4472/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Ewald Stadler, Dipl. - Ing. Maximilian

Hofmann und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend ein Urteil

des Oberlandesgerichts Wien vom 4. Mai 1998 zu 18 Bs 384/97, betreffend das

“Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes” (DÖW), gerichtet und

folgende Fragen gestellt:

 

“1. Hat Ihr Ministerium bzw. haben nachgeordnete, Ihrem Ministerium unterste -

     hende Stellen jemals mit dem “Dokumentationszentrum des österreichischen

    Widerstandes” zusammengearbeitet?

    Wenn ja, wann, wie oft, von welchen Abteilungen und in welchen Angelegen -

    heiten?

 

2. Wird Ihr Ministerium bzw. werden nachgeordnete, Ihrem Ministerium unterste -

    hende Stellen weiterhin mit dem "Dokumentationszentrum des österreichi -

    schen Widerstandes” (laut Gerichtsurteil “kommunistische Tarnorganisation")

   und dessen Leiter Dr. Wolfgang Neugebauer (laut Gerichtsurteil “Denunziant”)

   zusammenarbeiten?

  Wenn ja, warum?

3. Sind Sie bereit, den zwischen Ihnen, Ihren Amtsvorgängern und (laut Gerichts -

    urteil “Denunziant”) Dr. Wolfgang Neugebauer stattgefundenen Schriftverkehr

   dem Nationalrat vorzulegen?

   Wenn nein, warum nicht?

 

4. Wie viele Personen wurden von dem (laut Gerichtsurteil “Denunziant”)

    Dr. Wolfgang Neugebauer bzw. dem "Dokumentationsarchiv des österreichi -

    schen Widerstandes” (DÖW) oder diesem nahestehenden Leuten nach den

    Bestimmungen des § 3 des Verbotsgesetzes angezeigt?

 

5. Wie viele der angezeigten Personen wurden rechtskräftig verurteilt?

 

6. Welchen Gesamtbetrag hat das “Dokumentationszentrum des österreichischen

    Widerstandes” (laut Gerichtsurteil eine “kommunistische Tarnorganisation”)

    über die letzten 15 Jahre als Förderung aus Ihrem Ressort erhalten?”

 

Der Beantwortung der einzelnen Fragen sind zunächst folgende grundsätzliche Hin -

weise voranzustellen:

 

Die Anfrage fußt - wie aus ihren einleitenden Ausführungen und der Formulierung

der einzelnen Fragen deutlich wird - auf einer grundlegend unrichtigen Prämisse.

Dem in der Anfragebegründung genannten Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom

4. Mai 1998, 18 Bs 384/97, lag eine Privatanklage von Dr. Wolfgang Neugebauer

gegen Dr. F. R. wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 und 2

StGB zugrunde. In dieser Privatanklage wurde dem Beschuldigten Dr. F. R. vorge -

worfen, in der Nr. 6/92 des periodischen Medienwerks “Aula - Das freiheitliche Ma -

gazin” einen Artikel verfaßt und veröffentlicht zu haben, der zwölf den Privatankläger

im Sinn des § 111 StGB beleidigende und herabsetzende Textstellen enthalte. Hin -

sichtlich elf dieser Textstellen fällten die Gerichte ausschließlich aus rechtlichen Er -

wägungen einen Freispruch, und zwar deshalb, weil Werturteile im Rahmen einer

politischen Auseinandersetzung nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs

für Menschenrechte gemäß Art. 10 MRK zulässig sind. Die Meinungsfreiheit darf

nach dieser Rechtsprechung nur insoweit beschränkt werden, als dies in einer de -

mokratischen Gesellschaft zum Schutz der Aufrechterhaltung der Ordnung und an -

derer aufgezählter Werte unentbehrlich ist; die Grenzen strafloser Kritik sind danach

in bezug auf Personen, die im politischen Diskurs stehen, weiter zu ziehen als in be -

zug auf Privatpersonen. Es handelt sich um jene Judikatur des Europäischen Ge -

richtshofs für Menschenrechte, nach der unter anderem auch die Bezeichnung

“Trottel” für einen österreichischen Politiker unter bestimmten Umständen durch den

Schutz der Meinungsfreiheit als gedeckt erachtet wurde.

 

Mit dem auf dieser Rechtsprechung basierenden Teilfreispruch - wegen einer

Textstelle wurde der Beschuldigte trotz Anlegung dieses äußerst toleranten Maß -

stabs des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 und 2 StGB für schul -

dig erkannt - haben die Gerichte also keineswegs festgestellt, daß die Behauptun -

gen des beschuldigten Artikelverfassers richtig seien. Es trifft also zum Beispiel nicht

zu, daß ein Gericht festgestellt hätte, das Dokumentationsarchiv des österreichi -

schen Widerstandes sei eine “kommunistische Tarnorganisation” oder Dr. Wolfgang

Neugebauer sei ein “Denunziant”.

 

Angesichts dieses offenkundigen Sachverhalts kann ich nicht umhin, mein Befrem -

den über die in der Anfrage vorgenommene Deutung des Urteils des Oberlandesge -

richts Wien und die daraus abgeleitete Formulierung der einzelnen Fragen zum

Ausdruck zu bringen.

 

 

Diese Fragen beantworte ich nun wie folgt;

 

Zu 1:

 

Zwischen dem Bundesministerium für Justiz, einzelnen Staatsanwaltschaften und

Gerichten, der Justizanstalt Stein, aber auch mir persönlich einerseits und dem

(richtig) Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes andererseits gab

es - zum Teil wiederholt - Kontakte und Kooperationen. So verfaßte ich zum Beispiel

in der vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes gemeinsam

mit dem Bundesministerium für Justiz hergestellten Publikation “Stein, 6. April 1945”

das Geleitwort, und ich präsentierte dieses Buch am 6. April 1995 im Rahmen einer

Gedenkveranstaltung vor dem Haupttor der Justizanstalt Stein. Bei dem vom Doku -

mentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Juni 1996 veranstalteten

Symposium "Entnazifizierung und Nachkriegsprozesse”, an dem das Bundesmini -

sterium für Justiz mitbeteiligt war, sprach ich die Einleitungsworte zur Eröffnung am

13. Juni 1996. Für den im Anschluß daran erschienenen Tagungsband verfaßte ich

ein Geleitwort, und ich nahm auch an der Präsentation dieses Buches am 15. Juni

1998 teil.

 

Die Kontakte der jeweils zuständigen Sektionen bzw. Abteilungen des Bundesmini -

steriums für Justiz mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstan -

des betrafen im wesentlichen Angelegenheiten der Aufbewahrung und Auswertung

von Justizakten, Forschungen zur österreichischen Nachkriegsjustiz, die Herausga -

be von Broschüren und vereinzelt auch Einzelstrafsachen, in denen das Dokumen -

tationsarchiv als Anzeiger auftrat. Das Bundesministerium für Justiz führt überdies

gemeinsam mit dem Wissenschaftsressort und dem Institut für Zeitgeschichte seit

den siebziger Jahren die Veranstaltungsreihe “Justiz und Zeitgeschichte” durch; an

diesen - in zweijährigen Abständen stattfindenden - wissenschaftlichen Symposien

nahmen fallweise auch Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs teil.

 

Die Kontakte zwischen einzelnen Gerichten und Staatsanwaltschaften und dem

Dokumentationsarchiv beschränkten sich überwiegend auf Einsichtnahme in Akten,

vor allem in Volksgerichtsakten; in einigen Fällen strafprozessualer Vorverfahren

hatten sie auch die Beischaffung von Beweismitteln zum Gegenstand.

 

 

Zu 2:

 

Ich sehe keinen Grund, der gegen die Aufrechterhaltung der fruchtbringenden Kon -

takte mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes spräche.

Das Dokumentationsarchiv ist als wissenschaftliche Einrichtung international aner -

kannt und leistet mit seinen Aktivitäten einen wichtigen Beitrag zur Auseinanderset -

zung mit der Vergangenheit.

Zu 3:

 

Ich sehe keinen Anlaß dafür, in diesem Kontext anders als sonst im Zusammenhang

mit parlamentarischen Interpellationen vorzugehen, und würde daher bei konkreten

Informationswünschen in bezug auf den zwischen meinen Amtsvorgängern, mir und

Dr. Neugebauer gepflogenen Schriftverkehr die darauf gerichteten inhaltlichen Fra -

gen beantworten, soweit dem nicht gesetzliche Hindernisse entgegenstehen.

 

 

Zu 4 und 5:

 

Hiezu liegen keine statistischen Unterlagen vor. Eine präzise Beantwortung dieser

Fragen wäre daher nur mit einem unvertretbar hohen Aufwand möglich.

Die Auswertung der Jahresberichte der vier Oberstaatsanwaltschaften ergab, daß

bei den Staatsanwaltschaften österreichweit jährlich nachfolgende Anzahl von Vor -

gängen nach dem Verbotsgesetz bearbeitet wurde. Daneben ist in Klammer die An -

zahl der diesbezüglich rechtskräftig verurteilten Personen ausgewiesen:

 

                     1990: 229              (1)

                     1991: 276              ( -)

                     1992: 708              (5)

                     1993: 623              (17)

                     1994: 715              (22)

                     1995: 874              (22)

                     1996: 536              (21)

 

 

Den zuständigen Beamten meines Hauses sind nur wenige Anzeigen von

Dr. Neugebauer bzw. des Dokumentationsarchivs des österreichischen

Widerstandes wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Verbotsgesetz in

Erinnerung. Einige dieser wenigen Anzeigen betrafen Sachverhalte, die ohnedies

schon Gegenstand von Erhebungen gewesen waren. Zumindest je eine Anzeige

aus den Jahren 1994 und 1995 führte jeweils zur rechtskräftigen Verurteilung einer

Person wegen des angezeigten Sachverhalts. Einige Verfahren, denen (auch) An -

zeigen des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes zugrunde lie -

gen, sind noch nicht abgeschlossen.

Zu 8:

 

Das Bundesministerium für Justiz beabsichtigt, dem Dokumentationsarchiv des

österreichischen Widerstandes im Jahr 1998 für die Fortsetzung der Forschungen

zur österreichischen Nachkriegsjustiz eine Förderung in der Höhe von S 150.000,--

zu bewilligen. Sonstige Förderungen des Dokumentationsarchivs des österreichi -

schen Widerstandes sind für den angefragten Zeitraum aus den zur Verfügung ste -

henden Unterlagen nicht feststellbar.