2845/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Schwimmer und Kollegen haben am
11. Juli1997 unter der Nr. 2799/J an mich eine schriftliche parlamentarische
Anfrage betreffend Ratifikation des ILO - Übereinkommens Nr.169 gerichtet, die
folgenden Wortlaut hat:
11 Welche Bedenken haben Sie gegen eine Ratifikation des ILO-Überein-
kommens Nr.169?
2. Werden Sie Überlegungen anstellen, wie sich diese Bedenken beseitigen
lassen?
3. Welche Schritte werden Sie als Mitglied der Bundesregierung setzen, um
der neuerlichen Entschließung des Nationalrates an die Bundesregierung
bezüglich der Einleitung von Schritten zur Ratifizierung des ILO - Überein -
kommens Nr.169 nachzukommen?"
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:
Aufgrund der von Österreich ratifizierten Verfassung der Internationalen
Arbeitsorganisation besteht die Verpflichtung, die auf den Tagungen der
Internationalen Arbeitskonferenz angenommenen internationalen Urkunden
den zuständigen Stellen im Hinblick auf ihre Verwirklichung durch die Gesetz-
gebung oder andere Maßnahmen vorzulegen.
In jenen Fällen, in denen eine Ratifikation nicht möglich oder nicht vorgesehen
ist, gilt diese Verpflichtung als erfüllt, wenn dem Nationalrat die internationale
Urkunde lediglich mit erläuternden Bemerkungen zur Kenntnis gebracht wird.
Das Übereinkommen Nr.169 verpflichtet den ratifizierenden Staat zu einer
Reihe konkreter innerstaatlicher Maßnahmen zum Schutze der Rechte und
Freiheiten seiner eigenen eingeborenen und in Stämmen lebenden Völker.
Es stellt einen wichtigen Schritt zur Anerkennung menschenrechtlicher Min-
deststandards für die vom Geltungsbereich erfaßten Völker dar.
Österreich bekennt sich zu den Zielen des Übereinkommens. Dies wurde auch
im Zuge des Abstimmungsverfahrens über die Annahme des Übereinkommens
anläßlich der 76. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz eindeutig zum
Ausdruck gebracht: Alle österreichischen Vertreter (Regierungs-, Arbeitgeber-,
Arbeitnehmervertreter) stimmten für die Annahme des Übereinkommens.
In Entsprechung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation wurde
das Übereinkommen am 21. Oktober 1991 durch den Ministerrat zur Kenntnis
genommen und dem Nationalrat in einem Bericht
zur Kenntnis gebracht.
Bedenken bestehen dahingehend, daß der Anwendungsbereich des ,,ILO-Über-
einkommens Nr.169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in
unabhängigen Ländern“ nicht hinreichend klar ist; insbesondere stellt sich die
Frage, ob das Übereinkommen überhaupt auf österreichische Verhältnisse
anwendbar sein kann. Es handelt sich dabei um eine Auslegungsfrage, über
die Klarheit herrschen sollte, bevor völkerrechtliche Verpflichtungen einge-
gangen werden. Zweifellos ist dieses Übereinkommen - wie in der Anfrage
ausgeführt - „ein wichtiger Schritt zur Anerkennung menschenrechtlicher
Mindeststandards für diese Völker“. Deshalb hat Österreich auch diesem
Übereinkommen zugestimmt.
Für den Fall, daß das Übereinkommen auf Österreich nicht anwendbar sein
sollte, wäre es meiner Meinung nach wenig sinnvoll, daß Österreich völker-
rechtliche Verpflichtungen einginge, die es nicht betreffen. Auch Art. 61 des
Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge geht offenbar von der
Überlegung aus, daß Verträge, bei denen bereits eine anfängliche Erfül-
lungsunmöglichkeit gegeben ist, erst gar nicht abgeschlossen werden.
Zu berücksichtigen ist schließlich auch, daß ein Beitritt zum genannten Über-
einkommen gemäß Art. 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorgani-
sation, BGBl.Nr. 223/1949, die Verpflichtung Österreichs nach sich zöge, dem
Internationalen Arbeitsamt jährlich einen Bericht über Maßnahmen zur Durch-
führung des Übereinkommens vorzulegen. Solche Berichte könnten aber nur in
einem Hinweis auf die Unanwendbarkeit des Übereinkommens bestehen.
Soweit ersichtlich, haben aus dem Kreis der europäischen Staaten bislang nur
Dänemark (im Hinblick auf die Inuit) sowie Norwegen (im Hinblick auf das
Sami-Volk) das genannte Übereinkommen ratifiziert. Ich sehe darin einen Hin-
weis darauf, daß auch andere europäische
Staaten ähnliche Bedenken haben.
Zu den Fragen 2 und 3:
Seit längerem bestehen Bemühungen, unter anderem im Wege der Internatio-
nalen Arbeitsorganisation, den Anwendungsbereich des ILO-Übereinkom-
mens Nr.169 abzuklären. Da diese Frage bislang nicht geklärt werden konnte,
werden diese Bemühungen gemeinsam mit dem Bundesministerium für aus-
wärtige Angelegenheiten fortgesetzt.