2550/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Buder, Reitsamer und Genossen haben an mich
eine schriftliche Anfrage, betreffend die lange Dauer von Pflegschaftssachen, ge-
richtet und folgende Fragen gestellt:
„1. Wie beurteilen Sie die Dauer von sensiblen Ptlegschaftssachen - insbesonde-
re Streitfälle um das Sorgerecht bzw. das Besuchsrecht - und sind Sie der
Meinung, daß es generell zu einer rascheren Entscheidungsfindung der Ge-
richte in solchen Fällen kommen sollte?
2. Wie beurteilen Sie einen Fall, bei dem in einer Pflegschaftssache die Ver-
handlung im Februar 1997 stattgefunden hat und vier Monate danach noch
immer keine Entscheidung vorliegt?
3. Dem Vernehmen nach ist z.B. beim Bezirksgericht Knittelfeld die Schreibstu-
be derzeit dermaßen unterbesetzt, daß man für eine schriftliche Ausfertigung
eines Konzeptes sechs bis acht Wochen benötigt. Wie beurteilen Sie diese
Situation und ist diese Situation typisch
für die österreichische Justiz?“
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1:
Bei den sensiblen und von den verfahrensbeteiligten oft vehement umkämpften ge-
richtlichen Entscheidungen über Obsorge und Besuchskontakte (§§ 176 ff, 148
ABGB) ist in erster Linie auf die wohlverstandenen Bedürfnisse der betroffenen Min-
derjährigen abzustellen, gegenüber denen die Interessen der Eltern zurückzutreten
haben. Die in diesem Sinn unter vorrangiger Berücksichtigung des kindeswohls zu
treffende Entscheidung verlangt einerseits nach der Ermittlung des - mit zunehmen-
dem Alter immer bedeutsameren - wahren Willens der Minderjährigen, andererseits
nach der Überprüfung, ob ihr subjektiver Wille mit ihrer objektiven Interessenlage in
Einklang steht. Die für die Regelung nötige Zukunftsprognose erfordert eine mög-
lichst aktuelle, zugleich aber auch möglichst vollständige 5achverhaltsermittlung.
Dazu sind die Bezugspersonen der Minderjährigen und auch die Minderjährigen
selbst in einer auf ihren jeweiligen Entwicklungsstand und die konkrete Situation ab-
gestimmten Weise zu vernehmen. Darüber hinaus ist bei allen die Pflege und Erzie-
hung betreffenden Verfügungen der Jugendwohlfahrtsträger anzuhören. In vielen
Fällen muß zur ausreichenden Erfassung auch der psychischen Gegebenheiten ein
psychologisches 5achverständigengutachten eingeholt werden. Dieser umfängliche
Erhebungsbedarf führt nicht selten zu einer Verfahrensdauer, die von den betroffe-
nen Parteien subjektiv als lang empfunden wird, die aber im Interesse der Vollstän-
digkeit der Entscheidungsgrundlage nicht vermeidbar ist.
Zwar sind nach der Rechtsprechung auch einstweilige Regelungen der Obsorge
und der Besuchskontakte möglich, die durch weitgehende Einschränkung der Sach-
verhaltsermittlung beschleunigt erlassen werden können. Mit solchen Provisonalre-
gelungen ist allerdings wegen des bloß summarischen Charakters des ihnen zu-
grundeliegenden Ermittlungsverfahrens eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit
einer späteren Abänderung verbunden, als dies bei „endgültig“, auf möglichst voll-
ständiger Sachverhaltsgrundlage getroffenen Obsorge- und Besuchsrechtsentschei-
dungen der Fall ist. Aus Rücksicht auf die daraus für Minderjährige resultierende
psychische Belastung sollte es jedoch nach Möglichkeit vermieden werden, eine
einmal gefundene Regelung etwa über die Obsorge später wieder zu revidieren.
Deshalb erlassen die Gerichte derartige
provisorialentscheidungen von Amts wegen
nur in besonderen Gefahrenfällen. Freilich steht es jedem betroffenen Elternteil frei,
eine einstweilige Obsorge- bzw. Besuchsrechtsregelung zu beantragen. Ein solcher
Antrag ist dann unter dem Aspekt des Kindeswohls - und damit aber auch unter Be-
dachtnahme auf die soeben angesprochene Problematik dieser Provisorialverfügun-
gen - zu prüfen.
Das Bundesministerium für Justiz ist ständig bestrebt, den Familiengerichten durch
Verbesserung der sachlichen und personellen Ausstattung, durch Fortbildungsange-
bote für die mit Familienrechtsangelegenheiten befaßten Richter sowie auch durch
gesetzgeberische Maßnahmen im materiellen oder formellen Recht (wie sie bei-
spielsweise auch in Gestalt der Reform des Außerstreitverfahrens geplant sind) die
Mittel an die Hand zu geben, die eine möglichst rasche Entscheidungsfindung in
strittigen Pflegschaftsangelegenheiten gewährleisten.
Da langdauernde Verfahren über Obsorge und Besuchskontakte meist letztlich auf
das hohe Konfliktpotential der Beteiligten zurückzuführen sind, werden laufend auch
Wege gesucht, gerade beim Konfliktfeld zwischen den Eltern oder sonst Involvierten
methodisch anzusetzen. Dazu ist die sogenannte Mediation - die professionelle Hilfe
für Streitparteien, selbst eine einvernehmliche Lösung zu finden - besonders gut ge-
eignet. Ich habe daher den zuvor an zwei Bezirksgerichten (nämlich beim Bezirks-
gericht Floridsdorf und Bezirksgericht Salzburg) angebotenen Modellversuch einer
gerichtlichen Familienmediation Anfang dieses Jahres auf vier zusätzliche Ver-
suchsgerichte (Bezirksgericht Döbling, Bezirksgericht Innere Stadt Wien, Bezirksge-
richt Innsbruck und Bezirksgericht Mödling) erweitert. Bei einem Erfolg dieses Mo-
dellversuchs ist im Rahmen der oben schon angesprochenen Novelle des Außer-
streitgesetzes die bundesweite Einführung der Mediation geplant.
Zu 2:
Für den Regelfall erschiene mir eine Zeitspanne von vier Monaten zwischen der
letzten Verhandlung und der Entscheidung in dieser Pflegschaftssache als unange-
messen lange. Dabei ist allerdings die übliche Vorgangsweise der Gerichte in sol-
chen Angelegenheiten zu berücksichtigen, die meistens zunächst die Beteiligten
einschließlich der betroffenen Minderjährigen vernehmen (§ 178b ABGB), anschlie-
ßend den Jugendwohlfahrtsträger
anhören (§ 215 Abs. 2 AGBG) und danach unter
Umständen - abhängig auch von den Anträgen der verfahrensbeteiligten - ein psy-
chologisches Sachverständigengutachten einholen. Die Beiziehung des Sachver-
ständigen kann durchaus dazu führen, daß zwischen der letzten gerichtlichen Ver-
handlung und der gerichtlichen Entscheidung wegen der dazwischen stattfindenden
Befundaufnahme und Gutachtenserstellung durch den Sachverständigen mehrere
Monate verstreichen. In derartigen - nicht untypischen - Fällen könnte aber von ei-
ner überlangen Verfahrensdauer wohl nicht gesprochen werden.
Gegen die Säumigkeit eines Gerichts steht den Parteien im übrigen nach § 91 GOG
der Rechtsbehelf des Fristsetzungsantrags offen, durch den der übergeordnete Ge-
richtshof mit der geltend gemachten Säumnis befaßt wird, der diese durch die Set-
zung einer angemessenen Frist beenden kann.
Zu 3:
Daß es bei dem konkret angesprochenen Bezirksgericht Knittelfeld trotz einer an
sich ausreichenden personellen und sachlichen Ausstattung des Schreibdienstes ab
April 1997 zu mehrwöchigen Verzögerungen bei den Schreibarbeiten kommen
konnte, lag daran, daß zum einen eine der beiden Schreibkräfte während eines
mehrmonatigen, krankheitsbedingten Ausfalls eines anderen Bediensteten Vertre-
tungstätigkeiten in der unter anderem für Pflegschaftssachen zuständigen Ge-
schäftsabteilung leisten mußte und zum anderen die zweite Schreibkraft im Zuge ih-
rer Ausbildung für den Fachdienst an einem Tag pro Woche an einem Kurs teilzu-
nehmen hatte. Die Organe der unmittelbaren Dienstaufsicht wurden bereits im Zuge
der im Frühjahr 1997 beim Bezirksgericht Knittelfeld vorgenommenen Regelrevision
auf diese Problematik aufmerksam; nach Wegfall der Ursachen für die aufgetrete-
nen Verzögerungen wird der beschleunigte Abbau der Rückstände bei den Schreib-
arbeiten im Dienstaufsichtsweg überwacht.
Rückschlüsse auf die österreichische Justiz im allgemeinen können aus dieser vor-
übergehenden, auf besondere Umstände zurückzuführenden Ausnahmesituation
bei einem einzelnen Gericht nicht gezogen werden.