3411/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Moser: Freundinnen und Freunde haben
am 12. Dezember 1997 unter der Nr. 3460/J an mich eine schriftliche
parlamentarische Anfrage betreffend mögliche gesundheitliche Gefährdung
durch GSM-Mobilfunknetze sowie fehlende Bürgerbeteiligung bei der
Errichtung von Mobilfunkbasisstationen gerichtet, die folgenden Wortlaut hat:
"1. Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um Anrainern und Betroffenen
in allen österreichischen Gemeinden einheitlich und demokratisch die
Möglichkeit zu geben, sich vor den nicht auszuschließenden gesund-
heitlichen Beeinträchtigungen nichtionisierender Strahlung zu schützen?
Treten Sie für eine Änderung der diesbezüglichen gesetzlichen Bestim-
mungen ein? Wenn ja, in welcher Form?
2. Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um Anrainern und Betroffenen
in allen österreichischen Gemeinden einheitlich und demokratisch die
Möglichkeit zu geben, als Partei im Bauverfahren anerkannt zu werden:
um dort Gesundheitsbedenken vorbringen zu können? Treten Sie für eine
Änderung der diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen ein? Wenn ja,
in welcher Form?
3. Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um eine Inbetriebnahme von
Mobilfunksendeanlagen hoher Strahlungsintensität inmitten oder im
Umkreis von Wohngebiet, neben und zum Teil sogar auf Schulen,
Kindergärten, Altenheimen und Krankenhäusern zu verhindern und so die
Bevölkerung im Sinne des Vorsorgeprinzips vor nicht auszuschließenden
gesundheitlichen Langzeitfolgen zu schützen? Treten Sie für eine
Änderung der diesbezüglichen
gesetzlichen Bestimmungen ein?
4. Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, damit die möglicherweise
besondere biologische Gefahr der gepulsten Strahlung (Radar, Richtfunk,
Datenfunk, GSM- und DECI-Mobilfunknetze, ..) künftig angemessen
berücksichtigt wird?
5. Warum wurden die Grenzwerte für gepulste Strahlung in Österreich im
Rahmen der ÖNORM S 1120 wesentlich höher angesetzt als in den
Ländern des ehemaligen Ostblocks? Werden Sie sich für eine Überprü-
fung der Grenzwerte einsetzen?
6. Werden Sie sich im Sinne des Vorsorgeprinzips für eine deutliche Absen-
kung der zulässigen Grenzwerte in Österreich einsetzen?
7. Warum werden in der ÖNORM S 1120 nicht-thermische Wirkungen nicht
berücksichtigt, obwohl über diese schon seit mindestens 15 Jahren be-
richtet wird?
8. Wie werden Wechselwirkungen und Summationseffekte verschiedener
Felder berücksichtigt?
9. Wie wird dem Schutz von Risikogruppen, wie Ungeborenen, Schwan-
geren, Kindern, Alten, Kranken, Sensiblen, Rechnung getragen? Halten
Sie diesbezüglich besondere Bestimmungen für notwendig?
10. Treten Sie für die verbindliche Berücksichtigung eines Sicherheitsfaktors
ein, um den die derzeit verwendeten Grenzwerte der ÖNORM S 1120
abzusenken sind, solange die gesundheitliche Unbedenklichkeit der
GSM-Strahlung nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann? Wenn ja,
wie hoch sollte dieser Sicherheitsfaktor sein? Wenn nein, warum nicht?
11. Die Versicherungsgesellschaften lehnen das Risiko ab, im Rahmen der
Allgemeinen Haftpflicht für Schäden durch elektromagnetische Felder
einzustehen. Wie beurteilen Sie diesen Umstand? Und wer haftet für
Schäden durch elektromagnetische Felder und bis zu welcher Schadens-
höhe?
12. Gepulste HF-Strahlung, wie sie im GSM-Mobilfunk Verwendung findet,
scheint biologisch besonders wirksam zu sein, da sich eine Vielzahl der
nicht—thermischen Effekte fast ausschließlich in bestimmten Modulations-
frequenz- und Amplitudenfenstern zeigt. Welche Maßnahmen werden Sie
ergreifen, um Klarheit darüber zu gewinnen, welche Wirkfenster für
menschliche Zellkomponenten und Gehirnaktivitäten existieren, um z.B.
entsprechende Modulationsfrequenzen in der Kommunikationstechnik zu
vermeiden?
13. Treten Sie für die Einrichtung eines Forschungsschwerpunktes zu den
gesundheitlichen Auswirkungen der GSM-Strahlung ein? Bitte begründen
Sie Ihre Antwort.
14. Halten Sie die Einrichtung eines Forschungsfonds für zweckmäßig, mit
dem unabhängige Forschung zu den gesundheitlichen Auswirkungen der
GSM-Strahlung finanziert wird und der durch die Mobilfunkbetreiber
sowie durch Anteile der Lizenzeinnahmen gespeist wird? Bitte begründen
Sie Ihre Antwort.
15. Welche Forschungsarbeiten zu den gesundheitlichen Auswirkungen der
GSM-Strahlung haben bzw. werden Sie in Auftrag geben?“
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zur Anfrage allgemein ist festzuhalten, daß die Frage einer möglichen
Gefährdung des Menschen durch nichtionisierende Strahlung nach dem
heutigen Stand von Wissenschaft, Medizin und Technik dahingehend
beantwortet werden kann, daß bestimmte Wirkungen dieser Strahlung auf
biologisches Gewebe (Wärmewirkung, Reizwirkung) sehr gut erforscht sind
und somit auch Grenzwertfestlegungen möglich sind, daß andererseits aber
biologische Effekte dieser Strahlung in der einschlägigen Literatur beschrieben
werden, deren gesundheitliche Auswirkungen noch nicht ausreichend
abgeklärt werden konnten. Letztere Tatsache bedingt einen hohen
Forschungs- und Bewertungsaufwand, der keinesfalls auf nationaler Ebene
bewältigt werden kann.
Auf internationaler wissenschaftlicher Ebene wurde dieser Tatsache im Jahre
1987 durch ein eigenes Komitee für nichtionisierende Strahlung INIRC (Inter-
national Non Ionizing Radiation Committee) innerhalb der internationalen
Strahlenschutzvereinigung IRPA (International Radiation Protection Associa-
tion) Rechnung getragen.
Elektromagnetische Felder gehören u.a. dieser Kategorie an. Eine weitere
Verstärkung der Schutzbemühungen gegen elektromagnetische Felder ist
durch die Gründung einer eigenen unabhängigen wissenschaftlichen Kom-
mission zum Schutz gegen nichtionisierende Strahlung ICNIRP (International
Commission on Non Ionizing Radiation Protection) im Jahre 1992 dokumen-
tiert.
Diese unabhängige wissenschaftliche Organisation hat es sich zur Aufgabe
gemacht, aufgrund der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse aktuelle
Empfehlungen über Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheitsgefahren durch
nichtionisierende Strahlung zu erarbeiten und zu publizieren, wie dies auf dem
Gebiet der ionisierenden Strahlung seit 1928 durch die ICRP (International
Commission on Radiation Protection) mit Erfolg geschieht. Diese nichtstaat-
liche Organisation wird auch formal als Beratungsgremium in Fragen nicht-
onisierender Strahlung von der WHO und der ILO anerkannt. Aus dieser
Zusammenarbeit entstand eine Reihe von Publikationen bzw. Empfehlungen
von WHO und ILO, in denen die von der ICNIRP bzw. ihrer Vorgängerorgani-
sation INIRC publizierten Grenzwerte und sonstigen Empfehlungen im Zusam-
menhang mit nichtionisierender Strahlung neuerlich zur Anwendung empfohlen
werden.
Zur Frage der nichtthermischen Effekte in Zusammenhang mit der Exposition
gegenüber nichtionisierender Strahlung vertreten sowohl ICNIRP als auch die
WHO aufgrund des aktuellen Standes von Wissenschaft, Medizin und Technik
den Standpunkt, daß derzeit keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen,
die eine zusätzliche Berücksichtigung der nichtthermischen Effekte bei der
Festlegung von Gesundheitsschutzgrenzwerten rechtfertigen würden.
Gesicherte nichtthermische Effekte treten erst bei Feldstärken auf, die höher
liegen als die Grenzwerte, die aufgrund thermischer Effekte festgelegt wurden.
Man ist sich der Existenz unterschiedlichster biologischer Effekte jedoch
bewußt und auf internationaler Ebene bestrebt, diese zu erforschen. Aus
diesem Bestreben wurde auch von der WHO im
Jahre 1996 das Internationale
WHO-EMF-Projekt initiiert, dessen Zielsetzung es ist, innerhalb von fünf
Jahren die bestehenden Wissenslücken zu schließen, wobei die
Forschungsprojekte international koordiniert werden, um unnötige Parallelität
zu vermeiden und die vorhandenen Geldmittel bestmöglich zu nutzen.
Zu den Fragen 1 bis 3:
In Österreich gibt es eine Vielzahl von Rechtsvorschriften, die die Belange des
Schutzes vor nichtionisierender Strahlung regeln, wie z.B. Bestimmungen in
der Gewerbeordnung, die Arbeitnehmerschutzbestimmungen, das Krankenan-
staltengesetz oder das Telekommunikationsgesetz. Diese Bundesgesetze sind
ebenso wie die landesgesetzlich geregelten Bauordnungen nicht Gegenstand
der Vollziehung meines Aufgabenbereiches.
Ich bin jedoch der Meinung, daß dieser Themenbereich so sehr an Bedeutung
gewonnen hat, daß ein zu schaffendes Bundesgesetz zum Schutz der
Gesundheit von Menschen vor Schäden durch nichtionisierende Strahlen
einheitliche Grundsätze für die Vollziehung in den verschiedenen
Rechtsbereichen des Bundes vorgeben soll. Ich beabsichtige, heuer die
wesentlichen Inhalte eines solchen Gesetzesvorhabens vorzulegen.
Zu Frage 4:
Wie schon eingangs erwähnt, werden insbesondere die nichtthermischen
Effekte elektromagnetischer Felder (einschließlich gepulster Felder) im
Rahmen des fünf Jahre dauernden Internationalen WHO-EMF-Projektes, aber
auch anderer Projekte, mit hohem finanziellen Aufwand unter koordinierter
Nutzung möglicher Synergien auf internationaler Ebene untersucht. Die daraus
resultierenden Ergebnisse sollen insbesondere zu einer Prüfung der geltenden
ICNIRP Empfehlungen dienen und auch Grundlage einer WHO-Empfehlung
sein.
Zu Frage 5:
Die Immissionsgrenzwerte der ÖNORM 5 1120 entsprechen im Bereich des
Mobilfunks den aktuellen Grenzwerten der WHQ bzw. der ICNIRP und werden
durch den Fachnormenausschuß FNA 186 laufend überprüft. Es ist zu
erwarten, daß die ehemaligen osteuropäischen Normen in absehbarer Zeit an
die westlichen Regelungen angepaßt werden, die auf gesicherten wissen-
schaftlichen Ergebnissen basieren.
Zu Frage 6:
Ich vertrete die Ansicht, daß allfällige Grenzwertänderungen für Österreich im
Einklang mit den Empfehlungen von ICNIRP und WHO stehen sollen.
Zu Frage 7:
Wie schon erwähnt, vertreten sowohl ICNIRP als auch WHO derzeit den
Standpunkt, daß nach heutigem Wissensstand die gesicherten biologischen
Effekte aus nichtthermischen Wirkungen durch die aktuellen Grenzwerte
abgedeckt sind; es erscheint mir derzeit nicht zweckmäßig zu sein, Entschei-
dungen zu treffen, die nicht im Einklang mit der Expertise der WHO stehen.
Zu Frage 8:
Einwirkungen verschiedener Frequenzen sind beispielsweise auch heute
schon gemäß ÖNORM S 1120 entsprechend zu summieren.
Zu Frage 9:
Wie schon mehrfach erwähnt, tragen die geltenden ICNIRP—Empfehlungen,
die auch in der ÖNORM S 1120 ihren Niederschlag gefunden haben, durch
getrennte Grenzwerte für die Allgemeinbevölkerung und für Belastungen im
Zusammenhang mit der Durchführung von
Arbeiten dem Schutz von Unge-
borenen Schwangeren, Kindern, Alten und Kranken Rechnung, wie dies auch
im Falle des Schutzes vor den Gefahren durch ionisierende Strahlung ge-
schieht.
Zu Frage 10:
Die ICNIRP Grenzwerte und auch die Grenzwerte in der ÖNORM 5 1120 leiten
sich von Basisgrenzwerten ab, wobei bei deren Festlegung ein Sicherheits-
faktor von 10 zugrunde gelegt wurde. Diese Basisgrenzwerte sind jedoch einer
Messung nicht direkt zugänglich, so daß für praktische Schutzmaßnahmen
meßbare Größen benötigt werden. Deshalb enthalten die ÖNORM S 1120
sowie auch die ICNIRP-Empfehlungen abgeleitete, leicht meßbare
Grenzwerte, bei deren Festlegung nochmals ein Sicherheitsfaktor
berücksichtigt wurde, so daß derzeit die Einführung eines weiteren
Sicherheitsfaktors wissenschaftlich nicht begründbar ist.
Zu Frage 11:
Ich weise darauf hin, daß Fragen der Haftpflicht in den Zuständigkeitsbereich
des Bundesministeriums für Justiz fallen.
Zu Frage 12:
Wie schon erwähnt, unterstützt Österreich das Internationale WHO-EMF-
Projekt. Es ist zu erwarten, daß die WHO anläßlich der Präsentation der
Ergebnisse dieses Projektes auch zu dieser Frage Stellung bezieht. Isolierte
nationale Forschungsprojekte zur Abklärung dieser oder ähnlicher Fragen sind
wegen des hohen finanziellen Aufwandes
zumindest derzeit nicht finanzierbar.
Zu Frage 13:
Der Frage allfälliger gesundheitlicher Auswirkungen von GSM Strahlung wird
im Rahmen des Internationalen WHO-EMF—Projektes naturgemäß besondere
Beachtung geschenkt. Wie schon erwähnt, halte ich nationale Alleingänge
derzeit weder für zweckmäßig noch für finanzierbar.
Zu Frage 14:
Da es die WHO schon vor zwei Jahren übernommen hat, die Forschung auf
dem Gebiet der elektromagnetischen Felder auf internationaler Ebene zu
koordinieren, Österreich voll in das Internationale WHO-EMF-Projekt integriert
ist, im Forschungs-Koordinations-Komitee dieses WHO-Projektes sowohl
Vertreter der Europäischen Union und nationale Vertreter als auch Re-
präsentanten der sonstigen potentiellen Geldgeber vertreten sind, halte ich
einen nationalen Alleingang nicht für zweckmäßig. Wegen der hohen Kosten
ist die Forschung auf diesem Gebiet nur auf internationaler Ebene finanzierbar
und es müssen alle bestehenden Synergien ausgenutzt werden, wenn kurz-
fristig aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden sollen.
Zu Frage 15:
Die WHO hat großes Interesse an einer Fortsetzung der Studie zur Bewertung
der dokumentierten Forschungsergebnisse elektromagnetischer Felder
gezeigt. Wenn es gelingt, durch geeignete Partnerschaften diese Studie zu
finanzieren, soll sie einerseits als deutschsprachiger Beitrag das WHO-EMF-
Projekt im deutschen Sprachraum unterstützen, andererseits auch in
komprimierter englischer Fassung als österreichischer Beitrag in das Projekt
einfließen.