4653/AB XX.GP

 

BEANTWORTUNG

 

der Anfrage der Abgeordneten Steibl u.a.

an die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales betreffend

Anzahl der Notstandshilfebezieher in Wien

Nr. 4947/J

 

Wien zeichnet sich im Vergleich mit anderen europäischen Städten durch ein hohes Maß

an Beschäftigung und eine vergleichsweise geringe Arbeitslosigkeit aus.

 

Die vereinfachende Reduzierung der Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit auf zwei Ur -

sachen, wie sie die Einleitung zur parlamentarischen Anfrage darstellt, übersieht nicht nur

die vielschichtige Interaktion einer Vielzahl von Bestimmungsfaktoren der regionalen Ar -

beitslosigkeit, sondern auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den Einfluß der

beteiligten wirtschaftspolitischen Akteure.

 

Wien als einzige Millionenstadt Österreichs, daher mit keiner anderen Österreichischen

Stadt vergleichbar, ist besonders sensibel für neue Entwicklungstendenzen, Änderungen

der Arbeitsorganisation, die zuerst auf den Arbeitsmärkten der Zentren greifen. Nicht zuletzt

daraus läßt sich erklären, warum sich die Wiener Arbeitsmarktsituation so deutlich von jener

in den anderen Regionen unterscheidet.

 

Der Wiener Wirtschaftsraum ist dicht mit dem überregionalen Umfeld vernetzt. Vor allem im

Süden Wiens existiert eine dichte Zone wirtschaftlicher Verflechtung. Der Ballungsraum

Wien als Zentrum der Ostregion besitzt nach wie vor eine herausragende Stellung als über -


 

regionaler Arbeitsmarkt, der Berufstätige aus anderen Regionen Österreichs, aber auch aus

dem Ausland anzieht. Insbesondere der marktorientierte, aber auch der öffentliche Dienst -

leistungssektor besitzt weite Ausstrahlungskraft.

 

Dabei verteilen sich die Lasten und Gewinne recht unterschiedlich auf die Bundesländer

Wien und Niederösterreich, aber auch die Gemeinden im Stadtumland. Während eine Ge -

meinde sich als Standort für Einzelhandelsunternehmen profiliert, haben die benachbarten

Gemeinden das erhöhte Verkehrsaufkommen zu ertragen. Während ein Bundesland von

der Zuwanderung von städtischen Mittel - und Oberschichten profitiert, hat das andere Bun -

desland zunehmend die Lasten der Arbeitslosigkeit, teilweise auch der sozialen Sicherung

zu übernehmen.

 

Ausgehend von einer Analyse der Beschäftigungssituation in Wien lassen sich zusammen -

fassend wesentliche Problemlagen Wiens folgendermaßen beschreiben:

 

• Überdurchschnittliche Einbuße an Arbeitsplätzen in der Industrie und im verarbeitenden

   Gewerbe aufgrund der historisch geprägten wirtschaftlichen Ausrichtung der Wiener Un -

   ternehmen auf den wenig dynamischen Inlandsmarkt.

 

• Abwanderung von Industrie und Gewerbebetrieben in das nähere oder weitere Umland

   infolge unterschiedlicher Faktoren- und Ressourcenpreise (Grundstücks - und Gebäude -

   kosten, Löhne) sowie unterschiedlicher Förderkulissen (insbesondere in Hinblick auf Be -

   triebsansiedlungen).

 

• Mangelnde Innovationskraft der Wiener Wirtschaft aufgrund ungenügender Markt -

   transparenz und damit erhöhter Kosten für Information in Hinblick auf den Faktormärkten

   (Kapital, Arbeit, technologisches Wissen).

 

• Verschärfte Angebotskonkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, die durch die hohe Zahl an Ein -

   pendlern (der Pendlersaldo für Wien beträgt derzeit rund 130.000) noch zusätzlich er -

   höht wird.

 

• Zurückhaltende Personaleinstellungspolitik im öffentlichen Dienst, bei Banken und Ver -

   sicherungen, in den Zentralen großer Unternehmen.

   Vor dem skizzierten regionalwirtschaftlichen Hintergrund, v.a. den Herausforderungen des

   Strukturwandels der Wiener Wirtschaft, sind Beschäftigungs - und Arbeitsmarktentwicklung

   (schrumpfende Beschäftigung im Produktionsbereich, stark gestiegene Arbeitskräfteange -

   botskonkurrenz bei insgesamt schwachem Wachstum des Dienstleistungsbereiches zu be -

   urteilen, eine Entwicklung, die vor allem in ungünstigen Wiederbeschäftigungschancen Ar -

   beitsloser ihren Ausdruck findet.

Beim Neuabschluß eines Beschäftigungsverhältnisses stehen in Wien die Chancen eins zu

fünf, daß eine arbeitslose Person den Arbeitsplatz erhält. Nicht zuletzt der Anstieg der Al -

tersarbeitslosigkeit führt dazu, daß in Wien das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit deut -

licher ausgeprägt ist als in anderen Bundesländern. Diese problematische Situation ist - wie

erwähnt - Ausdruck der oben skizzierten sozioökonomischen Faktoren (einschließlich de -

mographischer Komponenten).

 

Im Kontrast zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Wien ist bereits seit dem 2. Halbjahr

1997 eine sehr günstige Entwicklung der offenen Stellen zu konstatieren, was unter an -

derem auf die erfolgreichen Akquisitionsanstrengungen des Arbeitsmarktservice zurückzu -

führen ist. Im Oktober 1998 lag diese Zahl mit rund 4.229 um 24,5% über dem Vorjahres -

niveau.

 

Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Situation des Wiener Arbeitsmarktes, der zu

beobachtenden Konzentrations - und Strukturierungseffekte der Arbeitslosigkeit, der Substi -

tuierung jener teureren, v.a. männlichen Arbeitskräfte mittleren Alters durch billigere und

gleichzeitig oft besser qualifizierte Arbeitskräfte, Qualifikation verstanden im weitesten Sinn,

ist zu sehen, was zur ( Re - ) Integration von arbeitslosen, langzeitarbeitslosen Personen in

den Arbeitsmarkt alles getan wird.

 

Das Arbeitsmarktservice Wien hat 1997 mehr als 52.000 Förderfälle abgewickelt. Speziell

zur Förderung der Beschäftigung von längerfristig erwerbslosen und am Arbeitsmarkt be -

nachteiligten Personengruppen wurden rund 1.400 Eingliederungsbeihilfen gewährt und

fast 400 zusätzliche Arbeitsplätze in gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten und sozial -

ökonomischen Betrieben gefördert.

 

Mit diesen Anstrengungen geben sich Bundesregierung und Gemeinde Wien allerdings

nicht zufrieden. Daher haben die Organisationen und Einrichtungen, die für die Wettbe -

werbsfähigkeit der Wiener Wirtschaft und für ein hohes Maß an Beschäftigung Verantwor -

tung tragen, auf Basis des Nationalen Aktionsplans für Beschäftigung einen territorialen

Beschäftigungspakt beschlossen, der, von allen relevanten Politikbereichen akzeptiert, be -

schäftigungswirksame (Modell -) Aktionen bündelt und aufeinander abstimmt und damit ent -

scheidende Impulse für neue Beschäftigung und gegen Arbeitslosigkeit liefert.

1999 werden im Rahmen dieses Paktes zusätzliche Maßnahmen für mehr als 8.500 -

überwiegend langzeitarbeitslose und von Langzeitarbeitslosigkeit bedrohte Personen,

mindestens die Hälfte davon Frauen, realisiert. Allein durch die Einrichtung sozialökonomi -

scher Betriebe sollen zusätzliche Beschäftigungschancen für ca. 500 benachteiligte Arbeits -

lose geschaffen werden.

 

Dem Arbeitsmarktservice die Verantwortung für die Anzahl der Notstandshilfebezieher zu -

zuweisen stellt demgegenüber keinen konstruktiven Beitrag zur Lösung des Problems dar.

 

Antwort zu Frage 1:

 

Eine einigermaßen sinnvolle Bezugsgröße zum Anteil der Notstandshilfebezieher stellt si -

cherlich nicht die gesamte Wohnbevölkerung dar, sondern allenfalls die Zahl der

(unselbständigen) Erwerbspersonen (Arbeitskräftepotential). Während 1997 der Anteil der

Wohnbevölkerung Wiens an der Wohnbevölkerung Österreichs 19,7 % betrug, lag der An -

teil des Wiener Arbeitskräftepotentials am gesamtösterreichischen Arbeitskräftepotential bei

25,3 %. Der Anteil der Notstandshilfebezieher Wiens am Arbeitskräftepotential Wiens be -

trug 1997 4,2 %, der gesamtösterreichische Anteil der Notstandshilfebezieher am Arbeits -

kräftepotential Österreichs lag bei 2,7.

 

Die Befunde zeigen zudem, daß die Langzeitarbeitslosen in Wien keineswegs nur

"Randgruppen" zuzurechnen sind. Es sind vielmehr Personen aus einem breiten sozialen

Spektrum, die sich mit den Folgen des verlangsamten städtischen Wirtschaftswachstums

konfrontiert sehen. Auch liegt der Anteil der älteren Personen am Arbeitskräftepotential in

Wien sowohl bei den unselbständig Beschäftigten als auch bei den vorgemerkten Arbeits -

losen über dem österreichischen Durchschnitt (Wien 28%; Österreich 22%). Nicht zuletzt

dieser Umstand bewirkt angesichts der konkreten Personalpolitik der Unternehmen einen

Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit.

Antwort zu Frage 2:

 

Die Wiener Wirtschaftspolitik kann schon deshalb nicht die Ursache für die Anzahl der Not -

standshilfebezieherlnnen sein, weil sie meines Erachtens nicht schlecht ist. Die Politik der

Stadt Wien zielt auf eine möglichst hohe Beschäftigung ab, auf die Erhaltung ausgewoge -

ner Arbeitsmarktstrukturen, auf Betriebsansiedlung und den Erhalt bestehender Betriebe.

Mit dem Ziel, eine balancierte ökonomische und soziale Entwicklung anzustreben, hat Wien

sich in vielen Bereichen im vergangenen Jahrzehnt international gut positioniert.

 

Die realen Ursachen für die erhöhte Arbeitslosigkeit in Wien habe ich in der Einleitung und

in der Antwort zu Frage 1 dargestellt.

 

Antwort zu Frage 3:

 

Nein. Das Arbeitsmarktservice ist österreichweit an die gleichen Gesetze gebunden.

Wie in den übrigen Bundesländern überprüfen die MitarbeiterInnen des Arbeitsmarktser -

vice - entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen - die Verfügbarkeit für den Arbeits -

markt und weisen dementsprechend Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nur an

Personen an, die tatsächlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

 

Antwort zu den Fragen 4 und 5:

 

Die Beantwortung dieser Fragen erübrigt sich durch die Beantwortung der Frage 3.