3175/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde
haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend die Entscheidung der Euro-
päischen Kommission für Menschenrechte betreffend höheres Mindestalter für ho-
mosexuelle Beziehungen zwischen Männern gerichtet und folgende Fragen ge-
stellt:
"1. Welche Initiativen werden Sie zur Umsetzung dieser Entscheidung der Euro-
päischen Menschenrechtskommission in der österreichischen Rechtsordnung,
d.h. zur Streichung des § 209 StGB, setzen?
2. Wenn Sie keine Initiativen setzen wollen:
a) Warum nicht?
b) Wie soll eine menschenrechtskonforme Strafrechtslage in Österreich herge-
stellt werden?
3. Wenn Sie Initiativen setzen wollen: Wann werden dem Parlament ent-
sprechende Vorschläge zugeleitet werden?
4. Werden Sie künftig nach § 209 StGB Verurteilte, deren Menschenrechte - nun
wohl unstrittigerweise - verletzt werden, dem Herrn Bundespräsidenten zur Be-
gnadigung vorschlagen, damit er seiner Funktion als Hüter der Verfassung und
der darin enthaltenen Grundrechte nachkommen kann?
a) Wenn nein: Warum nicht?“
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1 bis 3:
Das Bundesministerium für Justiz regte erstmals in den Erläuterungen zu dem zur
Begutachtung versendeten Ministerialentwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes
(1992) an, die Frage der Aufhebung des § 209 StGB einer umfassenden Diskussion
zuzuführen.
In der in der 19. Gesetzgebungsperiode dem Nationalrat zugeleiteten Regierungs-
vorlage eines Strafrechtsänderungsgesetzes 1994 wurden abermals begründete
Zweifel gegenüber einer Beibehaltung der in Rede stehenden Bestimmung zum
Ausdruck gebracht. In seiner Stellungnahme anläßlich des Expertenhearings zur
Frage der Aufhebung der §§ 209, 220 und 221 StGB, das am 10.10.1995 im Unter-
ausschuß des Justizausschusses stattfand, trat das Bundesministerium für Justiz -
in Übereinstimmung mit den meisten Expertenmeinungen - ausdrücklich für eine
Streichung des § 209 StGB ein.
Schließlich habe ich in meiner Wortmeldung in der Plenardebatte über das Straf-
rechtsänderungsgesetz 1996 und die parlamentarischen Initiativanträge zu den
§§ 209, 220 und 221 StGB am 27.11.1996 die Gründe aufgezeigt, die eine Strei-
chung des § 209 StGB nahelegen. Der Nationalrat lehnte jedoch bekanntlich in die-
ser Tagung eine Änderung der Rechtslage
in dieser Frage mehrheitlich ab.
Der in der Anfrage zitierte Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrech-
te vom 1.7.1997 in der Beschwerdesache Euan Sutherland gegen das Vereinigte
Königreich betraf einen Anlaßfall, in dem sich der Beschwerdeführer dagegen wand-
te, daß er nach der britischen Rechtslage deshalb mit Strafe bedroht ist, weil er als
bereits Sechzehnjähriger mit einem Gleichaltrigen homosexuelle Kontakte hatte. Vor
dem Hintergrund dieses Falles argumentierte die Menschenrechtskommission, daß
nach der sexuellen Orientierung differenzierende Mindestaltersgrenzen im Sexual-
strafrecht (des Vereinigten Königreichs) gegen Art. 8 in Verbindung mit Art. 14
EMRK verstießen. Mit dieser Aussage ging die Kommission über frühere Entschei-
dungen zu diesem Themenbereich hinaus. Inwieweit auch der Europäische Ge-
richtshof für Menschenrechte diese Weiterentwicklung der Konventionsauslegung
mitvollziehen wird, ist noch offen.
Dieser Bericht der Menschenrechtskommission wurde in die Erörterungen der von
mir Ende 1996 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Sexualstrafrechts bereits
einbezogen. Ob und inwieweit sich aus der weiteren Diskussion hiezu sowie zum
strafrechtlichen Jugendschutz insgesamt neue Lösungsansätze ergeben (beispiels-
weise in Form einer nicht nach der sexuellen Orientierung differenzierenden beson-
deren Strafbestimmung zum Schutz noch nicht sechzehnjähriger gegen sexuelle
Ausbeutung) und dem Parlament entsprechende Vorschläge im Wege einer Regie-
rungsvorlage zugeleitet werden, läßt sich derzeit noch nicht verläßlich absehen
Zu 4:
Die Frage, ob in Fällen einer Verurteilung nach § 209 StGB auf Grund eines Gna-
dengesuchs dem Herrn Bundespräsidenten ein Gnadenvorschlag erstattet wird,
wird nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls nicht nur nach Maßgabe der
Gnadenwürdigkeit und der Gnadengründe, sondern auch im Lichte der in der allge-
meinen Diskussion vorgetragenen Argumente und der in der erwähnten Entschei-
dung derMenschenrechtskommission in den Vordergrund gestellten Kriterien beur-
teilt werden.
Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß Personen, die wegen § 209 StGB verurteilt
wurden, nach den vom Herrn Bundespräsidenten gebilligten Richtlinien für die Weih—
nachtsgnadenaktion seit 1996 - ungeachtet des allgemeinen Ausschlusses von Ver-
urteilungen wegen Sexualdelikten - auch von der Weihnachtsbegnadigung nicht
mehr ausgeschlossen sind.