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Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Friedhelm Frischenschlager und Genossen haben am
25.4. 1996 unter der Nummer 489/J an mich eine schriftliche Anfrage betreffend Ankündigun-
gen im Koalitionsübereinkommen 1996 zwischen SPÖ und ÖVP gerichtet, die den folgenden
Wortlaut hat:
" 1 . Welche konkreten Maßnahmen und Initiativen werden Sie in welchem Zeitrahmen bei
der EU-Regierungskonferenz und in den jeweiligen EU-Institutionen ergreifen, um
a) die Besehäftigungspolitik in allen Tätigkeitsbereichen der EU zu fördern? Wie
soll in diesem Zusammenhang das von Ihnen vorgeschlagene "Überwachungssys-
tem für die Arbeitsmarktpolitiken der Mitgliedstaaten" aussehen?
b) die Erhaltung der Rechte der kleinen Mitgliedstaaten zu sichern?
c) den wiederum postulierten "langfristigen Ausstieg aus der Atomkraft" zu errei-
chen? Soll diese Zielbestimmung in den EURATOM-Vertrag aufgenommen wer-
den? Wenn nein, warum nicht?
d) den Gütertransport zunehmend und in einem zeitlieh überschaubaren Rahmen von
der Straße auf die Schiene zu verlagern?
e) die Gemeinsame Agrarpolitik in Richtung einer ökologisch und sozial verträgli-
chen Landwirtschaft zu entwickeln?
f) die Handlungsfähigkeit der EU im Bereich der internationalen Kriminalität zu er-
halten, ohne dabei massiv in nationale Datenschutzbestimmungen einzugreifen?
2. Welchen Zeitrahmen stellen Sie sich für die Osterweiterung der EU, zunächst einmal
um die Länder Ungarn, Tschechien, Polen und Slowenien vor? Soll für den Abschluß
der jeweiligen Beitrittsverhandlungen ein konkretes Zeitlimit festgelegt werden? Wenn
nein, warum nicht? Für welche Bereiche des zu übernehmenden "acquis communautai-
re" könnten Sie sich bei diesen Ländern Übergangsfristen vorstellen?
3. Werden Sie sich - wie laut Bericht der Reflexionsgruppe die Mehrheit der EU-Staaten -
dafür einsetzen, daß die WEU in die zweite Säule der EU integriert wird? Wenn nein,
warum nicht?
4. Sie treten im Koalitionsübereinkommen ausdrücklich dafür ein, daß die sogenannten
"Petersberger Aufgaben" Instruktionen der EU unterstellt werden können. Laut Peters-
berger Erklärung von Juni l992 beinhalten diese "Kampfaufgaben im Rahmen der Kri-
senbewältigung, darunter auch friedensstiftende Aufgaben". Könnte sich Österreich an
solchen Aufgaben beteiligen und wäre dies mit der "immerwährenden Neutralität ver-
einbar?
5. Aus welchem Grund kann eine eventuelle Vollmitgliedschaft Österreichs bei der WEU
nieht sofort beantragt werden, sondern muß einer "umfassenden Prüfung" unterzogen
werden? Wäre die Mitgliedschaft mit der ''immerwährenden'' Neutralität Österreichs
vereinbar?
6. Meinen Sie nicht, daß Österreich an der Teilnahme bei Aufbau einer gemeinsamen Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik der EU gehindert ist, wenn es nicht auch Vollmit-
glied der WEU wird? Bitte diese Frage auch in Hinblick darauf beantworten, daß Öster-
reich in der zweiten Jahreshälfte 1998 den Vorsitz im EU-Rat innehaben wird und daher
Vorschläge für die Zukunft des 1998 auslaufenden WEU-Vertrages zu unterbreiten ha-
ben wird!
7. Welche Vorbereitungsarbeiten werden derzeit in Hinblick auf den EU-Ratsvorsitz
Österreichs l998 geleistet?
8. Wird die "aktive Teilnahme" Österreichs an der NATO-Partnerschaft für den Frieden
auch die Teilnahme an gemeinsamen militärischen Übungen beinhalten?
9. Im Koalitionsabkommen wird ein "Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und So-
lidarität bei der Entsendung von Einheiten in das Ausland" angekündigt. Welche mate-
riellen Bestimmungen muß ein solehes Gesetz enthalten, die nicht in den einschlägigen
Verfassungsgesetzen und im B-VG enthalten sind? Wäre die Verabschiedung eines sol-
chen Gesetzes schon vor dem Beschluß über die Teilnahme bei der IFOR in Bosnien-
Herzegowina notwendig gewesen?
10. Welche diplomatischen Aktivitäten planen Sie in der kommenden Legislaturperiode im
Bereich der Durchsetzung der Menschenrechte, insbesondere gegenüber der Volksre-
publik China?
11 . Hätte ein militärischer Angriff der Volksrepublik China auf Taiwan irgendwelche Kon-
sequenzen auf die bilateralen Beziehungen Österreichs mit der Volksrepublik? Wenn ja,
welche? Wenn nein, warum nicht?
12. Aus welchem Grund werden im Koalitionsabkommen und auch in der Regierungserklä-
rung keinerlei Aktivitäten bzw. Vorhaben im Bereich der Entwicklungspolitik erwähnt?
Kann man daran den Stellenwert, den die Entwicklungszusammenarbeit für die Bundes-
regierung hat, ablesen?"
Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:
Einleitend ist zur Anfrage der Abgeordneten Dr. Frischenschlager und Genossen zu bemer-
ken, daß die Regierungskonferenz einen längeren Verhandlungsprozeß darstellt: Sie wurde
erst Ende März dieses Jahres anläßlich der Sondertagung des Europäischen Rates in Turin
eröffnet und wird voraussichtlich nicht vor Mitte 1997 abgeschlossen werden können.
Aus verhandlungstaktischen Gründen wäre es daher nicht sinnvoll, bereits jetzt, im Anfangs-
stadium dieses Prozesses, zu jedem österreichischen Anliegen konkrete Initiativen zu setzen.
Vielmehr wird es in den kommenden Monaten darum gehen, die Verhandlungsdynamik best-
möglich zu nützen und in bestimmten Bereichen Sachallianzen mit anderen Partnern zu bil-
den.
Zu Frage 1a :
Österreieh wird sich im Rahmen der Regierungskonferenz dafür einsetzen, daß die Erreichung
eines hohen Beschäftigungsniveaus als prioritäres Anliegen der Union stärker in den Ziel- und
Aufgabenbestimmungen des EG-Vertrages verankert wird. Zwar sollte die Beschäftigungs-
politik weiterhin primär Aufgabe der Mitgliedstaaten bleiben, doch sollte die beschäftigungs-
politische Dimension auch auf europäischer Ebene stärkere Berücksichtigung finden. Aus
diesem Grund spricht sich Österreich etwa dafür aus, daß künftig sämtliche Vorschläge von
der Kommission obligatorisch einer Überprüfung im Hinblick auf den Sozialbereieh und auf
die Beschäftigung unterzogen werden.
Gemäß den am 26.3. 1996 von der Bundesregierung beschlossenen "Österreichischen Grund-
satzpositionen'' für die Regierungskonferenz sollte ein beschäftigungspolitisches Überwa-
chungsverfahren folgende Elemente enthalten:
Auf der Basis der vom Europäischen Rat verabschiedeten beschäftigungspolitischen Leitlinien
sollten unter Einbindung der Sozialpartner nationale Beschäftigungprogramme erstellt wer-
den. Deren Erfüllung sollte auf europäischer Ebene kontinuierlich geprüft werden. Im Falle
wesentlicher Abweiehungen einzelner Mitgliedstaaten von den Leitlinien bzw. Beschäfti-
gungsprogrammen sollten entsprechende Empfehlungen bzw. Mahnungen beschlossen wer-
den, um politischen Druck zu erzeugen.
Zu Frage 1b :
Aus österreichischer Sicht sind die Möglichkeiten der kleineren Mitgliedstaaten zur Mitgestal-
tung und Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen ein unverzichtbares Charakteristikum der
europäischen Integration. Österreich wird sich deshalb insbesondere dafür einsetzen, daß jeder
Mitgliedstaat auch künftig über das Recht verfügt, ein Kommissionsmitglied zu stellen, daß
alle Mitgliedstaaten gleichberechtigt die Ratspräsidentschaft gemäß dem derzeitigen Rotati-
onssystem ausüben und daß auch bei der Stimmgewichtung im Rat die starke Stellung der
kleineren Staaten erhalten bleibt.
Zu Frage 1c:
Der Einsatz für ein kernkraftfreies Europa ist eine Konstante in der Politik der Bundesregie-
rung. Auch in der Regierungskonferenz setzt sich Österreich deshalb für das Ziel des langfri-
stigen Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie ein. Die bisherigen Diskussionen unter den
Mitgliedstaaten haben jedoch gezeigt, daß einige Staaten entsprechende Vertragsbestimmun-
gen strikt ablehnen.
Zu Frage 1d:
Verkehrsfragen sind nicht Gegenstand der EU-Regierungskonferenz. Im Rahmen der gemein-
schaftliehen Gremien setzt sich das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten - un-
beschadet der Kompetenzen des zuständigen Bundesministeriums für Wissenschaft, Verkehr
und Kunst - v.a. in den Ratsarbeitsgruppen, im Ausschuß der Ständigen Vertreter sowie in den
Ministerräten für eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene und das
Wasser, aber auch für eine Förderung des intermodalen Verkehrs ein. In diesem Zusamenhang
ist Österreich an einer raschen Annahme der gemeinschaftliehen Leitlinien für die Entwick-
lung eines transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-Verkehr) interessiert. Da der Binnenmarkt
zu einer weiteren Steigerung des internationalen Verkehrsaufkommens auf den Straßen ge-
führt hat, ist aus österreiehischer Sicht die Verwirklichung der im Rahmen des TEN-Verkehr
bis 20l0 geplanten Maßnahmen für den Ausbau des Güterschienenverkehrs, insbesondere für
den Alpentransit (Brennerstrecke), von besonderer Bedeutung.
Des weiteren wird Österreich die auf Gemeinschaftsebene geplanten Strategien zur Internali-
sierung der externen Kosten im Verkehr (Lärmbelastung, Umweltschäden, Unfallsfolgen etc.)
unterstützen, da sich bei fairerer Preisgestaltung das Potential nicht ausgelasteter Verkehrsträ-
ger voll entfalten kann.
Zu Frage 1e:
Die Gemeinsame Agrarpolitik als solche ist nicht Gegenstand der EU-Regierungskonferenz.
Das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten setzt sich in dem durch die inner-
staatliche Zuständigkeitsverteilung vorgegebenen Rahmen, im Einvernehmen insbesondere
mit dem sachlich zuständigen Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, auf Grund-
lage der Gemeinsamen Agrarpolitik 1992 für die Weiterentwicklung in Richtung einer öko-
logisch und sozial verträglichen Landbewirtschaftung ein, die insbesondere auf die Sicherung
der bäuerlichen Familienbetriebe Bedacht nimmt. Die Programme für eine umweltgerechte
Land- und Forstwirtschaft sollen zu einer zentralen Säule der EU-Agrarpolitik ausgebaut wer-
den, bei möglichst vielen Beihilfen der EU im Bereich der Land- und Forstwirtschaft sollen
ökologische Förderungsvoraussetzungen von der EU obligatorisch vorgesehen werden. Die
EU soll bei der Konzeption von Agrarförderungen wesentlich stärker als bisher soziale Krite-
rien berücksichtigen.
Zu Frage 1f:
Die durch den Maastrichter Vertrag eingeführte Zusammenarbeit betreffend Inneres und Justiz
hat sich bislang in vielfacher Hinsicht als mangelhaft erwiesen. Da gerade diese Bereiche aber
den einzelnen unmittelbar betreffen, ist aus österreichischer Sicht eine Effizienzsteigerung
unbedingt nötig. Österreich tritt daher insbesondere für eine Weiterentwicklung in diesen Be-
reichen ein: Zum einen sollten gewisse Materien in die Erste Säule übertragen werden; zum
anderen sollten in der Dritten Säule gemeinschaftliche Institutionen, Instrumente und Verfah-
ren stärker genutzt werden.
In diesem Zusammenhang ist selbstverständlich dem Menschenrechtsschutz - die Anfrage
erwähnt ausdrücklich den Datenschutz - besonderes Augenmerk zu widmen. Österreich hat
deshalb bereits einen EMRK-Beitritt der Union vorgeschlagen und - da dieser einige rechtli-
che Probleme aufwerfen würde - auch Lösungsansätze in technischen Fragen aufgezeigt.
Damit hat Österreich einmal mehr unter Beweis gestellt, daß es zu jenen Mitgliedstaaten ge-
hört, die an einem höchstmöglichen Menschenrechtsschutz interessiert sind.
Österreich befürwortet auch eine obligatorische Einbindung des Europäischen Gerichtshofs in
die Rechtskontrolle im Bereich Inneres und Justiz.
Zu Frage 2:
Entsprechend den Beschlüssen des Europäischen Rates von Madrid sollen nach dem Ende der
Regierungskonferenz Stellungnahmen der Kommission ("avis") zweeks Beschlußfassung zur
Aufnahme von Beitrittsverhandlungen vorliegen. Diese könnten 6 Monate nach Abschluß der
Regierungskonferenz aufgenommen werden. Die Sehlußfolgerungen des Europäischen Rates
von Madrid halten dazu fest: "Der Europäische Rat ist bestrebt zu erreiehen, daß die Anfangs-
phase der Verhandlungen mit dem Beginn der Verhandlungen mit Zypern und Malta zusam-
menfällt".
Zur Erstellung der Stellungnahmen der Kommission erfolgte Ende April die Übergabe der
umfangreichen "Fragebögen'' (ca. 200 Seiten) an 11 Beitrittskandidaten - Ungarn, Polen,
Tschechische Republik, Slowakei, Rumänien, Bulgarien, baltische Staaten sowie Zypern und
Malta. Bis Ende Juli 1996, also innerhalb von drei Monaten, sollen die von der Europäischen
Kommission abgefragten Informationen über Anpassungsbemühungen in allen relevanten
Bereichen zusammengestellt werden. Danach beginnt die etwa einjährige Zeit des
,'Durchleuchtens" der Beitrittsbewerber durch die Kommission im Zuge der "avis"-Erstellung.
Derzeit ist vorgesehen, daß die Stellungnahmen der Kommission zu den Beitrittsansuchen ab
April/Mai l997 vorliegen.
Alle darüber hinausgehenden Angaben können lediglich spekulativen Charakter haben. Es ist
anzunehmen, daß die Verhandlungen zeitlich anders dimensioniert sein werden als jene mit
den EFTA-Kandidaten 1993/1994. Die Dauer der Verhandlungen, die mit jedem Beitrittswer-
ber separat geführt werden, wird insbesondere vom Grad der Erfüllung der Beitrittskriterien
("Kopenhagen-Kriterien") abhängen. In diesem Zusammenhang kann die Umsetzung der
Empfehlungen des Weißbuchs der EK, dem ich eine ganz wichtige Rolle im Erweiterungspro-
zeß beimesse, den Verlauf der Verhandlungen sicherlich erheblieh beschleunigen.
Eine Erweiterung der EU bedingt auch die Anpassung der bestehenden Strukturen und Politi-
ken der EU - etwa im Rahmen der Regierungskonferenz.
Die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen erfolgt zwar gleichzeitig, jedoch werden die Bei-
trittskandidaten individuell bewertet und behandelt. Damit soll unter anderem verhindert wer-
den, daß im Anpassungs- und Integrationsprozeß fortgeschrittene Staaten von anderen, weni-
ger rasch sich entwickelnden Staaten "aufgehalten" werden. Dies bedeutet freilich nicht, daß
die mittel- und osteuropäischen Staaten unbedingt individuell beitreten werden. Aus verhand-
lungsökonomischen Gründen könnte ein Beitritt von Staatengruppen etappenweise erfolgen.
Aus all diesen Gründen erscheint es mir wenig zielführend, bereits jetzt ein Zeitlimit für den
Beitritt einzelner oder mehrerer Staaten festzulegen.
Übergangsfristen erscheinen in den sensiblen Bereichen der EU-Politik sinnvoll. So wird etwa
die Landwirtschaftspolitik der EU durch die weitere Entwicklung im Rahmen der WTO (z.B
die 1999 durchzuführende generelle Überprüfung des Landwirtsehaftsabkommens) sowie die
Fortsetzung der McSharry-Reformen angepaßt. Die in den MOEL bestehenden Landwirt-
schaftsstrukturen weichen erheblich von jenen in der EU ab: andere Betriebsgrößen, geringe
Produktionsvielfalt, veralterte Betriebe, wesentlich höherer Anteil der in der Landwirtschaft
beschäftigten aktiven Bevölkerung, etc. Übergangsfristen von 5-l0 Jahren - wie dies auch im
Grünbuch von Kommissar Fischler, das der Europäische Rat von Madrid bestätigt hat, er-
wähnt wird - erscheinen mir daher angemessen.
Im Bereich der Strukturfonds läuft die bestehende Regelung Ende 1999 aus. Eine Neurege-
lung, die zur Zeit noch völlig offen ist, wird auch die Finanzbedürfnisse der mittel- und osteu-
ropäischen Staaten berücksichtigen müssen. Nach heutigem Maßstab nehmen diese ein derar-
tiges Ausmaß an, daß eine Übergangsfrist, in der die Reformen und die wirtschaftliche Ent-
wicklung der mittel- und osteuropäisehen Staaten weiter vorangetrieben werden, sinnvoll er-
scheint. Dabei müssen auch die Absorptionsfähigkeit sowie die Möglichkeit der mittel- und
osteuropäischen Staaten, einen Eigenanteil an den Transfermittel zu finanzieren, berücksich-
tigt werden.
Zu Frage 3 :
Österreich hat sowohl im Rahmen der Reflexionsgruppe wie auch bei den jüngst begonnenen
Beratungen der Beauftragten der Außenminister im Rahmen der Regierungskonferenz den
Standpunkt vertreten, daß das größte aktuelle Defiizit auf dem Gebiet der gemeinsamen Si-
cherheitspolitik in der mangelnden Handlungsfähigkeit der Union bei der Verhütung von
Konflikten, bei Maßnahmen der Friedenserhaltung und Friedensschaffung, bei der Katastro-
phenhilfe und den humanitären Aktionen bestehe. In diesem Sinn sieht auch Österreich die
Notwendigkeit, daß das gemeinsame Europa heute in der Lage sein muß, Sicherheit und
Stabilität notfalls auch mit militärischen Mitteln zu gewährleisten. Die Union hat daher auch
aus österreichischer Sicht großes Interesse daran, jenes Instrumentarium, welches die WEU
unter der Bezeiehnung der "Petersberg-Aufgaben" entwickelt hat, im Einklang mit der Sat-
zung der Vereinten Nationen im Dienste der Europäischen Sicherheit einzusetzen.
Im Interesse einer weiteren Konvergenz zwischen EU und WEU tritt Österreich daher dafür
ein, daß die WEU für die "Petersberg-Aufgaben" ausdrücklichen Richtlinien und Instruktio-
nen der EU unterstellt wird. Österreich kann sieh überdies vorstellen, daß die "Petersberg-
Aufgaben'' im EU-Vertrag als Mitgliedschaftsaufgaben der EU festgeschrieben werden.
Die österreichische Haltung gilt unter den anderen Mitgliedstaaten durchwegs als konstruktiv.
Auch jene Staaten, welche die Integration der WEU in die EU als längerfristiges Ziel verfol-
gen, streben für die Regierungskonferenz nur Zwischenschritte in diese Richtung an, welche
eben vornehmlich im Ausbau der Beziehungen zwischen EU und WEU im Bereich der Pe-
tersberg-Aufgaben gesehen werden.
Zu Frage 4 :
Österreich wird unverändert - und zwar auch im Fall der im Rahmen der Regierungskonferenz
1996 angestrebten Unterstellung der WEU unter die EU für die sogenannten ''Petersberger-
Aufgaben" - jeweils selbst in jedem Einzelfall über eine Teilnahme an solchen Aufgaben ent-
scheiden können.
Was die Vereinbarkeit der Neutralität mit der Beteiligung an Petersberg Operationen anbe-
langt, verweise ich auf die Petersberger Erklärung vom Juni l992, wonach "Beschlüsse zum
Einsatz von der WEU zugeordneten militärischen Einheiten vom Rat der WEU im Einklang
mit den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen gefaßt (werden). Über die Teil-
nahme an bestimmten Operationen entscheiden die Mitglieder nach wie vor als souveräne
Staaten entsprechend ihrer jeweiligen Verfassung."
Zu Frage 5 :
Wie ich u. a. in Beantwortung Ihrer Anfrage Nr. 1529/J-NR-1995 vom 27. Juni 1995 darge-
legt habe, sehe ich die vordringliche Aufgabe der österreiehischen Sicherheitspolitik darin,
aktiv und solidarisch an dem im Aufbau befindlichen europäischen Krisenmanagement teilzu-
nehmen, wozu der Beobachterstatus Österreichs bei der WEU eine Reihe von - allerdings aus
österreichischer Sicht noch nicht völlig befriedigenden - Möglichkeiten schon jetzt einräumt.
Österreich wird sich im Rahmen der Regierungskonferenz dafür einsetzen, daß alle EU-
Staaten auf der Basis der Gleichberechtigung an der Durchführung jener "Petersberger-
Aufgaben" mitwirken können sollten, welche die WEU über Initiative der EU wahrnimmt.
Die Bundesregierung ist überdies der Überzeugung, daß die europäische Sicherheitspolitik auf
längere Sicht auf einem Zusammenwirken insbesondere der EU, WEU, NATO und OSZE mit
jeweils spezifischen Funktionen und Aufgaben in der Erhaltung der europäischen Stabilität
beruhen wird. Deshalb sieht das Koalitionsübereinkommen auch vor, daß Österreich sein
Verhältnis zu den anderen Sicherheitsorganisationen, in deren Rahmen die EU-
Mitgliedstaaten ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik gestalten, dynamisch fortentwik-
keln wird.
Die Bundesregierung hat daher mit Bedacht das erste Quartal 1998 als Zeitpunkt für eine um-
fassende Überprüfung aller weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen, einschließlich
der Frage einer Vollmitgliedschaft Österreichs in der WEU, und für einen Bericht an das Par-
lament gewählt.
Hinsichtlich des zweiten Teiles Ihrer Frage darf ich Sie an meine Anfragebeantwortung der
oben erwähnten Anfrage vom Juni 1995 verweisen.
Zu Frage 6 :
Der Beobachterstatus bei der WEU hat Österreich bisher nicht gehindert, aktiv und solidarisch
an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mitzuwirken. Österreich hat sich auch zu
der im EU-Vertrag verankerten Perspektive einer gemeinsamen Verteidigungspolitik ver-
pflichtet.
Wie das Koalitionsübereinkommen zu diesem Thema festhält, wird sich Österreich an diesbe-
züglichen Bemühungen aktiv beteiligen und die Ergebnisse der Regierungskonferenz loyal
und in europäischer Gesinnung umsetzen.
Die Ergebnisse des WEU-Ministerrates von Birmingham haben mir allerdings gezeigt, daß
wir mit den Bemühungen um eine Aufwertung des WEU-Beobachterstatus wohl an das Ende
einer Entwicklungsmöglichkeit gelangt sind und der WEU-Beobachterstatus für Österreich
daher keine dauerhafte Lösung darstellen kann.
Auf dem Gebiet des Krisenmanagements zeichnet sich ein immer engeres Zusammenwirken
zwisehen der EU und der WEU ab. Österreich wird für diesen Bereich als EU-Mitglied also
auf alle Fälle wachsende politische Mitverantwortung tragen müssen, ohne ihn (auf der Basis
seiner bisherigen Stellung in der WEU) aber in der Praxis wirksam mitgestalten zu können.
Auch in dieser Hinsicht ist der in Beantwortung der Frage 5 genannte Zeitpunkt für eine um-
fassende Überprüfung aller sicherheitspolitischen Optionen mit Bedacht gewählt worden.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage darf ich zunäehst präzisieren, daß der WEU-Vertrag 1998 nicht
ausläuft, sondern erstmals seit seiner Begründung vor 50 Jahren auch einseitig von einem
Vollmitglied aufgekündigt werden kann. Damit ist allerdings nach dem derzeitigen Stand der
Entwicklung nicht zu rechnen; wir gehen vielmehr davon aus, daß die WEU über l998 hinaus
bestehen bleibt. Im übrigen verweise ich auf meine Anfrage-Beantwortung zur Frage 5.
Zu Frage 7:
Die Vorbereitungen laufen derzeit in enger Zusammenarbeit mit sämtlichen Ministerien, den
Bundesländern und Sozialpartnern. Die organisatorisehe Vorbereitung erfolgt unter Federfüh-
rung der Staatssekretärin im BMaA, Dr. Benita Ferrero-Waldner. Ab 1. Juni 1996 steht ein
eigenes Exekutivsekretariat zur Verfügung, welches von einem Diplomaten, der die gelungene
Präsidentschaft Spaniens aus nächster Nähe beobachten konnte, geleitet werden wird. Aus
Kostengründen und zur Optimierung von Ressourcen ist für die Zusammenarbeit mit dem
Exekutivsekretariat die Heranziehung von Experten aus anderen Bereichen geplant.
Derzeit wird vor allem an der Erstellung des Tagungskalenders und eines Anforderungsprofils
für potentielle Veranstaltungsorte in Österreich gearbeitet. Dies erfolgt in enger Zusammenar-
beit mit den österreichischen Stellen und der EU. Es soll naeh Möglichkeit sichergestellt wer-
den, daß im 2. Halbjahr 1998 in jedem Bundesland eine informelle EU-Ministertagung statt-
finden kann.
Des weiteren läuft in allernächster Zeit die Ausbildungsphase für die - vor allem als Arbeits-
gruppenvorsitzende - eingesetzten Bediensteten der Ressorts an. Das Ausbildungsprogramm
wird von BMaA und BKA koordiniert, die Durchführung liegt bei der Verwaltungsakademie
des Bundes und der Diplomatischen Akademie.
Angesichts des budgetären Konsolidierungskurses stellt die Präsidentschaft für Österreich
eine große Herausforderung in finanzieller Hinsicht dar. Ich bin aber zuversichtlich, daß wir
diese in gemeinsamer Kraftanstrengung bewältigen werden.
Auch das BMaA selbst ist bestrebt, die Infrastruktur-Voraussetzungen für die Präsidentschaft
zu schaffen. Der Schwerpunkt liegt dabei im Bereich der EDV, der Verbesserung der Kom-
munikationswege nach Brüssel und in die Hauptstädte sowie in effizienzsteigernden Maß-
nahmen.
Zu Frage 8:
Das Individuelle Partnerschaftsprogramm (IPP) zwischen Österreich und der NATO für die
Jahre 1996 bis 1998, welches ich am 26. Februar 1996 mit NATO-Generalsekretär Solana
abgeschlossen habe, beinhaltet auch die Teilnahme Österreiehs an gemeinsamen militärischen
Übungen. So ist beispielsweise für Juni 1996 die Teilnahme des österreichischen Bundeshee-
res an einer Stabsrahmenübung in den USA vorgesehen. Das IPP sieht überdies für das Jahr
1998 die Abhaltung einer ersten gemeinsamen miIitärischen PfP-Übung in Österreich vor.
Zu Frage 9:
Das Bundesverfassungsgesetz über die Entsendung österreichischer Einheiten zur Hilfelei-
stung in das Ausland auf Ersuchen Internationaler Organisationen (BGBl. l73/1965) stellt auf
das Vorliegen eines Ersuchens einer "Internationalen Organisation" als Voraussetzung für
eine Entsendung von Einheiten in das Ausland ab. Zur Vermeidung von Interpretationspro-
blemen erschien daher nach dem österreichischen Beitritt zur EU sowie zur Sicherstellung
einer reibungslosen österreichischen Teilnahme an Einsätzen unter der Ägyde der OSZE eine
Anpassung des über dreißig Jahre alten Bundesverfassungsgesetzes angezeigt. Die Bundesre-
gierung hat dies zum Anlaß genommen, um ein modernes Bundesverfassungsgesetz über Ko-
operation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen zu erarbeiten,
das eine Teilnahme Österreichs im Sinne der Prinzipien internationaler und europäischer Soli-
darität an Maßnahmen der Friedenssicherung, an Maßnahmen der humanitären Hilfe und Ka-
tastrophenhilfe sowie zu Übungs- und Ausbildungszwecken sichert und erleichtert.
Für die Entsendung der österreichischen IFOR-Truppen hat das bisherige Bundesverfassungs-
gesetz genügt.
Zu Frage 10 :
Die Durchsetzung der Menschenrechte in aller Welt ist seit jeher ein Schwerpunkt der öster-
reichischen Außenpolitik, der auch in dieser Legislaturperiode weiterverfolgt wird. Neben
bilateralen Bemühungen und den Aktivitäten, die nunmehr gemeinsam mit unseren Partnern
in der Europäischen Union gesetzt werden können, bieten dafür insbesondere auch multilate-
rale Foren den geeigneten Rahmen: Für die Vereinten Nationen ist die Menschenrechtskom-
mission diesbezüglich das zentrale Organ, dem Österreich derzeit angehört und in welchem zu
mehreren Themenbereichen Initiativen gesetzt werden; auch regionale Organisationen wie die
OSZE und der Europarat sind für uns von Bedeutung.
Zu den von Österreich derzeit besonders verfolgten Themen zählen unter anderem der Min-
derheitenschutz, der Schutz von Binnenflüchtlingen, der Schutz von Jugendlichen und die
Stärkung der wesentlichen Elemente des internationalen MR-Schutzsystems. In den kommen-
den Jahren sind darüber hinaus vor allem die Vorbereitungen für das Jahr 1998 zu nennen,
welchem aus mehreren Gründen besondere Bedeutung zukommt:
Im Dezember 1998 wird der 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
Anlaß zu weltweiter Aufmerksamkeit geben; dazu tritt die von der Wiener Weltkonferenz für
Menschenrechte 1993 für diesen Zeitpunkt vorgesehene Überprüfung ihrer Beschlüsse.
Diese internationalen Termine fallen mit der österreichischen Präsidentschaft der Europäi-
schen Union zusammen; die Bedeutung der EU-Mitgliedschaft gerade auch im Menschen-
rechtsbereich wird schon dadurch bekräftigt, daß die Förderung der Menschenrechte eine we-
sentliche Zielsetzung der Union darstellt. Dies wird auch in der angesprochenen Frage der
Durchsetzung der Menschenrechte in der Volksrepublik China deutlich: Die Union führt mit
China seit vergangenem Jahr einen eigenen diesbezüglichen Dialog, für dessen Intensivierung
und Konkretisierung wir uns im Hinblick auf eine Verbesserung der Menschenrechtssituation
in China einsetzen; diese wird gleichzeitig in den dafür geeigneten internationalen Gremien,
wie der UN-Menschenrechtskommission, kritisch thematisiert.
Zu Frage 11:
Ein militärischer Angriff der VR China auf Taiwan hätte selbstverständlich Konsequenzen auf
die bilateralen Beziehungen Österreichs mit der VR China gehabt, da Österreich grundsätzlich
die Anwendung von Gewalt zur Lösung internationaler Konflikte verurteilt. Diese Haltung
wurde auch in einer Erklärung zum Ausdruck gebracht, in der die VR China aufgefordert
wurde, keine militärischen Mittel zur Lösung der Differenzen mit Taiwan einzusetzen. Die
Frage, welche Konsequenzen im Detail ein militärischer Angriff gehabt hätte, ist hypotheti-
scher Natur und wäre jedenfalls auch im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheits-
politik mit den anderen EU-Partnern zu besprechen gewesen.
Zu Frage 12:
In erster Linie kann der Stellenwert der Entwicklungszusammenarbeit daraus abgelesen wer-
den, daß trotz einer äußerst restriktiven Sparpolitik das Budget für bilaterale Entwicklungs-
zusammenarbeit gegenüber 1995 fast gleichgehalten werden konnte. Da es aber zu keiner
Mittelaufstockung gekommen ist, wird das laufende Programm im wesentlichen fortgeschrie-
ben, sodaß diesbezüglich keine neuen Akzentsetzungen im außenpolitischen Kontext not-
wendig waren.