Abschluß finden. Es ist allerdings auch zu erwarten, daß sich die Staats- und Regie-
rungschefs der NATO in Madrid dazu bekennen werden, die Türen der NATO für
alle demokratischen europäischen Staaten, die dies wünschen und einen Beitrag zu
Stabilität und Sicherheit in Europa leisten können, offen bleiben.
Mit diesem Themenkomplex habe ich mich in meiner Rede vor führenden NATO-
und Pfp-Partnern in Mons auseinandergesetzt. Es ging mir insbesondere um die
Frage, ob sich aus der wachsenden Konvergenz zwischen EU, WEU und NATO
nicht ein Interesse aller beteiligten Staaten und Organisationen an einer möglichst
weitgehenden Deckungsgleichheit in den Mitgliedschaften ergeben könnte. Dies ist
auch der Kerngedanke jenes Abschnitts in meiner Rede, der in der Anfrage aus-
zugsweise zitiert ist.
Zu Frage 4:
Der in der Anfrage angesprochenen Presseartikel beruht auf einem Vortrag, den ich
am 30. April 1997 vor der österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und der
Österreichischen Liga für die Vereinten Nationen zum Thema „Eine neue Friedens-
ordnung für Europa“ gehalten habe.
Dabei bin ich auch auf die- für Österreich als WEU-Beobachter und Teilnehmer an
der Partnerschaft für den Frieden gegebenen - Mitwirkungsrechte eingegangen und
habe in diesem Zusammenhang betont, daß die Mitgliedschaft in der FU für den
zentralen Bereich des europäischen Krisenmanagements wichtig sei, im Hinblick
auf die immer dichter werdenden Vernetzungen zwischen der EU, der WEU und
der NATO aber auf Dauer nicht ausreiche.
ZuFrage5:
In den zuständigen Ministerien werden laufend außen- und sicherheitspolitische
Analysen erstellt, deren Ergebnisse in den genannten Bericht an das Parlament ein-
fließen werden.
Zu Frage6:
Wie bereits dargestellt, wird die Bundesregierung dem Parlament spätestens im
Laufe des ersten Quartals des Jahres 1998 einen umfassenden Bericht vorlegen, der
alle weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen einschließlich der Frage einer
Vollmitgliedschaft in der WEU prüft. Nach Maßgabe der Schlußfolgerungen dieses
Berichts wird die Bundesregierung dem Parlament Vorschläge für die erforderli-
chen Maßnahmen unterbreiten, weshalb ich um Verständnis ersuche, daß ich der
Gesamtbewertung dieses Berichts nicht schon jetzt durch eine gesonderte Erörte—
rung einzelner Aspekte vorgreife.
Zu Frage 7:
Diese Frage berührt nicht den Bereich der Vollziehung des Bundes, weshalb ich um
Verständnis bitte, wenn ich darauf nicht näher eingehe.
Zu Frage 8 und 9:
Der Beitritt zu militärischen Bündnissen wäre mit den geltenden verfassungsrecht-
lichen Bestimmungen über die Neutralität nicht vereinbar. Der schon mehrfach er-
wähnte Bericht wird auch diese Fragestellung behandeln, weshalb ich von einer ein-
gehenden rechtlichen Darstellung in diesem Kontext absehe.
Zu Frage 10 und 12:
Die Frage einer realistischen Kostenabschätzung - sowohl hinsichtlich eines
NATO-Beitritts als auch hinsichtlich einer Landesverteidigung nach Schweizer
Muster - wird im Rahmen des erwähnten Berichts der Bundesregierung zu behan-
deln sein, weshalb ich um Verständnis ersuche, daß ich auf diese Frage hier nicht
naher eingehe.
ZuFrage11:
Diese Frage berührt nicht den Bereich der Vollziehung des Bundesministeriums für
auswärtige Angelegenheiten, weshalb ich um Verständnis bitte, wenn ich darauf
nicht im einzelnen eingehe.
Im übrigen verweise ich auf die Aussagen, welche die NATO in der - am 27. Mai
d.J. unterzeichneten -„Gründungsakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammen—
arbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der russischen Föderation zum
Thema der Stationierung von Nuklearwaffen und Truppenverbänden auf dem Ge-
biet neuer Mitglieder getroffen hat.
Wien, am 8.Juli 1997