4429/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Gisela Wurm, DDr. Erwin Niederwieser,
Mag. Walter Guggenberger, Brigitte Tegischer und Genossen haben an mich eine
schriftliche Anfrage, betreffend Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes gegen Ge -
walt in der Familie, gerichtet und folgende Fragen gestellt:
“1. Gibt es Aufzeichnungen (Statistiken) darüber, wie hoch die Zahl der gerichts -
anhängigen Gewaltvorfälle in der Familie in den letzten fünf Jahren, aufge -
schlüsselt auf die Bundesländer war?
2. Wie oft wurde das Rechtsmittel der Einstweiligen Verfügung aufgrund einer
“Unerträglichkeit des Zusammenlebens” (§ 382 Abs. 1 Ziff. 8 lit. b EO), in den
letzten fünf Jahren, aufgeschlüsselt auf die Bundesländer angewendet?
3. Welche Maßnahmen werden von seiten Ihres Ministeriums aus Anlaß des am
1. Mai in kraft getretenen neuen Bundesgesetzes zum Schutz gegen Gewalt in
der Familie eingeleitet?
4. Besteht Ihrer Meinung nach ein Bedarf an “Weiterbildung” im Sinne einer Sen -
sibilisierung zum Thema Gewalt in der Familie, von dem an den Gerichten da -
mit befaßten Personenkreis?
5. Welche Möglichkeiten bietet Ihr Ressort
in diesem Zusammenhang damit an?
6. Inwieweit werden / sind die Gerichte von den in direktem Zusammenhang mit
dem genannten Gesetz stehenden geplanten Interventionsstellen informiert?”
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1:
Bislang gab es solche Aufzeichnungen nicht. Um künftig strafrechtliche Fälle von
“Gewalt in der Familie” bundesweit statistisch erfassen zu können, wird mit 1.1.1999
eine entsprechende Statuseintragung in das automationsunterstützt geführte Regi -
ster der Staatsanwaltschaften erfolgen.
Zu 2:
Für den Zeitraum vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes zum Schutz vor Gewalt
in der Familie am 1.5.1997 sind keine Daten über die Häufigkeit von Verfahren über
Provisorialanträge auf Erlassung eines Auftrags zum Verlassen der Wohnung ge -
mäß § 382 Abs. 1 Z 8 lit. b EO verfügbar.
Zu 3:
Nach Abschluß des parlamentarischen Gesetzwerdungsprozesses Ende des Jahres
1996 wurde das Inkrafttreten des Bundesgesetzes zum Schutz vor Gewalt in der
Familie in enger Kooperation mit dem Bundesministerium für Inneres sowie mit Ver -
treterinnen und Vertretern zahlreicher Hilfs - und Beratungseinrichtungen vorbereitet.
So wurde etwa am 13. und 14. Februar 1997 eine interdisziplinäre Veranstaltung
durchgeführt, an der Vertreterinnen und Vertreter des Bundesministeriums für Inne -
res, von Polizei und Gendarmen, des Vereins der autonomen österreichischen
Frauenhäuser, des Bundesministeriums für Justiz sowie Familienrichterinnen und
Familienrichter aus allen Oberlandesgerichtssprengeln teilnahmen und bei der die
grundsätzlichen Ziele und Vorgaben des Gesetzes ebenso erörtert wurden wie de -
ren möglichst optimale Umsetzung in die
Praxis des Vollzugs sowie mögliche rechtli -
che und tatsächliche Schwierigkeiten beim Vollzug. Die Ergebnisse dieser Beratun -
gen wurden von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern jeweils in ihrem Tätigkeits -
bereich und in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen weitergegeben und disku -
tiert.
Auf Basis dieses Diskussionsprozesses erarbeitete das Bundesministerium für Ju -
stiz einen umfangreichen Einführungserlaß vom 21. April 1997, der den Gerichten
noch vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Kenntnis gebracht wurde. Wesentlicher Be -
standteil dieses Erlasses ist auch eine umfassende Verpflichtung der Gerichte zur
Erfassung nicht nur der Anzahl der Verfahren nach diesem Bundesgesetz, sondern
auch der zur Analyse der Vollzugspraxis wesentlichen Einzelheiten (etwa ob einem
Antrag stattgegeben oder ob er abgewiesen wurde, ob der Antragstellung eine Inter -
vention der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vorausgegangen ist und
bejahendenfalls mit welchem Ergebnis, in welchem Verhältnis Antragsteller und An -
tragsgegner zueinander stehen und andere bedeutsame Verfahrensdaten). Diese -
im Vergleich zu anderen gerichtlichen Verfahren - außergewöhnlich genaue regi -
stermäßige Erfassung, die mit einer beträchtlichen Mehrarbeit für die Gerichtskanz -
leien verbunden ist, erlaubt eine effektive begleitende Beobachtung der praktischen
Auswirkungen des Gesetzes. Die Auswertung der Daten für den Zeitraum vom
1. Mai 1997 bis zum 30. April 1998 ergab ein aus meiner Sicht durchaus zufrieden -
stellendes Ergebnis. Von den insgesamt 514 von den Gerichten entschiedenen Ver -
fahren wurde den Anträgen auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung in 90 % der
Fälle stattgegeben; in nur 10% der Fälle wurden die Anträge abgewiesen. In 92,4%
aller entschiedenen Verfahren fällten die Gerichte ihre Entscheidung innerhalb von
14 Tagen (also der Frist, für die ein nach § 38a SPG erlassenes Rückkehrverbot
wirksam ist). Auch die Übereinstimmung zwischen den Maßnahmen der Organe des
öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Gerichte ist bemerkenswert hoch.
In diesem Zusammenhang ist auch das Bemühen des Bundesministeriums für Ju -
stiz um Erleichterung der Kooperation und Kommunikation der mit dem gerichtlichen
Vollzug befaßten Bezirksgerichte mit den anderen am Vollzug des Gesetzes betei -
ligten Stellen, vor allem mit der Exekutive, zu erwähnen, etwa durch mehrere ergän -
zende Rundschreiben mit weiteren
Informationen. So wurden etwa die in den jewei -
ligen Gerichtssprengeln tätigen, besonders geschulten Polizisten und Gendarmen
(die Kontaktbeamten) namentlich bekanntgegeben.
Am 11. November1997 wurden sodann in einer Folgeveranstaltung zu jener vom
Februar 1997 die Erfahrungen mit dem Vollzug des Gesetzes ausgetauscht.
Schließlich wird die Teilnahme von Familienrichterinnen und Familienrichtern an in -
terdisziplinären Seminaren und Fortbildungsveranstaltungen zu diesem Themenbe -
reich vom Bundesministerium für Justiz bestmöglich unterstützt.
Auch im strafrechtlichen Bereich ist das Bundesministerium für Justiz bemüht, die
Zusammenarbeit und Vernetzung aller mit Gewalt in der Familie befaßten Stellen zu
fördern. Zu diesem Zweck wirken Vertreterinnen und Vertreter meines Ministeriums
in dem vom Bundesminister für Inneres anläßlich des Inkrafttretens des Bundesge -
setzes zum Schutz vor Gewalt in der Familie eingesetzten Beirat für Grundsatzfra -
gen der Gewaltprävention mit, dem neben der Erarbeitung von Vorschlägen für eine
effektive Gestaltung der Kooperation und Koordination zwischen der Sicherheitsbe -
hörde und den Opferschutzeinrichtungen auch die finanzielle Förderung der Inter -
ventionsstellen und sonstiger im Bereich des Opferschutzes tätiger Stellen obliegt.
Auch beteiligt sich mein Ministerium an dem von der amtsführenden Wiener Stadt -
rätin für Integration, Frauenfragen, Konsumentenschutz und Personal ins Leben ge -
rufenen Jourfixe zum Gewaltschutzgesetz, um in einer offenen Runde die in der
Praxis auftretenden Schwierigkeiten bei der Implementierung des Gewaltschutzge -
setzes zu erörtern und gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.
Im Zusammenhang mit dem Gesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie steht
auch eine vom Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie, dem Bundesmi -
nisterium für Inneres sowie von meinem Ministerium finanzierte Studie des Instituts
für Rechts - und kriminalsoziologie, die unter dem Titel "Das Strafverfahren und der
außergerichtliche Tatausgleich im Vergleich” derzeit die Wirkungsweise strafrechtli -
cher Maßnahmen bei Gewaltstraftaten in Paarbeziehungen untersucht. Die Studie,
mit deren Fertigstellung Ende des Jahres gerechnet werden kann, soll sowohl die
Ausgangssituation als auch die Motivlage der Opfer für die Kontaktaufnahme mit
den Sicherheitsbehörden, Gerichten,
Beratungsstellen etc. beleuchten und die Er -
fahrungen der Opfer sowohl in bezug auf das herkömmliche Strafverfahren als auch
im Rahmen des Tatausgleichs evaluieren.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt
in der Familie sowohl vor als auch nach seinem Inkrafttreten eine besonders vielfäl -
tige und eingehende Implementierung erfuhr und in seiner praktischen Auswirkung
und Bewährung besonders intensiv begleitet und evaluiert wurde und wird.
Zu 4 und 5:
Über die schon zu Frage 3 erwähnten interdisziplinären Veranstaltungen vom 13.
und 14. Februar 1997 und vom 11. November 1997 hinaus führte das Bundesmini -
sterium für Justiz im Jahr 1997 eine Reihe von Fortbildungsveranstaltungen zum
Gewaltschutzgesetz durch, bei denen die in Familienrechtssachen tätigen Richterin -
nen und Richter der vier Oberlandesgerichtssprengel über die Ergebnisse dieser ge -
meinsamen Seminare informiert wurden. Weitere Fortbildungsveranstaltungen zum
Gewaltschutzgesetz sind geplant.
Im übrigen wurden in den Jahren 1996 und 1997 in sämtlichen Oberlandesgerichts -
sprengeln Seminare für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsan -
wälte, Richteramtsanwärterinnen und Richteramtsanwärter durchgeführt, die ganz
allgemein dem Thema der Gewalt gegen Frauen gewidmet waren. Im Fortbildungs -
zeitraum 1998/1999 werden solche Seminare neuerlich angeboten.
Zu 6:
lnterventionsstellen gegen Gewalt in der Familie sind derzeit in Wien, Graz, Salz -
burg und Innsbruck tätig; in Linz soll eine lnterventionsstellen in Bälde ihren Betrieb
aufnehmen.
Neben der Hilfe bei der praktischen Bewältigung der akuten Situation und der Ver -
mittlung von anderen geeigneten Hilfseinrichtungen ist es eine zentrale Aufgabe der
Interventionsstellen, die Opfer von Gewalt in rechtlichen Fragen zu beraten. Die Tä -
tigkeit der Interventionsstellen liegt also zu
einem wesentlichen Teil im Vorfeld des
gerichtlichen Verfahrens, weshalb § 38a Abs. 4 des Sicherheitspolizeigesetzes die
Verpflichtung bereits der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vorsieht, die
gefährdete Person von geeigneten Opferschutzeinrichtungen zu informieren. In der
überwiegenden Mehrzahl der Fälle, in denen sich das Opfer an das Gericht wendet,
besteht daher zumindest die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit einer Hilfseinrich -
tung, und häufig werden die Antragsteller (zum überwiegenden Teil Frauen - fast
97 %) bei der Antragstellung vor Gericht von Mitarbeiterinnen der Interventionsstel -
len unterstützt. Es ist daher davon auszugehen, daß die Gerichte von der Existenz
und der Tätigkeit einer lnterventionsstellen in ihrem Bereich Kenntnis haben. Auch
kann angenommen werden, daß den Gerichten neben den ausschließlich in Bal -
lungszentren eingerichteten lnterventionsstellen noch weitere Hilfseinrichtungen auf
regionaler Ebene bekannt sind.