3197/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Gredler, Partnerinnen und Partner haben am
5.11.1997 unter der Nr. 3223/J-NR/97 vom 5.11.1997 an mich eine schriftliche Anfrage
betreffend Reaktion auf die derzeitige politische Lage in Afghanistan gerichtet, welche den
folgenden Wortlaut hat:
,,1.)Halten Sie die Gewährung der Meistbegünstigungsklausel im Rahmen des Lomé-
Abkommens für Afghanistan für einen richtigen Schritt der EU? Wenn ja, warum? Wenn
nein, werden Sie sich für eine Rücknahme dieses Beschlusses einsetzen?
2.) Welche Schritte werden Sie im Rahmen der EU unternehmen, damit Afghanistan
veranlaßt wird, die grundsätzlich von der EU geforderten Menschenrechtsstandards
einzuhalten?
3.) Wieviel humanitäre und Entwicklungshilfe hat Afghanistan seit der Machtübernahme
der Taliban-Milizen seitens der EU bzw. seitens Österreich erhalten?
4.) Welche Länder haben die derzeitige Regierung in Kabul völkerrechtlich anerkannt?
5.) Welche Bedingungen muß das Taliban-Regime in Kabul erfüllen, damit es von den
EU-Staaten als offizielle Regierung Afghanistans anerkannt wird?
6.) Welche Sanktionen planen Sie im Rahmen der EU aber auch bilateral, um das
derzeitige Regime in Afghanistan zur Verbesserung der Menschenrechtssituation,
besonders aber der Lage der Frauen, zu
veranlassen?
7.) Welche Unterstützungsmaßnahmen sind seitens der EU geplant, damit private oder
UN-Organisationen, die dies planen, Spitäler in Kabul errichten können, in denen auch
Frauen behandelt werden?“
Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:
Die Menschenrechtssituation in Afghanistan hat sich seit der Eroberung großer
Landesteile einschließlich Kabuls durch die Taliban-Milizen weiter verschlechtert. Der
jüngste Bericht des UN-Sonderberichterstatters über die Lage der Menschenrechte in
Afghanistan, Choon-Hyun Paik, spricht diesbezüglich eine sehr deutliche Sprache und
dokumentiert zahlreiche Menschenrechtsverletzungen. Besonders betroffen sind hiervon
die Frauen, deren Bewegungsfreiheit, Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten seitens der
Taliban extremen Einschränkungen unterworfen wurden. Was die in der Anfrage
angeführten medizinischen Behandlungsmöglichkeiten von Frauen betrifft, ist allerdings
den dem Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten vorliegenden Informationen
zufolge die vor einigen Wochen getroffene Entscheidung, Frauen nur mehr in einem
einzigen, personell und materiell völlig unzureichend ausgestatteten Krankenhaus
behandeln zu dürfen, aufgrund des Drucks der EU, des IKRK, humanitärer UN-
Organisationen und NGOs vor kurzem revidiert worden.
Zu Frage 1:
Afghanistan ist keine Vertragspartei des Lomé -Abkommens.
Zu Frage 2 und 6:
Österreich hat sowohl auf bilateraler als auch auf multilateraler Ebene immer wieder seine
tiefe Besorgnis über die Lage der Menschenrechte in Afghanistan zum Ausdruck
gebracht. So hat Staatssekretärin Ferrero-Waldner kurz nach dem Einmarsch der Taliban
in Kabul am 27. September 1996 erstmals im Oktober 1996 öffentlich auf die
Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen in Afghanistan hingewiesen und in
Hinblick auf bestehende internationale Verträge und UN-Resolutionen den Schutz ihrer
Rechte mit Nachdruck eingemahnt. Im Rahmen der EU sind dazu eine Reihe von
Erklärungen und Demarchen erfolgt. In der von der 3. Kommission der
Generalversammlung der Vereinten Nationen vor kurzem ohne Abstimmung
angenommenen Resolution werden die Konfliktparteien in Afghanistan insbesondere
aufgefordert, die Diskriminierung von Frauen zu beenden, ihre Rechte auf Arbeit,
Erziehung und Gesundheitsversorgung zu sichern und mit den internationalen
Organisationen diesbezüglich eng zusammenzuarbeiten. In diesem Sinne ist auch die
nachdrückliche Unterstützung der EU für die Resolutionen der
Menschenrechtskommission in Genf und der Generalversammlung in New York zu sehen.
Der Rat der EU hat Ende November seine weitere
diesbezügliche Vorgangsweise
beschlossen und wird angesichts der Tatsache, daß sich die Menschenrechtssituation in
Afghanistan laufend verschlechtert hat, weiter7hin eng mit dem Generalsekretär der
Vereinten Nationen zusammenarbeiten und ihm jegliche Unterstützung zukommen lassen.
Am 3. Dezember fand in New York eine Geberkonferenz statt, bei welcher die EU als
größter Geldgeber für humanitäre Hilfe, die Vereinten Nationen und diverse andere
Geberländer die weitere Vorgangsweise in Zusammenhang mit Afghanistan akkordierten.
Grundlage dazu waren die Ergebnisse einer Reihe von ,,fact finding missions“ in den
letzten Wochen und Monaten: Der Sondergesandte der Vereinten Nationen für
Afghanistan, Lakhdar Brahimi, hat dem UN—Sicherheitsrat bereits am 30. September von
seiner zweimonatigen Mission berichtet, in deren Rahmen er auch Afghanistan besucht
hat. Zwischen 10. und 14.11. wurde eine Mission von Vertretern der WHO und einigen
Geberländern (DK, SE, F, UK, 1, NL) nach Faizabad, Kabul und Islamabad durchgeführt,
die den Zustand der humanitären und medizinischen Versorgung im Lande untersuchte.
Die Spezialberaterin für Frauenfragen des UN-Generalsekretärs, Angela King, hielt sich
Ende November an der Spitze einer ,,Inter-Agency Genfer Mission“ in Afghanistan auf,
um pragmatische, feldorientierte Richtlinien für UN—Organisationen, NGOs und
Geberstaaten auszuarbeiten, die es diesen ermöglichen, angemessen auf die
frauenfeindliche Politik der Taliban zu reagieren und bei der Durchführung von Projekten
die Gleichbehandlung von Frauen sicherzustellen.
Auf Initiative von EK-Kommissarin Emma Bonino startet derzeit auch mit Unterstützung
des European Community Humanitarian Office (ECHO) eine Kampagne ,,A Flower for the
Women of Kabul", welche die Öffentlichkeit auf das Schicksal der afghanischen Frauen
und Mädchen aufmerksam machen soll. Ziel der Kampagne ist die Wiederherstellung
eines Zustands in Afghanistan, in dem die Menschenrechte und Grundfreiheiten
respektiert und der Zugang zu humanitärer Hilfe gesichert ist. Höhepunkt und Abschluß
der Kampagne wird der Internationale Frauentag am 8. März 1998 sein, der ganz im
Zeichen der Frauen von Kabul stehen wird. Diese Aktion soll auch von Österreich
unterstützt werden.
Österreich wird sich auch in Hinkunft mit Nachdruck für eine Fortsetzung der Aktivitäten
einsetzen, die vor allem auf die menschenrechtliche Unterstützung der afghanischen
Bevölkerung abgestellt sind. Die humanitäre Hilfe der EU wird verschiedenen humanitären
Agenturen der Vereinten Nationen und den vor Ort arbeitenden NGOs für deren
Operationen in Afghanistan direkt zur Verfügung gestellt. Dies trifft sowohl für die
bilateralen Beiträge der EU-Staaten als auch für die vom European Community
Humanitarian Office (ECHO) verwalteten EU-Mittel zu. Die Hilfsorganisationen selbst
sorgen dafür, daß die Unterstützung der von den Kämpfen am meisten betroffenen
Zivilbevölkerung, insbesondere der Frauen und Kinder, unparteiisch und neutral erfolgt.
Die bilaterale und multilaterale humanitäre Hilfe kommt somit in keinem Fall dem Taliban-
Regime in Kabul zugute und ist daher keine
„Zusammenarbeit mit Afghanistan“.
Zu Frage 3:
Die Europäische Union hat in den Jahren 1996/97 in Abwesenheit eines dauerhaften
Friedens keine nennenswerten Mittel für Entwicklungshilfe oder wirtschaftliche
Zusammenarbeit an Afghanistan vergeben. Abgesehen von kleineren EZA-Projekten
(Entwicklungszusammenarbeit) sind die Zahlungen primär humanitären Charakters. Sie
werden direkt durch europäische oder lokale NGOs sowie durch UN—Organisationen
getätigt.
Für 1996 betrugen diese Hilfsleistungen (Medizinische Hilfe, Nahrungsmittelhilfe>
umgerechnet 1.034,910.000,— ATS, für 1997 vorläufig 583,600.000,— ATS (es ist damit zu
rechnen, daß sich diese Summe mit Ende des Jahres 1997 noch erhöhen wird).
Außerdem wurden vom Amt für Humanitäre Hilfen der Europäischen Gemeinschaft
(ECHO) 1996 umgerechnet rund 570 Millionen ATS und 1997 rund 541 Millionen ATS zur
Verfügung gestellt. Österreichs Anteil am Budget von ECHO beträgt 2,7%.
Aus den Mitteln der humanitären Hilfe stellte die österreichische Bundesregierung 1996
und 1997 keine Beiträge zur Verfügung. Die österreichische EZA leistete für das Jahr
1996 Zahlungen in der Höhe von 4,584.490,- ATS, davon:
600.000,— ATS für ein Ausbildungsprogramm zur Entminung in Selbsthilfe
800.000,— ATS für die Wiederherstellung sozialer Infrastruktur
1,050.000,- ATS für das Junior Professional Officer-Programm (im Rahmen des Office
for the Coordination of Humanitarian and Economic Assistance Programmes relating to
Afghanistan = UNOCHA).
Für 1997 wurden seitens der EZA bislang nur Zahlungen für UNOCHA getätigt:
• 953.000.- ATS für das Junior Professional Officer—Programm
• 200.000.— ATS als Beitrag für die Augenklinik in Kandahar.
Aus anderen Bundesministerien ressortieren für indirekte Studienplatzkosten
931.384,— ATS und für bundesbetreute Asylwerber 24,433.000,— ATS.
Weitere Zahlungen im EZA—Bereich in der Höhe von 150.000,- ATS wurden von
Landesregierungen und anderen öffentlichen Körperschaften geleistet und zwar:
• 100.000,— ATS („Österreicher helfen Afghanen“) für den Ankauf einer Ambulanz und
•50.000,- ATS für Minensuche und
Medikamente.
Zu Frage 4 und 5:
Die Anerkennung von Regierungen ist primär keine völkerrechtliche, sondern eine
politische Frage. Derzeit haben lediglich die folgenden Staaten die Taliban—Regierung als
legitime Regierung Afghanistans anerkannt: Pakistan, Saudi Arabien und die Vereinigten
Arabischen Emirate.
Österreich anerkennt nur Staaten, nicht Regierungen. Derzeit unterhält Österreich
lediglich im Rahmen seiner humanitären Initiativen (JPO, Beitrag für Augenklinik in
Kandahar) Beziehungen zur Regierung von Präsident Rabbani. Jedwede Anerkennung
einer afghanischen Repräsentation erfolgt österreichischerseits nur gemäß den
Beschlüssen des UN Credentials Committee. Vor allfälligen formellen Schritten - z.B.
Anerkennung der Taliban-Regierung als legitimer Vertreter Afghanistans - wird die
Haltung der Staatengemeinschaft, vor allem im Rahmen der Vereinten Nationen,
abgewartet. Diese Linie wird auch von den anderen EU-Staaten verfolgt.
Österreich wird sich dafür einsetzen, sofern eine entsprechende Vorgangsweise durch
das UN Credentials Committee beschlossen wird, daß die Voraussetzung für die
Aufnahme von Beziehungen mit der Taliban-Regierung die Respektierung aller von
Afghanistan unterzeichneten internationalen Abkommen betreffend die Menschenrechte
ist.
Zu Frage 7:
Die EU finanziert derzeit eine Fülle von health-care-Programmen, die sowohl Männern als
auch Frauen zufließen sollen. Derzeit hat die Europäische Kommission allerdings die
Gelder für afghanische Spitäler kurzfristig eingefroren; sie werden freigemacht, sobald das
afghanische Regime zusagt, daß es in Zukunft keine Diskriminierung zwischen Frauen
und Männern geben wird.