4227/AB XX.GP
zur Zahl 4521/J - NR/1998
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dipl. - Ing. Maximilian Hofmann, Mag. Herbert
Haupt und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend einiger un -
geklärter Fragen hinsichtlich des flämischen Schriftstellers Robert Verbelen, ge -
richtet und folgende Fragen gestellt:
"1. Besteht der “Ständige Kriegsrat der Provinz Brabant” noch heute auf dem Ge -
biet des Königreiches Belgien?
Wenn ja, ist sein Bestehen unumstritten oder gibt es unter den dortigen
Rechtsgelehrten schwerwiegende Bedenken und zutreffendenfalls, um welche
Bedenken handelt es sich?
Wenn nein, wann und durch wen wurde er aufgelöst bzw. sind seine ausge -
sprochenen Urteile auch heute noch heute in Rechtskraft, werden als gültig ab -
gesehen und gegebenenfalls vollzogen?
2. Handelte oder handelt es sich beim “Ständigen Kriegsrat der Provinz Brabant”
um ein schon vor der Besetzung Belgiens durch die Deutsche Wehrmacht be -
standen habendes Militärgericht, dessen Zuständigkeit sich ausschließlich auf
Angehörige des belgischen Militärs erstreckt?
Wenn nein, wer konnte von ihm und warum angeklagt werden?
3. Wurde der “Ständige Kriegsrat der Provinz Brabant” etwa erst während oder
nach der Besetzung Belgiens durch die Deutsche Wehrmacht eingerichtet?
Wenn ja, wann und durch wen wurde er eingerichtet und nach welchem Ver -
fahrensablauf
wurde dort angeklagt, verhandelt und entschieden?
4. Entschied der “Ständige Kriegsrat der Provinz Brabant” ausschließlich und
endgültig oder war ein Rechtszug an eine überprüfende obere Instanz vorge -
sehen?
5. Entsprechen die Urteile des “Ständigen Kriegsrates der Provinz Brabant” den
Anforderungen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straß -
burg an die Rechtsprechung der Mitgliedstaaten der EMRK heute stellt?
6. Warum wurde das Urteil des “Ständigen Kriegsrates der Provinz Brabant” von
der österreichischen Justiz nicht anerkannt?
7. Ist es zutreffend, daß der Staatsanwalt am 19. Juni 1978 gem. § 227
Abs. 1 StPO vor Beginn der Hauptverhandlung von der Anklage gegen Robert
Verbelen zurücktrat und sohin das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde?
8. Lag der Grund dafür in einer Weisung einer vorgesetzten Behörde?
Wenn ja, um welche Behörde handelte es sich und wie lautete der Wortlaut der
Weisung?
Wenn nein, welcher Grund war sonst dafür ausschlaggebend?
9. Gilt Verbelen durch den Rücktritt des Staatsanwaltes von der Anklage als un -
bescholten im Sinne der österreichischen Rechtsordnung?
Wenn ja, ist dadurch der Wahrspruch der Geschworenen vom 21. Dezember
1965 in Rechtskraft erwachsen oder hat der öffentliche Ankläger dadurch je -
diglich zum Ausdruck bringen wollen, daß die Republik Österreich keinen wei -
teren Grund mehr für eine Strafverfolgung zu erblicken vermag?
Wenn nein, welche Rechtswirkungen sind damit sonst verbunden?
10. Ist es nach der österreichischen Rechtsordnung zulässig, Verbelen das Urteil
des “Ständigen Kriegsrates der Provinz Brabant” neuerlich vorzuwerfen, ohne
nicht zumindest den Wahrspruch der Geschworenen und den Rücktritt des
Staatsanwaltes anzuführen?
Wenn ja, warum?
Wenn nein, welche Rechtsbehelfe stehen etwaigen Angehörigen oder Nach -
kommen dagegen zur Verfügung?
11. Ist es zutreffend, daß eine wissentliche Unterschlagung dieses Umstandes in
der Begründung eines Bescheides, alleine wegen des § 37 AVG geeignet sein
kann, den Tatbestand des Verbrechens des Amtsmißbrauches zu erfüllen?
Wenn ja,
werden Sie veranlassen, daß der Akt der Bezirkshauptmannschaft
Wels - Land zu Sich 01 - 111 - 1998 - P/ZE vom 24. April 1998 der Staatsanwalt -
schaft Wels zur Begutachtung vorgelegt wird?
Wenn nein, warum nicht?
12. Wurde außer dem genannten Strafverfahren jemals gegen Verbelen Anklage
erhoben, weil er “einschlägige Bücher und Beiträge” verfaßt, und auch “revisio -
nistische und die NS - Zeit glorifizierende Vorträge” gehalten haben soll?
Wenn ja, wann wurde Verbelen angeklagt, wo wurde er angeklagt, wessen
wurde er beschuldigt und wie endigten die Verfahren?
13. Begründet die im oben genannten Bescheid erhobene Behauptung, Verbelen
habe “die NS - Zeit glorifizierende Vorträge” gehalten, den Verdacht, daß hierbei
regelmäßig der § 3g Verbotsgesetz verwirklicht wurde, nach dem “jede einsei -
tig vorteilhafte Darstellung des Nationalsozialismus” dem § 3g Verbotsgesetz
entsprechend verboten ist?
Wenn ja, ist jemals eine entsprechende Anzeige durch die zuständigen Sicher -
heitsbehörden oder das BMI bei den zuständigen Staatsanwaltschaften einge -
langt und zutreffendenfalls, was geschah mit diesen in der weiteren Folge?
Wenn nein, wie erklären Sie sich das damalige Schweigen der zuständigen
Behörden und die nunmehrige Auskunftfreudigkeit derselben über sieben Jah -
re nach dem Tode Verbelens?”
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1 bis 5:
Da sich diese Fragen auf Institutionen eines anderen Staates und somit auf keinen
Gegenstand der Vollziehung des Bundes beziehen, bitte ich um Verständnis, wenn
ich von einer Beantwortung absehe.
Zu 6:
Im Zeitpunkt des in Abwesenheit des Robert Jan Verbelen erfolgten Urteilspruches
des Ständigen Kriegsrates der Provinz Brabant vom 14. Oktober 1947 war der Ge -
nannte belgischer Staatsbürger. Mit Beschluß der Wiener Landesregierung vom
2. Juni 1959 wurde ihm die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Er war
demnach zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens beim Landesgericht für
Strafsachen Wien im April 1962 österreichischer Staatsbürger.
§
36 des damals geltenden Strafgesetzes lautete wie folgt:
“Von Verbrechen der österreichischen Staatsbürger im Auslande.
§ 36. Wegen Verbrechen, die ein österreichischer Staatsbürger im Auslan -
de begangen hat, ist er bei seiner Betretung im Inlande nie an das Ausland
auszuliefern, sondern ohne Rücksicht auf die Gesetze des Landes, wo das
Verbrechen begangen worden, nach diesem Strafgesetze zu behandeln.
Ist er jedoch für diese Handlung bereits im Auslande gestraft worden, so ist
die erlittene Strafe in die nach diesem Strafgesetze zu verhängende einzu -
rechnen.
In keinem Falle sind Urteile ausländischer Strafbehörden im Inlande zu voll -
ziehen.”
Daraus ergibt sich, daß eine Strafverfolgung eines österreichischen Staatsbürgers
(auch wenn er zum Zeitpunkt der Tatverübung noch Ausländer war) wegen eines im
Ausland begangenen Verbrechens nach österreichischem Recht zu erfolgen hatte;
allerdings war auf das ausländische (Tatort -)Recht Bedacht zu nehmen, wenn da -
nach die Behandlung gelinder ausgefallen wäre (§ 40 StG).
Die von der Königlich - Belgischen Regierung begehrte Auslieferung des Robert Ver -
belen auf Grund des Urteils des Ständigen Kriegsrates der Provinz Brabant vom
14. Oktober 1947 zur Vollstreckung der über ihn verhängten Todesstrafe wurde da -
her mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 6. Februar 1963 abgelehnt.
Dieser Beschluß wurde vom Bundesministerium für Justiz mit Erlaß vom
25. März 1963 gemäß § 59 StPO (in der damals geltenden Fassung) genehmigt.
Eine Prüfung der Rechtsnatur des Ständigen Kriegsrates der Provinz Brabant und
der Vereinbarkeit des Verfahrens dieser Behörde mit der Menschenrechts -
konvention hat im damaligen Verfahren somit nicht stattgefunden; es bestand dafür
auch kein Anlaß.
Zu 7 und 8:
Mit Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom
21. Dezember 1965 wurde Robert Jan Verbelen von der wider ihn erhobenen Ankla -
ge in allen fünf Anklagepunkten freigesprochen. Mit Entscheidung vom 11. Mai 1967
hob der Oberste Gerichtshofe in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde
der Staatsanwaltschaft Wien das Urteil in drei Fakten auf und verwies die Strafsa -
che in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Ge -
schwornengericht am Sitze des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zurück, im
übrigen wurde die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verworfen (und ist
in diesem Umfang der Freispruch rechtskräftig geworden). Nach Durchführung er -
gänzender
Erhebungen berichtete die Staatsanwaltschaft Wien am 28. April 1978
über ihr Vorhaben, wegen ungünstiger Beweissituation und wegen des Eintritts der
Vollstreckungsverjährung nach belgischem Recht die Anklage hinsichtlich der noch
offenen Fakten zurückzuziehen. Nach Befassung der Oberstaatsanwaltschaft Wien
und des Bundesministeriums für Justiz mit diesem Vorhaben trat die Staatsanwalt-
schaft Wien am 19. Juni 1978 von den noch offenen Anklagepunkten zurück, worauf
der Vorsitzende das Verfahren gemäß § 227 Abs. 1 StPO eingestellt hat. Es erging
somit keine Weisung einer vorgesetzten Behörde.
Zu 9:
Gerichtliche Unbescholtenheit im Sinne des § 1 Abs. 4 des TilgungsG ist jedem
Menschen zuzugestehen, der keine ungetilgten Verurteilungen aufzuweisen hat.
Der oben zu 7 und 8 geschilderte Ausgang eines ohne Schuldspruch beendeten
Verfahrens führt nicht zum Verlust der Unbescholtenheit. Sollte Verbelen zum da -
maligen Zeitpunkt unbescholten gewesen sein, hat sich an dieser Unbescholtenheit
somit nichts geändert.
Zu 10:
Ausländische Hoheitsakte wie das hier in Rede stehende Urteil des Ständigen
Kriegsrates von Brabant können für den österreichischen Rechtsbereich Bedeutung
erlangen. Hat nämlich eine ausländische Behörde eine Person einer Tat schuldig
gesprochen, die auch nach österreichischem Recht mit gerichtlicher Strafe bedroht
ist, und hat sie im Verfahren die Grundsätze des Artikels 6 der Europäischen Kon -
vention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten beachtet, wird der
ausländische Hoheitsakt durch Bestimmungen des Strafgesetzbuches (§ 73), des
Tilgungs - und Strafregistergesetzes (§ 7 bzw. § 2 Abs. 3) der Verurteilung durch ein
inländisches Strafgericht gänzlich gleichgestellt. Die rechtlichen Nachteile, die damit
verbunden sind, erlöschen erst durch die Tilgung. Ausländische (MRK - konforme)
Verurteilungen, mit denen auf die Todesstrafe erkannt wurde, sind nach herrschen -
der Auffasung inländischen Verurteilungen zu lebenslanger Freiheitsstrafe gleichzu -
setzen. Sie unterliegen daher gemäß § 5 des TilgungsG nicht der Tilgung und
schließen auch die Tilgung anderer Verurteilungen aus.
Aber auch wenn ein ausländischer Hoheitsakt die Voraussetzungen für seine
Gleichstellung mit einer inländischen Verurteilung nicht erfüllt, stellt er gleichwohl ei -
ne Tatsache dar, die für den österreichischen Rechtsbereich von Bedeutung sein
kann. Ob dies der Fall ist, welche Schlüsse aus der ausländischen Entscheidung zu
ziehen
sind und ob es zusätzlicher Ermittlungen bedarf, um sie richtig
würdigen zu
können, hängt vom jeweiligen Verfahrensgegenstand und von den Vorschriften ab,
die zur Anwendung zu kommen haben. Die Beurteilung dieser Fragen obliegt der für
das jeweilige Verfahren zuständigen Behörde. Diese Behörde hat auch zu prüfen,
ob die Verwertung des ausländischen Hoheitsaktes Interessen Dritter berührt und in
welcher Weise darauf Rücksicht zu nehmen ist.
Zu 11:
Sollte es in einem Verfahren oder in einem Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu
Unzukömmlichkeiten gekommen sein, so kommen für deren Behebung grundsätz -
lich die Regelungen des hiefür vorgesehenen verwaltungsbehördlichen Rechtsmit -
telverfahrens in Betracht. Ob durch wissentliche Unterlassung von verfahrensrele -
vanten Tatsachen oder Verfahrensergebnissen ein amtsmißbräuchliches Verhalten
gesetzt wird, hat im Einzelfall zunächst der öffentliche Ankläger zu beurteilen.
Der anfragegegenständliche Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wels - Land vom
24. April 1998 war bereits Gegenstand mehrerer Anzeigen an die Staatsanwalt -
schaft Wels. Diese hat nach Einholung der ihr erforderlich erschienenen Unterlagen,
darunter auch einer Ablichtung dieses Bescheides vom 24. April 1998, mangels Vor -
liegens eines strafbaren Verhaltens die Anzeige gemäß § 90 Abs. 1 StPO zurückge -
legt.
Zu 12:
Dem Bundesministerium für Justiz sind weitere Anklagen nicht bekannt.
Zu 13:
Der genaue Inhalt des zitierten Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Wels - Land
ist dem Bundesministerium für Justiz nicht bekannt.
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29. November 1985,
Slg.NF 10.705, festgestellt hat, stellt das im § 3g Verbotsgesetz enthaltene Wieder -
betätigungsverbot unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht dar, das von jedem
Staatsorgan im Rahmen seines Wirkungsbereiches als “umfassende Maßgabe jegli -
chen staatlichen Verhaltens” zu beachten ist. Der Verfassungsgerichtshof führte hie -
zu aus:
Die kompromißlose Ablehnung des Nationalsozialismus ist ein grundlegen -
des Merkmal der wiedererstandenen Republik. Ausnahmslos jede Staatstä -
tigkeit hat sich an diesem verbot zu orientieren. Es darf kein behördlicher
Akt gesetzt werden, der eine Mitwirkung des Staates an nationalsozialisti -
scher
Wiederbetätigung bedeuten würde.
Das rechtsstaatliche Prinzip der Bundesverfassung steht dieser Annahme
nicht im Weg. Denn jede Behörde hat § 3g VerbotsG nur in dem für die Be -
wältigung ihrer Aufgaben vorgesehenen rechtsstaatlich geordneten Verfah -
ren zu beachten. Daß niemand ohne ordentliches Verfahren wegen natio -
nalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilt werden darf, kann kein Hinder -
nis für die Feststellung einer Verbotsverletzung sein, wenn von dieser Vor -
frage die Beachtlichkeit eines Vorhabens oder Begehrens abhängt. Denn
anders als die Verurteilung hat eine solche Feststellung nur jene Rechtsfol -
gen, die Gegenstand des vor der Behörde jeweils durchzuführenden Ver -
fahrens sind. Die Rechtsordnung darf auch dann der nationalsozialistischen
Wiederbetätigung keine Unterstützung gewähren, wenn eine Verurteilung
noch nicht ergangen ist. Im Bereich des Vereins- und Versammlungswe -
sens steht das übrigens außer Streit.
Die der Anfrage allem Anschein nach zugrundeliegende Annahme, ein auf das Wie -
derbetätigungsverbot gestütztes Vorgehen der Vereinsbehörde setze voraus, daß
einzelne Mitglieder des Vereins oder bestimmte Teilnehmer an Vereinsveranstaltun -
gen nach dem Verbotsgesetz strafgerichtlich verfolgt und verurteilt worden seien, ist
daher unzutreffend.