3228/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Pollet—Kammerlander, Freundinnen

und Freunde haben am 30. Oktober 1997 unter der Nr. 31681J an mich eine

schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend EU-Osterweiterung gerichtet,

die folgenden Wortlaut hat:

„1. Gibt es ein österreichisches Grundsatzpapier zum Thema EU—Osterwei—

terung und zur Agenda 2000?

2. Welche Positionen vertritt Österreich im Zusammenhang mit der EU-Ost-

erweiterung und zur Agenda 2000?

3. Wann, in welcher Form und mit welchem Ergebnis hat Österreich diese

Positionen bisher in EU—Gremien eingebracht?

4. In welcher Form wird Österreich die EU-Ratspräsidentschaft 1998 nützen,

um seine Positionen zur EU-Osterweiterung und zur Agenda 2000

einzubringen?“

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

Zu den Fragen 1 bis 3:

Die Kommission hat in ihrer Mitteilung ,,Agenda 2000" ihre Vorstellungen zu den

Herausforderungen, denen sich die Union in den nächsten Jahren zu stellen

hat, dargestellt.

Die Behandlung der Agenda 2000 hat Prozeßcharakater; die österreichische

Position wurde aufgrund der von der Präsidentschaft vorgelegten Fragen im

Rahmen eines breiten österreichischen Abstimmungsmechanismus erarbeitet.

Auf europäischer Ebene wurde die Diskussion primär auf dem Rat für Allge-

meine Angelegenheiten und vorgelagert in einer speziellen Formation des

Coreper II geführt. Die Berichte über all diese Beratungen und die österreichi-

schen Positionen liegen dem Parlament vor.

Weiters habe ich gemeinsam mit dem Vizekanzler die österreichische Position

im EU-Hauptausschuß am 9. Dezember 1997 mit den Abgeordneten diskutiert.

Die wesentlichsten Elemente können wie folgt wiederholt werden:

Der bevorstehende Erweiterungsprozeß eröffnet Österreich im Vergleich zu

anderen Mitgliedstaaten zweifellos besonders große Chancen - sowohl poli-

tisch, als auch wirtschaftlich - in den noch ausbaufähigen Märkten Mittel- und

Osteuropas. Andererseits muß der Erweiterungsprozeß so angelegt werden,

daß potentielle Probleme so weit wie möglich vermieden werden, damit die

positiven Effekte klar überwiegen. Hier ist vor allem an die Bereiche Sozial- und

Umweltstandards, Freizügigkeit von Arbeitnehmern, grenzüberschreitende

Dienstleistungen, Verkehr und nukleare Sicherheit zu denken. Für einzelne

Sektoren und Grenzregionen werden sich Anpassungsprobleme stellen, denen

frühzeitig auch auf europäischer Ebene vorzukehren ist.

Aus österreichischer Sicht ist die Agenda 2000 deshalb als Paket aufzufassen.

Das heißt: die Reform der Agrar— und Strukturpolitiken und die Festlegung des

finanziellen Rahmens müssen vor den ersten Beitritten abgeschlossen sein.

In der Strukturpolitik unterstützt Österreich zwar grundsätzlich die Reduzierung

und Neudefinition der Ziele und Gemeinschaftsinitiativen. Aus unserer Sicht

besteht in der EU-Strukturpolitik ein erhebliches Potential zur Effizienzsteige-

rung, das stärker genutzt werden muß.

Die österreichische Bundesregierung tritt daher dafür ein, daß kein Ausgaben-

ziel, sondern vielmehr ein Plafonds der Strukturausgaben festgelegt werden

sollte. Dieser Plafonds sollte jedoch nicht an die Entwicklung des BIP gekop-

pelt, sondern als absoluter Betrag festgeschrieben werden.

In der Agrarpolitik besteht aus mehreren Gründen ein Reformbedarf: Einerseits

entsprechen die Zielsetzungen der GAP nicht mehr zur Gänze den heutigen

Anforderungen. Bereits in ihrem beim EU-Beitritt vorgelegten Weißbuch hat

sich die Bundesregierung für eine stärkere ökologische und soziale Orientie-

rung in der Agrarpolitik ausgesprochen. Ein stärkeres Abstellen auf die Be-

triebsgröße sollte die Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft absichern. Eine

Differenzierung von Gemeinschaftsförderungen sollte unter anderem auch

Anreize zur Förderung der Bewirtschaftung von Bergregionen oder ökologi-

scher Produktionsverfahren bieten. In diesem Zusammenhang begrüßt Öster-

reich auch die von der Kommission vorgelegten Vorschläge zur verstärkten

Förderung des ländlichen Raums.

Um eine Verschlechterung unserer Nettozahlerposition zu vermeiden, setzt sich

die Bundesregierung nicht nur für eine strenge Budgetdisziplin in den zwei aus-

gabenstärksten Politiken ein, sondern vor allem für die Begrenzung des finan-

ziellen Rahmens. Dies heißt vor allem, daß die derzeit bestehende Eigenmittel-

obergrenze von 1,27 % auch künftig nicht gefährdet werden darf. Dies hat auch

unter Einrechnung der Beitrittskosten zu gelten. Eine dauerhafte Stabilisierung

des Gemeinschaftshaushalts bis über das Jahr 2006 hinaus muß gewährleistet

werden. Auch eine gerechte Lastenverteilung unter allen EU-Mitgliedstaten

muß gesichert werden.

Der Europäische Rat von Luxemburg am 12. und 13. Dezember 1997 hat nun

in seinen Schlußfolgerungen, die dem Parlament vorliegen, den Rahmen des

Erweiterungs- und Beitrittsprozesses festgelegt, der den von österreichischer

Seite vertretenen Anliegen entspricht. Insbesondere ist darauf hinzuweisen,

daß eindeutig bekräftigt wurde, daß die Erweiterung einen inklusiven und

evolutiven Prozeß darstellt, dessen Etappen entsprechend dem individuellen

Fortschritt der jeweiligen Kandidaten zu durchlaufen sind. Durch die Schaffung

eines einheitlichen Rahmens für die zehn mittel— und osteuropäischen Länder

sowie mit Zypern, der Einleitung von Beitrittsverhandlungen mit Zypern,

Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik und Slowenien einerseits

sowie einer intensivierten Heranführungsstrategie für alle Kandidaten

andererseits wurde zwei für Österreich wichtigen Anliegen Rechnung getragen:

der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit den wirtschaftlich am weitesten

entwickelten Kandidaten sowie der Einbeziehung aller Kandidaten, also auch

der Slowakei, in den Prozeß.

Auch die angebotene Intensivierung der Beziehungen zwischen der Union und

der Türkei entspricht den Intentionen der österreichischen Bundesregierung, da

diese extremistischen und fundamentalistischen Strömungen entgegenwirken

kann.

Zu Frage 4:

Fortschritte im Bereich der Agenda 2000 zählen zweifellos zu den großen Her-

ausforderungen unserer Präsidentschaft. Die konkreten Ausgangsbedingungen

ihrer Behandlung hängen jedoch von Faktoren ab, die nur zu einem Teil von

Österreich bestimmt werden können.

Die Kommission hat erst ihre konkreten Vorschläge zur Reform der Agrar- und

Strukturpolitiken (das heißt die entsprechenden Verordnungsentwürfe) und

ihren Entwurf zur finanziellen Vorausschau vorzulegen. Sie sind - aus heutiger

Sicht - im Frühjahr zu erwarten. Aber auch interne Entwicklungen in anderen

Mitgliedstaaten können sich im nächsten Jahr auf die Fortschritte im Rahmen

der Agenda 2000 auswirken.

Die österreichische Bundesregierung bereitet sich jedoch auf eine sensible

Phase der internen Reformdebatte vor. Wenngleich der europäische Termin-

plan von unserer Präsidentschaft noch nicht die Finalisierung der Reformen der

Agrar- und Strukturpolitik sowie in der Finanziellen Vorausschau verlangt, wird

sich Österreich bemühen, soweit wie möglich in der Substanz voranzukommen.

In den Beitrittsverhandlungen könnten unter österreichischer Präsidentschaft

allenfalls parallel zum Acquis-Screening die ersten substantiellen Verhand-

lungskapitel eröffnet werden.

Weiters wird die Kommission beim Europäischen Rat von Wien auch erstmals

einen Bericht über die Fortschritte der Beitrittskandidaten vorlegen.

Die Möglichkeiten der österreichischen Präsidentschaft im Rahmen der Agenda

2000 werden sich daher in den nächsten Monaten schrittweise konkretisieren.

Die österreichische Bundesregierung wird daher - in Abhängigkeit des Standes

der EU-internen Beratungen - alle Anstrengungen unternehmen, um Fortschrit-

te bei der Behandlung der Agenda 2000 zu erzielen. Dabei ist allerdings darauf

hinzuweisen, daß die Präsidentschaft im europäischen Interesse handeln muß

und nicht angetan ist, spezifisch nationale Positionen durchzusetzen.