2454/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Doris Pollet-Kammerlander, Freundinnen und
Freunde haben am 26. Mai 1997 unter der Nr.2469/J/1997 an mich eine schriftliche
Anfrage betreffend die österreichisch-türkischen Beziehungen gerichtet, welche den
folgenden Wortlaut hat:
„1. Wie bewerten Sie die jüngsten Konflikte, die im Zusammenhang mit dem
Unterrichtswesen in der Türkei zwischen der Regierung Erbakan, islamischen
Gruppen und der Armee entbrannt sind?
2. Erachten Sie die Involvierung der Partei von Außenministerin Ciller im
internationalen Drogen- und Waffenhandel, die im vergangenen Jahr nach einem
Verkehrsunfall und jetzt nach einem Gerichtsurteil in Deutschland ans Licht
gekommen ist, als Problem im Hinblick auf die bilateralen Beziehungen zur
Türkei?
3. Wie schätzen sie die Menschenrechtsentwicklung im vergangenen Jahr ein, auch
angesichts dessen, daß Amnesty international in einer weltweiten Kampagne die
Öffentlichkeit darüber aufgeklärt hat?
4. Hat die österreichische Bundesregierung im vergangenen Jahr konkrete Initiativen
in der EU ergriffen, um die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei
einzufordern?
5. Welche Aktivitäten haben Sie, Herr Außenminister, bisher gesetzt, um die
Menschenrechtspolitik der Türkei
bilateral oder in anderen internationalen
Organisationen zu thematisieren? Hat die Bundesregierung weitere Schritte des
Protestes gesetzt?
6. Hat der österreichische Botschafter in Ankara konkrete Aufträge erhalten, in Fragen
der Menschenrechtspolitik, der Zypernpolitik und des Umganges mit der
Kurdistanfrage Aktivitäten zu setzen und welche?
7. Nachdem Sie zuletzt festgestellt haben, „daß die Kurdenfrage nicht mit
militärischen Mitteln gelöst werden kann“ (AB 611/XX.GP), haben Sie gegen die
Luftangriffe der türkischen Armee im Nordirak, die am 12. Mai 1997 erneut
begonnen haben, diplomatischen Protest eingelegt?
8. Hat das Außenministerium im Lichte Ihrer Aussagen, daß nur ein „möglichst
umfassender politischer Dialog“, die „Voraussetzung für eine politische Lösung“
(AB 61 1/XX.GP) des Kurdenkonfliktes darstellt, diplomatische Bemühungen
unternommen, einen politischen Dialog der Konfliktparteien in Gang zu setzen?
9. Welche Schritte gegen den Bürgerkrieg in Kurdistan hat die österreichische
Bundesregierung im vergangenen Jahr unternommen?
10. Werden Sie die Empfehlungen, die amnesty international im Zusammenhang mit
der Menschenrechtssituation in der Türkei an die internationale Staatenge-
meinschaft gerichtet hat, in Zukunft verstärkt berücksichtigen? Wenn ja, in welcher
Form wollen sie diese Empfehlungen umsetzen?
11. Wie entwickeln sich die österreichischen Handelsbeziehungen mit der Türkei?
12. Wie viele Bewilligungsanträge für welche Mengen von Waffentypen hat es 1996
auf Ausführ oder Durchfuhr von Kriegsmaterial in die Türkei gegeben, zu denen
das Außenamt eine Stellungnahme abzugeben hatte?“
Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:
ad 1):
Am 31. Mai 1997 erklärte der Nationale Sicherheitsrat, daß er in der Frage der
Ausdehnung der Schulpflicht von 5 auf 8 Jahre die Verabschiedung eines
entsprechendes Gesetzes bis September 1997 erwartet. Diese Maßnahme soll den
Übertritt von Kindern in die Predigerschulen nach Absolvierung der bisher
fünfjährigen Schulpflicht verhindern. Die Islamistische Wohlfahrtspartei ist
demgegenüber bestrebt, die Predigerschulen als anerkannte Ausbildungsstätten in
eine künftige achtjährige pflichtschulausbildung einzubeziehen. Der Streit um die
Predigerschulen ist jedenfalls Ausdruck eines Kulturkampfes.
ad 2):
Österreich hat mit der Türkei im Jahre 1993 ein Übereinkommen über die
Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des internationalen illegalen Sucht-
gifthandels‘ des internationalen Terrorismus und der internationalen organisierten
Kriminalität abgeschlossen. Die sowohl
auf der Grundlage dieses Übereinkommens
als auch im Rahmen von INTERPOL erfolgende Zusammenarbeit mit den
türkischen Behörden funktioniert zufriedenstellend.
Die von Ihnen angesprochene „Partei des rechten Weges" (DYP ) ist in der neuen
Regierung von Ministerpräsident Mesut Yilmaz‘ die am 1. Juli ihre Tätigkeit
aufgenommen hat, nicht mehr vertreten.
ad 3):
Bereits 1995 wurde der Abschluß der Verhandlungen über eine Zollunion seitens
der EU mit der Bedingung der Verbesserung der Menschenrechtslage und
demokratischer Reformen in der Türkei verknüpft. Seither waren im legistischen
Bereich gewisse Fortschritte zu verzeichnen. So hat die Türkei beispielsweise 1995
im Vorfeld des Abschlusses der Verhandlungen zur Zollunion EU-Türkei durch
eine Verfassungsreform und durch die Änderung von Art. 8 des ,‚Antiterrror-
Gesetzes“ Verbesserungen im Menschenrechtsbereich eingeleitet. Auch die im
März 1997 in Kraft getretene Novelle zur Strafprozeßordnung brachte
Verbesserungen.
Was die praktische Umsetzung anlangt, bestehen im Menschenrechtsbereich jedoch
weiterhin beträchtliche Mängel, auf die Österreich sowohl in multilateralen Foren
als auch in bilateralen Kontakten nachdrücklich hinweist.
ad 4):
Im EU-Rahmen hat Österreich die Haltung jener Mitgliedsstaaten geteilt, die am
striktesten den Konnex zwischen engeren Beziehungen Türkei - EU und der
Einhaltung der Menschenrechte betonen. Damit wird der Stellungnahme des
Hauptausschusses des Nationalrats vom 3. März 1995 betreffend die österreichische
Position zum Abschluß einer Zollunion zwischen der EU und Türkei entsprechend
Rechnung getragen.
In Zusammenhang mit den Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen drängt
Österreich sowohl bilateral als auch im Rahmen der EU bei den türkischen
Behörden auf die Einhaltung internationaler Menschenrechts standards.
ad 5):
Bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf (März/April
1997) kritisierte die EU in einer von Österreich mitgetragenen Erklärung die
Menschenrechtssituation in der Türkei und forderte diese zur Zusammenarbeit mit
den internationalen Menschenrechtsmechanismen und den Mechanismen der
Menschenrechtskommission auf, insbesondere mit dem VN—Sonderberichterstatter
zur Folter, Nigel Rodley. Weiters forderte die EU die Türkei auf, eine Verbesserung
der Situation auch in den Bereichen verschwundene Personen und außergerichtliche
Hinrichtungen herbeizuführen.
In der Zeit vom 24.-26. Juni 1996 habe ich den Herrn Bundespräsidenten auf
seinem Staatsbesuch in die Türkei begleitet und dabei auch die Menschen-
rechtssituation bei meinen Gesprächen
thematisiert.
ad 4
Generell - so zuletzt beim Arbeitsbesuch des Staatssekretärs im türkischen
Außenministerium, Onur Öymen, im März d.J. in Wien - benützt die
österreichische Seite jeden Anlaß, gegenüber türkischen Gesprächspartnern auf die
Unerläßlichkeit der Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards hinzu-
weisen.
Grundsätzlich möchte ich betonen, daß Österreich als EU-Mitglied danach trachtet,
in so bedeutsamen Fragen wie dem Schutz der Menschenrechte primär im Rahmen
der 15 zu agieren und immer stärker die Mechanismen der Gemeinsamen Außen-
und Sicherheitspolitik (GASP) zu nutzen. Dies erfolgt in dem Bestreben, den
Demarchen größeres Gewicht zu verleihen und gleichzeitig die GASP zu stärken.
ad 6):
Der österreichische Botschafter in Ankara hat den permanenten Auftrag, gegenüber
der türkischen Seite auf die Notwendigkeit der Verbesserung der Menschen-
rechtslage hinzuweisen.
Bei einem von Außenministerin Ciller für die Botschafter der EU am 6. März 1997
gegebenen Arbeitsessen hat der österreichische Botschafter in Ankara die
Verbesserung der Menschenrechte als eine der Voraussetzungen für eine weitere
Annäherung der Türkei an Europa genannt. Dies wurde auch von der türkischen
Presse wiedergegeben.
Generell ist es im EU-Rahmen üblich, daß offizielle Demarchen in diesen Fragen
durch die Präsidentschaft oder durch die Troika durchgeführt werden. Die
Europäische Kommission plant zudem für die kommenden Monate die
Durchführung von 19 Menschenrechtsprojekten in der Türkei: die EU hat dafür
einen Betrag von ECU 2.500.000,- veranschlagt, der durch die österreichischen EU-
Beiträge mitgetragen wird.
In jüngster Zeit hat sich die Österreichische Botschaft in Ankara insbesondere für
eine rasche Ratifizierung des 11. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschen-
rechtskonvention durch die Türkei eingesetzt.
Die Notwendigkeit einer Lösung der Zypernfrage wird in Gesprächen mit
türkischen Politikern laufend betont. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf
hinweisen, daß gegenwärtig intensive internationale Bemühungen unternommen
werden, die eine politische Lösung des Zypernkonflikts zum Ziel haben. Innerhalb
der Vereinten Nationen, die stets bei den Vermittlungsbemühungen zwischen den
beiden Bevölkerungsgruppen auf Zypern federführend waren, wurde Diego
Cordovez zum Sonderberater des Generalsekretärs für Zypern bestellt. Weiters sind
derzeit insbesondere folgende Sonderbeauftragte mit Zypern befaßt: Kester Heaslip
(EU-Vorsitz), Richard Holbrook USA), Sir David Hannay (Großbritannien) und
Kalevi Sorsa (Finnland).
Beim oben erwähnten Zusammentreffen mit Außenministerin Ciller hat der
österreichische Botschafter in Ankara die
Verbesserung des türkisch-griechischen
Verhältnisses generell als eine wesentliche Voraussetzung für Fortschritte bei der
türkischerseits gewünschten Annäherung an Europa angeführt.
ad 7):
Die Erklärung der EU vom 16. Mai 1997, derzufolge „eine Lösung der Kurdenfrage
nur auf politischem, nicht aber auf militärischem Wege erreicht werden kann“
wurde von Österreich vollinhaltlich mitgetragen.
ad 8) und 9):
Bei allen Gesprächen auf politischer und auf Beamtenebene mit der Türkei betont
Österreich seine Überzeugung, daß das Kurdenproblem nur mit politischen Mitteln
einer Lösung zugeführt werden kann.
ad 10):
Das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten ist bemüht, aus den
verschiedenen Informationsquellen ein möglichst umfassendes Bild zur
Menschenrechtslage in einzelnen Staaten zu gewinnen. In diesem Zusammenhang
sind auch die Berichte von amnesty international von besonderem Interesse. Die
Appelle dieser Organisation, sich nachhaltig für eine Verbesserung der Menschen-
rechtssituation in der Türkei einzusetzen, entsprechen der österreichischen Haltung,
die sowohl in bilateralen als auch in multilateralen Kontakten beständig verfolgt
wird.
ad 11):
Der Warenverkehr zwischen Österreich und der Türkei hat sich in den vergangenen
Jahren wie folgt entwickelt:
Einfuhren: 1992: 2,613 Milliarden öS
1993: 2,894 Milliarden öS
1994: 3,333 Milliarden öS
1995: 2,890 Milliarden öS
1 — 9/1996: 2.791 Milliarden öS
Ausfuhren: 1992: 3,140 Milliarden öS
1993: 3,022 Milliarden öS
1994: 1,974 Milliarden öS
1995: 3,087 Milliarden öS
1 - 9/1996: 3,177 Milliarden öS
ad 12):
Keine.