3528/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Povysil, Mag. Haupt, Dr. Salzl, Dr. Grollitsch,
Dr. Pumberger und Kollegen haben am 22. Jänner 1998 unter der Nr. 3579/J an
mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Gesundheitsbericht,
Strahlenschutz, 10 Jahre nach Tschernobyl gerichtet, die folgenden Wortlaut hat:
“1. In welchen Zeitabständen seit 1986 wurden welche Untersuchungen in Öster -
reich in Bezug auf Strahlenbelastung der Muttermilch durchgeführt? Welche
Kriterien sowie Vergleichswerte liegen diesen Messungen zugrunde? Welche
Bundesländer haben keine Messungen durchgeführt und welche Schlußfolge -
rungen und Maßnahmen wurden seither getroffen?
2. Gibt es in Österreich eine relevante Zunahme von strahlensensiblen Tumoren
seit 1986 im Kinder - und Erwachsenenalter?
3. Wie hoch waren die Dosiswerte des Radioaktiven Fall - outs in den einzelnen
Bundesländern nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 sowie in den Fol -
gejahren bis jetzt (Luft, Wasser, Boden, Pflanzen, Tiere)?
4. Gibt es Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen pränatalen Er -
krankungen und der aufgetretenen Strahlenbelastung seit der Tschernobyl -
Katastrophe 1986 und in den Folgejahren bis jetzt?
5. Welche eventuell vererbbaren Mutationen sind seit 1986 bei Menschen, Tieren
und Pflanzen in Österreich festgestellt worden?
6. In welchen Zeitabständen sind welche epidemiologischen Studien in Österreich
seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl durchgeführt worden?
7. Welche Untersuchungen wurden in Österreich in Bezug auf Radioaktivität bei
Lebensmitteln seit 1986 durchgeführt? Mit welcher Regelmäßigkeit und welche
Lebensmittelgruppen?
8. Welche Untersuchungen wurden in Österreich in Bezug auf Radioaktivität bei
Tieren (sowohl Nutz - wie auch Haustiere) seit 1986 durchgeführt? Mit welcher
Regelmäßigkeit und bei welchen Tiergruppen?
9. Welche Vorkehrungen wurden seit 1986 am Sektor des Strahlenschutzes im
Bereich der Gesundheit, des Zivilschutzes, der Lebensmittel, und anderes mehr
für einen Eventual - Fall in Österreich sowie in den einzelnen Bundesländern ge -
troffen?"
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:
Untersuchungen über die Cäsiumbelastung der Muttermilch wurden in den Jahren
1986 und 1987 durchgeführt. Die Ergebnisse wurden veröffentlicht (siehe “Die Aus -
wirkungen des Reaktorunfalls von Tschernobyl auf Österreich, Beiträge Lebensmit -
telangelegenheiten, Veterinärverwaltung, Strahlenschutz 2/88, Bundeskanzleramt
Sektion VII, 1988”). Erwartungsgemäß zeigt sich, daß ein Zusammenhang zwischen
dem Gehalt an Cäsium - 137 im Ganzkörper und dem Gehalt im Blut der Stillenden
besteht. Dementsprechend sank auch der Gehalt der Frauenmilch an Cäsium - 137
im ersten Jahr nach dem Unfall ab.
Zu Frage 2:
In der Frage sind wohl nicht strahlensensible (das sind strahlenempfindliche), son -
dern strahleninduzierte Tumore gemeint. Eine Zunahme von Tumoren, die auf den
Reaktorunfall von Tschernobyl zurückzuführen ist, ist in Österreich nicht beobachtet
worden.
Zu Frage 3:
Die Daten über die Aktivität des Fallouts nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl in
Österreich und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Dosis der Bevöl -
kerung
sind in den Publikationen des Bundeskanzleramts bzw. des seinerzeitigen
Gesundheitsressorts enthalten (siehe insbesondere Beiträge Lebensmittelangele -
gen heiten, Veterinärverwaltung, Strahlenschutz, Bundeskanzleramt bzw. Bundes -
ministerium für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz bzw. Bundesministerium
für Gesundheit und Konsumentenschutz 2/88,1189, 6/89, 3/90, 2/91,1/94, 5/95,
3/97). Die detaillierte regionale Verteilung des Fallouts ist insbesondere auch der
vom früheren Bundesministerium für Gesundheit und Konsumentenschutz gemein -
sam mit dem Umweltbundesamt erstellten Kontaminationskarte Österreichs zu ent -
nehmen (Cäsiumbelastung der Böden Österreichs, Bundesministerium für Gesund -
heit und Konsumentenschutz und Umweltbundesamt, Wien 1996).
Als Summe der effektiven Dosis aus dem Reaktorunfall in den Jahren 1986 und
1987 ergeben sich daraus in den einzelnen Bundesländern Werte von 0.305 mSv bis
1,119 mSv (im Mittel 0.707 mSv), wenn die Ermittlung der Ingestionsdosis auf der
Basis von Modellrechnungen aus Lebensmitteldaten erfolgt. Aus Messungen des
Aktivitätsgehalts von Personen (Ganzkörpermessungen) ergeben sich etwas niedri -
gere Werte (0.319 mSv bis 0.764 mSv, im Mittel 0.467 mSv). Nach dem ersten Fol -
gejahr ist die Strahlendosis aufgrund des Reaktorunfalls stark zurückgegangen und
wurde für die letzten Jahren mit ca. 0.02 mSv abgeschätzt.
Zu den Fragen 4 bis 6:
Eine systematische Dokumentation aller in Österreich seit 1986 durchgeführten epi -
demiologischen Studien liegt in meinem Bereich nicht vor. Statistische Darstellungen
der zeitlichen Entwicklung des Auftretens von Krankheiten, insbesondere von Krebs -
erkrankungen, werden durch das Österreichische Statistische Zentralamt (ÖSTAT)
regelmäßig durchgeführt und publiziert. Wie mir vom Österreichischen Statistischen
Zentralamt mitgeteilt wurde, sind Studienergebnisse, die einen Zusammenhang von
pränatalen Erkrankungen mit den Folgen des Reaktorunfalls von Tschernobyl in
Österreich
nachweisen, nicht bekannt.
Zu den Fragen 7 und 8:
Auf die in der Beantwortung der Frage 3 angeführten Publikationen wird verwiesen.
In Hinblick auf die Erhebung der Strahlendosis der Bevölkerung insbesondere durch
Falloutnuklide sowie zur Erkennung allfälliger neuer Radioaktivitätsbelastungen wer -
den systematisch Lebensmitteluntersuchungen durchgeführt. In Hinblick auf ihre
quantitative Bedeutung werden dabei insbesondere folgende Bereiche besonders
berücksichtigt: Milch und Milchprodukte, Obst, Gemüse, Kartoffeln und Getreide,
Fleisch, Pilze, Trink - und Quellwasser, Lebensmittel aus dem Ausland. Messungen
an lebenden Tieren wurden im Rahmen von Schutz - und Sicherungsmaßnahmen
nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl bis Ende Juni 1997 durchgeführt.
Zu Frage 9:
Anzumerken ist, daß die nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl in Österreich von
den Behörden durchgeführten Schutz - und Sicherungsmaßnahmen zu einer deutli -
chen Reduktion der Strahlenbelastung der österreichischen Bevölkerung geführt
haben (vergleiche Beiträge Lebensmittelangelegenheiten, Veterinärverwaltung,
Strahlenschutz (Bundeskanzleramt) 6/89). Darüber hinaus wurden die dabei gewon -
nenen Erfahrungen zu weiteren Verbesserungen der Vorkehrungen für Schutz - und
Sicherungsmaßnahmen herangezogen.
So wurde aufgrund der Erfahrungen in Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe
von Tschernobyl am 3. November 1986 durch Beschluß der Bundesregierung ein
Staatliches Krisenmanagement eingerichtet, dem Vertreter der Bundesministerien,
der Ämter der Landesregierungen, der gesetzlichen Interessenvertretungen sowie
des ORF und der APA angehören. Die rasche Verfügbarkeit dieses Expertenstabes
wird durch einen eigenen Alarmplan sichergestellt.
Aufgaben dieses Krisenmanagements, dessen Einberufung in einer Krisensituation
dem Bundeskanzler obliegt, sind die Beratung der Bundesregierung in Fragen der
Krisenbewältigung
die Einleitung der erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenab -
wehr, die Sicherstellung des koordinierten Vorgehens auf den verschiedenen Ebe -
nen der Verwaltung sowie vor allem die Koordination der Öffentlichkeitsarbeit und
Information der Bevölkerung. Insbesondere für die Information der Bevölkerung
wurden in enger Zusammenarbeit mit ORF und APA weitgehende Vorbereitungen
getroffen.
Das Krisenmanagement wurde bereits mehreren Übungen unterzogen. So nahm
Österreich bisher beispielsweise an drei internationalen Strahlenschutzübungen im
Rahmen der Nuclear Energy Agency der OECD teil. Im September 1996 fand unter
dem Titel ,,Ecercise 96 - Viribus unitis” die bisher größte Strahlenschutzübung in
Österreich statt.
Für Unfälle in grenznahen Kernkraftwerken wurde zunächst ein Rahmenalarmplan
erstellt, der in weiterer Folge zu einem umfassenden, zwischen Bund und Bundes -
ländern akkordierten Rahmenplan für Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung bei
Unfällen in Kernkraftwerken weiterentwickelt wurde.
Insbesondere zur frühzeitigen Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen wurden so -
wohl auf bilateraler als auch auf multilateraler Ebene mehrere zwischenstaatliche
Abkommen, unter anderem mit den Nachbarstaaten Ungarn, Bundesrepublik
Deutschland, Tschechien, Slowakei und Slowenien, geschlossen. Im Bundesministe -
rium für Inneres wurde die Bundeswarnzentrale als ständig besetzte Kontaktstelle
eingerichtet.
Weiters betreiben Bund und Länder zur Warnung und Alarmierung der Bevölkerung
in Anlaßfällen ein gemeinsames funkgesteuertes Warn - und Alarmsystem, das ge -
genwärtig rund 7000 Sirenen umfaßt.
Zu erwähnen sind ferner die Überarbeitung und Neugestaltung der “Rahmenempfeh -
lungen für die Festlegung und Durchführung von Maßnahmen zum Schutz der Be -
völkerung
vor ionisierender Strahlung in Fällen großräumiger radioaktiver
Verunrei -
nigung” durch die Strahlenschutzkommission (als Grundlage für die Alarmpläne auf
allen zuständigen Ebenen, veröffentlicht in “Beiträge Lebensmittel, Veterinärverwal -
tung, Strahlenschutz” 2/89, 3/91, 3/92), sowie Änderungen der Fernmeldeausstat -
tung zur Verbesserung der behördlichen Kommunikation. Weiters erfolgten Änderun -
gen der regionalen Struktur der ressorteigenen Strahlenmeßlaboratorien zur Verrin -
gerung von Problemen beim Probentransport, der kontinuierliche Ausbau der auto -
matischen Strahlenüberwachung (Strahlenfrühwarnsystem), insbesondere durch
Verbesserungen im Bereich der Datendarstellung und der Einbindung meteorologi -
scher Daten, ein weiterer Ausbau der internationalen Informationsabkommen (bila -
teral sowie über Internationale Atomenergieorganisation und die Europäische Union)
einschließlich der ständigen Übertragung von aktuellen Strahlenmeßdaten, sowie
Maßnahmen zur Bevorratung von Kaliumjodidtabletten zum Schutz vor der Inkorpo -
ration von Radiojod durch das Gesundheitsressort. Besonders hinzuweisen ist ferner
auf die verbesserte laufende Information der Bevölkerung durch die automatische
ständige Übermittlung von aktuellen Strahlenmeßdaten des Strahlenfrühwarn -
systems über den TELETEXT des ORF (Seite 784) sowie durch die Bereitstellung
von Informationsmaterial. Zu Schulungs - und Testzwecken in Zusammenhang mit
den getroffenen Vorbereitungen werden laufend Übungen in verschiedenen Bundes-
ländern durchgeführt. Zur weiteren Information wird insbesondere auf die zu Frage 3
angeführten Publikationen verwiesen.