256/AB

 

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Haider und Kollegen haben

 

am 29 . Februar 1996 unter der Nr. 247 /J an mich eine schrift-

 

liche parlamentarische Anfrage betreffend Konvergenzkriterien

 

und Arbeitslosigkeit gerichtet , die folgenden Wortlaut hat :

 

 

"1 . Werden Sie sich dafr einsetzen, daá die in Art. 109j EG-

Vertrag angefhrten Konvergenzkriterien , welche die Gemein-

schaft bei der Beschluáfassung ber den Eintritt in die

dritte Stufe der Wirtschafts- und W„hrungsunion leiten sol-

len , in Bezug auf die Arbeitslosenquote erg„nzt werden , das

heiát , etwa in einer Klausel hinsichtlich einer maximalen

Neuverschuldung von drei Prozent des j eweiligen Bruttoin-

landsproduktes investive Ausgaben fr Arbeitsplatzbeschaf-

fung nicht enthalten sind?

Wenn nein , aus welchen Grnden nicht?

 

2 . Wrde durch eine solche Maánahme den Anstrengungen der Mit-

gliedstaaten im Bereich der Bek„mpfung der Arbeitslosigkeit

nicht eine h”here Glaubwrdigkeit verschafft?

Wenn nein , warum nicht?

 

3 . Sind Sie der Auffassung , daá die Arbeitslosenrate als weite-

res Konvergenzkriterium aufgenommen werden sollte?

Wenn nein , warum nicht?

 

4 . Was halten Sie von der Idee , daá Vollbesch„ftigung als Ziel-

bestimmung im EU-Vertrag verankert wird?

 

5 . Welche konkreten Vorteile und welche konkreten Auswirkungen

auf Besch„ftigungsmaánahmen wrde eine solche Verankerung

im EU-Vertrag mit sich bringen?

 

 

6. Was halten Sie von der Idee, Sanktionen fr jene L„nder der

Europ„ischen Union einzufhren, die vorher festgesetzte Be-

sch„ftigungsziele nicht erreicht haben?

 

7. Um welche Formen von Sanktionen k”nnte es sich dabei han-

deln?

 

8. Welche sonstigen Maánahmen und Initiativen wird ™sterreich,

auch im Rahmen der Europ„ischen Union, ergreifen, damit ein

weiteres Anwachsen der Arbeitslosigkeit, das auch im Falle

des fristgerechten šbergangs in die 3 . Stufe der WWU und

infolge der Notwendigkeit, das Dauerkriterium 60 % Schulden-

stand BIP zu erfllen, nicht auszuschlieáen ist, vermieden

wird?

 

9. Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Jahren in allen EU-

L„ndern ungeachtet der jeweiligen Konjunkturlage zum Teil

erheblich gestiegen. Sind Sie der Auffassung, daá zwischen

EU-Mitgliedschaft und steigender Arbeitslosigkeit ein Zusam-

menhang besteht?

Wenn nein, warum nicht?

 

10. Sind Sie der Auffassung, daá die Wirtschaftspolitik der EU

zur Steigerung der Arbeitslosigkeit beitr„gt?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, was gedenken Sie zu tun?

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

 

Zu Frage 1:

 

Die Besch„ftigungspolitik hat in der Gemeinschaft in letzter

 

Zeit zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dies findet Ausdruck im

 

Weiábuch der Kommission zu Wachstum, Wettbewerbsf„higkeit und

 

Besch„ftigung bzw in den Maánahmen, die im Rahmen des "follow

 

up" des Europ„ischen Rats in Essen gesetzt wurden. Um langfri-

 

stig sicherzustellen, daá die Besch„ftigungspolitik in Europa

 

die ihr zukommende Bedeutung erh„lt, wird sich ™sterreich im

 

Rahmen der Regierungskonferenz nachhaltig fr die Aufnahmen

 

besch„ftigungspolitischer Zielsetzungen in den Vertrag ein-

 

setzen.

 

 

Um dem Stellenwert der Besch„ftigungspolitik Rechnung zu tra-

 

gen, ist es sinnvoller, den Vertrag explizit in dieser Hinsicht

 

zu erg„nzen, als besch„ftigungspolitische šberlegungen in Form

 

von investiven Ausgaben fr Arbeitsplatzbeschaffung lediglich

 

als Anh„ngsel zu einem Kriterium aufzunehmen. Es wrden daraus

 

folgende Probleme entstehen:

 

Die Struktur der Arbeitsm„rkte ist im Gegensatz zu dem der

Finanzm„rkte berhaupt nicht homogen. Eine Reduzierung des

Faktors Besch„ftigung auf einen bestimmten Prozentsatz w„re

daher weniger aussagekr„ftig.

 

Das gegenw„rtige Problem, daá besch„ftigungspolitische Maánah-

men m”glich, aber nicht verbindlich sind, w„re weiterhin nicht

gel”st. Darber hinaus wrde sich ein massives Abgrenzungspro-

blem stellen. Ausgaben fr Arbeitsplatzbeschaffung k”nnen unter-

schiedliche Charaktere aufweisen (z.B. ”ffentliche Investitio-

nen, Steigerung der Besch„ftigten im ”ffentlichen Dienst, Ruhe-

standsregelungen, aktive Arbeitsmarktpolitik etc. ) . Eine exakte

Abgrenzung dieser Ausgaben von anderen ist daher nicht m”glich.

Weiters k”nnte eine solche Regelung in Wirklichkeit dazu fh-

ren, daá das Neuverschuldungskriterium vollst„ndig an Aussage-

kraft verliert, da die Ausgaben einfach als "investive Ausgaben

fr Arbeitsplatzbeschaffung'' deklariert werden k”nnten. Es ist

zudem jedenfalls problematisch, eine besch„ftigungspolitische

Zielvorgabe, die ber 0 % Arbeitslosigkeit liegt, zu normieren.

 

Letztlich wrde die Aufnahme dieses Vorschlags eine Aufweichung

der Konvergenzkriterien bedeuten. Die Konvergenzkriterien sind

aber fr die Sicherstellung einer ausreichenden monet„ren und

damit auch wirtschaftlichen Stabilit„t im Binnenmarkt unver-

zichtbar. Durch eine Ver„nderung der Kriterien wrden aber auch

groáe Unsicherheiten auf politischer und wirtschaftlicher Ebene

entstehen. Die Verwirklichung der W„hrungsunion und die

europ„ische Integration in ihrer Gesamtheit k”nnten damit

gef„hrdet werden.

 

 

Zu Frage 2 :

Ich bin der Ansicht, daá die Glaubwrdigkeit der Maánahmen der

Aufnahme einer solchen Klausel nicht bedarf. Wie bereits in der

Beantwortung der Frage 1 ausgefhrt, w„re die Bek„mpfung der Ar-

beitslosigkeit nur ein fakultatives Anh„ngsel zu den budget„ren

Maánahmen. Im Gegensatz dazu trete ich fr Maánahmen ein, die

 

die Besch„ftigungspolitik wesentlich mehr als bisher in den

Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik der EU und ihrer Mitglied-

staaten rcken und an Verbindlichkeit gewinnen. Im brigen ver-

weise ich auf die Beantwortung der Fragen 4 und 5.

 

 

Zu Frage 3 :

Die Arbeitslosenrate sollte trotz ihrer unumstrittenen Bedeu-

tung nicht als weiteres Konvergenzkriterium aufgenommen werden.

Zur Begrndung verweise ich auf Punkt 1.

 

 

Zu Frage 4 :

Die Bundesregierung hat sich seit l„ngerem intensiv mit dieser

Frage befaát und konkrete Vorschl„ge ausgearbeitet, wie das

Ziel der Vollbesch„ftigung am besten im EU-Vertrag verankert

werden k”nnte. Neben einer Pr„zisierung des Zieles im Art. 2

EU-Vertrag sollte eine wirksame Grundlage zur Bek„mpfung der

Arbeitslosigkeit in Art. 3 des Vertrags geschaffen werden. Des-

halb muá der Vertrag um das Ziel eines m”glichst hohen

Besch„ftigungsniveaus und die Koordinierung der Arbeitsmarkt-

politiken erweitert werden. Dazu werden derzeit Vorschl„ge

betreffend Koordinierung und šberwachung der Besch„ftigungs-

und Arbeitsmarktpolitiken erarbeitet. Die Bundesregierung ist

jedenfalls der Meinung, daá Besch„ftigungspolitik in nationaler

Verantwortung bleiben muá.

 

 

Zu Frage 5 :

Die bereits erw„hnten Maánahmen wrden das gegenw„rtige Un-

gleichgewicht zwischen monet„ren und realwirtschaftlichen Zie-

len korrigieren und somit die Bedeutung der Besch„ftigungs-

politik erheb1ich st„rken. Der verbindiche Charakter des Be-

sch„ftigungsziels wrde zwangsl„ufig verst„rkte Maánahmen auf

diesem Gebiet nach sich ziehen, genauso wie die Verankerung der

Maastricht-Kriterien zu vermehrten Anstrengungen der Mitglied-

staaten bei der Inflations- und Defizitbek„mpfung gefhrt hat.

 

Zudem sind die in der Beantwortung der Fragen 6 und 7 angespro-

chenen politischen Sanktionen geeignet, den notwendigen Druck

zur Umsetzung besch„ftigungspolitischer Maánahmen zu erzeugen.

 

 

Zu den Fragen 6 und 7 :

Die Durchfhrung - das heiát konkrete verbindliche Zielsetzun-

gen, ein effizientes šberwachungsverfahren, institutionelle

Vorkehrungen - dieser Aufgaben sollte ebenfalls im Vertrag ge-

regelt sein. Das šberwachungsverfahren sollte folgende Vorgangs-

weise vorsehen: Die Mitgliedstaaten mssen verbindliche Program-

me, in denen sie ihre Maánahmen zur Bek„mpfung der Arbeitslosig-

keit darstellen, zur Beurteilung vorlegen. Damit sollen die

strukturellen Anreize wesentlich verst„rkt werden, die auf euro-

p„ischer Ebene festgelegten Zielsetzungen - wie sie insbesonde-

re im Weiábuch "Wachstum, Wettbewerbsf„higkeit, Besch„ftigung"

enthalten sind - auf mitgliedstaatlicher Ebene konsequenter und

koh„renter umzusetzen. Im Fall wesentlicher Abweichungen von

den Leitlinien bzw Besch„ftigungsprogrammen erscheint es zweck-

m„áig, politische Sanktionen zu verh„ngen. Zur Untersttzung

des Europ„ischen Rats in Fragen der Besch„ftigungspolitik soll

ein Ausschuá fr Besch„ftigungs- und Arbeitsmarktpolitik

eingerichtet werden. Weiters muá die Zusammenarbeit zwischen

Sozial- und ECOFIN-Rat intensiviert werden.

 

 

Zu Frage 8 :

Es ist zu erwarten, daá die W„hrungsunion dazu beitragen wird,

daá mittel- und langfristig Arbeitspl„tze gesichert und geschaf-

fen werden. Zus„tzlich wird durch die Verwirklichung der oben

genannten Maánahmen ebenfalls ein Beitrag zum Abbau der Arbeits-

losigkeit geleistet werden. ™sterreich hat bereits bi- und

multilateral vor einem Jahr Initiativen ergriffen, diese

Vorschl„ge auf europ„ischer Ebene weiter auszuarbeiten und zu

konkretisieren.

 

™sterreich arbeitet selbstverst„ndlich auch intensiv an der

Umsetzung der Initiativen mit, die bereits auf Gemeinschaftsebe-

ne gesetzt wurden und vor allem in den Schluáfolgerungen des

Europ„ischen Rats von Essen zum Ausdruck kommen. Auf innerstaat-

licher Ebene hat die ”sterreichische Bundesregierung bekannt-

lich eine "Offensive fr mehr Wachstum und Besch„ftigung" be-

schlossen, in deren Mittelpunkt Exportf”rderung, Infrastruktur-

investitionen, F”rderung von Unternehmensgrndungen, Maánahmen

im Bereich der Aus- und Weiterbildung etc. stehen.

 

 

Zu Frage 9 :

Die Aussage des ersten Satzes ist nicht zutreffend. Zum einen

sind die Arbeitslosenquoten nicht in allen EU-L„ndern konti-

nuierlich angestiegen (beispielsweise in den Niederlanden) , zum

anderen ist europaweit die Arbeitslosenquote in der zweiten

H„lfte der achtziger Jahre gesunken; sie entwickelt sich natr-

lich auch nicht ungeachtet der jeweiligen Konjunkturlage. Wei-

ters ist festzuhalten, daá wirtschaftliche Integrationsvorg„nge

langfristig zu Wohlfahrtsgewinnen fhren, und zwar in bezug auf

das Bruttoinlandsprodukt, die Produktivit„t und die Reall”hne.

Diese These wird von der weltwirtschaftlichen Entwicklung seit

den fnfziger Jahren best„tigt. In den šbergangsphasen solcher

Integrations- und Liberalisierungsschbe kann es jedoch zu

Umstrukturierungen und Anpassungen kommen. Der verst„rkte

Konkurrenzdruck erzwingt Rationalisierungen, die sich in

Arbeitsplatzverlusten niederschlagen. Die Auswirkungen der

(weltwirtschaftlichen) Integration auf die Arbeitsm„rkte

k”nnen, global gesprochen, am besten als ''Dualisierung" bezeich-

net werden. Oualifizierte Arbeitnehmer sind in der Regel die

Gewinner, Unqualifizierte die Verlierer. Das betrifft die Ein-

kommenssituation, die Besch„ftigungschancen und das Arbeits-

platzrisiko.

 

Diese allgemeinen Schluáfolgerungen treffen im groáen und

ganzen auch auf die ”sterreichischen Erfahrungen mit der

europ„ischen Integration zu: Die Inflation ist im Gefolge des

EU-Beitritts im Herbst 1995 auf unter 2 % gesunken und der

Auáenhandel hat sich sprbar ausgeweitet. Am Arbeitsmarkt haben

zwar die durch den erh”hten Wettbewerbsdruck ausgel”sten

Rationalisierungswellen insbesondere im Nahrungsmittelbereich

und bei den Dienstleistungen (Handel, Banken) zu

Umstellungsproblemen gefhrt, mittel- und langfristig werden

jedoch die Integrationswirkungen durchwegs positiv ausfallen:

So sch„tzt das WIFO, daá im Jahr 2000 (im Vergleich zum

Referenzszenario) das reale Bruttoinlandsprodukt um 2 , 8 bzw die

Besch„ftigung um 1, 3 Prozentpunkte (das entspricht ber 40. 000

zus„tzlichen Besch„ftigten) h”her sein und sich die

Arbeitslosenquote um 0 , 3 Prozentpunkte reduzieren wird. Diese

positiven Wirkungen werden nicht zuletzt auf die erh”hte

Standortqualit„t ™sterreichs zurckzufhren sein, die schon

jetzt zu vermehrten Direktinvestitionen multinationaler

Konzerne fhrt.

 

Zu Frage 10 :

Die gegenw„rtige Wirtschaftspolitik der Europ„ischen Union hat

die Sicherung der wirtschaftlichen Stabilit„t und damit verbun-

den die langfristige Sicherung von Wachstum und Besch„ftigung

als prim„re Zielsetzung. Maánahmen zur Bek„mpfung der Arbeits-

losigkeit werden derzeit vorwiegend von den Mitgliedstaaten

wahrgenommen. Damit die Besch„ftigungspolitik auch auf Gemein-

schaftsebene einen h”heren Stellenwert erlangt, habe ich mich

dafr eingesetzt, daá bei der Regierungskonferenz konkrete

Vorschl„ge zur Erweiterung des EU-Vertrags in Bezug auf die

Besch„ftigungspolitik diskutiert und verwirklicht werden.