3579/AB XX.GP
zur Zahl 3614/J - NR/1998
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und Genossen haben an
mich eine schriftliche Anfrage, betreffend gesundheitliche Probleme durch „Pier -
cing“, gerichtet und folgende Fragen gestellt:
„1. Wer ist in Österreich befugt, „Stechen“ mit Piercing - Nadeln vorzunehmen?
2. Wie viele Strafanzeigen wurden 1996 und 1997 gegen Personen erstattet, die
unbefugterweise „Piercing“ vorgenommen haben?
3. kam es 1996 und 1997 aufgrund derartiger Anzeigen zu entsprechenden straf -
rechtlichen Verurteilungen (z.B. Körperverletzung und/oder kurpfuscherei)?
In wie vielen Fällen kam es zu Freisprüchen?
In wie vielen Fällen kam es zu Zurücklegungen (§ 90 StPO)?
4. Ist für das Stechen mit Piercing - Nadeln an Minderjährigen die Zustimmung der
sorgeberechtigten gesetzlichen Vertreter
notwendig?“
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1:
Die Beantwortung dieser Frage fällt primär in die Zuständigkeit der Frau Bundesmi -
nisterin für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie des Herrn Bundesministers für
wirtschaftliche Angelegenheiten, weil es sich dabei überwiegend um eine Angele -
genheit des Gesundheitsrechts und des Gewerberechts handelt. Zur rechtlichen
Qualifikation des Stechens von Ohrläppchen vertrat zunächst das Bundesmini -
sterium für Gesundheit und Umweltschutz mit Erlaß vom 26.7.1982,
ZI. IV - 51.103/3 - 2/82, die Auffassung, daß es sich dabei um einen, wenn auch ge -
ringfügigen, chirurgischen Eingriff an Menschen und somit eine den Ärzten vorbe -
haltene Tätigkeit handle. Nach der Gewerbeordnung 1994 sind jedoch auch Gold -
und Silberschmiede, Friseure und Perückenmacher, Schmuck - und Juwelenhändler
sowie Gewerbetreibende, die das Gewerbe der Kosmetik (Schönheitspflege) aus -
üben, ausdrücklich zum Stechen von Ohrläppchen unter Verwendung von sterilen
Einweg - Ohrlochknöpfen nach vorheriger Hautdesinfektion berechtigt (§§ 113,121,
162 und 163). Derartige Regelungen wurden für sonstiges „Piercen“ bisher noch
nicht getroffen.
Aus meinem Vollziehungsbereich kann ich nur zur Frage Stellung nehmen, ob durch
das Stechen mit „Piercing - Nadeln“ eine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet
wird.
Das Durchdringen der Haut mit Fremdkörpern in Form von Piercing - Nadeln stellt je -
denfalls einen nicht ganz unerheblichen Eingriff in die körperliche Integrität dar und
ist somit als „Verletzung" am Körper im Sinn der §§ 83 ff. StGB zu werten. Dieser
Eingriff wird ausschließlich aus Motiven der Ästhetik und nicht auch aus medizini -
schen Gründen vorgenommen, zumal er weder der krankheitsvorbeugung noch der
Heilbehandlung dient. Selbst bei seiner Durchführung durch einen Arzt ist daher das
Piercen - ungeachtet der Frage, ob es unter Ärztevorbehalt steht - nicht als Heilbe -
handlung im weiteren Sinn zu qualifizieren.
Die Strafbarkeit des "Piercers" wird jedoch in der Regel durch den Rechtfertigungs -
grund der Einwilligung (§ 90 StGB) durch den „Gepiercten“ entfallen. Nach § 90
StGB ist eine Körperverletzung
nämlich dann nicht rechtswidrig, wenn der Verletzte
- in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts - in sie einwilligt und die Verletzung
als solche nicht gegen die guten Sitten verstößt. Von der strafbefreienden Wirkung
der Einwilligung sind jedoch nur diejenigen Erfolge und Handlungen umfaßt, die von
der konkreten Einwilligungserklärung abgedeckt werden, deren Eintritt der Einwilli -
gende für möglich gehalten und mit denen er sich abgefunden hat.
Voraussetzung einer Einschätzung über die Tragweite des zugelassenen Eingriffs
ist eine ausreichend umfassende und verständliche Aufklärung über den Eingriff als
solchen und allfällige Komplikationen. Es ist davon auszugehen, daß die gepiercte
Person ihre Einwilligung nur für den im Stechen bestehenden Eingriff erteilt, nicht je -
doch etwa für daraus folgende Infektionen, die daher - insbesondere bei Außeracht -
lassung der Mindesthygieneerfordernisse - zur Strafbarkeit wegen fahrlässiger Kör -
perverletzung nach § 88 StGB führen können.
Die Einwilligung hat aber nur dann die Straflosigkeit der Verletzung zur Folge, wenn
diese nicht so schwer ist, daß das Sittenwidrigkeitskorrektiv eingreift. So ist etwa ein
Piercen, das schwere Dauerfolgen im Sinn des § 85 StGB bewirkt (beispielsweise
Verlust des Gehörs oder des Sehvermögens oder eine auffallende Verunstaltung),
jedenfalls sittenwidrig und kann den Eingriff nicht gemäß § 90 StGB rechtfertigen.
Der Tatbestand der Kurpfuscherei nach § 184 StGB setzt unter anderem voraus,
daß eine Tätigkeit ausgeübt wird, die den Ärzten vorbehalten ist. Die Frage, ob und
allenfalls unter welchen Umständen "Piercing“ unter den Ärztevorbehalt nach den
§§ 1, 2 Ärztegesetz fällt, scheint noch nicht abschließend geklärt.
Zu 2:
Nach den aus Anlaß dieser Anfrage eingeholten Berichten der Oberstaatsanwalt -
schaften wurde in den Jahren 1996 und 1997 in den Sprengeln der Staatsanwalt -
schatten Klagenfurt, Krems und Linz jeweils eine Anzeige wegen „Piercing“ erstat -
tet; im Sprengel der Staatsanwaltschaft Wels kam es zu zwei solchen Anzeigen; im
Land Salzburg wurden mehrmals einschlägige Anzeigen erstattet. Ich weise aber
darauf hin, daß in diesen Zahlen zumindest zum Teil bereits jene Fälle enthalten
sind, über die ich in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage
1613/J - NR/1996 berichtet habe.
Zu3:
In den Jahren 1996 und 1997 kam es zu einer Verurteilung wegen kurpfuscherei
und einer Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung; Freisprüche erfolgten
nicht. In zumindest drei Fällen wurde die Anzeige zurückgelegt. Ein auf Grund einer
Anzeige aus dem Jahr 1997 eingeleitetes Strafverfahren ist noch nicht beendet. Ich
weise aber darauf hin, daß in diesen Zahlen zum Teil bereits jene Fälle enthalten
sind, über die ich in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage
1613/J - NR/1996 berichtet habe.
Zu 4:
Die Frage der zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit stellt sich beim Piercing in zweier -
lei Richtung: einerseits in der gesetzlichen Vertretung im Bereich der Vermögens -
verwaltung, andererseits aber auch im Bereich der Pflege und Erziehung und in der
gesetzlichen Vertretung bei der Wahrnehmung der Persönlichkeitsrechte. Ob zur
Wirksamkeit eines (entgeltlichen) Vertrags über die Vornahme des Piercing an ei -
nem Minderjährigen dessen gesetzlicher Vertreter mitwirken muß, hängt nach den
allgemeinen Regeln über die Geschäftsfähigkeit von Minderjährigen (§151 ABGB)
vor allem vom Alter des Minderjährigen, von der Höhe des Entgelts und davon ab,
ob der Minderjährige über ein Einkommen aus eigenem Erwerb verfügt oder ihm
Sachen zur freien Verfügung überlassen worden sind. Die Frage nach Zustim -
mungserfordernissen im Zusammenhang mit der Einwilligung in die Verletzung der
körperlichen Integrität (die dem schon erwähnten Bereich der Pflege und Erziehung
bzw. dem Bereich der gesetzlichen Vertretung bei Wahrnehmung der Persönlich -
keitsrechte zuzuordnen ist) ist demgegenüber komplexer. Das österreichische Recht
der Handlungsfähigkeit minderjähriger Kinder knüpft nämlich nicht ohne weiteres an
die Einsichts - und Urteilsfähigkeit an, insbesondere nicht in der Weise, daß vorhan -
dene Einsichts - und Urteilsfähigkeit im Bereich der Persönlichkeitsrechte allein be -
reits die Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters für diesen Aufgabenkreis
ausschlösse. Umgekehrt ist aber jedenfalls bei nicht einsichts - und urteilsfähigen
Minderjährigen die Zustimmung des Obsorgeberechtigten zu einem Eingriff in die
körperliche Integrität erforderlich. Allerdings werden unterschiedliche Auffassung
darüber vertreten, ob dieses Zustimmungsrecht nun dem Pflege - und Erziehungsbe -
rechtigten kraft eigenen, aus § 146 Abs.
1 ABGB abgeleiteten Rechts oder dem ge -
setzlichen Vertreter zukommt (im Regelfall sind diese beiden Rechtspositionen aller -
dings ohnehin in derselben Person bzw. in denselben Personen - nämlich vor allem
den Eltern - vereint). Für bereits einsichts - und urteilsfähige Minderjährige, die das
18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Ißt sich aus § 8 kAG ableiten, daß für
eine einer Operation gleichzuhaltende Verletzung der körperlichen Integrität nach
österreichischem Handlungsfähigkeitsrecht sowohl die Zustimmung des Obsorgebe -
rechtigten als auch die Einwilligung des Minderjährigen erforderlich ist. Ob dies auch
für das Piercen gilt, ob also für das Piercing eines einsichts - und urteilsfähigen Min -
derjährigen unter 18 Jahren zusätzlich zu dessen Einwilligung auch die Zustimmung
des Obsorgeberechtigten vorliegen muß, hängt wohl von der Schwere des damit be -
wirkten Eingriffs und von den daraus für die Gesundheit (und allenfalls auch für das
Erscheinungsbild) des Minderjährigen resultierenden Folgen ab.