2753/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Doris Kammerlander, Freundinnen
und Freunde haben am 10. Juli1997 unter der Nr. 2786/J an mich eine
schriftliche Anfrage „zur Zukunft der österreichischen Außenpolitik“ gerich-
tet, welche den folgenden Wortlaut hat:
1. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Neutralitätsgesetzes
(598 d. Beil. VII GP) heißt es ausdrücklich: „Der Gesetzesbefehl der
Vorlage richtet sich auch an die vollziehende Gewalt und insbesondere
an die Bundesregierung“.
1.1. Erachten Sie sich an diesen Gesetzesbefehl weiterhin gebunden?
1.2. Wenn ja: Wie können Sie Ihre Stellungnahmen als Außenminister
in Bezug auf die „dynamische Interpretation der österreichischen
Neutralität“ in Einklang mit dieser Ihrer Haltung bringen? Wie
können Sie Ihr Ersuchen, die NATO möge Österreich zur Mit-
gliedschaft einladen, in Einklang mit dieser Ihrer Haltung bringen?
2. Wie stehen Sie zur Nuklearisierung der österreichischen Sicherheitspo-
litik‘ die ein NATO-Beitritt automatisch nach sich ziehen würde?
3. Gibt es eine Kostenrechnung in Bezug auf einen etwaigen NATO-
Beitritt Österreichs?
Wenn ja, welche Kosten werden darin erwartet? Wenn nein, wollen Sie
eine solche im Auftrag der Bundesregierung
veranlassen?
4. Halten Sie als Außenminister eines immerwährend neutralen Staates
den Aufbau oder gar die Beteiligung an schnellen Eingreiftruppen wie
er in der NATO betrieben wird für einen Beitrag zu Sicherheit und
Frieden in Europa und der Welt? Wie schätzen Sie die Notwendigkeit,
nach einem NATO-Beitritt Interventionskapazitäten des Bundesheeres
aufzubauen, ein?
5. Wie bewerten Sie aus außenpolitischer Sicht des immerwährend neu-
tralen Österreich, die Aussagen Ihres Regierungskollegen Fasslabend
am 24. Mai 1997 in Prag, daß das österreichische Bundesheer sich be-
reits so verhalten möge, als ob es Mitglied der NATO wäre?
6. Frachten Sie es für notwendig, daß Österreich beim NATO-Gipfel in
Madrid, durch Bundeskanzler und Außenminister vertreten war?
7. Sie sprechen im Außenpolitischen Bericht 96 davon, daß Österreich
durch die Vollmitgliedschaft in der NATO zu einem gleichberechtigten
Mitglied werden würde. Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die
bloße Erweiterung um drei neue Mitglieder ein, die ganz offensichtlich
dem US-amerikanischen Interessen entspricht, während die europäi-
schen Verbündeten mit dem erklärten politischen Willen, daß auch
Slowenien und Rumänien aufgenommen werden mögen, sich trotz
deutlicher Stimmenmehrheit nicht durchsetzen konnten?
8. Wann ist für Sie der richtige Zeitpunkt zur Abgabe des umfassenden
sicherheitspolitischen Berichtes - auch Optionenbericht genannt - ans
Parlament?
9. Welche verschiedenen Optionen stehen aus Ihrer Sicht für den Bericht
der Bundesregierung ans Parlament, zum Zwecke der sicherheitspoliti-
schen Standortbestimmung Österreichs, zur Verfügung?
10. Wann sehen Sie den richtigen Zeitpunkt für eine Volksabstimmung ge-
kommen, auf die sich der Koalitionspartner bereits festgelegt hat?
11. Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Ergebnissen der Amsterdamer
Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU
einerseits und Österreich andererseits?
12. Teilen Sie die Auffassung Bundeskanzler Klimas, daß ein Beitritt zu
einem militärischen Bündnis mit den geltenden gesetzlichen Bestim-
mungen über die immerwährende Neutralität unvereinbar wäre?“
Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:
Zu Frage 1:
Selbstverständlich ist das Neutralitäts-BVG vom 26.10.1955 geltendes öster-
reichisches Verfassungsrecht, an das die Vollziehung gebunden ist. Gleich-
zeitig halte ich es aber auch für eine Selbstverständlichkeit, daß sich die Bun-
desregierung (und im besonderen auch der Bundesminister für auswärtige
Angelegenheiten) laufend mit der Frage auseinandersetzt, mit welchen sicher-
heitspolitischen Instrumenten die Sicherheit unseres Landes und seiner Bürger
sowie auch Österreichs Stellung in Europa und der Welt in Zeiten des Wan-
dels jeweils am besten gewährleistet werden können.
Es steht außer Zweifel, daß sich die internationalen Rahmenbedingungen un-
serer Sicherheitspolitik in den vergangenen Jahren grundlegend geändert ha-
ben - und daß diesem Umstand Rechnung zu tragen ist.
Genau dies ist ja auch der Hintergrund jener dynamischen Entwicklung in der
rechtlichen Umsetzung und der praktischen Handhabung der österreichischen
Neutralität, die ich öffentlich angesprochen habe. In diesem Zusammenhang
verweise ich u.a. auf die verfassungsrechtlichen Regelungen, die Österreich
im Zusammenhang mit dem Golfkonflikt (BG über die Ein-, Aus- und Durch-
führ von Kriegsmaterial, BGBl 1991/30a) und seinem EU-Beitritt (Art. 23f
BVG) getroffen hat.
Entgegen der in der Frage enthaltenen Feststellung habe ich an die NATO in
meiner (hier offenbar angesprochenen) Rede in Mons am 24. April d.J. im
übrigen nicht das „Ersuchen“ gerichtet, Österreich zum Beitritt einzuladen.
Ich habe vielmehr auf die immer engere Konvergenz zwischen EU, WEU und
NATO hingewiesen und betont, daß es im Interesse eines besseren Funktio-
nierens dieses sicherheitspolitischen ,,Kräftedreiecks“ nur folgerichtig und
begrüßenswert wäre, wenn die NATO allen derzeitigen EU-Staaten‘ die dies
wünschen, von sich aus die Perspektive
einer Mitgliedschaft eröffhen würde.
Zu Frage 2:
Zu der in der Anfrage vertretenen These, eine NATO-Mitgliedschaft führe
„automatisch zur Nuklearisierung“ der Sicherheitspolitik, möchte ich darauf
verweisen, daß schon derzeit keineswegs in allen NATO-Staaten Nuklearwaf-
fen stationiert sind, daß einzelne der derzeitigen Mitglieder diese Möglichkeit
für ihr Territorium in Friedenszeiten sogar ausdrücklich ausgeschlossen haben
und daß die NATO ihrerseits ausdrücklich festgestellt hat, daß sie weder Ab-
sicht, noch Pläne und auch keinen Anlaß habe, im Hoheitsgebiet neuer Mit-
gliedsländer Nuklearwaffen zu stationieren und dies auch für die Zukunft so
sähe. In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf die diesbezüglichen
Aussagen in der - am 27. Mai d.J. unterzeichneten -„Gründungsakte über ge-
genseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO
und der Russischen Föderation“.
Zu Frage 3:
Das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten ist derzeit im Be-
griff, gemeinsam mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundesministerium für
Landesverteidigung jenen umfassenden Bericht über alle weiterführenden si--
cherheitspolitischen Optionen, welcher dem Parlament gemäß der Entschlie-
ßung des Nationalrates Nr. 43E vom 26. Februar d.J. „spätestens im Laufe des
ersten Quartals des Jahres 1998“ vorzulegen ist, vorzubereiten.
Ich gehe davon aus, daß in diesem Bericht auch auf Kostenfragen eingegan-
gen werden wird. Ich bitte daher um Verständnis, wenn ich der Gesamtbe-
wertung dieses Berichtes nicht schon jetzt durch eine gesonderte Erörterung
einzelner Aspekte vorgreife.
Zu Frage 4:
Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß es für den Erfolg inter-
nationaler Friedenseinsätze von größter Bedeutung ist, wenn diese auf ent-
sprechende erfahrene und rasch verfügbare nationale Verbände abgestützt
werden können. Aus diesem Grunde wird z.B. im Rahmen des Standby Ar-
rangement System (SAS) der Vereinten Nationen schon seit 1996 eine multi-
nationale ,‚High Readiness Brigade“ (SHIRBRIG) aufgebaut. An diesem Vor-
haben ist neben Argentinien, Dänemark, Kanada, den Niederlanden, Norwe-
gen, Polen, Schweden, und der Tschechischen Republik auch Österreich be-
teiligt.
Ich halte diese Initiative ebenso wie auch andere - vergleichbare - Initiativen
internationaler Sicherheitsorganisationen grundsätzlich für einen sehr wichti-
gen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Si-
cherheit, wobei sichergestellt sein muß, daß derartige Verbände nur im Ein-
klang mit der Satzung der Vereinten Nationen zum Einsatz kommen.
Zu Frage 5:
Wie der Herr Bundesminister für Landesverteidigung inzwischen auch schon
selbst erläutert hat, hat er im Rahmen seiner Wortmeldung in Prag am 22. Juni
d.J. lediglich betont, daß das Österreichische Bundesheer um die Erreichung
jener technischen Qualitätsstandards und jener Interoperabilität bemüht ist, die
für die Zusammenarbeit mit den Streitkräften der Partnerländer in den priori-
tären Zusammenarbeitsbereichen, also in der Friedenserhaltung, bei humanitä-
ren Einsätzen und im Rahmen von Such- und Rettungsdiensten, erforderlich
sind.
Zu Frage 6:
Über Einladung der NATO war die weitaus überwiegende Mehrzahl der Teil-
nehmerstaaten des Euro-Atlantischen Parmerschafisrates in Madrid durch den
Staats- oder Regierungschef und durch den Außenminister vertreten. Dies gilt
z.B. auch für die allianzfreien Staaten Schweden und Finnland.
Angesichts der besonderen Bedeutung dieses Gipfeitreffens halte ich es für
richtig, daß sich auch Österreich an diese Formel gehalten hat.
Zu Frage 7:
Zu den Grundprinzipien der NATO gehört, daß ihre Entscheidungen im Kon-
sensweg getroffen werden. An der Erarbeitung dieses Konsenses nehmen
freilich nur jene Staaten teil, die dieser Organisation als Vollmitglieder ange-
hören. Was die Erweiterungsfrage betrifft, möchte ich überdies daran erin-
nern, daß diese Perspektive von den Vereinigten Staaten anfänglich sehr zu—
rückhaltend beurteilt worden ist und letztlich als prioritäres Anliegen einiger
europäischer Verbündeter auf die Tagesordnung der Allianz gelangt ist.
Angesichts der herausragenden Bedeutung, welche der Sicherheitsgarantie der
Vereinigten Staaten im NATO-Kontext zukommt,
ist es verständlich, daß die
Haltung der USA gerade auch in der Frage der Aufhahme neuer Mitglieder
besonderes Gewicht hat.
Dem europäischen Interesse entspricht es zugleich aber auch, daß die NATO
in Madrid betont hat, für neue Mitglieder offen zu bleiben und weiterhin neue
Mitglieder willkommen heißen wird. Im Lichte der Beschlüsse von Madrid
kann insbesondere davon ausgegangen werden, daß die beiden in der Anfrage
genannten Kandidatenländer im Rahmen der für 1999 angesetzten Überprü-
füng des Erweiterungsprozesses durch die NATO-Staats— und Regierungs-
chefs prioritäre Berücksichtigung finden werden.
Zu Frage 8:
Der Nationalrat hat die Bundesregierung in seiner — bereits zitierten - Ent-
schließung des Nationalrates Nr. 43E vom 26. Februar d.J. aufgefordert,
„spätestens im Laufe des ersten Quartals des Jahres 1998“ zu berichten. Das
schließt eine frühere Fertigstellung nicht aus.
Zu Frage 9:
Gemäß der zitierten Entschließung des Nationalrates soll der — in der Anfrage
genannte - Bericht „alle weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen ein-
schließlich der Frage einer Vollmitgliedschaft in der WEU“ behandeln. Sei-
tens der zuständigen Ressorts wird zur Zeit geprüft, wie diesem - sehr breit
gefaßten - Arbeitsauftrag am besten und umfassendsten entsprochen werden
kann. Ich möchte dieser Prüfling nicht vorgreifen.
Zu Frage 10:
Die Frage betrifft keine Angelegenheit der Vollziehung des Bundes, da die
Entscheidung über eine Volksabstimmung dem Nationalrat obliegt.
Zu Frage 11:
Diesbezüglich verweise ich auf den - vom Bundeskanzleramt und vom Bun-
desministerium für auswärtige Angelegenheiten gemeinsam erstellten - Be-
richt zum Vertrag von Amsterdam, welcher dem Parlament am 26. Juni d.J.
übermittelt worden ist, insbesondere auf die - auf den Seiten l3fdieses Be-
richts enthaltene - Darstellung der Entwicklung im Bereich der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik.
Zu Frage 12:
Ich verweise auf meine Antwort zur Parlamentarischen Anfrage von Abge-
ordneten Dr. Haider, Scheibner, DI Schöggl und Kollegen (Zl .2411 /J-
NR/1997 vom 14. Mai 1997).