4519/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten Mag. Johann Ewald Stadler und Genossen haben an mich

am 17.7.1997 eine schriftliche Anfrage betreffend die Aufhebung bestimmter

“Benesch - Dekrete” und des Amnestiegesetzes von 1946 durch die Tschechi -

sche Republik und bestimmter "Avnoj - Beschlüsse" durch Slowenien gerichtet,

die den folgenden Wontlaut hat:

 

1. Ist Ihnen die moralische, politische und vermögensrechtliche Bedeutung

    bestimmter “Benesch - Dekrete” und "Avnoj - Beschlüsse", sowie des Amne -

    stiegesetzes bekannt ? Wenn nein, warum nicht?

 

2. Finden Sie bestimmte ,,Benesch-Dekrete”‘ und ,Avnoj-Beschlüsse”, sowie

    das Amnestiegesetz mit den von der EU erstellten “Kopenhagener Kriten -

    en” vereinbar? Wenn nein, was haben Sie zu deren Aufhebung unter -

    nommen?

 

3. In der Stellungnahme (Avis) der EK vom 15. Juli 1997 findet nur ein einzi -

    ges (nicht näher spezifiziertes) Dekret zur Enteignung der Sudetendeut -

    schen Erwähnung. Ist Ihnen bekannt, daß es 9 “Benesch - Dekrete” (Nr. 5,

    12, 28, 33, 71, 95, 108, 126 und 137) gibt, die zum Schaden der Sudeten -

    deutschen angewandt worden sind? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja,

    warum haben Sie nicht Ihren Einfluß zu einer korrekten Wurdigung be-

    stimmter “Benesch - Dekrete” im oben erwähnten Avis verwendet?

 

4. Im Avis betreffend Slowenien ist keiner der relevanten "Avnoj - Beschlüsse”

    erwähnt, auch nicht als materieller Bestandteil des sogenannten

    "Denationalisierungsgesetzes”. Ist Ihnen bekannt, warum dies unterlassen

    wurde? Wenn nein, warum nicht?

5. Beabsichtigen Sie im Interesse der 300.000 seinerzeit nach Österreich

    vertriebenen Sudetendeutschen und 50.000 seinerzeit nach Österreich

    vertriebenen Untersteirer im EU - Ministerrat aktiv zu werden und auf eine

    Aufhebung der bereits mehrmals erwähnten Rechtsnormen hinzuarbeiten.

    Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, warum nicht?

 

6. Wie ist die offizielle Stellung Österreichs zur Einrichtung eines internatio -

     nalen Strafgerichtshofes zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und ande -

     rer kapitaler Verbrechen gegen die Menschheit?

 

7. Internationaler Standard ist, daß Verbrechen an der Menschheit nicht ver -

    jähren - “Unrecht verjährt nicht". Werden Sie sich dafür einsetzen, sollte es

    zur Einrichtung des intemationalen Strafgerichtshofes kommen, daß Ver -

    brecher, die innerstaatlich amnestiert wurden, in weiterer Folge auch vor

    dem internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden?

    Wenn nein, warum nicht?

 

Zu Fragen 1, 2 und 5:

 

Die “Benes - Dekrete” und "Avnoj - Beschlüsse" sind bekannt.

Der Europäische Rat kam auf seiner Tagung im Juni 1993 in Kopenhagen zu

dem Schluß

            “daß die assoziierten mittel - und osteuropäischen Länder; die dies

            wünschen, Mitglieder der Europäischen Union werden können. Ein

            Beitritt kann erfolgen, sobald ein assozuertes Land in der Lage ist,

            den mit eher Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen nachzu -

            kommen und die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Be -

            dingungen zu erfüllen ".

Als eine der grundsätzlichen Voraussetzungen für die Mitgliedschaft wurde

weiters festgelegt, daß

            “der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für de -

            mokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Men -

            schenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten

            verwirklicht haben muß".

Aufgrund der Beitrittsanträge der Tschechischen Republik vom 17.1.1996

und der Slowenischen Republik vom 10.6.1996 beschloß der Rat der EU die

Einleitung des Beitrittsverfahrens mit diesen Ländern. Die Stellungnahme der

Kommission zum Beitrittsantrag der Tschechischen Republik und Sloweniens

("Avis”) wurde dem Rat im Juli 1997 vorgelegt. Die Gliederung der Stellung -

nahme berücksichtigt die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates in Ko -

penhagen und enthält somit auch eine Bewertung der Lage nach Maßgabe

der vom Europäischen Rat aufgestellten Kriterien (Demokratie, Rechtsstaat -

lichkeit, Menschenrechte, Minderheitenschutz).

Wie die Kommission in ihrer Stellungnahme im Kapitel “Politische Kriterien”

zur Frage der Einhaltung der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes

feststellt, haben die Bestimmungen der internationalen Menschenrechtsüber -

einkünfte gemäß Artikel 10 der tschechischen Verfassung Vorrang vor den

Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts und gelten unmittelbar. Nach Ar -

tikel 8 der Slowenischen Verfassung müssen Gesetze und andere Vorschrif -

ten mit dem unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Verträgen in Einklang

stehen.

 

Die allgemeine Bewertung der Europäischen Kommission hinsichtlich der

Erfüllung der für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union erforderlichen

politischen Kriterien lautet für die Tschechische Republik und die Republik

Slowenien gleichermaßen wie folgt:

            Die Tschechische Republik bzw. Slowenien “verfügt über die Merk -

            male einer Demokratie mit stabilen Institutionen, die die rechtsstaatli -

            che Ordnung, die Menschenrechte und die Achtung von Minderheiten

            und ihren Schutz gewährleisten”.

 

Aufgrund der insgesamt positiven Stellungnahme der Kommission beschloß

der Rat der EU die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Tschechi -

schen Republik und der Republik Slowenien.

Österreich hat seine ablehnende Haltung gegenüber den Benesch - Dekreten

und den AVNOJ - Beschlüssen der tschechischen bzw. slowenischen Seite

wiederholt zur Kenntnis gebracht und wird diese Haltung auch weiterhin ver-

treten.

 

Gegenüber Slowenien sind Bestrebungen im Gange, die anhängigen öster -

reichischen Fälle nach dem Denationalisierungsgesetz durch bilaterale

Gespräche einer beschleunigten Erledigung zuzuführen.

 

Die am 21. Jänner 1997 unterzeichnete deutsch - tschechische Erklärung über

die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung führt u.a.

aus:

            “Beide Seiten stimmen darin überein, daß das begangene Unrecht

            der Vergangenheit angehört und werden daher ihre Beziehung auf

            die Zukunft ausrichten. Gerade deshalb, weil sie sich der tragischen

            Kapitel ihrer Geschichte bewußt bleiben, sind sie entschlossen, in der

            Gestaltung ihrer Beziehungen weiterhin der Verständigung und dem

            gegenseitigen Einvernehmen Vorrang einzuräumen, wobei jede Seite

            ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt und respektiert, daß die ande -

            re Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären

            deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit

            herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden."

 

Die “Stellungnahme der österreichischen Bundesregierung zur deutsch -

tschechischen Erklärung" ist angeschlossen.

Österreich ist in konsequenter Fortsetzung seiner Nachbarschaftspolitik, die

nachhaltig zur Wende in Osteuropa beigetragen hat, und im Interesse der

Sicherheit und Stabilität Europas bestrebt, die EU - Beitrittsbemühungen der

mittel - und osteuropäischen Staaten zu unterstützen. Die Erweiterung der EU

als Kernpunkt der fortschreitenden Integration Europas bietet die beste Ge -

währ, um den Frieden auf unserem Kontinent zu stärken und den Gefahren

des Nationalismus, der zum II. Weltkrieg und seinen schrecklichen Folgen

geführt hat, wirksam entgegenzutreten. Die Bundesregierung wird ihre Be -

mühungen fortsetzen, offene Fragen gegenüber anderen Staaten auf bilate -

ralem Wege einer Lösung zuzuführen.

 

Zu Fragen 3 und 4:

 

Die Europäische Kommission erstellte ihren "Avis" zu den Anträgen Sloweni -

ens und der Tschechischen Republik auf Beitritt zur Europäischen Union in

eigener Verantwortung ohne Befassung der Mitgliedstaaten der Europäi -

schen Union.

 

Zu Frage 6:

 

Österreich hat mit großem Einsatz an der Ausarbeitung des Statuts für die

Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs mitgearbeitet. Aus österrei -

chischer Sicht ist das Statut ein akzeptabler Kompromiß, weil wesentliche

Verhandlungspositionen, die Österreich gemeinsam mit vielen anderen west -

lichen Staaten vertreten hat, darin eingeflossen sind.

 

Der Internationale Strafgerichtshof ist eine Errungenschaft von historischer

Tragweite. Nach dem Statut wird dem Internationalen Strafgerichtshof die

Funktion zufallen, gegenüber potentiellen Rechtsbrechern abschreckend zu

wirken, die schwersten Verbrechen zu bestrafen und allgemein zu mehr Si -

cherheit in der Staatengemeinschaft beizutragen. Das Ratifikationsverfahren

wird in Österreich ehestmöglich nach Unterzeichnung eingeleitet werden.

 

Zu Frage 7:

 

Die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs erstreckt sich aus -

schließlich auf Delikte, die nach dem Inkrafttreten des Statuts begangen wer -

den (siehe die Art. 11 und 24 Abs. 1 des Statuts).

Der Grundsatz “ne bis in idem” wird vom Internationalen Strafgerichtshof auf

einen Beschuldigten dann nicht anzuwenden sein, wenn die inländische Ge -

richtsbarkeit im wesentlichen in Umgehungsabsicht mißbräuchlich ausgeübt

worden ist (siehe hiezu Art. 20 Abs. 3 des Statuts).