3819/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Stoisits, Freundinnen und Freunde

haben am 10. März 1998 unter der Nr. 3818/J an mich eine schriftliche

parlamentarische Anfrage betreffend die Umsetzung des österreichischen

Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus gerichtet, die folgenden

Wortlaut hat:

“1. Welche Aktivitäten plant die Bundesregierung, um den ersten offiziellen

Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus entsprechend der Ent -

schließung des Nationalrates zu begehen?

2. Welche budgetären Mittel sind dafür eingeplant?

3. Wann und in welcher Form sind Sie entsprechend der Entschließung des

Nationalrates an die Länder und Gemeinden herangetreten, damit auch

diese den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus entsprechend

wahrnehmen?

4. Welche einschlägigen Aktivitäten und Veranstaltungen der

Gebietskörperschaften sind geplant bzw. ihnen bekannt?

5. Gibt es eine Koordination dieser Aktivitäten?

a) Wenn nein, werden Sie eine Koordination veranlassen?”

Zu Frage 1:

Grundsätzlich möchte ich bemerken, daß die Bundesregierung sich dieses Jahr

besonders intensiv mit der NS - Vergangenheit Österreichs und den Opfern der

Nazi - Diktatur auseinandersetzt. Mit zahlreichen Veranstaltungen im Rahmen

des vom Bundesminister für Inneres gemeinsam mit der Lagergemeinschaft

Mauthausen, der Initiativgruppe “Mauthausen aktiv” und dem

Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes organisierten

,,Gedenkprojekts 1938 - 1998” gedenkt die Bundesregierung jener Ereignisse,

die vor 60 Jahren zur Eingliederung Österreichs in das nationalsozialistische

Unrechtssystem führten. Dementsprechend fokussieren sich die

Veranstaltungen dieses Jahr nicht nur um den 5. Mai, sondern erstrecken sich

auf einen Großteil des Jahres 1998.

In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung ausdrücklich die Initiative

zur Schaffung eines “Gedenktages gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken

an die Opfer des Nationalsozialismus” unterstützt. Damit wurde die formale

Voraussetzung geschaffen, gemeinsam der Opfer der Nazi - Diktatur zu

gedenken und gleichzeitig jene Bedingungen in das Bewußtsein zu rufen,

unter denen Gewalt, Intoleranz, Nationalismus, Diktatur und Krieg imstande

sind, sich zu entwickeln.

Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung im Zuge der

Ministerratssitzung am 5. Mai 1998, in der ich eine Erklärung zum Gedenktag

abgegeben habe, der Opfer des Nationalsozialismus gedacht hat und daß die

Bundesregierung an der ,,Gedenkveranstaltung für die Opfer des

Nationalsozialismus”, die ebenfalls am 5. Mai im Parlament stattgefunden hat,

teilgenommen hat.

Seitens des Bundeskanzleramtes (Bundespressedienst) wurde zum Gedenktag

gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Na -

tionalsozialismus ein umfangreiches Informationsmaterial erarbeitet, so eine

mehrteilige Dokumentation über “Maßnahmen gegen Rassismus und

Fremdenfeindlichkeit in Österreich” sowie ein Artikel “Gedenktag gegen Gewalt

und Rassismus”, die auch über das Internet beziehbar sind oder in gedruckter

Form kostenlos zugeschickt werden können.

Zu den Maßnahmen im Bereich des Bundesministeriums für Inneres anläßlich

der 60. Wiederkehr der Errichtung des Konzentrationslagers Mauthausen lege

ich den diesbezüglichen Bericht des Herrn Bundesministers für Inneres an den

Ministerrat bei.

Hinsichtlich der geplanten Aktivitäten des Bundesministeriums für Unterricht

und kulturelle Angelegenheiten und des Bundesministeriums für Landesver -

teidigung verweise ich auf die Beantwortung der Frau Bundesministerin für

Unterricht und kulturelle Angelegenheiten und des Bundesministers für

Landesverteidigung zu den an sie gerichteten parlarnentarischen Anfragen Nr.

3822/J bzw. 3823/J.

Wie mir vom Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr mitgeteilt

wurde, werden an den Universitäten punktuell entsprechende

Lehrveranstaltungen angeboten werden, wie z.B. am Institut für Zeitgeschichte

in Wien ein Seminar von Prof. Wolfgang Neugebauer zum Thema ,,NS -

Herrschaft in Österreich 1938 - KZ Mauthausen”.

Zu Frage 2:

Die geplanten Aktivitäten des Bundeskanzleramtes werden aus dem laufenden

Budget finanziert.

Zu den Fragen 3 und 4:

Der Bundesminister für Inneres hat diesbezüglich ein Schreiben an die Landes -

hauptmänner gerichtet. Meines Wissens sind in den Ländern zahlreiche Aktivi -

täten geplant, deren Inhalte mir aber im Detail nicht bekannt sind.

Zu Frage 5:

Soweit eine Koordination erforderlich war oder ist, erfolgte diese durch die

betroffenen Stellen.

Mündlicher, schriftlich vorgelegter Bericht

an den Ministerrat

I. Am 12. März des heurigen Jahres wird sich der gewaltsame “Anschluß” Österreichs an das

nationalsozialistische Deutschland zum 60. Mal jähren. Am 9. und 10. November 1938 wurde mit dem als

,‚Reichskristallnacht” bezeichneten Pogrom ein erster Höhepunkt der Verfolgung und Vertreibung der

jüdischen Mitbürger gesetzt. Zwischen dem März - und dem Novemberereignis schuf das totalitäre, von

Teilen der Bevölkerung gleichwohl durchaus erwünschte Regime des NS - Staates mit der Gründung des

Konzentrationslagers Mauthausen am 8. August ein wesentliches Instrument der Unterwerfung im besetzten

Österreich.

Wie die Erfahrung gerade der vergangenen Jahre zeigt, ist solches Gedenken nach wie vor geeignet, die

Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in hohem Maße auf das maßgebliche historische Umfeld zu richten. Eine

Befassung mit dem Jahre 1938 erscheint aber auch deshalb wichtig, weil anhand der in diesem Jahr in

Österreich vollzogenen Entwicklung maßgebliche strukturelle Zusammenhänge, wie Erhalt oder Verlust von

staatlicher Unabhängigkeit und von persönlicher Freiheit oder Unfreiheit zu verdeutlichen sind. Der

wissenschaftlichen und politischen Diskussion der letzten Jahre entsprechend, kann Österreich hierbei freilich

nicht ausschließlich oder auch nur primär als bloßes Objekt und damit Opfer ausländischer Aggression

dargestellt werden.

Der Bundesminister für Inneres ist in zweifacher Hinsicht legitimiert, Aktivitäten der Befassung mit dem

Aufgehen unseres Landes im nationalsozialistischen Unrechtsstaat zu setzen:

Einerseits gehört die Gedenkstätte Mauthausen als Kristallisationspunkt dieses Geschehens zum

Ressortbereich, andererseits hat vor allem die Sicherheitsexekutive in ihrer Schutzfunktion für die Republik

Österreich dafür zu sorgen, daß im Bewußtsein der Gefahren faschistischer Menschenverachtung jeglicher

nationalsozialistischer Wiederbetätigung repressiv, aber auch mit allen Mitteln der Prävention entschieden

entgegengetreten wird.

II. Aus Anlaß der 60. Wiederkehr des “Anschlusses” Österreichs an Nazi - Deutschland plane ich daher eine

Reihe von Aktivitäten, die in enger Zusammenarbeit mit der Österreichischen Lagergemeinschaft

Mauthausen und dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes durchgeführt werden

sollen.

1. Von der Überzeugung ausgehend, daß die einzig wirksame Faschismusprävention darin besteht, die

Menschen mit der Realität der damaligen Ereignisse zu konfrontieren, steht im Mittelpunkt der Projekte eine

großangelegte Ausstellung. Sie soll unter dem Motto “Vom ‚Anschluß‘ zur Gründung des KZ

Mauthausen" die Eingliederung Österreichs in das NS - System darstellen. Die Ausstellung soll keine

eindimensionalen und monokausalen Erklärungsmuster zur diffizilen Themenstellung präsentieren, sondern

vielmehr versuchen, die Komplexität und Widersprüchlichkeit des Nationalsozialismus in den

verschiedensten Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens zu verdeutlichen: Der Bogen sollte sich von

der Politik über den Alltag, von der Wirtschaft zur Kunst, von den Mitgliedern der NSDAP bis zu den

Vertriebenen, von den jubelnden Teilnehmern der nationalsozialistischen Massenveranstaltungen bis zur

Vertreibung und Vernichtung der Gegner von Opfern des Nationalsozialismus spannen. Diese Ausstellung

soll zunächst in Wien und danach in der Gedenkstätte Konzentrationslager Mauthausen gezeigt werden.

Als weitere historische Ausstellung soll in der Gedenkstätte Projektarbeiten von Schülern und Lehrern zum

Thema ,,Vereinnahmung der Jugend in der NS - Zeit" präsentiert werden.

2. An künstlerischen Auseinandersetzungen mit der Thematik ist eine Sonderstellung der Meisterklasse

Prof. Frohner zum Thema “Gewalt” in der Gedenkstätte Mauthausen geplant, ferner eine große Open air -

Veranstaltung, die durch Auswahl der Künstler für alle Altersgruppen der Bevölkerung ansprechend sein

wird,

schließlich im Gedenken an die Verfolgung aus rassischen Gründen eine Veranstaltung des

Kulturvereines der Roma und Sinti mit Harry Stojka und anderen Künstlern.

3. Als Gedenkveranstaltungen im engeren Sinne sind vorgesehen:

Die Eröffnung der Ausstellung am 11. März 1998 in Wien, am 31. März 1998 eine Erinnerung an den ersten

Transport österreichischer Häftlinge in das KZ Dachau, die alljährliche Befreiungsfeier in Mauthausen und

den ehemaligen Nebenlagern am 10. Mai 1998, ferner am 8. August 1998 eine Gedenkveranstaltung

anläßlich der Einrichtung des KZ Mauthausen mit einer Großveranstaltung im Steinbruch unter

Einbeziehung der Todesstiege unter dem Titel ,,Vernichtung durch Arbeit", im Oktober 1998 die

Überführung

von Erde aus der Aschenhalde von Mauthausen zum Stephansdom in Wien in feierlicher

Zeremonie und mit ökumenischem Gottesdienst am 8. Oktober schließlich zum Gedenken an die

,‚Reichskristallnacht" gemeinsame Veranstaltungen mit den jüdischen Kultusgemeinden.

III. Vor allem bei der Ausstellung über das Jahr 1938, aber auch bei anderen Veranstaltungen werden

Schüler eine wesentliche Zielgruppe darstellen. Die Schulen werden seitens des Bundesministeriums für

Unterricht und kulturelle Angelegenheiten durch verstärkte Informationsangebote zu einer vertieften

Beschäftigung mit den Themen Nationalsozialismus, Anschluß Österreichs 1938, Errichtung des

Konzentrationslagers Mauthausen, Zweiter Weltkrieg, sowie mit dem Weiterwirken die Menschenrechte

mißachtender Einstellungen bis in die Gegenwart, angeregt und unterstützt werden.

Für eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Themen im Unterricht werden seitens des

Bundesministeriums für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten der zur politischen Bildung bestehende

Referentenvermittlungsdienst zur Zeitgeschichte für Diskussionen und Projekte, sowie

LehrerInnenfortbildungsveranstaltungen angeboten. Weiters werden LehrerInnen und SchülerInnen

wissenschaftlich fundierte Publikationen, wie Informationen über Ausstellungen und Veranstaltungen zur

Verfügung gestellt.

IV. Nationalrat und Bundesrat haben kürzlich beschlossen, daß der 5. Mai, der Tag der Befreiung des

Konzentrationslagers Mauthausen, im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus als Gedenktag

gegen Gewalt und Rassismus begangen werde. Die Gedenkstätte Mauthausen wird damit für Österreich

zum zeitlosen Mahnmal für die Bedrohung der Würde des Einzelnen durch Willkür und

Menschenverachtung. Dadurch gewinnen Demokratie und Rechtsstaat jene Unabdingbarkeit, die sie

benötigen, um angesichts ihrer oft als mühsam empfundenen Handhabung als höchste politische Werte

tradiert werden zu können.

Die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden im Hinblick auf den Gedenktag gegen Gewalt und

Rassismus in ihrem jeweiligen Vollziehungsbereich für Umsetzungsmaßnahmen Sorge zu tragen haben. Im

Innenressort werden die Zielsetzungen des Gedenktages vor allem den Angehörigen der

Sicherheitsexekutive sowie den Zivildienstleistenden nahezubringen sein.

V. Auf Grundlage der bisherigen Planung ist von einem finanziellen Aufwand von ATS 7 Mio. auszugehen.

Davon sind ATS 4 Mio. im Entwurf zum Bundesfinanzgesetz 1998 noch nicht enthalten und werden

ressortintern umgeschichtet werden.