3843/AB XX.GP
Herrn
Präsidenten des Nationalrates
Dr. Heinz FISCHER
Parlament
1017 WIEN
In Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 3912/J betreffend
Multilaterales Investitionsabkommen (MAI), welche die Abgeordneten Barmüller, Peter und
weitere Abgeordnete am 25. März 1998 an mich richteten, stelle ich fest:
Antwort zu den Punkten 1 und 2 der Anfrage:
Das Parlament wird seit Anfang 1997 regelmäßig und nachweislich über den Fortgang der
Verhandlungen informiert. Diese Praxis wird selbstverständlich auch in Hinkunft beibehalten
werden.
Antwort zu Punkt 3 der Anfrage:
Für Streitfälle zwischen Vertragsparteien ist vorgesehen, daß beide Streitparteien gemeinsam
binnen 30 Tagen nach Anhängigmachung des Streitfalls drei Schiedsrichter ernennen. Sollte es
binnen 30 Tagen zu keiner Einigung kommen, kann jede Seite den Generalsekretär von ICSID
ersuchen, die Ernennungen durchzuführen. Schiedsrichter sind unabhängig und unparteiisch.
Für Streitfälle zwischen Investoren und Staaten ist vorgesehen, daß jede Seite einen
Schiedsrichter ernennt und sich die beiden Streitparteien gemeinsam auf einen dritten als
Vorsitzenden
einigen. Schiedsrichter, die binnen 90 Tagen ab Anhängigmachung des
Streitfalls nicht auf diese Weise bestellt wurden, können vom Generalsekretär von ICSID bzw.
vom internationalen Schiedsgerichtshof der internationalen Handelskammer ernannt werden.
Antwort zu Punkt 4 der Anfrage:
Eine Berufung gegen einen Schiedsspruch ist generell nicht vorgesehen Es gibt jedoch die
Möglichkeit einer Annullierung des Schiedsspruches, wenn z.B. das Tribunal nicht
ordnungsgemäß bestellt war, seine Kompetenzen feststellbar überschritten hat, bei
schwerwiegenden Abweichungen von den prozeduralen Bestimmungen des Schiedsgerichts,
bei Korruption etc. Die Entscheidung obliegt wiederum einem Schiedsgericht.
Antwort zu den Punkten 5 und 6 der Anfrage:
Der vorliegende Entwurf definiert Investitionen als jede Art von Vermögenswert, den ein
Investor direkt oder indirekt besitzt oder kontrolliert und der die Merkmale einer Investition
wie Kapitalbindung, Gewinnerwartung und Risikoübernahme erfüllt. Weitere
Einschränkungen des Investitionsbegriffs sind in Verhandlung.
Antwort zu Punkt 7 der Anfrage:
Grundsätzlich sieht der vorliegende Entwurf keine finanziellen Minimalerfordernisse vor, für
die Anwendbarkeit der Bestimmung über Schlüsselpersonal ist aber die Investition eines
erheblichen Kapitalbetrages erforderlich.
Antwort zu Punkt 8 der Anfrage:
Österreichisches Ziel ist es, sicherzustellen, daß nach Abschluß der Verhandlungen der
gesamte österreichische Rechtsbestand mit dem MAI im Einklang steht. Diesem Ziel dient der
umfassende innerösterreichische Koordinierungsprozeß, durch den wesentliche österreichische
Anliegen rechtzeitig erkannt und in die Verhandlungen eingebracht wurden. Dazu gehören z.B.
die
Sicherung des Steuer - und Sozialversicherungssystems, des
Ausländerbeschäftigungs - und
des Ausländergrundverkehrsrechts. Teils konnten in den Verhandlungen Formulierungen
durchgesetzt werden, die der österreichischen Rechtslage entsprechen, in anderen Fällen
machte Österreich von der Möglichkeit Gebrauch, Ausnahmen von MAI - Verpflichtungen
geltend zu machen.
Antwort zu Punkt 9 der Anfrage:
Die letzte Fassung des Entwurfes hält das Recht der Mitgliedstaaten auf eine eigenständige
Umwelt - , Gesundheits - und Arbeitnehmerschutzpolitik ausdrücklich fest, soferne dabei
Ausländer nicht schlechter gestellt werden als Inländer. Sie enthält überdies eine ausdrückliche
Klarstellung, daß normale staatliche Aktivitäten im öffentlichen Interesse jedenfalls keinen
Anspruch auf Entschädigung begründen.
Antwort zu Punkt 10 der Anfrage:
Nein, sofern man davon absieht, daß das MAI möglicherweise das erste internationale
Abkommen, dem Österreich angehört, sein wird, das ein verbindliches Verbot eines Absenkens
von Umwelt - und Sozialstandards mit dem Ziel, ausländische Investoren anzulocken, enthält.
Antwort zu Punkt 11 der Anfrage:
Der Vorsitzende der Verhandlungsgruppe schlug am 17. März folgende Formulierung vor: "A
Contracting Party shall not waive or otherwise derogate from, or offer to waive or otherwise
derogate from, its domestic health, safety, environmental, or labour measures, as an
encouragement to the establishment, acquisition, expansion operation, management,
maintenance, use, enjoyment and sale or other disposition of an investment of an investor.”
Diese Formulierung hat bindenden Charakter und wird von der Mehrheit der
Verhandlungsteilnehmer
getragen.
Antwort zu Punkt 12 der Anfrage:
Generelle Ausnahmen gelten im MAI wie in anderen internationalen Abkommen für alle
Vertragsparteien und nehmen einzelne Sektoren bzw. Maßnahmen vom Anwendungsbereich
des Abkommens bzw. einzelner Bestimmungen des Abkommens aus. Im Rahmen der MAI -
Verhandlungen werden generelle Ausnahmen
1) für essentielle nationale Sicherheitsinteressen,
2) für in der Charter der Vereinten Nationen vorgesehene Maßnahmen zur
Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit,
3) zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung,
4) für regionale wirtschaftliche Integrationsorganisationen,
5) für Geld - und Währungspolitik bzw. in schweren Zahlungsbilanzkrisen,
6) für den Kulturbereich, und
7) für Steuern und Sozialversicherungsrnaßnahmen
diskutiert.
Die Berufung auf essentielle nationale Sicherheitsinteressen ist nur möglich
* in Zeiten von Krieg, bewaffneten Konflikten oder anderen Notfällen in internationalen
Beziehungen,
* zur Umsetzung nationaler Politiken oder internationaler Abkommen über die
Nichtproliferation von Massenvernichtungswaffen, und
* betreffend die Produktion von Waffen und Munition.
Antwort zu Punkt 13 der Anfrage:
Die Mehrheit der Verhandlungsteilnehmer tritt dafür ein, daß keine länderspezifischen
Ausnahmen von der Definition von Investor und Investition, vom Investitionsscllutz - und vom
Streitbeilegungsteil
möglich sein sollen.
Antwort zu Punkt 14 der Anfrage:
Grundsätzlich ist gemäß dem Rechtsgrundsatz "pacta sunt servanda” das Anmelden weiterer
Ausnahmen nach dem Inkrafttreten des MAI nicht möglich. Ob bzw. in welchem Umfang
Ausnahmen von diesem Grundsatz, z.B. im Falle der Entwicklung neuer Technologien,
möglich sein sollen, ist noch Gegenstand der Verhandlungen. Österreich hat in diesem
Zusammenhang einen Vorschlag eingebracht, der nach dem Vorbild von Artikel XXI GATS
die Zulässigkeit neuer Ausnahmen vorsieht sofern das Gesamtliberalisierungsniveau dadurch
nicht gesenkt wird.
Antwort zu den Punkten 15, 16 und 17 der Anfrage:
Nein.
Antwort zu den Punkten 18 und 19 der Anfrage:
Grundsätzlich können auch geistige Eigentumsrechte eine Investition im Sinne des MAI
darstellen. Verhandlungen darüber, in welchem Umfang sie und kulturelle Industrien
tatsächlich von den Abkommensdisziplinen erfaßt sein sollen, sind noch im Gange. Ziel ist es,
bestehende internationale Übereinkünfte im Rahmen der WTO (vor allem GATS und TRIPS -
Abkommen) und der WIPO (World Intellectual Property Organisation) nicht in Frage zu
stellen.
Antwort zu Punkt 20 der Anfrage:
Die meisten Verhandlungsteilnehmer sind der Ansicht, daß das MAI Bestimmungen gegen
extraterritorial wirkende nationale Investitionsgesetze enthalten sollte. Die EU hat Vorschläge
für entsprechende Abkommensbestimmungen eingebracht. Die Verhandlungen darüber sind
noch
nicht abgeschlossen.
Antwort zu Punkt 21 der Anfrage:
Der derzeitige Entwurf enthält keine derartige Bestimmung, eine solche wurde im bisherigen
Verhandlungsverlauf auch nicht diskutiert.
Antwort zu Punkt 22 der Anfrage:
Die österreichische Delegation wird vom Leiter der zuständigen Abteilung des BMwA geleitet,
weitere Teilnehmer kommen, dem jeweiligen Verhandlungsgegenstand entsprechend, aus den
fachlich zuständigen Abteilungen des BMwA, des BKA, des BMaA, des BMF und des
BMAGS sowie aus der Nationalbank. In die innerösterreichische Willensbildung sind nicht nur
alle betroffenen Bundesministerien und die Verbindungsstelle der Bundesländer, sondern auch
die Sozialpartner, das sind neben den Kammern auch der ÖGB und die VÖI, eingebunden.
Antwort zu Punkt 23 der Anfrage:
Österreich unterstützt von Beginn an die Bemühungen, mit dem MAI ein umfassendes
internationales Abkommen für den Investitionsbereich zu schaffen, das hohe Liberalisierungs -
und Investitionsschutzstandards setzt und über einen effektiven Streitbeilegungsmechanisimus
verfügt. Daneben hat die österreichische Delegation die im Zuge der innerösterreichischen
Koordinierung identifizierten spezifisch österreichischen Anliegen zu vertreten (vgl. oben
Antwort zu Frage 8). Als Ergebnis dieses Koordinierungsprozesses setzte sich Österreich auch
von Beginn an für bindende Verbote von Umwelt - und Sozialdumping ein.
Antwort zu Punkt 24 der Anfrage:
Ich bin laufend über den Verhandlungsfortgang und die von Österreich vertretenen Positionen
informiert. Schriftliche Weisungen hinsichtlich Verhandlungsführung und
Informationsweitergabe
an das Verhandlungsteam erfolgten keine.
Antwort zu Punkt 25 der Anfrage:
Österreich unterstützt das in der Präambel enthaltene Bekenntnis zur Rio - Deklaration über
Umwelt und Entwicklung, zur Agenda 21, zur Kopenhagen - Erklärung des Weltgipfels über
Soziale Entwicklung und zur Einhaltung international anerkannter Kernarbeitsstandards und
hat als erstes Land überhaupt auf die Aufnahme verbindlicher Verbote für Umwelt - und
Sozialdumping in das MAI gedrängt.
Österreich tritt für effektive, Rechtssicherheit gewährleistende Mechanismen zur Beilegung
von Konflikten zwischen Teilnehmerstaaten und zwischen Investoren und Staaten ein. Der
Wert des Abkommens hängt entscheidend von der Durchsetzbarkeit seiner Bestimmungen ab.
Basis der im MAI - Entwurf enthaltenen Bestimmungen zur Streitbeilegung sind die
Regelungen in bestehenden bilateralen Investitionsschutzabkommen, die wiederum auf einem
OECD - Musterabkommen beruhen. Auf die Kompatibilität der Verfahren mit den in der WTO
vorgesehenen sowie mit anderen internationalen Übereinkommen in diesem Bereich (ICSID,
UNCITRAL, CIC) wurde besonders geachtet.
Antwort zu Punkt 26 der Anfrage:
Die österreichischen Vorstellungen zu Umwelt - und Sozialfragen wurden mündlich im
Rahmen der Verhandlungen vorgebracht.
Antwort zu Punkt 27 der Anfrage:
Die innerösterreichische Meinungsbildung darüber, ob in den Bereichen Umwelt - und
Arbeitnehmerschutz länderspezifische Ausnahmen notwendig sein werden, ist noch nicht
abgeschlossen.
Antwort zu Punkt 28 der Anfrage:
Die Verhandlungen unterliegen der Vertraulichkeit, ein Eingehen auf von einzelnen Ländern
vertretene konkrete Positionen ist daher nicht möglich. Zu den vor dem erfolgreichen
Abschluß der Verhandlungen zu klärenden Fragen gehören neben den Bereichen Umwelt und
Soziales, Extraterritorialität und Streitbeilegung z.B. auch die Sicherstellung der weiteren
europäischen Integration, die Behandlung von kulturellen Industrien sowie von Beihilfen.
Antwort zu Punkt 29 der Anfrage:
Die OECD richtet seit Beginn der MAI - Verhandlungen regelmäßig
Informationsveranstaltungen für interessierte Nicht - OECD - Staaten aus. Einige Staaten, die ihr
großes Interesse, Gründungsmitglied des MAI zu werden, bekundeten, nehmen als Beobachter
an den Verhandlungen teil. Es sind dies seit 1997 Argentinien, Brasilien, Chile, Hong Kong
und die Slowakische Republik, ab der nächsten Sitzung der Verhandlungsgruppe werden
Estland, Lettland und Litauen hinzukommen.
Antwort zu Punkt 30 der Anfrage:
Eine einseitige Abänderung von Bestimmungen des Abkommens nach dessen Inkrafttreten ist
nicht möglich. Alle MAI - Mitglieder haben aber, unabhängig davon, ob sie auch OECD -
Mitglieder sind bzw. ob sie Gründungsmilglieder sind oder dem MAI später beitreten,
grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten, länderspezifische Ausnahmen für sensible Bereiche,
in denen die nationale Gesetzgebung den MAI - Verpflichtungen nicht entspricht, anzumelden.