2847/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Gredler, Kier, Partnerinnen und Partner
haben am 11Juli1997 unter der Nr. 2808/J an mich eine schriftliche parla-
mentarische Anfrage betreffend praktische Umsetzung des neu eingeführten
" in den EU- bzw. EG-Vertrag gerichtet, die folgenden
Wortlaut hat:
„1. Welche zusätzliche Wirkung hat die Festschreibung eines hohen Be-
schäftigungsniveaus“ im Artikel B EUV für die betroffenen Menschen
angesichts der Tatsache, daß bereits bisher in den Grundsätzen des EG-
Vertrages (Art. 2) „ein hohes Beschäftigungsniveau" gefordert wird?
2. Wieviele Arbeitsplätze können in Europa Ihrer Schätzung nach durch
Einführung des ,,Beschäftigungstitels" in den EGV geschaffen bzw.
erhalten werden?
3. Gemäß Artikel 4 Abs. 4 des Beschäftigungstitels wird die Durchführung
der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten einer Überprüfung durch den
Rat unterzogen. Wem obliegt die operative Durchführung dieser Über-
prüfung?
4. Welche Sanktionsmöglichkeiten sind vorgesehen, wenn Mitgliedstaaten
die beschäftigungspolitischen Leitlinien
des Rates nicht erfüllen?
5. Bedeutet die „Förderung der Koordinierung der Beschäftigungspolitik“
(Änderung des Artikels 3 EGV) auch, daß für Arbeitslose, die sich im
gesamten Raum der EU (und nicht nur in Österreich) auf Arbeitssuche
befinden, für die gesetzliche Anspruchsdauer Arbeitslosengeld bezahlt
wird? Wenn nein, warum nicht?
6. Werden Sie sich für eine Erhöhung des Mitgliedsbeitrages Österreichs an
die EU einsetzen, damit auch das EU-Budget zugunsten arbeitsbeschaf-
fender Maßnahmen erhöht werden kann? Wenn ja, in welchem Ausmaß?
Wenn nein, warum nicht?
7. Wenn nein, aus welchen EU-Budgetzeilen würden Sie europaweit arbeits-
platzschaffende Maßnahmen finanzieren?
8. Würden Sie nicht auch eine weitergehende Flexibilisierung der Arbeits-
zeiten, eine Entlastung der Arbeitskosten, die Einführung einer europa-
weiten Energiesteuer oder eine Förderung der Klein- und Mittelbetriebe
für konkretere Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit halten als die
Einführung einer Zielbestimmung in den EU-Verträgen?
9. Werden Sie sich bei den Verhandlungen für die nächsten Gesamthaus-
haltspläne der EU 1998 und besonders 1999, wenn sie unter der Vorsitz-
führung Österreichs stattfinden, und in den Folgejahren dafür einsetzen,
daß die Gewichte zugunsten beschäftigungsrelevanter Bereiche verscho-
ben werden? Wenn nein, warum nicht?
10. Wenn ja, um wieviel Prozent soll der Budgetanteil für Agrarausgaben, der
nach wie vor den Hauptanteil des EU-Budgets ausmacht, aber ohnehin im
Zuge der geplanten Osterweiterung der EU zu überdenken ist, gesenkt
werden zugunsten
a) Strukturmaßnahmen
b) Bildung, Jugend, Kultur
c) Industrie und transeuropäische Netze
d) Forschung und technologische Entwicklung?"
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:
Die durch den Vertrag von Amsterdam eingefügte beschäftigungspolitische
Zielbestimmung in Artikel B EU-V darf nicht isoliert betrachtet werden. Es ist
vielmehr konsequent, daß der in
Amsterdam vereinbarte Ansatz, die be-
schäftigungspolitischen Anstrengungen der Mitgliedstaaten durch einen Koor-
dinierungsmechanismus auf europäischer Ebene und zusätzliche gemein-
schaftliche Impulse zu verstärken, auch in den grundsätzlichen Zielbestimmun-
gen der Europäischen Union zum Ausdruck kommt. In Amsterdam wurden nicht
nur durch die Verankerung eines eigenen Beschäftigungstitels im EG-Vertrag
die notwendige primärrechtliche Vorgabe für die Koordination der Beschäfti-
gungspolitiken der Mitgliedstaaten geschaffen, sondern zugleich in der Ent-
schließung für Wachstum und Beschäftigung auch substantielle Ansätze vor-
gezeichnet, deren konkrete Umsetzung nun in einem ersten Schritt Gegen-
stand des Beschäftigungsgipfels im November sein wird.
Zu Frage 2:
Aufgrund der weiterbestehenden primären Verantwortung der Mitgliedstaaten
für die Beschäftigungspolitik ergeben sich die beschäftigungspolitischen Effekte
des eingeführten Koordinationsmechanismus nicht allein aus der Gemein-
schaftspolitik, sondern aus ihrem Zusammenwirken mit entsprechenden natio-
nalen Maßnahmen in den fünfzehn Mitgliedstaaten. Der Erfolg primärrechtlicher
Vorgaben hängt von ihrer konkreten Umsetzung ab. Die Schaffung dieser
Rahmenbedingungen im Beschäftigungstitel ist die notwendige Voraussetzung,
um diesen Erfolg zu ermöglichen.
Zu Frage 3:
Der Vertrag von Amsterdam sieht vor, daß die Überprüfung der Durchführung
der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten anhand der jährlichen Beschäfti-
gungsberichte der Mitgliedstaaten im Rat erfolgt. Das Ergebnis dieser Über-
prüfung ist daher letztendlich auf Ministerebene zu bestimmen.
Diese Überprüfung wird von dem nach Artikel 6 des Beschäftigungstitels ein-
zusetzenden Beschäftigungsausschuß
vorbereitet, der eine Stellungnahme an
den Rat abzugeben hat. Der Beschäftigungsausschuß hört bei der Erfüllung
seines Auftrages die Sozialpartner.
Zu Frage 4:
Im Vertrag wurden zwar keine finanziellen oder rechtlichen Sanktionen vorge-
sehen. Allerdings kann der Rat aufgrund der Überprüfung der nationalen Be-
schäftigungsberichte Empfehlungen an Mitgliedstaaten richten, wenn er dies
aufgrund der Ergebnisse dieser Prüfung für angezeigt hält. Wenngleich diesen
Empfehlungen keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt, sollten sie ein wirk-
sames politisches Instrument bieten. Dies entspricht der Balance zwischen der
primären Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Beschäftigungspolitik einer-
seits und der Koordination und Überwachung auf europäischer Ebene anderer-
seits, die dem Ansatz des Beschäftigungstitels zugrundeliegt.
Zu Frage 5
Art. 3 EG-V nennt in genereller Weise von der Tätigkeit der Gemeinschaft um-
faßte Bereiche und enthält keine spezifischen Bestimmungen. Die Bezug-
nahme auf die Förderung der Koordinierung der Beschäftigungspolitik im ge-
änderten Artikel 3 EG-V regelt folglich nicht die Frage des Bezugs von Arbeits-
losengeld während der Arbeitssuche innerhalb der Europäischen Union.
Unabhängig von dieser Vertragsänderung sehen geltende EG-Regelungen
jedoch bereits vor, daß Arbeitslose mit einem Leistungsanspruch aus einem
EU-Mitgliedstaat, die sich zur Arbeitssuche in einen anderen Mitgliedstaat
begeben, die ihnen nach den Bedingungen (auch hinsichtlich der Leistungs-
höhe) des Herkunftslandes zustehende Arbeitslosenunterstützung maximal drei
Monate lang auch im Land der Arbeitssuche beziehen können. Die Leistungen
werden von der Arbeitsverwaltung des Herkunftslandes an jene des Aufent-
haltslandes refundiert. Die administrative
Abwicklung besorgt in Österreich das
Arbeitsmarktservice (AMS). Ein Vorschlag der Europäischen Kommission, den
Zeitraum auf bis zu sechs Monate zu verlängern, liegt vor.
Von dieser Regelung profitieren EU-Bürger, die Arbeitsmöglichkeiten in
anderen Mitgliedstaaten nützen wollen, ohne daß dadurch das Aufenthalts -
land deren Arbeitslosenunterstützung zu finanzieren hat.
Zu den Fragen 6 bis 10:
Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, daß Beschäfti-
gung nicht alleine durch die Ausweitung der öffentlichen Ausgaben geschaffen
werden kann. Die erhöhte Bereitstellung öffentlicher Mittel könnte nur durch
eine Erhöhung der Staatseinnahmen, d.h. durch Steuer- und Abgabener-
höhungen, oder durch die Ausweitung der öffentlichen Verschuldung erfolgen.
Beides erscheint mir in der gegenwärtigen Situation kein zielführender Weg.
Einerseits sind die Steuer - und Abgabenquoten in der Europäischen Union
bereits auf sehr hohem Niveau. Auf deren weitere Steigerung zu setzen, würde
die Fähigkeit des privaten Sektors, beschäftigungsfördernd zu wirken, belasten.
Andererseits lähmt ein hoher Grad der öffentlichen Verschuldung die Gestal-
tungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand. Prioritäres Anliegen muß daher sein,
beschäftigungspolitische Impulse so zu setzen, daß gleichzeitig durch einen
sparsamen Umgang mit öffentlichen Mitteln der budgetäre Handlungsspielraum
zurückerlangt werden kann.
Es ist deshalb nicht meine Absicht, zusätzliche österreichische Mittel für den
Gemeinschaftshaushalt bereitzustellen, um dadurch die Beschäftigungseffekte
der Gemeinschaftspolitik zu verstärken. Österreich beabsichtigt vielmehr grund-
sätzlich, den Anteil Österreichs als Nettozahler nicht zu erhöhen. Sowohl auf
europäischer wie auch auf nationaler Ebene ist vielmehr danach zu trachten,
daß der Einsatz der verfügbaren Mittel mit dem höchstmöglichen Maß an
Beschäftigungswirksamkeit erfolgt.
In dieser Hinsicht erscheinen insbesondere Maßnahmen in den Bereichen Aus-
und Weiterbildung, Technologie und Innovation, aktive Arbeitsmarktpolitik,
Infrastrukturinvestitionen, umweltverträgliche Technologien, Förderung von
Klein- und Mittelbetrieben sowie Steuerharmonisierung zielführend. Der Euro-
päische Rat von Amsterdam hat in diesem Rahmen konkrete Aufträge erteilt,
bis zum Beschäftigungsgipfel im November die beschäftigungspolitische Aus-
richtung der Unionspolitik zu überprüfen und entsprechend zu modifizieren.
In diesem Zusammenhang weist der Europäische Rat von Amsterdam auf die -
auch durch österreichische Erfahrungen belegte - Notwendigkeit hin, konkrete
beschäftigungspolitische Maßnahmen in einen integrierten, umfassenden und
auf breiten Konsens gestützten makroökonomischen Policy-Mix einzubinden.
Wie schon in der Beantwortung der Fragen 1 und 2 hervorgehoben wurde,
besteht zwischen der Schaffung primärrechtlicher Vorgaben im EG-Vertrag und
der Umsetzung konkreter europäischer Maßnahmen kein Gegensatz. Erstere
dienen vielmehr dazu, die notwendigen Strukturen zu verankern und die be-
schäftigungspolitische Ausrichtung der Gemeinschaftspolitik insgesamt recht-
lich zu verstärken.
Ich werde mich auch - gemeinsam mit allen Mitgliedern der Bundesregierung -
während der Verhandlungen für die nächsten Gesamthaushaltspläne der EU
intensiv dafür einsetzen - einen möglichst beschäftigungswirksamen Einsatz der
EU-Mittel zu erreichen.
Die Frage der Umschichtung zugunsten beschäftigungswirksamer Gemein-
schaftspolitiken ist jedoch Gegenstand eines intensiven Diskussions- und
Verhandlungsprozesses, der in einem ersten Schritt im Hinblick auf den
Beschäftigungsgipfel im November dieses Jahres zu führen ist. Sie ist jedoch
auch vor dem größeren Zusammenhang
der Agenda 2000, insbesondere der
Reform der Agrar- und Strukturpolitiken und der Festlegung der künftigen
finanziellen Vorausschau, zu sehen. Deshalb ist es derzeit noch nicht zweck-
mäßig, die künftigen budgetären Maßnahmen exakt zu quantifizieren.