4413/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat, Mag. Doris Pollet - Kammerlander, Freundinnen und
Freunde, haben am 7. Juli 1998 unter der Zahl 4634/J - NR/1998 an mich eine schriftliche
parlamentarische Anfrage gerichtet, welche den folgenden Wortlaut hat:
“1. Was wird die österreichische Bundesregierung auf der bilateralen und internationalen
Ebene sowie im Rahmen der EU unternehmen, daß die aggressiven Polizei - und
Militäroperationen gegen die indigenen Gemeinden in Chiapas beendet werden und
eine friedliche Lösung des Konfliktes herbeigeführt wird?
2. Inwiefern werden Sie dazu beitragen, daß die Abkommen von San Andres über die
Rechte und die Kultur der Indigenas in der Form erfüllt werden, wie sie am 16. Februar
1996 unterzeichnet wurden?
3. Was werden Sie dazu beitragen,
a) daß die paramilitärischen Gruppen, die an diesen schwersten Menschenrechts -
verletzungen beteiligt sind, entwaffnet und aufgelöst werden?
b) daß die vielen tausend Vertriebenen in ihre Dörfer zurückkehren können, geschützt
werden und sämtliche bei den Militäraktionen willkürlich verhafteten Indigenas
umgehend freigelassen werden?
c) daß die Morde an der Zivilbevölkerung in El Bosque aufgeklärt und die
Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden?
d) daß die ständigen Angriffe gegen Bischof Samuel Ruiz und Mitarbeiter der Diözese von
San Cristobal, an denen sich auch höchste Machthaber des Staates beteiligt haben,
umgehend beendet werden?
e) daß die Anwesenheit von internationalen Menschenrechtsbeobachtern in Chiapas
erleichtert wird?"
Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:
Zu Frage 1:
Die mexikanische Regierung bekennt sich laut mehrfachen klaren Aussagen des
mexikanischen Präsidenten Ernesto Zedillo und anderer Regierungsmitglieder zu einer
friedlichen Lösung des Konflikts. Sie schließt eine militärische Lösung aus. Ungeachtet
dessen ist die Europäische Union bemüht, gemeinsam mit der mexikanischen Regierung
darauf hinzuwirken, daß es bei der Konfliktbewältigung zu keinen
Menschenrechtsverletzungen kommt bzw. die Menschenrechte und Grundfreiheiten
umfassend respektiert werden. Dazu ist die Europäische Union im Rahmen des
Globalabkommens über wirtschaftliche Partnerschaft, politische Koordinierung und
Zusammenarbeit, das am 8. Dezember 1997 mit Mexiko unterzeichnet wurde, berechtigt.
Dieses Abkommen enthält eine Menschenrechtsklausel, die beide Vertragsparteien zur
uneingeschränkten Achtung der demokratischen Prinzipien, der grundlegenden
Menschenrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze verpflichtet. Nachdem das
Globalabkommen erst nach der Ratifizierung durch alle EU - Mitgliedstaaten in Kraft tritt,
werden durch ein Interimsabkommen, dessen Gemischter Rat am 14. Juli d.J. eingesetzt
wurde, die handelsrelevanten Bestimmungen des Globalabkommens umgesetzt. Auch
das Interimsabkommen enthält als ersten Artikel die Menschenrechtsklausel. Damit hat
die Zusammenarbeit der Europäischen Union im Bereich der Menschenrechte und
Demokratie, die auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft und die Festigung des
Rechtsstaates ausgerichtet ist, bereits mit Abschluß des Interimsabkommens begonnen.
Diese Zusammenarbeit spiegelt sich in einem aktiven und kritischen Dialog wider, der
zwischen der EU und Mexiko z.B. im Februar d.J. am Rande des Außenministertreffens
zwischen der EU und der lateinamerikanischen Rio - Gruppe in Panama stattfand. Bei
dieser Gelegenheit nahmen die Außenminister der EU erneut die Versicherung der
mexikanischen Außenministerin Rosario Green zur Kenntnis, daß die mexikanische
Regierung alles unternehmen wird, um eine friedliche Regelung des Konflikts in Chiapas
herbeizuführen. Die diesbezüglichen Schlußfolgerungen und die Bekräftigung der
Menschenrechtsklausel als Basis der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und
Mexiko fanden Eingang in das gemeinsame Kommuniqué über diese Begegnung auf
Außenministerebene. Ich habe dieses Thema im Juli d.J. in Brüssel als Vorsitzender des
Rates Allgemeine Angelegenheiten aus Anlaß der Einrichtung des Gemeinsamen Rats
der Europäischen Gemeinschaft mit Mexiko angesprochen und es wurde auch anläßlich
des gemeinsamen Mittagessens der EU - Außenminister mit der mexikanischen
Außenministerin und dem mexikanischen Handelsminister Herminio Blanco behandelt.
Darüber hinaus nützen die Staaten der Europäischen Union jede sich bietende
Gelegenheit einer bilateralen Begegnung mit Mexiko, um ihrer Besorgnis über die
anhaltend kritische Situation in Chiapas sowie der Forderung nach einer friedlichen und
auf dem Respekt der Menschenrechte und Grundfreiheiten
beruhende
Konfliktbewältigung Nachdruck zu verleihen. Österreichischerseits wurden diese Themen
zuletzt anläßlich des Arbeitsbesuchs des mexikanischen Vize-Außenministers Rebolledo
in Wien im Mai d.J. und des Besuchs der mexikanischen Außenministerin Green am 25.
Juli in Salzburg erörtert. Darüber hinaus wird seitens der in Mexiko akkreditierten
Botschafter der Mitgliedstaaten der Europäischen Union diesen Fragen in einem offenen
und kritischen Dialog mit der mexikanischen Regierung besonderes Augenmerk
geschenkt. Österreich hat im Rahmen seines EU - Präsidentschaftsprogrammes der
Transparenz der Menschenrechtsklausel und allen damit verbundenen Fragen im
Verhältnis zu Staaten und Regionalverbänden, mit denen die EU auf der
Menschenrechtsklausel basierende Abkommen unterhält, große Bedeutung eingeräumt.
Derzeit erscheint die Aufrechterhaltung und aktive Fortsetzung dieses offenen Dialogs, zu
welchem die mexikanische Regierung bereit ist, das geeignetste Instrument, um dem
Stellenwert der Menschenrechte in unseren Beziehungen Nachdruck zu verleihen.
Zu Frage 2:
Die Abkommen von “San Andres” wurden von der mexikanischen Regierung und der
Aufständischenbewegung EZLN im Februar 1996 unterzeichnet und verpflichten die
Regierung zu einer Verfassungsänderung. Die Regierung hat jedoch den
Gesetzesentwurf, der von der als Vermittlerinstanz tätigen
Kongreßabgeordnetenkommission COCOPA unterbreitet wurde, in mehreren Punkten
nicht akzeptiert, sondern einen eigenen Gesetzesentwurf zur Umsetzung des
Abkommens eingebracht, der aber im mexikanischen Parlament bis dato nicht behandelt
wurde. Die Frage, wie die Abkommen von “San Andrés" umgesetzt werden, hat
mannigfache innenpolitische Implikationen. Es handelt sich dabei um eine
innermexikanische Angelegenheit, auf welche die österreichische Bundesregierung
keinen direkten Einfluß nehmen kann.
Zu Frage 3 a:
In der Erklärung des Vorsitzes im Namen der Europäischen Union vom 24. Dezember
1997 zum Massaker an der Zivilbevölkerung in Mexiko (Acteal, Chiapas) werden die
mexikanischen Behörden aufgefordert, alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind,
um die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Chiapas zu gewährleisten. Die Botschafter der
EU - Mitgliedstaaten in Mexiko - derzeit unter österreichischem Vorsitz - verfolgen diese
Frage auf das genaueste. Sie ist immer wieder Gegenstand der Erörterungen mit Mexiko
sowohl auf Ebene der Europäischen Union als auch in den bilateralen Kontakten der EU -
Mitgliedstaaten. Schritte zur Gewährleistung der Sicherheit der Zivilbevölkerung müssen
die Entwaffnung paramilitärischer Gruppen sowie die Verhinderung jeder Form von
Selbstjustiz einschließen. Dieser Haltung ist Österreich als Vorsitz der Europäischen
Union besonders verpflichtet.
Zu Frage 3 b:
Die Europäische Union hat in ihrer Erklärung bei der Menschenrechtskommission in Genf
im Frühjahr dieses Jahres in Bezug auf Mexiko auch klar unterstrichen, daß sie die
Tätigkeit der Nationalen Menschenrechtskommission Mexikos sowie auch lokaler NGOs
im Bereich der Verteidigung und Förderung der Menschenrechte unterstützt. Die
Nationale Mexikanische Menschenrechtskommission ist eine Instanz, die aufgrund von
Individualbeschwerden oder aus eigener Initiative Fälle, bei denen durch Übergriffe und
Willkür von Behörden die grundlegenden Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzt
wurden, aufgreift und die Behörden zu einer Lösung derselben anhält. Sie handelt
autonom und hat vielfach dazu beigetragen, daß durch Behörden verübtes Unrecht
bewußt gemacht wurde und Betroffenen geholfen werden konnte.
Zu Frage 3 c:
Die Europäische Union hat die mexikanische Regierung wiederholt aufgerufen und setzt
sich nachhaltig dafür ein, dem verbreiteten Problem der ausbleibenden Strafverfolgung
bei Behördenakten, durch welche grundlegende Menschenrechte und Grundfreiheiten
verletzt werden, Abhilfe zu schaffen. Dies betrifft Fälle von Folter ebenso wie solche
betreffend das Verschwinden von Personen.
Zu Frage 3d:
Die Regierung hat Bischof Samuel Ruiz als Vorsitzenden der Nationalen
Vermittlungskommission "CONAI" noch vor kurzem häufig kritisiert. Diese Kommission,
welche die Regierung 1995 als Instanz für gute Dienste anerkannt hatte, löste sich vor
kurzem aus eigenem auf. Damit ist der Anlaß für die Kritik der mexikanischen Regierung
an Bischof Ruiz weggefallen.
Zu Frage 3e:
Ziel aller Interventionen der Europäischen Union ist es, daß ausländische bona fide - NGOs
und Menschenrechtsbeobachter in Chiapas ihren humanitären und/oder
entwicklungspolitischen Aufgaben ungehindert nachkommen können. Die mexikanische
Regierung hat zuletzt die Einreise - und Aufenthaltsbestimmungen für Ausländer und
insbesondere auch Menschenrechtsbeobachter verschärft. Die Europäische Union und
die Botschaften der EU - Mitgliedstaaten in Mexiko sind bemüht, im Dialog mit der
mexikanischen Regierung einerseits und durch Beratung und Informierung der in Chiapas
tätigen oder eine Tätigkeit entfalten wollenden NGOs und Menschenrechtsbeobachter
über die gesetzlichen und behördlichen Auflagen betreffend den Aufenthalt von
Ausländern andererseits sicherzustellen, daß die Präsenz von ausländischen NGOs und
Beobachtern gewährleistet wird. Dies ist auch eine Grundvoraussetzung für die
Transparenz in Menschenrechtsfragen, die Österreich im Rahmen seiner EU -
Präsidentschaft ein besonderes Anliegen ist.