3668/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Martina Gredler, Partnerinnen und Partner haben
am 25. Februar 1998 unter der Zl. 3695/J - NR/1998 an mich eine schriftliche Anfrage
betreffend den Beitrag Österreichs zur Lösung der Kurden - Problematik gerichtet, welche
den folgenden Wortlaut hat:
1. Derzeit steht immer noch die Abhaltung einer ,,Europakonferenz” mit den EU - Staaten
und der Türkei im Raum. Gibt es konkrete Pläne für eine Anberaumung dieser
Konferenz?
2. In welcher Form werden Sie bei dieser Konferenz, so sie stattfinden sollte, das
Kurdenproblem vorbringen?
3. Welche sonstigen Aktivitäten zur Lösung der Kurdenautonomie - Frage in der Türkei,
aber auch im Irak und Iran, sind seitens der EU in den nächsten 10 Monaten (also auch
während Österreichs EU - Präsidentschaft) geplant bzw. werden von Ihnen initiiert
werden?
4. Soll aus Ihrer Sicht die Frage eines EU - Beitritts der Türkei mit der vollständigen
Einhaltung der Menschen - und Minderheitenrechte der Kurden in der Türkei sowie
deren politischer und kultureller Autonomie verknüpft werden? Wenn nein, warum
nicht?
5. Welche bilateralen Initiativen haben Sie im Laufe der letzten 12 Monate gegenüber der
Türkei gesetzt, um das Kurdenproblem zu lösen sowie die Vertreibungen und
Menschenrechtsverletzungen in dieser Region zu beenden?
6. Welche Informationen besitzen Sie über militärische Aktivitäten und Errichtung von
Stützpunkten der türkischen Armee in den türkischen Kurdengebieten und im Nordirak
bzw.
über eventuelle terroristische Aktivitäten der PKK?
7. Haben Sie Informationen darüber, daß die türkische Regierung Fluchtbewegungen von
Kurden nach Europa fördert? Wenn ja, welche bilateralen Maßnahmen ergreifen Sie
dagegen?
8. Werden Sie in absehbarer Zeit eine Initiative zu einem Versöhnungsversuch zwischen
den verfeindeten Kurdenparteien im Irak starten?
9. Was unternehmen Sie gegen die fortschreitende Arabisierungspolitik Saddam
Husseins in den irakischen Kurdengebieten, besonderes rund um Kirkuk?
10.Welche Aktivitäten unternehmen sie im Rahmen der GASP, um einen Einsatz von
chemischen und biologischen Kampfstoffen durch Saddam Hussein in Vergeltung
eines US - amerikanischen Militärschlages zu verhindern?
11. Welche Auswirkungen hat Ihren Informationen nach das UN - Embargo gegen den Irak
auf die Kurden?
12.Werden Sie sich für die Abhaltung einer internationalen Konferenz zur Lösung der
Kurdenfrage, entweder unter Patronanz der UNO oder der EU oder der OSZE
einsetzen? Wenn nein, warum nicht?
13.Werden Sie sich in der Bundesregierung einerseits, auf Ebene der EU - Außenminister
andererseits dafür einsetzen, daß Kurden, die aus nachweislich umkämpften
Krisenregion in der Türkei oder dem Irak nach Österreich bzw. in die EU kommen,
grundsätzlich als Kriegsflüchtlinge, zumindest jedoch als vorübergehend Vertriebene
("de facto" - Flüchtlinge analog zu den Bosniern) anerkannt und nicht zurückgeschoben
werden?
14. Sind Sie der Auffassung, daß im Rahmen der EURODAC - Initiative der EU allen
Flüchtlingen, die in der EU um Asyl ansuchen - auch wenn sie beispielsweise aus dem
Irak kommen -, Fingerabdrücke abgenommen werden sollten? Wenn ja, warum?”
Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:
ad 1) und 2):
Die Eröffnungssitzung der Europakonferenz hat am 12.3. 1998 in London stattgefunden.
Da es trotz intensiver Bemühungen insbesondere des britischen EU - Vorsitzes nicht
möglich war, die Türkei zu einer Teilnahme zu bewegen, konzentrieren sich die
Bemühungen darauf, die Türkei zu einem späteren Zeitpunkt einzubeziehen. Im
gegenwärtigen Stadium sind daher Aussagen zu inhaltlichen Schwerpunkten nicht
möglich. Die Themenbereiche der Europakonferenz umfassen gemäß den Beschlüssen
des Europäischen Rats von Luxemburg “Fragen, die für die Teilnehmer von allgemeinem
Interesse”
sind: “Zusammenarbeit in den Bereichen Außen - und
Sicherheitspolitik und
Justiz und Inneres sowie in anderen Bereichen von gemeinsamem Interesse -
insbesondere Wirtschaft und regionale Zusammenarbeit”.
ad 3):
Die EU wird sich, wie es ihrer bisherigen politischen Linie entspricht, im Dialog mit Ankara
nachdrücklich für die Einhaltung der Menschenrechte und für eine politische Lösung der
Kurdenfrage einsetzen. Österreich trägt diese Linie voll mit und wird sie während seiner
EU - Präsidentschaft weiterführen. Bekanntlich hat Ankara in Reaktion auf die Beschlüsse
des Europäischen Rates von Luxemburg (12./13.12. v.J.) den politischen Dialog mit der
EU in den Bereichen Zypern, Ägäis/Griechenland und Menschenrechte eingefroren.
ad 4):
Bereits der Europäische Rat von Kopenhagen im Juni 1993 hat eine Mitgliedschaft in der
EU mit der Erfüllung bestimmter Kriterien verknüpft:
1. “institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung,
für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von
Minderheiten,
2. funktionsfähige Marktwirtschaft,
3. Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union
standzuhalten”.
Diese Kriterien gelten selbstverständlich auch für die Türkei.
Der Europäische Rat von Luxemburg im Dezember 1997 hat erstmals der Türkei die
,,eligibility” bestätigt, d.h. die “Fähigkeit, grundsätzlich für eine Mitgliedschaft in der EU in
Frage zu kommen”. Weiters wurde die Türkei zur Teilnahme an der Europa - Konferenz
eingeladen und ihr eine Weiterentwicklung der Beziehungen “auf allen Gebieten”
(“Europäische Strategie für die Türkei”) angeboten. Diese Beschlüsse wurden ebenfalls
an eine strenge Konditionalität gebunden: Weiterführung politischer und wirtschaftlicher
Reformen, Menschenrechtsschutz, Unversehrtheit und Unverletzlichkeit der
Außengrenzen, Verpflichtung zur Beilegung territorialer Streitigkeiten mit friedlichen
Mitteln vor allem im Wege des IGH, Herstellung stabiler Verhältnisse zwischen
Griechenland und der Türkei, Unterstützung der VN - Verhandlungen im Zypern - Konflikt.
ad 5):
Österreich betont bei allen Gesprächen mit der Türkei, daß das Kurdenproblem nur mit
politischen Mitteln einer Lösung zugeführt werden kann. Österreich benützt auch jeden
Anlaß - auf politischer Ebene zuletzt den Besuch des türkischen Premierministers Mesut
Yilmaz in Wien am 5./6.11.1997 - um gegenüber türkischen Gesprächspartnern auf die
Unerläßlichkeit
der Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards hinzuweisen.
ad 6):
Österreich verfolgt die Situation im Südosten der Türkei sowie im angrenzenden Nordirak
laufend anhand einschlägiger Berichte, insbesondere der internationalen Medien aber
auch im Wege des politischen Dialogs im Rahmen der EU. Angesichts wiederholter
Militäraktionen der Türkei im Nordirak hat Österreich gegenüber den türkischen
Gesprächspartnern stets mit Nachdruck auf die Notwendigkeit der Achtung der
territorialen Souveränität sowie des Schutzes der Zivilbevölkerung hingewiesen.
ad 7):
Es gibt keinen konkreten Hinweis darauf daß die Türkei Fluchtbewegungen von Kurden
nach Europa fördert. Die Migration aus der Türkei nach Europa ist vorrangig wirtschaftlich
begründet wenn auch die sicherheitspolitische Situation im Südosten des Landes nach
allgemeiner EU - Einschätzung ein mitbestimmendes Element für Auswanderungsschübe
zu sein scheint.
Im Gefolge des zu Beginn dieses Jahres kurzfristig stark angestiegenen Exodus von
Kurden nach Europa v.a. über Italien legte die Türkei eine kooperative Haltung an den
Tag: es wurde Zusammenarbeit mit den europäischen Einwanderungs - und
Sicherheitsbehörden und schärferes Vorgehen gegen Schlepperorganisationen in der
Türkei zugesagt.
ad 8) und 9):
Seit dem Waffenstillstand zwischen den beiden wichtigsten kurdischen Fraktionen im
Nordirak, der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) und der Kurdischen Demokratischen
Partei (KDP), der am 31. Oktober 1996 in Ankara geschlossen wurde, fanden mehrmals
Versöhnungsgespräche im Rahmen des sogenannten "Ankara - Prozesses" statt. Daran
nahmen außer den Kurdenparteien auch die Türkei, die USA und Großbritannien als Ko -
Sponsoren teil. Die letzte Gesprächsrunde wurde am 6. und 7. Oktober 1997 in London
abgehalten. Diese Gespräche wurden ergebnislos abgebrochen, kurz darauf kam es zur
Wiederaufnahme der Kampftätigkeit. Seither wurde der "Ankara - Prozeß" formell zwar
nicht wieder aufgenommen, es gab aber im Februar und März d.J. wieder direkte
Gespräche zwischen PUK und KDP, die u.a. zu gemeinsamen Erklärungen und zum
Austausch von Gefangenen führten. Initiativen zur Duplizierung des ,,Ankara - Prozesses"
scheinen weder sinnvoll noch erfolgversprechend.
Die Konflikte zwischen den verschiedenen Kurdenparteien und ihren Führern beruhen auf
internen Divergenzen, die zum Teil weit in die Vergangenheit zurückreichen. Auch sind
der Irak selbst und alle Nachbarstaaten der Kurdengebiete in den Konflikt verwickelt, und
die einzelnen kurdischen Fraktionen gehen mit ihnen wechselnde Allianzen ein. Diese
innerkurdischen
Konflikte erleichtern die Politik des irakischen Regimes.
ad 10):
Durch die vom Generalsekretär der Vereinten Nationen mit der irakischen Führung Ende
Februar d.J. erzielten Übereinkunft konnte die Gefahr einer militärischen
Auseinandersetzung abgewendet werden. Derzeit gehen die Inspektionen der
Sonderkommission der Vereinten Nationen (UNSCOM) im Irak ohne Behinderungen und
rasch voran. Es steht daher zu hoffen, daß das vom Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen vorgegebene Ziel der Zerstörung des irakischen Potentials an
Massenvernichtungswaffen, einschließlich chemischer und biologischer Kampfstoffe
erreicht werden kann. Die Bemühungen der EU im Rahmen der GASP unterstützen die
Tätigkeit der Sonderkommission der Vereinten Nationen.
ad 11):
Durch die Wirtschaftssanktionen der Vereinten Nationen gegen den Irak ist die
Zivilbevölkerung dieses Landes, egal ob Araber oder Kurden, in gleicher Weise betroffen.
In den nördlichen Kurdengebieten, die der Zentralgewalt Bagdads derzeit entzogen sind,
ist die Situation nicht wesentlich anders. Allerdings gibt es Hinweise darauf, daß aufgrund
der engeren Verbindung einzelner Kurdenparteien mit den Nachbarstaaten bzw. durch
illegalen Grenzhandel die wirtschaftliche Lage in manchen dieser kurdisch verwalteten
Landesteile etwas entspannter ist. Erwähnenswert ist schließlich auch die Tatsache, daß
beim “Öl für Nahrungsmittel” - Programm des Generalsekretärs der Vereinten Nationen ein
Anteil zwischen 12 und 15% des Erlöses ausdrücklich für die kurdischen Landesteile
bestimmt ist.
ad 12):
Eine internationale Konferenz zur Kurdenfrage würde einer Internationalisierung
gleichkommen, wozu keiner der Staaten, in denen es kurdische Bevölkerungsteile gibt,
bereit ist. Eine politische Lösung, wie von Österreich und seinen EU - Partnern gefordert,
könnte etwa in der Zuerkennung von Autonomierechten unter strikter Wahrung der
territorialen Integrität bestehen. Dafür wird sich Österreich auch weiterhin bilateral sowie
im EU - Rahmen einsetzen.
ad 13):
Österreich setzt sich vor allem für eine zügige und konsequente Umsetzung des vom Rat
Allgemeine Angelegenheiten am 26. Jänner 1998 beschlossenen EU - Aktionsplans
betreffend den Zustrom von Zuwanderern aus Irak und den Nachbargebieten ein. Er sieht
unter anderem umfassende humanitäre Maßnahmen für die Bevölkerung des Irak, die
wirksame Anwendung der Asylverfahren aber auch Maßnahmen zur Verhinderung ihres
Mißbrauches
sowie zur Bekämpfung des Schlepperunwesens vor.
ad 14):
Ja. Zur Verwirklichung des gemeinsamen Ziels der EU - Mitgliedstaaten, einen Raum ohne
Binnengrenzen zu schaffen in dem der freie Personenverkehr gemäß den Bestimmungen
der Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sichergestellt ist, sind
Maßnahmen erforderlich,
- damit ein Asylwerber nicht zu lange im Ungewissen über den Ausgang seines
Asylverfahrens gelassen wird,
- die jedem Asylwerber Gewähr bieten, daß sein Antrag von einem der Mitgliedstaaten
geprüft wird,
- damit nicht Asylwerber von einem Mitgliedstaat an den anderen verwiesen werden,
ohne daß einer dieser Staaten sich für die Prüfung des Asylantrags für zuständig
erklärt.
Mit dem Dubliner Übereinkommen vom 15. Juni 1990 über die Bestimmung des
zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen
Gemeinschaften gestellten Asylantrags (ABI. C 254 vom 19.08. 1997 S. 1) soll genau
diesem Anliegen entsprochen werden.
Für die Zwecke der Anwendung des Dubliner Übereinkommens ist es erforderlich, die
Identität des Asylwerbers festzustellen. Daher empfiehlt es sich ein System für den
Vergleich der Fingerabdrücke aller Asylwerber einzurichten. Alleiniger Zweck der
EURODAC - Initiative der EU ist es, Unterstützung bei der Bestimmung desjenigen
Mitgliedstaats zu leisten, der gemäß dem Dubliner Übereinkommen für die Prüfung eines
in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist.
Bei der Anwendung der Bestimmungen des EURODAC - Übereinkommens sind die
Mitgliedstaaten zur Einhaltung der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten
Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
verpflichtet. Die Verarbeitung der ermittelten Daten darf nur unter Beachtung der
strengsten Vertraulichkeitsnormen und lediglich unter Einhaltung der Bestimmungen des
am 28. Jänner 1981 in Straßburg geschlossenen Übereinkommens des Europarats zum
Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten
erfolgen.