2924/AB XX.GP

 

zur Zahl 2927/J-NR/1997

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und Genossen haben an

mich eine schriftliche Anfrage, betreffend Richter contra richterlicher Unabhängig-

keit, gerichtet und folgende Fragen gestellt:

„1. Wie stehen Sie zu dieser (in der Anfragebegründung ausgeführten) grundsätz-

lichen Frage?

2. Wie verträgt es sich mit der Rolle eines unabhängigen Richters, wenn dieser

Richter als Autor in Printmedien aus einem Urteil zitiert! an dessen Zustande-

kommen er im erkennenden Senat beteiligt war und das zu diesem Zeitpunkt

den Verfahrensparteien noch nicht zugestellt worden ist?

3. Wie verträgt es sich mit der Rolle eines unabhängigen Richters! wenn - wie of-

fenbar im vorliegenden Fall - Informationen über den möglichen Ausgang eines

Rechtsmittelverfahrens an Journalisten von Printmedien weitergegeben wer-

den?

4. Liegt in diesen Fällen „Befangenheit" vor?

5. Wie verträgt sich die Beauftragung eines Richters mit einem entgeltlichen Gut-

achten für die Inkassowirtschaft mit seiner Rolle als unabhängiger Richter?

können Sie eine Beeinflussung der Entscheidungsfindung ausschließen?

6. Aufgrund welcher Rechtsgrundlage ist es zulässig, daß Richter - anzunehmen

außerhalb der Dienstzeit - entgeltlich Gutachten erstellen? Gibt es Ausschlie-

ßungsgründe?

7. Müssen Richter, die Gutachten entgeltlich erstellen, dies Ihrer Dienststelle mel-

den?

8. Wenn nein, warum nicht?

9. Beabsichtigen Sie sodann eine Meldepflicht oder eine Genehmigungspflicht

einzuführen?

10. (Wenn ja), in wie vielen Fällen waren 1994,1995 und 1996 Richter als Gutach-

ter entgeltlich tätig?

11. Hat der Richter am OLG Wien, Dr. Michael 8. diese Meldung vorgenommen?

12. Welche Maßnahmen sind seitens des Justizministeriums geplant, daß die un-

abhängige Rolle der Richter erhalten bleibt und beispielsweise Richter- und

Gutachterfunktionen nicht unzulässig vermengt werden?“

Ich beantworte diese Fragen wie folgt:

Zu 1. 5. 6 und 12:

Die Behandlung dieser Fragen muß ihren Ausgang von einer dienstrechtlichen Qua-

lifikation der von einem Richter ausgeübten Gutachtertätigkeit nehmen. Nach Auf-

fassung des Bundesministeriums für Justiz handelt es sich bei der Erstellung eines

Gutachtens durch einen Richter um eine Nebenbeschäftigung im Sinn des § 63 des

Richterdienstgesetzes. Diese Bestimmung enthält nähere Regelungen über die Aus-

übung von Nebenbeschäftigungen; im besonderen wird darin umschrieben, welche

Nebenbeschäftigungen dem Richter untersagt sind. Insgesamt sind diese Regelun-

gen unter anderem von der Intention getragen, eine gewisse Einschränkung der Ne-

benbeschäftigungen von Richtern zu bewirken (so auch die Gesetzesmaterialien,

RV 1209 BIgNR 17. GP). Dies gilt auch für § 63 Abs. 5 RDG, wonach die Eintragung

von Richtern des Dienststandes in die von den Präsidenten der Gerichtshöfe I. In-

stanz zu führenden sachverständigenlisten unzulässig ist. Hinter dieser Anordnung

steht das Anliegen, daß die Heranziehung von Richtern als Sachverständige nicht

gefärdert werden soll. Zwar wird damit keineswegs ausgeschlossen, daß Richter in

Einzelfällen als Sachverständige herangezogen werden, soweit sie hiedurch nicht

an der Erfüllung ihrer Dienstpflichten (durch zeitliche oder fachliche Kollision) behin-

dert werden; faktisch wird mit dieser Regelung aber die Erstattung von Gutachten

durch Richter in gerichtlichen Verfahren weitestgehend zurückgedrängt.

Die außergerichtliche Gutachtertätigkeit eines Richters bleibt von § 63 Abs. 5 RDG

hingegen unberührt. Auch steht es Richtern selbstverständlich frei, sich rechtswis-

senschaftlich zu betätigen, dies freilich in dem durch § 63 RDG gezogenen Rahmen.

Damit ist es einem Richter auch erlaubt, sich wissenschaftlich zu Rechtsfragen zu

äußern und dazu - auch entgeltlich über privaten Auftrag - Gutachten zu erstatten.

Dies ergibt sich schon aus den Grundrechten auf Freiheit der Meinungsäußerung

und Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre. Zudem ist eine Affinität von Richtern

zum rechtswissenschaftlichen Geschehen grundsätzlich positiv zu bewerten und

insgesamt für die Rechtsprechung zweifellos von Vorteil. Es kann auch nichts Be-

denkliches darin erblickt werden, daß ein Richter eine im Zuge seines

wissenschaftlichen Interesses gewonnene Rechtsauffassung in sein richterliches

Wirken einfließen läßt (wo sie in der senatsgerichtsbarkeit bzw. im Rechtsmittelzug

ohnedies in Konkurrenz zu anderen Rechtsmeinungen geraten kann). Dies trifft glei-

chermaßen auch ?ür den Fall zu, daß ein auf einem bestimmten Fachgebiet bereits

ausgewiesener Richter über privaten Auftrag entgeltlich eine rechtsdogmatische Un-

tersuchung über eine fachspezifische Rechtsfrage verfaßt, zumal bei einem mit wis-

senschaftlichem Anspruch arbeitenden Rechtsexperten wohl nicht unterstellt werden

kann, daß er durch das ihm zukommende Entgelt für das Gutachten gleichsam "kor-

rumpiert“, also die von ihm gewonnenen Ergebnisse an den (tatsächlichen oder ver-

meintlichen) Präferenzen des Auftraggebers orientieren würde. Eine seriöse wissen-

schaftliche Tätigkeit begründet daher nicht schon von vornherein die Vermutung der

Befangenheit des Richters in Ausübung des Dienstes, selbst wenn sie zum Teil

auch in der Erstattung entgeltlicher Rechtsgutachten besteht; sie wird sohin im all-

gemeinen aus dem Blickwinkel der in § 63 Abs. 2 RDG vorgesehenen Ausschluß-

gründe als Nebenbeschäftigung zulässig sein. Ein Befangenheitsgrund ist allerdings

dann gegeben, wenn der Richter in einer konkreten Rechtssache, die er selbst zu

entscheiden hat, ein Privatgutachten erstattet. Hingegen kann aus der Veröffentli-

chung einer Rechtsmeinung etwa in Form eines wissenschaftlichen Artikels in einer

Fachzeitschrift nicht generell eine Befangenheit des Richters abgeleitet werden. Be-

fangenheit wird somit durch (parteinehmende) Erklärungen in der konkreten Rechts-

sache, nicht aber durch die wissenschaftliche Erörterung von Rechtsfragen begrün-

det. Im Einzelfall ist die Frage der Befangenheit freilich von der unabhängigen

Rechtsprechung zu lösen.

Der Richter, dessen Veröffentlichungen in der Anfrage angesprochen werden, ist

seit 1992 (auch) als Universitätsdozent für zivilgerichtliches Verfahren tätig. Im Rah-

men seiner wissenschaftlichen Tätigkeit widmet er sich besonders der Frage des Er-

satzes der Verfahrenskosten. Schon in seiner Habilitationsschrift (deren modifizierte

Publikation in Buchform als Standardwerk allgemein anerkannt ist) behandelte er

das Thema "Kostenersatz im Zivilprozeß“, und er gilt in diesem Bereich als einer der

führenden Rechtsexperten in Österreich. In jüngster Zeit befaßte er sich im speziel-

len auch mit dem Problem des Ersatzes vorprozessualer Aufwendungen.

Nach der aus Anlaß dieser Anfrage eingeholten Äußerung dieses Richters Dr. B. trat

die Bundesinnung der Immobilien- und Vermögenstreuhänder auf Grund seiner wis-

senschaftlichen Kompetenz auf dem Gebiet des Kostenersatzrechts an ihn mit dem

Anliegen heran, er möge ein Gutachten zum Ersatz vorprozessualer Kosten erstel-

len. Mit diesem Gutachtensauftrag wurde das Ziel verfolgt, Gläubigern in der Frage

des Ersatzes der ihnen bei Forderungsbetreibung erwachsenen Inkassokosten eini-

germaßen gesicherte Anhaltspunkte bieten zu können. Unter Verwertung der von

ihm schon vorher erarbeiteten Lösungsansätze erstattete Dr. B. Anfang September

1997 ein Rechtsgutachten; einige der darin angestellten - und bereits zuvor in Vor-

trägen von Dr. B. öffentlich geäußerten - Überlegungen sollen auch in einer juristi-

schen Fachzeitschrift publiziert werden. Im Hinblick darauf, daß dieses Gutachten

nicht etwa im Kontext eines bestimmten Rechtsstreits erstellt wurde und ohnehin im

wesentlichen nur die bereits zuvor von Dr. B. vertretene Rechtsauffassung wider-

spiegelte, scheint dieser Vorgang nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht be-

denklich.

Die eingangs dargestellte - hinsichtlich einer Nebenbeschäftigung von Richtern und

in besonderem Maß hinsichtlich deren Sachverständigentätigkeit durchaus restrikti-

ve - Rechtslage bietet meiner Überzeugung nach ausreichend Gewähr dafür, eine

unzulässige Vermengung von Richter- und Gutachterfunktion hintanzuhalten und

die unabhängige Rolle der Richter zu erhalten. Ich sehe daher für Maßnahmen, die

über die bestehenden Regelungen hinausgingen, keinen Anlaß.

Zu 2:

Nach der aus Anlaß dieser Anfrage eingeholten Äußerung von Dr. B. verhielt es sich

mit dem in dieser Frage angesprochenen Geschehen wie folgt:

Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit wird Dr. B. immer wieder zu Vor-

trägen und zu schriftlichen Veröffentlichungen zu rechtlichen Themen eingeladen.

Im Jahr 1996 wurde Dr. B. vom Herausgeber eines Wirtschaftsmagazins ersucht, ei-

nen Beitrag über interessante reiserechtliche Fragen zu verfassen, der noch vor der

Urlaubssaison in der Juni-Ausgabe dieses Magazins erscheinen sollte. Als prakti-

sche Grundlage für diesen Beitrag wählte Dr. B. einen ihm damals als Berichterstat-

ter in einem Rechtsmittelsenat eines Gerichtshofs I. Instanz zugewiesenen Fall aus.

In dieser Rechtssache wurde in einer Anfang Mai 1996 durchgeführten Berufungs-

verhandlung die Entscheidung gefällt und am darauffolgenden Tag in schriftlicher

Form der Geschäftsabteilung zur Abfertigung übergeben. Einige Tage später ver-

faßte Dr. B. den von ihm erbetenen Artikel und übermittelte diesen der Redaktion

des Wirtschaftsmagazins. Er ging dabei davon aus, daß die Zustellung der erwähn-

ten Berufungsentscheidung an die Parteienvertreter jedenfalls noch vor dem Er-

scheinen seines Artikels in der Juni-Ausgabe des wirtschaftsmagazins erfolgen wür-

de. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen verzögerte sich jedoch die Zustel-

lung der Entscheidung bis zu einem Zeitpunkt nach der Publikation des Beitrags am

4. oder 5. Juni 1996.

Ebenso wie Dr. B. selbst bedauere ich die durch diesen Vorgang entstandene

ungünstige Optik. Ich meine aber, daß diese vorzeitige Veröffentlichung nicht wirk-

lich geeignet war, das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der

Rechtsprechung zu beeinträchtigen. Dabei muß immerhin in Rechnung gestellt wer-

den, daß die erwähnte Berufungsentscheidung von einem aus drei Richtern beste-

henden Senat getroffen wurde, die Ingerenz auf den Inhalt dieser Entscheidung also

nicht allein bei Dr. B. lag.

Zu 3 und 4:

Der in der Anfragebegründung zitierte Satz in einem Artikel der Tageszeitung „Die

Presse“ vom 14.7.1997 ist nach der aus Anlaß dieser Anfrage eingeholten Äuße-

rung von Dr. B. in folgender Weise zustande gekommen:

Im Anschluß an einen von Dr. B. im Juni 1997 bei einem Seminar gehaltenen Vor-

trag zum Thema „Der Ersatz vorprozessualer kosten unter besonderer Berücksichti-

gung der Mahn- und Inkassospesen“ äußerte der Veranstalter großes Interesse dar-

an, daß über das Seminar im „Rechtspanorama“ der Tageszeitung „‚Die Presse“ be-

richtet werde. Über Ersuchen des Veranstalters setzte sich Dr. B. deshalb mit dem

zuständigen Redakteur in Verbindung und gab diesem telefonisch einige Informatio-

nen über die Thematik seines Vortrags und über mögliche Lösungsansätze. Auf die

Frage, ob die künftige Judikaturentwicklung auf diesem Gebiet absehbar sei, teilte

Dr. B. dem Redakteur die ihm aus Diskussionen mit Kollegen bekannte Tatsache

mit, daß zu dieser Zeit gerade ein die Problematik betreffender Fall beim Oberlan-

desgericht Wien anhängig war, und äußerte die - auf kein positives Wissen über den

Entscheidungsinhalt gegründete - Vermutung, daß der zuständige Senat allenfalls

Inkassokosten nicht als Prozeßkosten behandeln würde. Dabei machte Dr. B. je-

doch deutlich, daß diese Information keinesfalls zur Veröffentlichung bestimmt sei.

Trotz dieses Hinweises wurde im erwähnten Artikel eine Aussage über das erwähn-

te Rechtsmittelverfahren und seinen möglichen Ausgang - noch dazu in völlig ver-

fremdeter Form - getroffen.

Auch in diesem Fall ergab sich nach außen hin ein ungünstiges Bild. Allerdings läßt

sich aus der publik gewordenen Vermutung eines nicht an der Entscheidung betei-

ligten Richters über den möglichen Ausgang eines Rechtsmittelverfahrens keine

verfahrensrelevante „Befangenheit“ ableiten.

Dr. B. wird - wie er versichert - aus dieser Erfahrung Konsequenzen ziehen und in

Hinkunft auf derartige Anfragen von Journalisten keine Auskünfte mehr geben.

Zu 7. 8 und 9:

Gemäß § 63 Abs. 6 RDG hat der Richter die Aufnahme, die Art und das Ausmaß ei-

ner erwerbsmäßigen Nebenbeschäftigung sowie deren Beendigung unverzüglich

der Dienstbehörde zu melden. Die Erwerbsmäßigkeit als Voraussetzung für die

Pflicht zur Meldung einer Nebenbeschäftigung ist immer dann gegeben, wenn diese

- sei es auch weder ausschließlich noch überwiegend - zu dem Zweck ausgeübt

wird, dem sie Ausübenden eine (dauernde oder wenigstens vorübergehende) Ein-

kommensquelle zu verschaffen. Ob eine Tätigkeit, für die eine einmalige Gegenlei-

stung erbracht wird, als eine erwerbsmäßig ausgeübte Tätigkeit zu betrachten ist,

richtet sich nach dem objektiven Wert dieser Gegenleistung. Erwerbsmäßigkeit wird

immer dann zu bejahen sein, wenn durch die Beschäftigung nennenswerte Einkünf-

te bezweckt werden, wobei als Orientierungshilfe der in § 41 EStG genannte Betrag

von jährlich 10.000 S dienen kann (VwGH 29.6.1988, ZfV 1990/555; siehe Spe-

har/Jesionek/Fellner; RDG2 Anm. 8 und 9 zu § 63). Entsprechend diesen Grundsät-

zen kann also die entgeltliche Erstattung eines Gutachtens - abhängig von der Ent-

gelthöhe - durchaus unter die Meldepflicht des § 63 Abs. 6 RDG fallen.

Zu 10:

Im Jahr 1994 haben 16, 1995 15 und 1996 12 Richter Nebenbeschäftigungen als

Gutachter gemeldet.

Zu 11:

In seiner aus Anlaß dieser Anfrage eingeholten Äußerung führt Dr. B. aus, eine Mel-

dung der Gutachtenserstellung an die Dienstbehörde deshalb nicht erstattet zu ha-

ben, weil - nach seiner Rechtsauffassung - gemäß § 63 Abs. 6 RDG nur einigerma-

ßen regelmäßige Nebenbeschäftigungen zu melden seien, nicht aber einmalige Tä-

tigkeiten.

Wie sich aus den Ausführungen zu den Fragen 7, 8 und 9 ergibt, trifft diese Meinung

von Dr. B. so nicht zu. Ich habe veranlaßt, daß der Präsident des Oberlandesge-

nichts Wien im Rahmen der Dienstaufsicht gemäß § 42 GOG Dr. B. über die Voraus-

Setzungen der Meldepflicht entsprechend belehrt.