3149/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Helene Partik-Pablé und Kollegen haben an

mich eine schriftliche Anfrage, betreffend geplante Teilung des Grauen Hauses, ge-

richtet und folgende Fragen gestellt:

„1. Aus welchen Gründen planen Sie ein neues Gerichtsgebäude auf den ehema-

ligen Schlachthausgründen?

2. Wieso sehen Sie eine Notwendigkeit neue Hafträume zu errichten, obwohl im

nächsten Jahr die Haftanstalt Simmering mit mehr als 400 Unterbringungs-

möglichkeiten eröffnet werden soll, der Gefangenentrakt im Grauen Haus nicht

überbelegt und die Anzahl der Häftlinge gesunken ist? Darüberhinaus wurde

das Gefangenenhaus in Floridsdorf geschlossen, weil weder Personal noch

genügend Häftlinge vorhanden waren.

3. Wurde bereits ein Planungsauftrag für dieses Gebäude erteilt? Wenn ja, an

wen?

4. Wurden bereits Anzahlungen geleistet? Wenn ja, in welcher Höhe?

5. Sind Sie der Meinung, daß in Anbetracht der zwei Sparpakete, die der Bevöl-

kerung auferlegt wurden, und der akuten Notwendigkeit zu sparen, dieses Pro-

jekt fallengelassen werden sollte?

6. Aus welchem Grund, sind Ihrer Meinung nach Mischgerichte effizienter als

Spezialgerichte?

7. Welche Argumente gibt es für eine Mischung von Straf- und Zivilgerichtsbarkeit

auf Landesgerichtsebene?“

Ich beantworte diese Fragen wie folgt:

Zu 1 bis 4:

Der Nationalrat hat mit Entschließung vom 12. November 1992, E 75—NR 18.GP,

den Bundesminister für Justiz ersucht, „unverzüglich alle notwendigen Maßnahmen

zur Neuunterbringung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien samt einem

Bezirksgericht für den 3. und 11. Wiener Gemeindebezirk auf den bundeseigenen

Schlachthausgründen in Wien 3 und die Neuschaffung von 700 (bis 850) zusätzli-

chen Haftraumplätzen in Wien durch Errichtung eines Gefangenenhauses am vor-

her genannten Standort sowie Errichtung eines Zubaues auf dem Areal der Straf-

vollzugsanstalt Wien-Simmering zu treffen“.

Diese Entschließung wurde im Bericht des Justizausschusses 78Ö BlgNR 18. GP

ausführlich und detailliert begründet.

Der Ministerrat hat von dieser Entschließung am 24. November 1992 Kenntnis ge-

nommen.

Nach Einbeziehung der Wiener Stadtplanung hat zu diesem Bauvorhaben ein Archi-

tektenwettbewerb stattgefunden, dessen Ergebnisse 1994 der Öffentlichkeit und

den Vertretern der betroffenen Berufsgruppen vorgestellt und ohne wesentliche Ein-

wände zur Kenntnis genommen wurden. Die nunmehr für die weitere Planung erfor-

derliche Architektenbeauftragung soll in allernächster Zeit durch das Bundesministe-

rium für wirtschaftliche Angelegenheiten erfolgen. Anzahlungen wurden bisher nicht

geleistet.

Die nach wie vor gegebene Notwendigkeit zur Schaffung neuer Haftplätze in Wien

habe ich in meiner Antwort vom 17. November 1997 zu den Fragen 5 und 6 der

schriftlichen Anfrage der Abgeordneten zum Nationalrat Ing. Gartlehner und Genos-

sen, ZI. 2942/J-NR/1997, dargelegt. Ergänzend halte ich fest, daß sich die in der zi-

tierten Anfrage genannte Zahl der Insassen der Justizanstalt Wien-Josefstadt von

936 auf 1009 am 16. Dezember 1997 erhöht hat und daß damit eine deutliche Über-

belegung der Justizanstalt Wien-Josefstadt gegeben war. Betont sei auch, daß die

Zahl der Haftplätze der in Bau befindlichen Justizanstalt in Simmering nicht - wie in

der Anfrage angenommen - 400, sondern 300 beträgt.

Das in der Anfrage angesprochene Gefangenenhaus in Wien-Floridsdorf steht nicht

leer, sondern ist nunmehr eine Außenstelle der Justizanstalt Wien—Mittersteig. In

dieser Außenstelle sind die weniger behandlungsintensiven Personen nach § 21

Abs. 2 StGB, die vorher in der Außenstelle Stockerau waren, untergebracht. Die Au-

ßenstelle Stockerau wiederum ist nunmehr der Justizanstalt Korneuburg zugeord-

net, die seit 1. April 1997 durch die Erweiterung des Sprengeis des Landesgerichtes

Korneuburg durch die Eingliederung der sogenannten Wiener Umlandbezirksgerich-

te Schwechat, Bruck an der Leitha, Hamburg a. d. Donau, Groß-Enzersdorf und Klo—

sterneuburg überbelegt war.

Für die im bereits zitierten Justizausschußbericht vom 5. November 1992 im einzel-

nen dargelegten Planungen sind die Häftlingszahlen bis einschließlich 1991 zur Ver-

fügung gestanden. Seither hat sich der jährliche Bundesdurchschnitt an Insassen

der Justizanstalten wie folgt entwickelt:

 

 

Gesamt

davon U-Häftlinge

1991

6.750

2.168

1992

7.029

2.307

1993

7.184

2.211

1994

6.913

1.688

1995

6.714

1.619

1996

6.786

1.626

 

Die Gesamtzahl der Insassen ist im unmittelbaren Vergleich der Jahre 1991 und

1996 nahezu unverändert geblieben.

Zu 5:

Die für die Entschließung des Nationalrates vom 12. November 1991 maßgebenden

Grundlagen sind nach wie vor gegeben; auch bei der gegebenen volkswirtschaftli-

chen Situation halte ich die Umsetzung des Entschließungsauftrages des National-

rates für wirtschaftlich und zweckmäßig. Durch die in Aussicht genommene langfri-

stige Finanzierung wird die Belastung der kommenden Bundeshaushalte gering ge-

halten, während die durch die Bauführung zu erwartenden positiven Effekte für die

Arbeitsmarktsituation sofort eintreten werden.

Für die Finanzierung können auch die Erlöse der bei Durchführung des Projektes

freiwerdenden bundeseigenen Gebäude Riemergasse 4, Schullerstraße 22, Bella-

riastraße 8 und Hansenstraße 4 - 6 herangezogen werden, deren Verkehrswert auf

rund 160 Millionen S geschätzt wird.

Zu 6 und 7:

Unbestritten ist, daß sich die gemischte Zuständigkeit für Zivil- und Strafsachen bei

den 14 bestehenden Vollgerichtshöfen, die in insgesamt acht Bundesländern einge-

richtet sind, bestens bewährt hat und daß keine Effizienzvorteile der nur für Zivil—

oder nur für Strafsachen zuständigen Gerichtshöfe in Wien und Graz erkennbar

sind. Dies spricht dafür, die in acht Bundesländern bestehende Organisationsstruk—

tur der sowohl für Zivil- als auch für Strafsachen zuständigen Gerichtshöfe auch auf

das Bundesland Wien auszudehnen.

Wie die statistischen Auswertungen zeigen, dauern die Zivilverfahren (Cg) bei den

Spezialgerichtshöfen LGZ Wien und LGZ Graz im Vergleich zu allen anderen Ge-

richtshöfen erster Instanz des Bundesgebietes am längsten. So hat der sogenannte

Anhängigkeitsstand, der die am Jahresende anhängig verbliebenen Verfahren in der

Relation zum Neuanfall eines Jahres ausdrückt, beim LGZ Wien 64,2 % und beim

LGZ Graz 59,8 % betragen, während der Bundesdurchschnitt bei 52,8 % lag. In

Strafsachen waren die entsprechenden Werte des LGSt Wien und des LGSt Graz

ziemlich nahe dem Bundesdurchschnitt, ein Effizienzvorteil dieser beiden Gerichts-

höfe ist aber daraus nicht ableitbar.

Bei derartigen Vergleichen ist nicht zu übersehen, daß auch bei den sogenannten

Vollgerichtshöfen in aller Regel auf jeweils eine Geschäftssparte spezialisierte Rich-

ter tätig sind, die - wie die Auswertungen zeigen - keinen Vergleich mit ihren Richter—

kollegen bei Spezialgerichtshöfen scheuen müssen. Derartige Spezialisierungen

werden selbstverständlich auch bei gemischten Gerichtshöfen in Wien möglich sein,

zumal ein für Zivil- und Strafsachen zuständiges Landesgericht Wien-Ost im dritten

Wiener Gemeindebezirk etwa 47 Richter umfassen würde. Von den Vollgerichtshö—

fen wäre nur das Landesgericht Innsbruck mit 63 Richterplanstellen größer.

Ein Vorteil der Vollgerichtsbarkeit besteht auch darin, daß der während einer Berufs-

laufbahn durchaus wünschenswerte Wechsel von Strafsachen in Zivilsachen und

umgekehrt bei einem Vollgerichtshof durch eine bloße Änderung der Geschäftsver-

teilung möglich ist, während er bei Spezialgerichtshöfen nur nach entsprechender

Bewerbung durch eine Ernennung von einem Gerichtshof zu einem anderen Ge-

richtshof erfolgen kann.

Ein weiterer Vorteil der Vollgerichtsbarkeit ist in den - ebenfalls wünschenswerten -

interdisziplinären kontakten gelegen, die bei Vollgerichtshöfen sowohl im kollegialen

Bereich als auch in gemischt zusammengesetzten Senaten, wie jedenfalls in den

Personalsenaten und in den Begutachtungssenaten, erfolgen.

Ein Nachteil der bestehenden Gerichtsorganisation in Wien ist darin gelegen, daß

dem LGSt Wien, dem nach der Richterzahl (mit 81 Richterplanstellen) größten Ge-

richtshof Österreichs, keine einziges Bezirksgericht unterstellt ist und daß dem LGZ

Wien, bei dem 77 Richterplanstellen systemisiert sind, insgesamt 11 Bezirksgerichte

mit 185 Richterplanstellen unterstehen, sodaß der Umfang der Dienstaufsichtsagen-

den der beiden Gerichtshofpräsidenten sehr unausgewogen ist, wozu noch kommt,

daß der Präsident des LGZ Wien auch die Dienstaufsicht gegenüber den Strafrich-

tern der unterstellten Bezirksgerichte führen muß, obwohl beim Gerichtshof selbst

keine strafgerichtlichen Kompetenzen wahrzunehmen sind. Eine Anomalie der Wie-

ner Gerichtsorganisation besteht auch darin, daß im strafrechtlichen Bereich der Be-

zirksgerichte die Dienst- und die Fachaufsicht von verschiedenen Gerichtshöfen

wahrzunehmen sind; die Rechtsmittel gegen strafgerichtliche Entscheidungen der

Wiener Bezirksgerichte sind an das LGSt Wien vorzulegen, während die Dienstauf-

sicht - wie bereits erwähnt - dem Präsidenten des LGZ Wien zukommt.

Durch das dargestellte Ungleichgewicht ergeben sich für die Richter des LGZ Wien

dadurch Nachteile, daß bei diesem Gerichtshof im Rahmen der Geschäftsverteilung

wesentlich mehr Vertretungsrichter zu bestellen sind, die durch längere Zeit hin-

durch das Risiko tragen, bei Auftreten eines Vertretungsfalles bei einem Bezirksge-

richt eingesetzt zu werden. Diese beim LGZ Wien relativ lang andauernde Ungewiß-

heit hat schon eine Reihe von Richtern abgehalten, sich um Planstellen beim LGZ

Wien zu bewerben, sodaß bei Ausschreibungen von Planstellen des LGZ Wien nicht

selten Richteramtsanwärter zum Zug kommen müssen. Die Laufbahn eines Richters

sollte jedoch im wohlverstandenen Interesse eines Jungrichters bei einem Bezirks-

gericht beginnen.

Aus all diesen Gründen halte ich die Organisationsform der Vollgerichtshöfe für we-

sentlich zweckmäßiger als die der Spezialgerichtshöfe.