3594/AB XX.GP

 

zur Zahl 3643/J - NR/1998

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Michael Krüger und Kollegen haben an mich

eine schriftliche Anfrage, betreffend Anwendung des Unternehmensreorganisations -

gesetzes (URG) in der Praxis, gerichtet und folgende Fragen gestellt:

„1. Wie viele Verfahren nach dem URG wurden seit Inkrafttreten dieses Gesetzes

eingeleitet?

2. Wie viele Verfahren wurden bereits abgeschlossen und mit welchem Ergebnis?

3. Sind Sie nach wie vor der Ansicht, daß dieses Gesetz den konkreten Anforde -

rungen der Praxis entspricht?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht?

4. Bestehen im Ministerium zur Zeit Änderungspläne, um eine effektive Anpas -

sung des URG an die Praxis herzustellen?

Wenn ja, wie sehen diese konkret aus?

Wenn nein, warum nicht?

5. Was sagen Sie zum Vorwurf der Verfassungswidrigkeit, welcher im oben er -

wähnten Artikel gegen dieses neue "Sanierungsgesetz" erhoben wird?

6. Wie bewerten Sie den Umstand, daß führende Wirtschaftsprüfungskanzleien

ihren Klienten den Rat erteilen, sich keinesfalls auf ein Verfahren nach dem

neuen URG einzulassen?

7. Wie bewerten Sie die Expertenmeinung, das URG sei wirklichkeitsfremd?

8. Wird das URG in der Praxis seiner Zielsetzung gerecht?

9. Entspricht es den Tatsachen1 daß das URG eine „Totgeburt“ ist, weil es in der

Praxis nicht angewandt wird?

10. Was sagen Sie zur Expertenmeinung, wonach die Parameter des URG (Eigen -

kapitalquote unter 8% und fiktive Entschuldungsdauer länger als 15 Jahre)

Formeln seien, die den „naiven erfolglosen Versuch darstellen, eine effektive

Bilanzanalyse zu bewirken“?

11. können Sie die Erfahrungen der Praxis bestätigen, daß der fehlende

Exekutionsstopp und die vorgeschriebene Geheimhaltung den betroffenen Un -

ternehmen abträglich seien und gegenteilige Effekte hervorrufen?“

Ich beantworte diese Fragen wie folgt:

Zu 1 und 2:

Seit dem Inkrafttreten des Unternehmensreorganisationsgesetzes (URG) am 1. Ok -

tober 1997 wurden nach der vom Bundesrechenzentrum durchgeführten Auswer -

tung der ADV - Register der Landesgerichte - bezogen auf den Abfragestichtag

31. März 1998 - vier Anträge auf Einleitung eines Reorganisationsverfahrens ge -

stellt.

Von diesen vier Anträgen wurde einer - nach Verbesserungsversuchen - zurückge -

Wiesen, die Verfahren über die drei weiteren Anträge sind noch nicht abgeschlos -

sen.

Zu 3:

Die österreichische Wirtschaft befindet sich in einem Umstrukturierungsprozeß, der

Reorganisationsmaßnahmen unterschiedlichster Art erfordert. Ein in diesem Zusam -

menhang bei Teilen der österreichischen Wirtschaft immer wieder festzustellender

Mangel ist die unzureichende Eigenkapitalausstattung. Mit dem URG sollten gesetz -

liche Grundlagen zur Förderung der notwendigen Reorganisationsmaßnahmen ge -

schaffen werden. Dabei wurde, um den Anforderungen der Praxis gerecht zu wer -

den, von folgenden Hauptgedanken ausgegangen:

a) Erfolgreiche Schritte zur Reorganisation eines Unternehmens dürfen nicht erst im

Zeitpunkt der Insolvenz oder kurz davor unternommen werden, sondern sollen be -

reits dann gesetzt werden, wenn ernste wirtschaftliche Gefahren für das Unterneh -

men deutlich sichtbar werden und noch genügend Zeit besteht, wohlüberlegte Reor -

ganisationsmaßnahmen zu treffen. Daher ist die Einleitung eines Reorganisations -

verfahrens nur dann möglich, wenn ein Unternehmen noch solvent ist, aber durch

bestimmte Bilanzkennzahlen oder auf andere gleichwertige Weise festgestellt wer -

den kann, daß ein Reorganisationsbedarf besteht.

b) Das Erfordernis und die besondere Bedeutung einer ausreichenden Eigenkapital -

ausstattung und einer laufenden Finanzplanung für ein möglichst krisenfreies Wirt -

schaften wurden erstmals ausdrücklich in einem Gesetz festgehalten.

c) Da eine erfolgreiche Reorganisation noch während gegebener Solvenz nur durch

den Unternehmer selbst bzw. mit seiner aktiven Unterstützung möglich ist, wurde

durch das URG die Initiative zur Einleitung des Verfahrens und auch zur Ausarbei -

tung des Reorganisationsplans allein dem Unternehmer überlassen.

d) Um eine erfolgreiche Reorganisation zu ermöglichen, bedurfte es der Einbettung

in ein gerichtliches Verfahren, um den Personen, die eine Reorganisation unterstüt -

zen, die Gewähr eines fairen Verfahrens zu bieten. Dieses Verfahren sollte - da es

ja ein solventes Unternehmen betrifft - möglichst einfach und flexibel gestaltet sein;

deshalb werden nach dem URG nur die wesentlichen Verfahrensschritte vom Ge -

richt initiiert, während die inhaltliche Ausgestaltung den wirtschaftlich Betroffenen

überlassen bleibt.

e) Da für eine erfolgreiche Reorganisation meist die Mitwirkung einer kreditgewäh -

renden Bank oder anderer Personen erforderlich ist, die zur Reorganisation beitra -

gen, wurde im URG die gesetzliche Absicherung von Überbrückungs - und Reorgani -

sationsmaßnahmen gegen Anfechtungen vorgesehen, um dadurch zu gewährlei -

sten, daß das neue Verfahren auch von der Praxis der Kreditwirtschaft angenom -

men und betrieben wird. Weiters sollte mit der Bestimmung des § 21 URG, wonach

Reorganisationsmaßnahmen nicht den Regeln des Eigenkapitalersatzes unterlie -

gen, den Gesellschaftern ein Anreiz geboten werden, selbst zur Reorganisation bei -

zutragen, indem sie zum Beispiel ein Darlehen nicht abziehen und dadurch die Ver -

mögenssituation des Unternehmens nicht noch weiter verschlechtern.

Mit den geschilderten gesetzlichen Regelungen wird das neue URG den Anforde -

rungen, die die Praxis an ein Sanierungsverfahren stellt, sehr wohl gerecht.

Zu 4:

Es bestehen zur Zeit keine Pläne, das URG zu ändern, zumal der Zeitraum seiner

Geltung noch zu kurz ist, um einen solchen Änderungsbedarf beurteilen zu können.

Insbesondere ist zu bedenken, daß sich die im URG enthaltenen Haftungsbestim -

mungen für den Fall der nicht rechtzeitigen Einleitung eines Reorganisationsverfah -

rens aufgrund der dabei gegebenen Zeitabläufe bisher noch nicht auswirken konn -

ten.

Zu 5:

In dem in der Anfrage erwähnten Artikel in der Tageszeitung „Der Standard“ wird

behauptet, daß das URG die Akkordierung eines gerichtlichen Sanierungsplans mit

den Großgläubigern, also den Banken, vorsehe und gleichzeitig zur Geheimhaltung

gegenüber den Lieferanten verpflichte, woraus eine ungleichbehandlung der Gläu -

biger resultiere. Die diesbezüglich geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken

sind nicht nachvollziehbar, weil das Gesetz weder eine Akkordierung des Sanie -

rungsplans mit den Großgläubigern noch eine Geheimhaltung vorsieht (zu letzterem

sei auch auf die Ausführungen zu Frage 11 hingewiesen). Von einer Ungleichbe -

handlung der Gläubiger im Reorganisationsverfahren kann also nicht die Rede sein.

Zu 6:

Nach den Wahrnehmungen des Bundesministeriums für Justiz kann nicht davon ge -

sprochen werden, daß führende Wirtschaftsprüfungskanzleien ihren Klienten rieten,

sich keinesfalls auf ein Reorganisationsverfahren einzulassen. Im Gegenteil haben

einige große Wirtschaftstreuhand - bzw. Unternehmensberatungsunternehmen be -

reits Maßnahmen zur Anwendung des URG getroffen und teilweise sogar eigene

Gesellschaften zu diesem Zweck gegründet.

Zu 7:

Wie sich aus den Ausführungen zu Frage 3 ergibt, kann das URG nicht als wirklich -

keitsfremd bezeichnet werden; vielmehr wurden in Zusammenarbeit mit Experten

der Sozialpartner und der betroffenen Berufsgruppen (Wirtschaftstreuhänder,

Rechtsanwälte) gesetzliche Bestimmungen entwickelt, die auf die Anforderungen

der Praxis Bedacht nehmen.

Zu 8 und 9:

Ich verweise zunächst auf die Antwort zu Frage 3. Der praktische Erfolg des URG

kann aufgrund der kurzen Zeit, seit der es in Geltung steht, noch nicht substantiell

beurteilt werden. Er wird im wesentlichen davon abhängen, ob wirtschaftsberatende

Einrichtungen und Berufsgruppen, wie etwa die Wirtschaftsförderungsinstitute der

Wirtschaftskammern, die Arbeiterkammern, die bevorrechteten Gläubigerschutzver -

bände, Banken, Unternehmensberater, Sanierungsexperten, Wirtschaftstreuhänder

und Rechtsanwälte, die neuen Möglichkeiten aufgreifen und interessierte oder be -

troffene Unternehmen bei der Durchführung eines Reorganisationsverfahrens unter -

stützen und beraten. Ebenso wichtig wird die verständnisvolle und wirtschaftsnahe

Mitwirkung der zuständigen Gerichte sein, um die geplante Flexibilität des Verfah -

rens in die Realität umzusetzen. Auch wird noch abzuwarten sein, wie sich die durch

das URG geschaffenen Haftungsregelungen in der Praxis auswirken werden.

Grundsätzlich sei aber bemerkt, daß die Bedeutung des URG nicht allein an der An -

zahl der Reorganisationsverfahren gemessen werden darf. Die Ziele des URG wer -

den nämlich auch dann erreicht, wenn die Unternehmen zu einer rechtzeitigen au -

ßergerichtlichen Bereinigung der Krise veranlaßt werden.

Zu 10:

Diese Parameter wurden - unter Mitarbeit der Kammer der Wirtschaftstreuhänder  -

bewußt so gewählt, um ein einfaches und nachvollziehbares Kennzahlensystem für

eine erste - keinesfalls schon abschließende - Beurteilung zur Verfügung zu stellen,

welche Unternehmen als insolvenzgefährdet anzusehen sind. Wie sich in der Praxis

gezeigt hat (siehe die Untersuchung von Hüls, Früherkennungsbedarf insolvenzge -

fährdeter Unternehmen, herausgegeben von der Westfälischen Wilhelms -Universität

Münster, Institut für Revisionswesen), weisen die kennzahlen des URG trotz ihrer

Einfachheit sehr gute Werte hinsichtlich ihrer Treffsicherheit auf. Präzisierungen

würden deutlich auf kosten der Einfachheit und Nachvollziehbarkeit für externe Bi -

lanzadressaten gehen. Es war schon bei der Gesetzwerdung bewußt, daß mit den

gewählten Kennzahlen keine tiefgreifende Analyse der wirtschaftlichen Lage eines

Unternehmens durchgeführt werden kann. Hiezu wäre eine eingehende Prüfung

durch einen Wirtschaftsexperten notwendig, die ja auch im URG vorgesehen ist. Die

kennzahlen selbst sollen und können nur als ungefähre Meßlatte betrachtet werden,

deren Unter- bzw. Überschreitung den Unternehmer zur Prüfung eines Reorganisa -

tionsbedarfs veranlassen soll.

Zu 11:

Ein Exekutionsstopp wäre im Rahmen des Reorganisationsverfahrens insofern nicht

sachgerecht, als dieses nur solventen Unternehmen zugänglich und deshalb davon

auszugehen ist, daß der betroffene Unternehmer zur rechtzeitigen Begleichung sei -

ner fälligen Verbindlichkeiten noch in der Lage ist. Für den Fall der Zahlungsverwei -

gerung durch den Unternehmer wäre es daher sachlich nicht gerechtfertigt, seinen

Gläubigern die Exekutionsführung gegen ihn zu verwehren. Ein Exekutionsschutz

kann deshalb erst mit Einleitung eines Insolvenzverfahrens gewährleistet werden,

dessen Grundlage die gleichmäßige Behandlung und quotenmäßige Befriedigung

aller Gläubiger ist.

Eine „Geheimhaltung“ ist im URG in keiner Weise vorgesehen. Es wurde lediglich

bewußt auf die öffentliche Bekanntmachung der Einleitung eines Reorganisations -

verfahrens und weiterer Verfahrensschritte verzichtet; rechtmäßig erlangte Informa-

tionen hierüber dürfen aber durchaus weitergegeben werden. Die Nichtveröffentli -

chung ist dadurch gerechtfertigt, daß erfolgreiche Schritte zur Reorganisation diskret

erfolgen müssen, um den Ruf eines Unternehmens und damit auch das mit der Re -

Organisation angestrebte Ziel des gesicherten Fortbestandes des Unternehmens

nicht zu gefährden.