2717/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten Dr. Martina Gredler, Dr. Volker Kier, Partnerinnen und Partner haben

am 11. Juli 1997 unter der Nr. 2809/J-NR/l997 an mich eine schriftliche Anfrage

betreffend die praktische Umsetzung des neu eingeführten ‚,Beschäftigungstitels“ in den

EU- bzw. EG-Vertrag gerichtet, welche folgenden Wortlaut hat:

1. Welche zusätzliche Wirkung hat die Festschreibung eines „hohen Beschäftigungs-

niveaus“ im Artikel B EU-V für die betroffenen Menschen angesichts der Tatsache, daß

bereits bisher in den Grundsätzen des EG-Vertrages (Art. 2) „ein hohes Beschäftigungs-

niveau“ gefordert wird?

2. Wie viele Arbeitsplätze können in Europa Ihrer Schätzung nach durch Einführung des

„Beschäftigungstitels“ in den EG-V geschaffen bzw. erhalten werden?

3. Gemäß Art. 4 Abs. 4 des Beschäftigungstitels wird die Durchführung der

Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten einer Überprüfung durch den Rat unterzogen.

Wem obliegt die operative Durchführung dieser Überprüfung?

4. Welche Sanktionsmöglichkeiten sind vorgesehen, wenn Mitgliedstaaten die

beschäftigungspolitischen Leitlinien des Rates nicht erfüllen?

5. Bedeutet die „Förderung der Koordinierung der Beschäftigungspolitik“ (Änderung des

Artikels 3 EG-V) auch, daß für Arbeitslose, die sich im gesamten Raum der EU (und nicht

nur in Österreich) auf Arbeitssuche befinden, für die gesetzliche Anspruchsdauer

Arbeitslosengeld bezahlt wird? Wenn nein, warum nicht?

6. Werden Sie sich für eine Erhöhung des Mitgliedsbeitrages Österreichs an die EU

einsetzen, damit auch das EU-Budget zugunsten arbeitsschaffender Maßnahmen erhöht

werden kann? Wenn ja, in welchem Ausmaß? Wenn nein, warum nicht?

7. Wenn nein, aus welchen EU-Budgetzeilen würden Sie europaweit

arbeitsplatzschaffende Maßnahmen finanzieren?

8. Würden Sie nicht auch eine weitergehende Flexibilisierung der Arbeitszeiten, eine

Entlastung der Arbeitskosten, die Einführung einer europaweiten Energiesteuer oder eine

Förderung der Klein- und Mittelbetrieb für konkretere Maßnahmen gegen die

Arbeitslosigkeit halten als die Einführung einer Zielbestimmung in den EU-Verträgen?

9. Werden Sie sich bei den Verhandlungen für die nächsten Gesamthaushaltspläne der

EU 1998 und besonders 1999, wenn Sie unter der Vorsitzführung Österreichs stattfinden,

und in den Folgejahren dafür einsetzen, daß die Gewichte zugunsten

beschäffigugsrelevanter Bereiche verschoben werden? Wenn nein, warum nicht?

10. Wenn ja, um wieviel Prozent soll der Budgetanteil für Agrarausgaben, der nach wie

vor den Hauptteil des EU-Budgets ausmacht, aber ohnehin im Zuge der geplanten

Osterweiterung der EU zu überdenken ist, gesenkt werden zugunsten

a) Strukturmaßnahmen

b) Bildung, Jugend, Kultur

c) Industrie und transeuropäische Netze

d) Forschung und technologische Entwicklung?

Ich beehre mich, die Anfrage wie folgt zu beantworten:

Ad 1.:

Die durch den Vertrag von Amsterdam eingefügte beschäftigungspolitische Ziel-

bestimmung in Artikel B EU-V darf nicht isoliert betrachtet werden. Es ist vielmehr

konsequent, daß der in Amsterdam vereinbarte Ansatz, die beschäftigungspolitischen

Anstrengungen der Mitgliedstaaten durch einen Koordinierungsmechanismus auf

europäischer Ebene und zusätzliche gemeinschaftliche Impulse zu verstärken, auch in

den grundsätzlichen Zielbestimmungen der Europäischen Union zum Ausdruck kommt. In

Amsterdam wurde nicht nur durch die Verankerung eines eigenen Beschäffigungstitels im

EG-Vertrag die notwendige primärrechtliche Vorgabe für die Koordination der

Beschäftigungspolitiken der Mitgliedstaaten geschaffen, sondern zugleich wurden in der

Entschließung für Wachstum, Stabilität und Beschäftigung auch substantielle Ansätze vor-

gezeichnet, deren konkrete Umsetzung nun in einem ersten Schritt Gegenstand des

Beschäftigungsgipfels im November d.J. sein wird.

Ad 2.:

Aufgrund der weiterbestehenden primären Verantwortung der Mitgliedstaaten für die

Beschäftigungspolitik ergeben sich die beschäftigungspolitischen Effekte des eingeführten

Koordinationsmechanismus nicht allein aus der Gemeinschaftspolitik, sondern aus ihrem

Zusammenwirken mit entsprechenden nationalen Maßnahmen in den fünfzehn Mitglied-

staaten. Der Erfolg primärrechtlicher Vorgaben hängt allerdings von ihrer konkreten

Umsetzung ab. Die Schaffung dieser Rahmenbedingungen im neuen Beschäftigungstitel

ist die notwendige Voraussetzung, um diesen Erfolg zu ermöglichen.

Ad 3.:

Der Vertrag von Amsterdam sieht vor, daß die Überprüfung der Beschäftigungspolitik der

Mitgliedstaaten anhand der jährlichen Beschäftigungsberichte der Mitgliedstaaten im Rat

erfolgt. Das Ergebnis dieser Überprüfung ist daher letztlich auf Ministerebene zu

bestimmen.

Diese Überprüfung wird von dem gemäß Artikel 6 des Beschäftigungstitels einzu-

setzenden Beschäftigungsausschuß vorbereitet, der dem Rat gegenüber eine

Stellungnahme abzugeben hat. Der Beschäftigungsausschuß "hört“ bei der Erfüllung

seines Auftrages die Sozialpartner.

Ad 4.:

Im Vertrag wurden keine finanziellen oder rechtlichen Sanktionen vorgesehen. Allerdings

kann der Rat aufgrund der Überprüfung der nationalen Beschäftigungsberichte

Empfehlungen an Mitgliedstaaten richten, wenn er dies aufgrund der Ergebnisse dieser

Prüfung für angezeigt hält. Obwohl diesen Empfehlungen keine rechtliche Verbindlichkeit

zukommt, stellen sie doch ein wirksames politisches Instrument dar. Dies entspricht dem

Gleichgewicht zwischen der primären Verantwortung der Mitgliedstaaten für die

Beschäftigungspolitik einerseits und der Koordination und Überwachung auf europäischer

Ebene andererseits, die dem Ansatz des Beschäftigungstitels zugrunde liegt.

Ad 5.:

Art. 3 EG-V nennt in genereller Weise von der Tätigkeit der Gemeinschaft umfaßte

Bereiche und enthält keine spezifischen Bestimmungen. Die Bezugnahme auf die

Förderung der Koordinierung der Beschäftigungspolitik im geänderten Artikel 3 EG-V

regelt folglich nicht die Frage des Bezugs von Arbeitslosengeld während der Arbeitssuche

innerhalb der Europäischen Union.

Unabhängig von dieser Vertragsänderung sehen geltende EG-Regelungen jedoch bereits

vor, daß Arbeitslose mit einem Leistungsanspruch aus einem EU-Mitgliedstaat, die sich

zur Arbeitssuche in einen anderen Mitgliedstaat begeben, die ihnen nach den

Bedingungen des Herkunftslandes zustehende Arbeitslosenunterstützung (auch

hinsichtlich der Leistungshöhe) maximal drei Monate lang im Land der Arbeitssuche

beziehen können. Die Leistungen werden von der Arbeitsverwaltung des Herkunftslandes

an jene des Aufenthaltslandes refundiert. Die administrative Abwicklung besorgt in

Österreich das Arbeitsmarktservice (AMS). Ein Vorschlag der Europäischen Kommission,

den Zeitraum auf bis zu sechs Monaten zu verlängern, liegt vor.

Ad. 6. -10.:

Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, daß Beschäftigung nicht

alleine durch die Ausweitung der öffentlichen Ausgaben geschaffen werden kann. Die

erhöhte Bereitstellung öffentlicher Mittel könnte nur durch die Erhöhung der Staats-

einnahmen, d.h. durch Steuer- und Abgabenerhöhungen, oder durch die Ausweitung der

öffentlichen Verschuldung erfolgen. Beides erscheint mir in der gegenwärtigen Situation

kein zielführender Weg. Einerseits sind die Steuer- und Abgabenquoten in der

Europäischen Union bereits auf einem sehr hohen Niveau. Auf deren weitere Steigerung

zu setzen, würde die Fähigkeit des privaten Sektors, beschäftigungsfördernd zu wirken,

belasten. Andererseits lähmt eine hohe öffentliche Verschuldung die staatlichen

Gestaltungsmöglichkeiten. Prioritäres Anliegen muß es daher sein, beschäftigungs-

politische Impulse so zu setzen, daß durch einen sparsamen Umgang mit den öffentlichen

Mitteln ein budgetärer Handlungsspielraum gewonnen werden kann.

Es ist daher nicht die Absicht der Bundesregierung, zusätzliche Mittel für den Gemein-

schaftshaushalt bereitzustellen, um dadurch die Beschäftigungseffekte der Gemeinschaft

zu verstärken. Grundsätzlich beabsichtigt Österreich, als Nettozahler vielmehr seinen

Anteil nicht zu erhöhen. Sowohl auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene ist

danach zu trachten, daß der Einsatz der verfügbaren Mittel mit dem höchstmöglichen Maß

an Beschäftigungswirksamkeit erfolgt.

In dieser Hinsicht erscheinen insbesondere Maßnahmen in den Bereichen Aus - und

Weiterbildung, Technologie und Innovation, aktive Arbeitsmarktpolitik, Infrastruktur-

investitionen, umweltverträgliche Technologien, Förderung von Klein - und Mittelbetrieben,

sowie Steuerharmonisierung zielführend. Der Europäische Rat von Amsterdam hat in

diesem Rahmen die konkreten Aufträge erteilt, bis zum Beschäftigungsgipfel im

November die beschäftigungspolitische Ausrichtung der Unionspolitik zu überprüfen und

entsprechend zu modifizieren. In diesem Zusammenhang weisen österreichische

Erfahrungen auf die Notwendigkeit hin, konkrete beschäftigungspolitische Maßnahmen in

einen integrierten, umfassenden und auf breiten Konsens gestützten makroökonomischen

,,Policy-Mix“ einzubinden. Dies hat auch der Europäische Rat von Amsterdam in seinen

Schlußfolgerungen betont.

Wie schon in Beantwortung der Fragen 1 und 2 betont wurde, besteht zwischen der

Schaffung primärrechtlicher Vorgaben im EG-Vertrag und der Umsetzung konkreter

europäischer Maßnahmen kein Gegensatz. Erstere dienen dazu, die notwendigen

Strukturen zu verankern und die beschäftigungspolitische Ausrichtung der

Gemeinschaftspolitik insgesamt dadurch zu verstärken.

Die Bundesregierung wird sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten, auch während der

Verhandlungen für die nächsten Haushaltspläne der EU, intensiv dafür einsetzen, einen

möglichst beschäftigungswirksamen Einsatz der EU-Mittel zu erreichen.

Die Frage der Umschichtung zugunsten beschäftigungswirksamer Gemeinschaftspolitiken

ist jedoch Gegenstand eines intensiven Diskussions- und Verhandlungsprozesses, der in

einem ersten Schritt im Hinblick auf den Beschäftigungsgipfel im November d.J. zu führen

ist. Diese ist allerdings auch vor dem größeren Zusammenhang der Agenda 2000,

insbesondere bei der Reform der Gemeinsamen Agrar- und Strukturpolitik und der

Festlegung der künftigen finanziellen Vorausschau, zu sehen. Deshalb ist eine exakte

Quantifizierung künftiger budgetärer Maßnahmen derzeit weder möglich noch sinnvoll.