4512/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Stadler, Dr. Graf, Dr. Ofner, Dr. Haupt

und Scheibner haben am 17. Juli1998 unter der Nr. 4744/J an mich eine

schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Aufhebung bestimmter

"Benesch - Dekrete" und des Amnestiegesetzes von 1946 durch die Tsche -

chische Republik und bestimmter "AVNOJ - Beschlüsse" durch Slowenien

gerichtet.

 

Zu den Fragen 1, 2 und 5:

Die “Benesch - Dekrete” und "Avnoj - Beschlüsse" sind bekannt.

Der Europäische Rat kam auf seiner Tagung im Juni 1993 in Kopenhagen zu

dem Schluß,

            “daß die assoziierten mittel - und osteuropäischen Länder, die dies

            wünschen, Mitglieder der Europäischen Union werden können. Ein

            Beitritt kann erfolgen, sobald ein assoziiertes Land in der Lage ist, den

            mit einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen nachzukommen

            und die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen zu

            erfüllen".

Als eine der grundsätzlichen Voraussetzungen für die Mitgliedschaft wurde

weiters festgelegt, daß

            “der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für

            demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der

            Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten

            verwirklicht haben muß".

 

Aufgrund der Beitrittsanträge der Tschechischen Republik vom 17. Jänner

1996 und der Slowenischen Republik vom 10. Juni1996 beschloß der Rat der

EU die Einleitung des Beitrittsverfahrens mit diesen Ländern. Die Stellungnah -

me der Kommission zum Beitrittsantrag der Tschechischen Republik und Slo -

weniens (“Avis”) wurde dem Rat im Juli 1997 vorgelegt. Die Gliederung der

Stellungnahme berücksichtigt die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates

in Kopenhagen und enthält somit auch eine Bewertung der Lage nach Maßga -

be der vom Europäischen Rat aufgestellten Kriterien (Demokratie, Rechtsstaat -

lichkeit, Menschenrechte, Minderheitenschutz).

 

Wie die Kommission in ihrer Stellungnahme im Kapitel “Politische Kriterien” zur   

Frage der Einhaltung der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes fest -

stellt, haben die Bestimmungen der internationalen Menschenrechtsüberein - 

künfte gemäß Artikel 10 der tschechischen Verfassung Vorrang vor den Be -

stimmungen des innerstaatlichen Rechts und gelten unmittelbar. Nach Artikel 8

der Slowenischen Verfassung müssen Gesetze und andere Vorschriften mit

den unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Verträgen in Einklang stehen.

 

Die allgemeine Bewertung der Europäischen Kommission hinsichtlich der Er -

füllung der für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union erforderlichen

politischen Kriterien lautet für die Tschechische Republik und die Republik

Slowenien gleichermaßen wie folgt:

            Die Tschechische Republik bzw. Slowenien “verfügt über die Merkmale

            einer Demokratie mit stabilen Institutionen, die die rechtsstaatliche

            Ordnung, die Menschenrechte und die Achtung von Minderheiten und

            ihren Schutz gewährleisten”.

 

Aufgrund der insgesamt positiven Stellungnahme der Kommission beschloß der

Rat der EU die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Tschechischen

Republik und der Republik Slowenien.

Österreich hat seine ablehnende Haltung gegenüber den Benesch - Dekreten

und den AVNOJ - Beschlüssen der tschechischen bzw. slowenischen Seite wie -

derholt zur Kenntnis gebracht und wird diese Haltung auch weiterhin vertreten.

Gegenüber Slowenien sind Bestrebungen im Gange, die anhängigen öster -

reichischen Fälle nach dem Denationalisierungsgesetz durch bilaterale Ge -

spräche einer beschleunigten Erledigung zuzuführen.

 

Die am 21.Jänner 1997 unterzeichnete deutsch - tschechische Erklärung über

die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung führt u.a. aus:

“Beide Seiten stimmen darin überein, daß das begangene Unrecht der

Vergangenheit angehört und werden daher ihre Beziehung auf die Zu -

kunft ausrichten. Gerade deshalb, weil sie sich der tragischen Kapitel

ihrer Geschichte bewußt bleiben, sind sie entschlossen, in der Gestal -

tung ihrer Beziehungen weiterhin der Verständigung und dem gegen -

seitigen Einvernehmen Vorrang einzuräumen, wobei jede Seite ihrer

Rechtsordnung verpflichtet bleibt und respektiert, daß die andere Seite

eine andere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären deshalb, daß

sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden

politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.”

Die “Stellungnahme der österreichischen Bundesregierung zur deutsch – tsche -

chischen Erklärung” ist angeschlossen.

 

Österreich ist in konsequenter Fortsetzung seiner Nachbarschaftspolitik, die

nachhaltig zur Wende in Osteuropa beigetragen hat, und im Interesse der

Sicherheit und Stabilität Europas bestrebt, die EU - Beitrittsbemühungen der

mittel- und osteuropäischen Staaten zu unterstützen. Die Erweiterung der EU

als Kernpunkt der fortschreitenden Integration Europas bietet die beste

Gewähr, um den Frieden auf unserem Kontinent zu stärken und den Gefahren

des Nationalismus, der zum II. Weltkrieg und seinen schrecklichen Folgen

geführt hat, wirksam entgegenzutreten. Die Bundesregierung wird ihre Bemü -

hungen fortsetzen, offene Fragen gegenüber anderen Staaten auf bilateralem

Wege einer Lösung zuzuführen.

 

Zu den Fragen 3 und 4:

Die Europäische Kommission erstellte ihren “Avis” zu den Anträgen Sloweniens

und der Tschechischen Republik auf Beitritt zur Europäischen Union in eigener

Verantwortung ohne Befassung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

 

Zu Frage 6:

Österreich hat mit großem Einsatz an der Ausarbeitung des Statuts für die

Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs mitgearbeitet. Aus öster -

reichischer Sicht ist das Statut ein akzeptabler Kompromiß, weil wesentliche

Verhandlungspositionen, die Österreich gemeinsam mit vielen anderen west -

lichen Staaten vertreten hat, darin eingeflossen sind.

 

Der Internationale Strafgerichtshof ist eine Errungenschaft von historischer

Tragweite. Nach dem Statut wird dem Internationalen Strafgerichtshof die

Funktion zufallen, gegenüber potentiellen Rechtsbrechern abschreckend zu

wirken, die schwersten Verbrechen zu bestrafen und allgemein zu mehr

Sicherheit in der Staatengemeinschaft beizutragen. Das Ratifikationsverfahren

wird in Österreich ehestmöglich nach Unterzeichnung eingeleitet werden.

 

Zu Frage 7:

Die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs erstreckt sich aus -

schließlich auf Delikte, die nach dem Inkrafttreten des Statuts begangen

werden (siehe die Art. 11 und 24 Abs. 1 des Statuts).

Der Grundsatz “ne bis in idem”‘ wird vom Internationalen Strafgerichtshof auf

einen Beschuldigten dann nicht anzuwenden sein, wenn die inländische

Gerichtsbarkeit im wesentlichen in Umgehungsabsicht mißbräuchlich ausgeübt

worden ist (siehe hiezu Art. 20 Abs. 3 des Statuts).