4088/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Povysil, Mag. Haupt und Kollegen haben an
mich eine schriftliche Anfrage, betreffend Mißbrauch und Mißhandlung von Kindern
und Jugendlichen in der Familie, gerichtet und folgende Fragen gestellt:
“1. Wie viele Kinder - und Jugendrichter gibt es in Österreich pro Bundesland?
2. Wie viele dieser Anwaltschaften haben Schwerpunkte im Bereich Mißbrauch
und Mißhandlung?
3. Welche Änderungen oder Beiträge sehen Sie in bezug zu Mißbrauch und Miß -
handlung, die in das neue Ärztemeldegesetz eine Aufnahme finden sollten?
4. Welche Anregungen zu diesem Themenkreis wurden mit Ihren Ressortkolle -
gen bereits vorab besprochen?
5. Welche Bestrebungen gibt es in Ihrem Ressort, den in diesem Zusammen -
hang nachgewiesenen Patiententourismus bei Mißbrauch/Mißhandlung in den
Spitälern Einhalt zu gebieten? Was halten Sie von der Einrichtung einer en -
tralen Meldestelle pro Bundesland?
6. Durch die schwachen vorgesehenen Änderungen im Sexualstrafrecht, welche
weiteren begleitenden Maßnahmen sind seitens Ihres Ressorts vorgesehen?
Einerseits in Belangen des Opferschutzes, andererseits zu einer möglichen
Prävention?
7. Welche Vereinfachungen sehen Sie in bezug auf Strafverfahren und die Er -
leichterung der Aussagen der Opfer vor
Gericht?
8. Welche weitere Handhabung oder Erleichterung im Falle von Sexualverbre -
chen sehen Sie bei der Interpretation der sogenannten "Unschuldsklausel"?
9. Welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen Sie im Bereich der Exekutive
(Gendarmerie und Polizei) sowie Jugend - und andere Gerichte, daß die Aus -
sagen von Kindern und Jugendlichen auch den nachhaltigen Stellenwert, der
ihnen auch eigentlich gebührt, berücksichtigt wird?
10. Im Sinne von Rehabilitation von Opfern klagen mehrere Jugendanwaltschaften
über fehlende Wohngemeinschaften - Welche Maßnahmen sehen Sie in die-
sem Bereich kurzfristig wie mittelfristig? Aus welchen Bundes - oder Landes -
mitteln können Sie sich die Abdeckungen vorstellen?
11. In welchen Bereichen der Gesetzgebung gedenken Sie die Forderung der Op -
fer nach Prozeßbegleitung, sprich kostenfreien juristischen Rechtsbeistand als
Anspruch zu verankern?
12. Wie wird der Aktenlauf und die psychologische Arbeit der Jugendämter über -
prüft?
13. Welche Erfahrungswerte haben Sie in bezug auf das Wegweiserecht und
Rückkehrverbot (§ 38a SPG [Sicherheitspolizeigesetz 1997]), welches ja bei
Rückführung des Täters in die Familie zu neuerlicher Gewalt führen kann?
14. Welche Erfahrungswerte haben Sie in bezug auf die einstweilige Verfügung
(gem. § 382 EO [Exekutionsordnung]), welche ja einen längerfristigen Schutz
vor dem Täter bietet und auch das Umfeld des Opfers (§ 382b Absatz 1 und
Absatz 2 der EO) schützt?
15. Ist Ihnen das “Hannoversche Modell” bekannt? Welche Bestrebungen sehen
Sie als wünschenswert und realisierbar in der übergreifenden Zusammenar -
beit von Exekutive, Justiz und psychologischen Diensten?
16. In bezug zu den vorhandenen Beratungsstellen (Kinderschutzzentren, Frauen -
häusern, etc. ..., Exekutive und Justiz) wird von den Opfern die hohe Hemm -
schwelle der Aufsuchung solcher Stellen betont. Welche Bestrebungen haben
Sie, den Zugang zu solchen Zentren zu erleichtern?
17. Gewalt in der Familie kommt sicherlich auch durch die Gewalt in den Medien.
Welche Bestrebungen haben Sie
ressortübergreifend in diesen Belangen?
18. Aus diversen Gesprächen mit Jugendrichtern konnte man feststellen, daß die
Mehrheit der Hinweise über Mißbrauch/Mißhandlung aus dem Bereich der Er -
ziehung (Kindergarten, Schulen) und aus dem medizinischen Bereich stam -
men. Welche begleitenden Maßnahmen gedenken Sie hier einzubringen, und
zwar in bezug auf Einbindung der “Erstmelder” in eine Art “Vorhilfepro -
gramm”? Diese Personengruppen stehen bereits in einer besonderen Schwei -
gepflicht und könnten so optimal eingebunden werden.
19. Wie viele Fälle von Kindesentzug der leiblichen Eltern gibt es pro Jahr und pro
Bundesland?
20. Wie viele Fälle von Zuweisungen von Kindern und Jugendlichen an Pflegeel -
tern gibt es pro Jahr und pro Bundesland?
21. Welche Ergänzungen sehen Sie im Sexualstrafrecht auf die Verjährungsfrist
der Tat im Hinblick auf die lange Aufarbeitungszeit der Opfer?
22. Wie sehen Sie angesichts dieser Problematik eine etwaige Lockerung der Ad -
optionsbestimmungen?
23. Wie sieht die Bestellung der Jugend - und Kinderrichter/Anwälte effektiv aus?
Wie wird dessen fachliche Kompetenz überprüft?”
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1:
Ich schicke voraus, daß eine gesonderte Erfassung der Zahl der in Angelegenheiten
von Kindern und Jugendlichen tätigen Richter nicht erfolgt und daß eine genaue Er -
hebung aus Anlaß dieser Anfrage nur mit unvertretbarem Aufwand möglich wäre.
Eine annäherungsweise Ermittlung ist jedoch möglich, wobei zwischen den soge -
nannten Außerstreitsachen (zu denen auch die - zumeist Kinder und Jugendliche
betreffenden - Pflegschaftssachen zählen) einerseits und den Jugendstrafsachen
andererseits zu differenzieren ist.
Zum Stichtag 1.1.1998 waren in bezirksgerichtlichen Außerstreitsachen bundesweit
341 (gerechnet nach köpfen) bzw. 121,76 (gerechnet nach Vollzeitkräften) Richter
tätig. Die meisten der in
Außerstreitsachen tätigen Richter bearbeiten - zumindest
mit einem Teil ihrer Arbeitskraft - auch Pflegschaftssachen; die meisten dieser
Pflegschaftssachen betreffen Kinder und Jugendliche. Der Anteil der für Pfleg -
schaftssachen aufgewendeten richterlichen Kapazitäten kann (gemessen an für das
Jahr 1996 ermittelten Werten) mit durchschnittlich etwa 36,3% der richterlichen Voll -
zeitkapazitäten im Außerstreitbereich beziffert werden (das sind 44,2 Vollzeitkräfte).
Die folgende Übersicht zeigt die Aufteilung auf die einzelnen Bundesländer:
|
Aßerstreitrichter pro Bundesland (Bezirksgerichte) |
hievon Arbeits - kapazität in Pflegschafts - sachen |
||
|
Bundesland
|
Beteiligte Personen (Köpfe am 1.1.1998) |
Arbeits- kapazität |
|
|
|
|
(jeweils in Vollzeitkräften) |
|
|
Wien |
67 |
31,57 |
11,46 |
|
Burgenland |
11 |
3,55 |
1,29 |
|
Niederösterreich |
62 |
19,16 |
6,96 |
|
Steiermark |
52 |
18,81 |
6,83 |
|
Kärnten |
25 |
8,44 |
3,06 |
|
Oberösterreich |
56 |
16,95 |
6,15 |
|
Salzburg |
22 |
6,98 |
2,53 |
|
Tirol |
30 |
10,40 |
3,78 |
|
Vorarlberg |
16 |
5,90 |
2,14 |
|
Summe |
341 |
121,76 |
44,20 |
Die Werte beziehen sich ausschließlich auf die Bezirksgerichte, enthalten also nicht
die Tätigkeit der Rechtsmittelinstanzen in diesem Bereich (diese Daten ließen sich
nur durch umfangreiche und mit unverhältnismäßigem Aufwand verbundene Erhe -
bungen ermitteln).
Die derzeit in Jugendstrafsachen bei Bezirksgerichten und Gerichtshöfen erster In -
stanz (einschließlich bezirksgerichtlicher Rechtsmittelsachen) eingesetzte richterli -
che Arbeitskraft läßt sich mit etwa
24 Vollzeitkräften bundesweit beziffern. Davon
entfällt etwa ein Drittel auf den Jugendgerichtshof Wien. Eine Ermittlung der Anzahl
der beteiligten Personen (Kopfzahlen) und ihre Aufteilung auf die einzelnen Bundes -
länder wäre nur mit unvertretbarem Aufwand möglich. Auch der Arbeitsanteil sol -
cher Verfahren bei den Oberlandesgerichten und beim Obersten Gerichtshof wäre
nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermittelbar.
Zu 2:
Sollte sich diese Frage auf Kinder - und Jugendanwaltschaften beziehen, fiele ihre
Beantwortung nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Wenn sie sich jedoch entge -
gen ihrem Wortlaut auf die richterliche Tätigkeit beziehen sollte, wäre festzuhalten,
daß hier schon im Hinblick auf die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen keine
derartigen Schwerpunkte bestehen.
Zu 3, 4, 5 und 16:
Mit der Neuregelung der Anzeigepflicht nach § 84 StPO durch das Strafprozeßän -
derungsgesetz 1993, BGBI.Nr. 526, strebte der Gesetzgeber einerseits eine Präzi -
sierung der Reichweite dieser Verpflichtung im Bereich der Hoheitsverwaltung, an -
dererseits eine inhaltliche Einschränkung für die Fälle an, in denen die Anzeige eine
amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen
Vertrauensverhältnisses bedarf (§ 84 Abs. 2 Z 1 StPO). Damit wurde das Ziel ver -
folgt, jenen Organen, die in beratender und betreuender Funktion tätig sind, die
Wahrung schon bestehender Vertrauensverhältnisse sowie die glaubwürdige Zusi -
cherung der Vertraulichkeit gegenüber hilfsbedürftigen Personen für die Zukunft zu
ermöglichen und dadurch die mit einer uneingeschränkten Anzeigeverpflichtung
verbundene Hemmschwelle für die Inanspruchnahme von Rat und Hilfe abzubauen.
Das Recht, auch in solchen Fällen Anzeige erstatten zu können, blieb dadurch un -
berührt.
Auf der Grundlage ihrer früheren Erfahrungen äußerten nahezu alle Experten im
Bereich der Jugendwohlfahrt und der kooperierenden Einrichtungen, daß die sofor -
tige und obligatorische Einleitung eines Strafverfahrens in allen Fällen, in denen ein
Verdacht auf Gewaltanwendung gegen Minderjährige oder auf sexuellen Mißbrauch
besteht, aus der Sicht der Opfer kontraproduktiv sein kann und häufig auch ist. Dif -
ferenzierungen der Anzeigepflicht sind vor
allem im Bereich des Mißbrauchs und
der Mißhandlung von Kindern und Jugendlichen in der Familie nach bisherigen Er -
fahrungen aller in diesem Bereich tätigen Einrichtungen eine wichtige Vorausset -
zung, um einerseits mit Hilfe eines kooperierenden Netzwerks von Hilfseinrichtun -
gen und befaßten Institutionen tatsächlich wirksamen Schutz anbieten zu können
und andererseits der Gefahr einer “sekundären Viktimisierung" durch ein voreilig
ausgelöstes Strafverfahren, auf das das minderjährige Opfer nicht entsprechend
vorbereitet werden konnte, vorzubeugen.
Da im Rahmen des Strafverfahrens nur begrenzte Hilfsmöglichkeiten der Behörden
für das Opfer bestehen und zudem die Voraussetzungen für die Verhängung der
Untersuchungshaft in den ersten Stadien des Strafverfahrens häufig nicht vorliegen,
bedarf ein Minderjähriger in dieser Situation primär fachkundiger und auf den kon -
kreten Fall abgestimmter Hilfe, die weit über das strafrechtliche Instrumentarium
hinausreicht.
Im Zuge der angesprochenen Krisenintervention werden häufig auch Ärzte in bera -
tender oder betreuender Funktion tätig, die nach § 27 des Ärztegesetzes grundsätz -
lich verpflichtet sind, dann Anzeige zu erstatten, wenn Anzeichen dafür festgestellt
werden, daß durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder die schwere
Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt oder daß durch das Quälen oder
Vernachlässigen eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen dieser am Kör -
per verletzt oder an der Gesundheit geschädigt wurde. Zur Beseitigung der in die -
sem Spannungsfeld entstandenen Unsicherheiten stellte das (vormalige) Bundesmi -
nisterium für Gesundheit und Konsumentenschutz im Einvernehmen mit dem Bun -
desministerium für Justiz durch Erlaß vom 4. September 1996 (GZ
208.152/3-II D/14/96) klar, daß § 84 StPO gegenüber § 27 Ärztegesetz als speziel -
lere Norm anzusehen und somit die Anzeigepflicht nicht nur für Amtsärzte usw.,
sondern für alle Ärzte in diesem Rahmen eingeschränkt sei. Dabei zeichnete sich
jedoch der Bedarf nach einer klarstellenden Neuregelung der ärztlichen Anzeige -
pflicht ab.
Das Bundesministerium für Justiz wurde mehrfach auf Beamtenebene zu Beratun -
gen über eine Novellierung des Ärztegesetzes beigezogen und unterstützt die Be -
mühungen zur Angleichung der Anzeigepflicht der Ärzte an die Regelungen des
§ 84 StPO. Inzwischen hat das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und So -
ziales den Entwurf eines Ärztegesetzes 1998 zur Begutachtung ausgesendet, der
auch auf diese Frage Bedacht nimmt.
Das Bundesministerium für Justiz hat sich aus den angeführten Gründen immer für
den Vorrang des Opferschutzes und daher für eine Stärkung des “Helfersystems”
anstelle zwingender sofortiger Strafverfolgung ausgesprochen. In diesem Zusam -
menhang spricht sich das Bundesministerium für Justiz - neben der auch für Ärzte
klarzustellenden Möglichkeit, bei Verdacht einer strafbaren Handlung Anzeige er -
statten zu können - für eine zentrale Erfassung von Mißbrauchs - und Mißhand -
lungsfällen an Minderjährigen beim Jugendwohlfahrtsträger aus, nicht jedoch für ei -
ne “Zentralmeldestelle”, wie sie ursprünglich erwogen wurde. Eine uneingeschränk -
te Meldepflicht an eine solche Stelle würde nämlich mit Verschwiegenheitspflichten
in Konflikt stehen und der Gefahr eines vorzeitigen Abschiebens der Verantwortung
(u.a. der Ärzte) auf öffentliche Stellen Vorschub leisten. Darüber hinaus bestünde
letztlich die Gefahr, daß gewalttätige Eltern ihre Kinder häufiger als bisher keiner
ärztlichen Behandlung zuführen würden.
Was den in Frage 16 auch angesprochenen Zugang zu Gericht betrifft, ist zum ei -
nen zu bemerken, daß dieser durch die Hilfe professioneller Rechtsbeistände er -
leichtert werden kann. Zum anderen ist auf den Amtstag bei Gericht hinzuweisen,
mit dem ein in der Bevölkerung anerkanntes Instrument zur Erlangung von Rat und
Hilfe bei rechtlichen Problemen, vor allem im Bereich der Familie, zur Verfügung
steht. In diesem Zusammenhang sei aber auch die Einrichtung der Verbrechensop -
ferberatung erwähnt. Das Bundesministerium für Justiz und die österreichische
Rechtsanwaltschaft haben sich dahin verständigt, daß Rechtsanwälte im Rahmen
der unentgeltlichen “Ersten anwaltlichen Auskunft” bundesweit - grundsätzlich im
Anschluß an den bezirksgerichtlichen Amtstag im jeweiligen Gerichtsgebäude - ko -
stenlose Beratung für Verbrechensopfer anbieten.
Zu 6:
Die im Strafrechtsänderungsgesetz 1998 vorgesehenen Änderungen verstehen sich
als (nicht zuletzt im Hinblick auf die Entschließungen des Nationalrates vom
26.2.1998, E-105-NR, XX. GP, und des Bundesrates vom 12.2.1998, E-154-BR/98,
vorgezogene) Teilnovelle des Sexualstrafrechts. In der Regierungsvorlage 1230
BlgNR XX. GP ist ausdrücklich festgehalten, daß die Reformüberlegungen sowohl
im Bereich des materiellen Rechts als auch im Bereich des strafprozessualen Op -
ferschutzes weitergehen werden.
In diesem Zusammenhang verweise ich insbesondere auf den erst kürzlich veröf -
fentlichten Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens,
der Opfern, die durch eine strafbare Handlung schwer am Körper oder in ihrer sexu -
ellen Integrität erheblich verletzt wurden, umfassende Verfahrensrechte einräumen
will.
Zu 7:
Das Strafrechtsänderungsgesetz 1998 (Regierungsvorlage 1230 der BIgNR
XX. GP) enthält unter anderem Änderungen der Strafprozeßordnung, die zum Ziel
haben, die Belastung minderjähriger Opfer von Mißbrauch und Mißhandlung in der
Familie so gering wie möglich zu halten:
1. Sämtlichen Opfern von Sexualdelikten soll nach vorangegangener einmaliger
Vernehmung unter schonenden Bedingungen das Recht eingeräumt werden, sich
weiterer Zeugenaussagen zu entschlagen.
2. Die Möglichkeiten schonender Vernehmung sowohl im Vorverfahren als auch in
der Hauptverhandlung sollen ausgeweitet werden, und zwar durch
o die zwingende schonende Vernehmung noch nicht l4jähriger Zeuginnen und
Zeugen, die Opfer von Sexualdelikten geworden sind,
o die Erweiterung des Kreises der antragsberechtigten Personen auf sämtliche Op -
fer von Sexualdelikten,
o die Erweiterung des Kreises der in der Hauptverhandlung schonend zu verneh -
menden Personen auf alle Zeugen, bei denen dies in ihrem Interesse oder im In -
teresse der Wahrheitsfindung zweckmäßig ist (z.B. auch auf Minderjährige, die
mitansehen mußten, wie ein Elternteil vergewaltigt, mißhandelt oder verletzt wur -
de, oder wenn ein Kind über seine Wahrnehmungen zum sexuellen Mißbrauch
an Geschwistern befragt werden soll),
o die Möglichkeit der Vernehmung durch einen Sachverständigen auch bei ande -
ren als noch nicht 14 Jahre alten Zeuginnen und Zeugen.
Zu 8:
Die in Art. 6 Abs. 2 MRK verfassungsrechtlich verankerte Unschuldsvermutung und
deren Interpretation durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte las -
sen für “Erleichterungen”
keinen Spielraum.
Zu 9:
Das Bundesministerium für Justiz ist bemüht, vor allem durch eine verstärkte Ausbil -
dung der Richter und Staatsanwälte auf dem Gebiet der Vernehmungskunde die
Belastung von Kindern im Strafverfahren so gering wie möglich zu halten.
Darüber hinaus sieht das Strafrechtsänderungsgesetz 1998 eine Ausweitung der
Möglichkeit der Zeugenvernehmung durch einen Sachverständigen vor, der kraft
seiner Ausbildung und Berufserfahrung, zumeist auf dem Gebiet der Kinderpsycho -
logie oder Kinderpsychiatrie, besonders in der Lage ist, die Befragung kindgerecht
zu gestalten.
Im übrigen trete ich dafür ein, die Zahl der Befragungen und Vernehmungen von
Kindern und Jugendlichen zu reduzieren und nach Möglichkeit auf eine einzige kon -
tradiktorische und schonende Vernehmung zu konzentrieren.
Zu 10 und 12:
Nach Art. 12 Abs. 1 Z 1 B-VG gehören die Ausführungsgesetzgebung und Vollzie -
hung in Angelegenheiten der Jugendwohlfahrt in die Kompetenz der Länder. Die
Beantwortung dieser Fragen fällt somit nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.
Zu 11:
Der zu Frage 6 erwähnte Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen
Vorverfahrens sieht die Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts im Rahmen der
Schaffung einer eigenständigen Verfahrensstellung für die Opfer von Gewalt - und
Sexualdelikten vor.
Zu 13 und 14:
Die Vollziehung von Wegweiserecht und Rückkehrverbot nach § 38a Sicherheitspo -
lizeigesetz fällt nicht in meinen Wirkungsbereich. Allerdings zeigt sich nach bishen -
gegen Erfahrungen, daß in annähernd 80 % der an die Gerichte herangetragenen
Fälle wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Zusammenhang mit Ge -
walt im häuslichen Bereich Interventionen der Sicherheitsorgane vorangegangen
waren und sich die Auffassungen der Sicherheitsorgane und der Gerichte über die
Gefährlichkeit des Täters weitgehend
zu decken scheinen, zumal die Gerichte nur
in etwa 2 % der Fälle nach vorangegangener Intervention der Sicherheitsorgane
den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abgewiesen haben.
Zu 15:
Das "Hannoversche lnterventionsprojekt gegen Männergewalt in der Familie
(HAIP)” will vor allem die hohe Gewaltquote in Familien durch sinnvoll vernetzte In -
tervention aller beteiligten Institutionen (polizeiliche Einsatzkräfte, Polizei - Sozialar -
beit, Kriminaldienst, Staatsanwaltschaft, Täter - Opfer - Ausgleich im Rahmen des Ver -
eins "Waage Hannover”, “Bestärkungsstelle für von Gewalt betroffene Frauen”,
Männerbüro Hannover) reduzieren helfen.
Ähnliche Bestrebungen haben im Gefolge des am 1. Mai 1997 in Kraft getretenen
Gesetzes zum Schutz vor Gewalt in der Familie auch in Österreich eingesetzt. Da -
bei geht es insbesondere um eine Vernetzung und Verbesserung der Kooperation
zwischen Sicherheitsbehörden, Gerichten, Interventionsstellen und anderen Hilfs -
einrichtungen, wodurch ein abgestimmtes und effektiveres Vorgehen aller mit dem
Problem der Gewalt in der Familie befaßten Institutionen erreicht werden soll. Die
geplante Strafprozeßnovelle 1998 (Diversionskonzept) wird weitere Möglichkeiten
einer sinnvollen, einzelfallbezogenen Reaktion auf Gewalthandlungen im sozialen
Nahraum eröffnen, insbesondere - wie in Hannover - die Zuweisung zu einem so -
zialen Trainingsprogramm (“Therapieweisung”).
Zu 17:
Zu den ressortübergreifenden Bestrebungen, Gewalt in den Medien wirksam zu be -
gegnen, verweise ich auf das von der Bundesregierung am 30. September 1997 be -
schlossene Aktionsprogramm gegen Gewalt in der Gesellschaft, das sich auch mit
dieser Frage beschäftigt. Der vom Bundesminister für Inneres eingerichtete Gewalt -
präventionsbeirat, in dem auch das Justizressort vertreten ist, hat es übernommen,
laufend den Stand der Umsetzung dieses Programms festzustellen. Hervorzuheben
sind auch die Arbeiten auf europäischer Ebene - ich erinnere insbesondere an das
Grünbuch der Europäischen Kommission über den Jugendschutz und den Schutz
der Menschenwürde in den audiovisuellen
und Informationsdiensten.
Zu 18:
Hier ist zunächst auf die Ausführungen zu den Fragen 3, 4, 5 und 16 und auf die
Bemühungen zur Differenzierung der Anzeigepflicht zu verweisen. An pädagogi -
sche und medizinische Berufsgruppen richten sich mehrere, überwiegend vom Bun -
desministerium für Umwelt, Jugend und Familie herausgegebene Folder und Bro -
schüren, die wichtige Informationen und Hinweise zur Vernetzung zwischen den
spezifischen Hilfseinrichtungen und den anderen befaßten Institutionen enthalten
(so z.B. der Folder "Gewalt am Kind erkennen, verstehen, helfen”).
Zu 19 und 20:
Nach der Statistik der Jugendwohlfahrt 1995 befanden sich am 31.12.1995 3.140
Minderjährige aufgrund einer gerichtlichen Verfügung in der Betreuung eines Ju -
gendwohlfahrtsträgers in Form voller Erziehung, darunter 1.725 Minderjährige bei
einer Pflegefamilie.
Zu 21:
Das Strafrechtsänderungsgesetz 1998 sieht eine Verlängerung der Verjährungsfrist
bei bestimmten Sexualdelikten vor, indem die Frist erst mit Erreichung der Volljäh -
rigkeit des Opfers zu laufen beginnen soll. Durch diese Maßnahme soll vorrangig
der besonderen psychologischen Situation insbesondere zur Tatzeit unmündiger
Sexualopfer Rechnung getragen werden.
Zu 22:
Die Regelungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs über die Adoption die -
nen in erster Linie dem Schutz des minderjährigen Wahlkindes. Im Zusammenwir -
ken mit den korrespondierenden Verfahrensregelungen haben sie aber auch sicher -
zustellen, daß Eltern nicht ohne triftige Gründe aus dem Bereich des Kindeswohls
gegen ihren Willen ihre Kinder entzogen werden. In diesem Sinn verfügt Österreich
über ein ausgewogenes und die Annahme an Kindesstatt durchaus förderndes Ad -
optionsrecht.
Die Frage nach einer “Lockerung” der Adoptionsbestimmungen geht offenbar davon
aus, daß das geltende Adoptionsrecht Annahmen an Kindesstatt unnötig behindere.
Tatsächlich liegt nach den Erfahrungen
des Bundesministeriums für Justiz das Pro -
blem aber nicht im rechtlichen Bereich. Es gibt eine große Nachfrage nach Adoption
von Kindern, allerdings fast ausschließlich von Neugeborenen oder jedenfalls ganz
kleinen Kindern, nur geringe Bereitschaft hingegen zur Annahme älterer, insbeson -
dere durch Mißbrauch oder Mißhandlung seelisch gestörter, Kinder.
Zu 23:
Im Rahmen des vierjährigen richterlichen Ausbildungsdienstes, der in allen Sparten
der Rechtspflege stattfindet, werden die Richteramtsanwärter auch auf dem Gebiet
des Außerstreit - und Pflegschaftsrechts ausgebildet.
Die Ernennung zum Richter erfolgt - ohne Zuweisung bestimmter richterlicher Ge -
schäfte - auf eine bestimmte Richterplanstelle. Die Verteilung der richterlichen Ge -
schäfte auf die einzelnen Richter eines Gerichts wird erst durch die von den richter -
lichen Personalsenaten jeweils beschlossene Geschäftsverteilung bestimmt.
Aus verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen ergeben sich Vorgaben für die von
den Personalsenaten festzulegende Geschäftsverteilung. So bestimmt § 26 Abs. 3
des Gerichtsorganisationsgesetzes, daß bestimmte familienrechtliche und außer -
streitige Angelegenheiten grundsätzlich derselben Gerichtsabteilung zuzuweisen
sind. Wenn diese Rechtssachen wegen des Geschäftsumfangs mehreren Gerichts -
abteilungen zuzuweisen sind, sind sie so zu verteilen, daß alle dieselbe Personen -
gruppe (Eltern und Kinder, Ehegatten und geschiedene Ehegatten) betreffenden fa -
milienrechtlichen Angelegenheiten zu derselben Gerichtsabteilung gehören.
Weitere Vorgaben enthält das Jugendgerichtsgesetz (JGG). Nach § 26 Abs. 2 JGG
sind bei den Bezirksgerichten die Vormundschafts - und Pflegschaftssachen von
Minderjährigen, die Jugendstrafsachen und die Jugendschutzsachen derart densel -
ben Gerichtsabteilungen zuzuweisen, daß alle dieselben Minderjährigen betreffen -
den Angelegenheiten zu einer Gerichtsabteilung gehören, es sei denn, daß dies aus
schwerwiegenden Gründen der Geschäftsverteilung nicht möglich ist. Gemäß § 30
JGG müssen die mit Jugendstrafsachen zu betrauenden Richter und Staatsanwälte
über das erforderliche pädagogische Verständnis verfügen und sollen besondere
Kenntnisse auf den Gebieten der Psychologie und Sozialarbeit aufweisen.
Eine besondere Situation ergibt sich beim Jugendgerichtshof Wien und beim Ju -
gendgericht Graz, wo von vornherein absehbar ist, daß die dort ernannten Richter
in Jugendliche betreffenden
Rechtsangelegenheiten tätig sein werden.
Die Bestellung von Kinder - und Jugendanwälten gehört nicht zu meinem Vollzie -
hungsbereich.