4088/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Povysil, Mag. Haupt und Kollegen haben an

mich eine schriftliche Anfrage, betreffend Mißbrauch und Mißhandlung von Kindern

und Jugendlichen in der Familie, gerichtet und folgende Fragen gestellt:

“1. Wie viele Kinder - und Jugendrichter gibt es in Österreich pro Bundesland?

2. Wie viele dieser Anwaltschaften haben Schwerpunkte im Bereich Mißbrauch

und Mißhandlung?

3. Welche Änderungen oder Beiträge sehen Sie in bezug zu Mißbrauch und Miß -

handlung, die in das neue Ärztemeldegesetz eine Aufnahme finden sollten?

4. Welche Anregungen zu diesem Themenkreis wurden mit Ihren Ressortkolle -

gen bereits vorab besprochen?

5. Welche Bestrebungen gibt es in Ihrem Ressort, den in diesem Zusammen -

hang nachgewiesenen Patiententourismus bei Mißbrauch/Mißhandlung in den

Spitälern Einhalt zu gebieten? Was halten Sie von der Einrichtung einer en -

tralen Meldestelle pro Bundesland?

6. Durch die schwachen vorgesehenen Änderungen im Sexualstrafrecht, welche

weiteren begleitenden Maßnahmen sind seitens Ihres Ressorts vorgesehen?

Einerseits in Belangen des Opferschutzes, andererseits zu einer möglichen

Prävention?

7. Welche Vereinfachungen sehen Sie in bezug auf Strafverfahren und die Er -

leichterung der Aussagen der Opfer vor Gericht?

8. Welche weitere Handhabung oder Erleichterung im Falle von Sexualverbre -

chen sehen Sie bei der Interpretation der sogenannten "Unschuldsklausel"?

9. Welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen Sie im Bereich der Exekutive

(Gendarmerie und Polizei) sowie Jugend - und andere Gerichte, daß die Aus -

sagen von Kindern und Jugendlichen auch den nachhaltigen Stellenwert, der

ihnen auch eigentlich gebührt, berücksichtigt wird?

10. Im Sinne von Rehabilitation von Opfern klagen mehrere Jugendanwaltschaften

über  fehlende Wohngemeinschaften - Welche Maßnahmen sehen Sie in die-

sem Bereich kurzfristig wie mittelfristig? Aus welchen Bundes - oder Landes -

mitteln können Sie sich die Abdeckungen vorstellen?

11. In welchen Bereichen der Gesetzgebung gedenken Sie die Forderung der Op -

fer nach Prozeßbegleitung, sprich kostenfreien juristischen Rechtsbeistand als

Anspruch zu verankern?

12. Wie wird der Aktenlauf und die psychologische Arbeit der Jugendämter über -

prüft?

13. Welche Erfahrungswerte haben Sie in bezug auf das Wegweiserecht und

Rückkehrverbot (§ 38a SPG [Sicherheitspolizeigesetz 1997]), welches ja bei

Rückführung des Täters in die Familie zu neuerlicher Gewalt führen kann?

14. Welche Erfahrungswerte haben Sie in bezug auf die einstweilige Verfügung

(gem. § 382 EO [Exekutionsordnung]), welche ja einen längerfristigen Schutz

vor dem Täter bietet und auch das Umfeld des Opfers (§ 382b Absatz 1 und

Absatz 2 der EO) schützt?

15. Ist Ihnen das “Hannoversche Modell” bekannt? Welche Bestrebungen sehen

Sie als wünschenswert und realisierbar in der übergreifenden Zusammenar -

beit von Exekutive, Justiz und psychologischen Diensten?

16. In bezug zu den vorhandenen Beratungsstellen (Kinderschutzzentren, Frauen -

häusern, etc. ..., Exekutive und Justiz) wird von den Opfern die hohe Hemm -

schwelle der Aufsuchung solcher Stellen betont. Welche Bestrebungen haben

Sie, den Zugang zu solchen Zentren zu erleichtern?

17. Gewalt in der Familie kommt sicherlich auch durch die Gewalt in den Medien.

Welche Bestrebungen haben Sie ressortübergreifend in diesen Belangen?

18. Aus diversen Gesprächen mit Jugendrichtern konnte man feststellen, daß die

Mehrheit der Hinweise über Mißbrauch/Mißhandlung aus dem Bereich der Er -

ziehung (Kindergarten, Schulen) und aus dem medizinischen Bereich stam -

men. Welche begleitenden Maßnahmen gedenken Sie hier einzubringen, und

zwar in bezug auf Einbindung der “Erstmelder” in eine Art “Vorhilfepro -

gramm”? Diese Personengruppen stehen bereits in einer besonderen Schwei -

gepflicht und könnten so optimal eingebunden werden.

19. Wie viele Fälle von Kindesentzug der leiblichen Eltern gibt es pro Jahr und pro

Bundesland?

20. Wie viele Fälle von Zuweisungen von Kindern und Jugendlichen an Pflegeel -

tern gibt es pro Jahr und pro Bundesland?

21. Welche Ergänzungen sehen Sie im Sexualstrafrecht auf die Verjährungsfrist

der Tat im Hinblick auf die lange Aufarbeitungszeit der Opfer?

22. Wie sehen Sie angesichts dieser Problematik eine etwaige Lockerung der Ad -

optionsbestimmungen?

23. Wie sieht die Bestellung der Jugend - und Kinderrichter/Anwälte effektiv aus?

Wie wird dessen fachliche Kompetenz überprüft?”

Ich beantworte diese Fragen wie folgt:

Zu 1:

Ich schicke voraus, daß eine gesonderte Erfassung der Zahl der in Angelegenheiten

von Kindern und Jugendlichen tätigen Richter nicht erfolgt und daß eine genaue Er -

hebung aus Anlaß dieser Anfrage nur mit unvertretbarem Aufwand möglich wäre.

Eine annäherungsweise Ermittlung ist jedoch möglich, wobei zwischen den soge -

nannten Außerstreitsachen (zu denen auch die - zumeist Kinder und Jugendliche

betreffenden - Pflegschaftssachen zählen) einerseits und den Jugendstrafsachen

andererseits zu differenzieren ist.

Zum Stichtag 1.1.1998 waren in bezirksgerichtlichen Außerstreitsachen bundesweit

341 (gerechnet nach köpfen) bzw. 121,76 (gerechnet nach Vollzeitkräften) Richter

tätig. Die meisten der in Außerstreitsachen tätigen Richter bearbeiten - zumindest

mit einem Teil ihrer Arbeitskraft - auch Pflegschaftssachen; die meisten dieser

Pflegschaftssachen betreffen Kinder und Jugendliche. Der Anteil der für Pfleg -

schaftssachen aufgewendeten richterlichen Kapazitäten kann (gemessen an für das

Jahr 1996 ermittelten Werten) mit durchschnittlich etwa 36,3% der richterlichen Voll -

zeitkapazitäten im Außerstreitbereich beziffert werden (das sind 44,2 Vollzeitkräfte).

Die folgende Übersicht zeigt die Aufteilung auf die einzelnen Bundesländer:

 

 Aßerstreitrichter pro Bundesland

(Bezirksgerichte)

hievon

Arbeits -

kapazität in

Pflegschafts -

sachen

Bundesland

 

Beteiligte

Personen

(Köpfe am

1.1.1998)

          

 Arbeits-

            kapazität

 

 

 

              (jeweils in Vollzeitkräften)

Wien

 67

 31,57

 11,46

Burgenland

 11

 3,55

 1,29

Niederösterreich

 62

 19,16

 6,96

Steiermark

 52

 18,81

 6,83

Kärnten

 25

 8,44

 3,06

Oberösterreich

 56

 16,95

 6,15

Salzburg

 22

 6,98

 2,53

Tirol

 30

 10,40

 3,78

Vorarlberg

 16

 5,90

 2,14

Summe

 341

 121,76

 44,20

 

Die Werte beziehen sich ausschließlich auf die Bezirksgerichte, enthalten also nicht

die Tätigkeit der Rechtsmittelinstanzen in diesem Bereich (diese Daten ließen sich

nur durch umfangreiche und mit unverhältnismäßigem Aufwand verbundene Erhe -

bungen ermitteln).

Die derzeit in Jugendstrafsachen bei Bezirksgerichten und Gerichtshöfen erster In -

stanz (einschließlich bezirksgerichtlicher Rechtsmittelsachen) eingesetzte richterli -

che Arbeitskraft läßt sich mit etwa 24 Vollzeitkräften bundesweit beziffern. Davon

entfällt etwa ein Drittel auf den Jugendgerichtshof Wien. Eine Ermittlung der Anzahl

der beteiligten Personen (Kopfzahlen) und ihre Aufteilung auf die einzelnen Bundes -

länder wäre nur mit unvertretbarem Aufwand möglich. Auch der Arbeitsanteil sol -

cher Verfahren bei den Oberlandesgerichten und beim Obersten Gerichtshof wäre

nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermittelbar.

Zu 2:

Sollte sich diese Frage auf Kinder - und Jugendanwaltschaften beziehen, fiele ihre

Beantwortung nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Wenn sie sich jedoch entge -

gen ihrem Wortlaut auf die richterliche Tätigkeit beziehen sollte, wäre festzuhalten,

daß hier schon im Hinblick auf die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen keine

derartigen Schwerpunkte bestehen.

Zu 3, 4, 5 und 16:

Mit der Neuregelung der Anzeigepflicht nach § 84 StPO durch das Strafprozeßän -

derungsgesetz 1993, BGBI.Nr. 526, strebte der Gesetzgeber einerseits eine Präzi -

sierung der Reichweite dieser Verpflichtung im Bereich der Hoheitsverwaltung, an -

dererseits eine inhaltliche Einschränkung für die Fälle an, in denen die Anzeige eine

amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen

Vertrauensverhältnisses bedarf (§ 84 Abs. 2 Z 1 StPO). Damit wurde das Ziel ver -

folgt, jenen Organen, die in beratender und betreuender Funktion tätig sind, die

Wahrung schon bestehender Vertrauensverhältnisse sowie die glaubwürdige Zusi -

cherung der Vertraulichkeit gegenüber hilfsbedürftigen Personen für die Zukunft zu

ermöglichen und dadurch die mit einer uneingeschränkten Anzeigeverpflichtung

verbundene Hemmschwelle für die Inanspruchnahme von Rat und Hilfe abzubauen.

Das Recht, auch in solchen Fällen Anzeige erstatten zu können, blieb dadurch un -

berührt.

Auf der Grundlage ihrer früheren Erfahrungen äußerten nahezu alle Experten im

Bereich der Jugendwohlfahrt und der kooperierenden Einrichtungen, daß die sofor -

tige und obligatorische Einleitung eines Strafverfahrens in allen Fällen, in denen ein

Verdacht auf Gewaltanwendung gegen Minderjährige oder auf sexuellen Mißbrauch

besteht, aus der Sicht der Opfer kontraproduktiv sein kann und häufig auch ist. Dif -

ferenzierungen der Anzeigepflicht sind vor allem im Bereich des Mißbrauchs und

der Mißhandlung von Kindern und Jugendlichen in der Familie nach bisherigen Er -

fahrungen aller in diesem Bereich tätigen Einrichtungen eine wichtige Vorausset -

zung, um einerseits mit Hilfe eines kooperierenden Netzwerks von Hilfseinrichtun -

gen und befaßten Institutionen tatsächlich wirksamen Schutz anbieten zu können

und andererseits der Gefahr einer “sekundären Viktimisierung" durch ein voreilig

ausgelöstes Strafverfahren, auf das das minderjährige Opfer nicht entsprechend

vorbereitet werden konnte, vorzubeugen.

Da im Rahmen des Strafverfahrens nur begrenzte Hilfsmöglichkeiten der Behörden

für das Opfer bestehen und zudem die Voraussetzungen für die Verhängung der

Untersuchungshaft in den ersten Stadien des Strafverfahrens häufig nicht vorliegen,

bedarf ein Minderjähriger in dieser Situation primär fachkundiger und auf den kon -

kreten Fall abgestimmter Hilfe, die weit über das strafrechtliche Instrumentarium

hinausreicht.

Im Zuge der angesprochenen Krisenintervention werden häufig auch Ärzte in bera -

tender oder betreuender Funktion tätig, die nach § 27 des Ärztegesetzes grundsätz -

lich verpflichtet sind, dann Anzeige zu erstatten, wenn Anzeichen dafür festgestellt

werden, daß durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder die schwere

Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt oder daß durch das Quälen oder

Vernachlässigen eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen dieser am Kör -

per verletzt oder an der Gesundheit geschädigt wurde. Zur Beseitigung der in die -

sem Spannungsfeld entstandenen Unsicherheiten stellte das (vormalige) Bundesmi -

nisterium für Gesundheit und Konsumentenschutz im Einvernehmen mit dem Bun -

desministerium für Justiz durch Erlaß vom 4. September 1996 (GZ

208.152/3-II D/14/96) klar, daß § 84 StPO gegenüber § 27 Ärztegesetz als speziel -

lere Norm anzusehen und somit die Anzeigepflicht nicht nur für Amtsärzte usw.,

sondern für alle Ärzte in diesem Rahmen eingeschränkt sei. Dabei zeichnete sich

jedoch der Bedarf nach einer klarstellenden Neuregelung der ärztlichen Anzeige -

pflicht ab.

Das Bundesministerium für Justiz wurde mehrfach auf Beamtenebene zu Beratun -

gen über eine Novellierung des Ärztegesetzes beigezogen und unterstützt die Be -

mühungen zur Angleichung der Anzeigepflicht der Ärzte an die Regelungen des

§ 84 StPO. Inzwischen hat das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und So -

ziales den Entwurf eines Ärztegesetzes 1998 zur Begutachtung ausgesendet, der

auch auf diese Frage Bedacht nimmt.

Das Bundesministerium für Justiz hat sich aus den angeführten Gründen immer für

den Vorrang des Opferschutzes und daher für eine Stärkung des “Helfersystems”

anstelle zwingender sofortiger Strafverfolgung ausgesprochen. In diesem Zusam -

menhang spricht sich das Bundesministerium für Justiz - neben der auch für Ärzte

klarzustellenden Möglichkeit, bei Verdacht einer strafbaren Handlung Anzeige er -

statten zu können - für eine zentrale Erfassung von Mißbrauchs - und Mißhand -

lungsfällen an Minderjährigen beim Jugendwohlfahrtsträger aus, nicht jedoch für ei -

ne “Zentralmeldestelle”, wie sie ursprünglich erwogen wurde. Eine uneingeschränk -

te Meldepflicht an eine solche Stelle würde nämlich mit Verschwiegenheitspflichten

in Konflikt stehen und der Gefahr eines vorzeitigen Abschiebens der Verantwortung

(u.a. der Ärzte) auf öffentliche Stellen Vorschub leisten. Darüber hinaus bestünde

letztlich die Gefahr, daß gewalttätige Eltern ihre Kinder häufiger als bisher keiner

ärztlichen Behandlung zuführen würden.

Was den in Frage 16 auch angesprochenen Zugang zu Gericht betrifft, ist zum ei -

nen zu bemerken, daß dieser durch die Hilfe professioneller Rechtsbeistände er -

leichtert werden kann. Zum anderen ist auf den Amtstag bei Gericht hinzuweisen,

mit dem ein in der Bevölkerung anerkanntes Instrument zur Erlangung von Rat und

Hilfe bei rechtlichen Problemen, vor allem im Bereich der Familie, zur Verfügung

steht. In diesem Zusammenhang sei aber auch die Einrichtung der Verbrechensop -

ferberatung erwähnt. Das Bundesministerium für Justiz und die österreichische

Rechtsanwaltschaft haben sich dahin verständigt, daß Rechtsanwälte im Rahmen

der unentgeltlichen “Ersten anwaltlichen Auskunft” bundesweit - grundsätzlich im

Anschluß an den bezirksgerichtlichen Amtstag im jeweiligen Gerichtsgebäude - ko -

stenlose Beratung für Verbrechensopfer anbieten.

Zu 6:

Die im Strafrechtsänderungsgesetz 1998 vorgesehenen Änderungen verstehen sich

als (nicht zuletzt im Hinblick auf die Entschließungen des Nationalrates vom

26.2.1998, E-105-NR, XX. GP, und des Bundesrates vom 12.2.1998, E-154-BR/98,

vorgezogene) Teilnovelle des Sexualstrafrechts. In der Regierungsvorlage 1230

BlgNR XX. GP ist ausdrücklich festgehalten, daß die Reformüberlegungen sowohl

im Bereich des materiellen Rechts als auch im Bereich des strafprozessualen Op -

ferschutzes weitergehen werden.

In diesem Zusammenhang verweise ich insbesondere auf den erst kürzlich veröf -

fentlichten Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens,

der Opfern, die durch eine strafbare Handlung schwer am Körper oder in ihrer sexu -

ellen Integrität erheblich verletzt wurden, umfassende Verfahrensrechte einräumen

will.

Zu 7:

Das Strafrechtsänderungsgesetz 1998 (Regierungsvorlage 1230 der BIgNR

XX. GP) enthält unter anderem Änderungen der Strafprozeßordnung, die zum Ziel

haben, die Belastung minderjähriger Opfer von Mißbrauch und Mißhandlung in der

Familie so gering wie möglich zu halten:

1. Sämtlichen Opfern von Sexualdelikten soll nach vorangegangener einmaliger

Vernehmung unter schonenden Bedingungen das Recht eingeräumt werden, sich

weiterer Zeugenaussagen zu entschlagen.

2. Die Möglichkeiten schonender Vernehmung sowohl im Vorverfahren als auch in

der Hauptverhandlung sollen ausgeweitet werden, und zwar durch

o die zwingende schonende Vernehmung noch nicht l4jähriger Zeuginnen und

Zeugen, die Opfer von Sexualdelikten geworden sind,

o die Erweiterung des Kreises der antragsberechtigten Personen auf sämtliche Op -

fer von Sexualdelikten,

o die Erweiterung des Kreises der in der Hauptverhandlung schonend zu verneh -

menden Personen auf alle Zeugen, bei denen dies in ihrem Interesse oder im In -

teresse der Wahrheitsfindung zweckmäßig ist (z.B. auch auf Minderjährige, die

mitansehen mußten, wie ein Elternteil vergewaltigt, mißhandelt oder verletzt wur -

de, oder wenn ein Kind über seine Wahrnehmungen zum sexuellen Mißbrauch

an Geschwistern befragt werden soll),

o die Möglichkeit der Vernehmung durch einen Sachverständigen auch bei ande -

ren als noch nicht 14 Jahre alten Zeuginnen und Zeugen.

Zu 8:

Die in Art. 6 Abs. 2 MRK verfassungsrechtlich verankerte Unschuldsvermutung und

deren Interpretation durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte las -

sen für “Erleichterungen” keinen Spielraum.

Zu 9:

Das Bundesministerium für Justiz ist bemüht, vor allem durch eine verstärkte Ausbil -

dung der Richter und Staatsanwälte auf dem Gebiet der Vernehmungskunde die

Belastung von Kindern im Strafverfahren so gering wie möglich zu halten.

Darüber hinaus sieht das Strafrechtsänderungsgesetz 1998 eine Ausweitung der

Möglichkeit der Zeugenvernehmung durch einen Sachverständigen vor, der kraft

seiner Ausbildung und Berufserfahrung, zumeist auf dem Gebiet der Kinderpsycho -

logie oder Kinderpsychiatrie, besonders in der Lage ist, die Befragung kindgerecht

zu gestalten.

Im übrigen trete ich dafür ein, die Zahl der Befragungen und Vernehmungen von

Kindern und Jugendlichen zu reduzieren und nach Möglichkeit auf eine einzige kon -

tradiktorische und schonende Vernehmung zu konzentrieren.

Zu 10 und 12:

Nach Art. 12 Abs. 1 Z 1 B-VG gehören die Ausführungsgesetzgebung und Vollzie -

hung in Angelegenheiten der Jugendwohlfahrt in die Kompetenz der Länder. Die

Beantwortung dieser Fragen fällt somit nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.

Zu 11:

Der zu Frage 6 erwähnte Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen

Vorverfahrens sieht die Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts im Rahmen der

Schaffung einer eigenständigen Verfahrensstellung für die Opfer von Gewalt - und

Sexualdelikten vor.

Zu 13 und 14:

Die Vollziehung von Wegweiserecht und Rückkehrverbot nach § 38a Sicherheitspo -

lizeigesetz fällt nicht in meinen Wirkungsbereich. Allerdings zeigt sich nach bishen -

gegen Erfahrungen, daß in annähernd 80 % der an die Gerichte herangetragenen

Fälle wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Zusammenhang mit Ge -

walt im häuslichen Bereich Interventionen der Sicherheitsorgane vorangegangen

waren und sich die Auffassungen der Sicherheitsorgane und der Gerichte über die

Gefährlichkeit des Täters weitgehend zu decken scheinen, zumal die Gerichte nur

in etwa 2 % der Fälle nach vorangegangener Intervention der Sicherheitsorgane

den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abgewiesen haben.

Zu 15:

Das "Hannoversche lnterventionsprojekt gegen Männergewalt in der Familie

(HAIP)” will vor allem die hohe Gewaltquote in Familien durch sinnvoll vernetzte In -

tervention aller beteiligten Institutionen (polizeiliche Einsatzkräfte, Polizei - Sozialar -

beit, Kriminaldienst, Staatsanwaltschaft, Täter - Opfer - Ausgleich im Rahmen des Ver -

eins "Waage Hannover”, “Bestärkungsstelle für von Gewalt betroffene Frauen”,

Männerbüro Hannover) reduzieren helfen.

Ähnliche Bestrebungen haben im Gefolge des am 1. Mai 1997 in Kraft getretenen

Gesetzes zum Schutz vor Gewalt in der Familie auch in Österreich eingesetzt. Da -

bei geht es insbesondere um eine Vernetzung und Verbesserung der Kooperation

zwischen Sicherheitsbehörden, Gerichten, Interventionsstellen und anderen Hilfs -

einrichtungen, wodurch ein abgestimmtes und effektiveres Vorgehen aller mit dem

Problem der Gewalt in der Familie befaßten Institutionen erreicht werden soll. Die

geplante Strafprozeßnovelle 1998 (Diversionskonzept) wird weitere Möglichkeiten

einer sinnvollen, einzelfallbezogenen Reaktion auf Gewalthandlungen im sozialen

Nahraum eröffnen, insbesondere - wie in Hannover - die Zuweisung zu einem so -

zialen Trainingsprogramm (“Therapieweisung”).

Zu 17:

Zu den ressortübergreifenden Bestrebungen, Gewalt in den Medien wirksam zu be -

gegnen, verweise ich auf das von der Bundesregierung am 30. September 1997 be -

schlossene Aktionsprogramm gegen Gewalt in der Gesellschaft, das sich auch mit

dieser Frage beschäftigt. Der vom Bundesminister für Inneres eingerichtete Gewalt -

präventionsbeirat, in dem auch das Justizressort vertreten ist, hat es übernommen,

laufend den Stand der Umsetzung dieses Programms festzustellen. Hervorzuheben

sind auch die Arbeiten auf europäischer Ebene - ich erinnere insbesondere an das

Grünbuch der Europäischen Kommission über den Jugendschutz und den Schutz

der Menschenwürde in den audiovisuellen und Informationsdiensten.

Zu 18:

Hier ist zunächst auf die Ausführungen zu den Fragen 3, 4, 5 und 16 und auf die

Bemühungen zur Differenzierung der Anzeigepflicht zu verweisen. An pädagogi -

sche und medizinische Berufsgruppen richten sich mehrere, überwiegend vom Bun -

desministerium für Umwelt, Jugend und Familie herausgegebene Folder und Bro -

schüren, die wichtige Informationen und Hinweise zur Vernetzung zwischen den

spezifischen Hilfseinrichtungen und den anderen befaßten Institutionen enthalten

(so z.B. der Folder "Gewalt am Kind erkennen, verstehen, helfen”).

Zu 19 und 20:

Nach der Statistik der Jugendwohlfahrt 1995 befanden sich am 31.12.1995 3.140

Minderjährige aufgrund einer gerichtlichen Verfügung in der Betreuung eines Ju -

gendwohlfahrtsträgers in Form voller Erziehung, darunter 1.725 Minderjährige bei

einer Pflegefamilie.

Zu 21:

Das Strafrechtsänderungsgesetz 1998 sieht eine Verlängerung der Verjährungsfrist

bei bestimmten Sexualdelikten vor, indem die Frist erst mit Erreichung der Volljäh -

rigkeit des Opfers zu laufen beginnen soll. Durch diese Maßnahme soll vorrangig

der besonderen psychologischen Situation insbesondere zur Tatzeit unmündiger

Sexualopfer Rechnung getragen werden.

Zu 22:

Die Regelungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs über die Adoption die -

nen in erster Linie dem Schutz des minderjährigen Wahlkindes. Im Zusammenwir -

ken mit den korrespondierenden Verfahrensregelungen haben sie aber auch sicher -

zustellen, daß Eltern nicht ohne triftige Gründe aus dem Bereich des Kindeswohls

gegen ihren Willen ihre Kinder entzogen werden. In diesem Sinn verfügt Österreich

über ein ausgewogenes und die Annahme an Kindesstatt durchaus förderndes Ad -

optionsrecht.

Die Frage nach einer “Lockerung” der Adoptionsbestimmungen geht offenbar davon

aus, daß das geltende Adoptionsrecht Annahmen an Kindesstatt unnötig behindere.

Tatsächlich liegt nach den Erfahrungen des Bundesministeriums für Justiz das Pro -

blem aber nicht im rechtlichen Bereich. Es gibt eine große Nachfrage nach Adoption

von Kindern, allerdings fast ausschließlich von Neugeborenen oder jedenfalls ganz

kleinen Kindern, nur geringe Bereitschaft hingegen zur Annahme älterer, insbeson -

dere durch Mißbrauch oder Mißhandlung seelisch gestörter, Kinder.

Zu 23:

Im Rahmen des vierjährigen richterlichen Ausbildungsdienstes, der in allen Sparten

der Rechtspflege stattfindet, werden die Richteramtsanwärter auch auf dem Gebiet

des Außerstreit - und Pflegschaftsrechts ausgebildet.

Die Ernennung zum Richter erfolgt - ohne Zuweisung bestimmter richterlicher Ge -

schäfte - auf eine bestimmte Richterplanstelle. Die Verteilung der richterlichen Ge -

schäfte auf die einzelnen Richter eines Gerichts wird erst durch die von den richter -

lichen Personalsenaten jeweils beschlossene Geschäftsverteilung bestimmt.

Aus verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen ergeben sich Vorgaben für die von

den Personalsenaten festzulegende Geschäftsverteilung. So bestimmt § 26 Abs. 3

des Gerichtsorganisationsgesetzes, daß bestimmte familienrechtliche und außer -

streitige Angelegenheiten grundsätzlich derselben Gerichtsabteilung zuzuweisen

sind. Wenn diese Rechtssachen wegen des Geschäftsumfangs mehreren Gerichts -

abteilungen zuzuweisen sind, sind sie so zu verteilen, daß alle dieselbe Personen -

gruppe (Eltern und Kinder, Ehegatten und geschiedene Ehegatten) betreffenden fa -

milienrechtlichen Angelegenheiten zu derselben Gerichtsabteilung gehören.

Weitere Vorgaben enthält das Jugendgerichtsgesetz (JGG). Nach § 26 Abs. 2 JGG

sind bei den Bezirksgerichten die Vormundschafts - und Pflegschaftssachen von

Minderjährigen, die Jugendstrafsachen und die Jugendschutzsachen derart densel -

ben Gerichtsabteilungen zuzuweisen, daß alle dieselben Minderjährigen betreffen -

den Angelegenheiten zu einer Gerichtsabteilung gehören, es sei denn, daß dies aus

schwerwiegenden Gründen der Geschäftsverteilung nicht möglich ist. Gemäß § 30

JGG müssen die mit Jugendstrafsachen zu betrauenden Richter und Staatsanwälte

über das erforderliche pädagogische Verständnis verfügen und sollen besondere

Kenntnisse auf den Gebieten der Psychologie und Sozialarbeit aufweisen.

Eine besondere Situation ergibt sich beim Jugendgerichtshof Wien und beim Ju -

gendgericht Graz, wo von vornherein absehbar ist, daß die dort ernannten Richter

in Jugendliche betreffenden Rechtsangelegenheiten tätig sein werden.

Die Bestellung von Kinder - und Jugendanwälten gehört nicht zu meinem Vollzie -

hungsbereich.