4673/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Maier, Dr. Pittermann, Dr. Kräuter,
Mag. Guggenberger und Genossen haben an mich eine schriftliche Anfrage, betref -
fend Novellierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes, BGBl 1992/275 (§17), ge -
richtet und folgende Fragen gestellt:
"1. Teilen Sie diese (in der Anfragebegründung wiedergegebene) medizinische
Fachmeinung?
Sind Sie bereit, dieser Fachmeinung Rechnung zu tragen?
2. Werden Sie eine Gesetzesnovellierung dahingehend vorbereiten, daß zumin-
dest Krebspatienten und Patienten mit schweren Störungen der Samenpro -
duktion bzw. des Samentransportes von der Einjahresfrist ausgenommen
werden?
Oder soll diese Frist generell erweitert werden?
3. In welchen anderen EU - Ländern gibt es eine derartige zeitliche Beschrän -
kung auf ein Jahr nicht mehr?
4. Wäre es nicht sinnvoller, da oft private Gründe verhindern, daß innerhalb ei -
nes Jahres Kinder gezeugt werden, die tiefgefrorenen Spermien bis zum er -
lebten 50. Lebensjahr des Spenders aufzubewahren?
5. Gibt es bereits in Ihrem Ministerium Erfahrungswerte zum Vollzug des Fort -
pflanzungsmedizingesetzes?
6. Sehen Sie einen weiteren Reformbedarf?"
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1, 2 und 6:
Die Beschlußfassung über das Fortpflanzungsmedizingesetz war von dem durchaus
expliziten Bewußtsein getragen, daß dieses Gesetz bei weitem nicht alle bekannten
Techniken der medizinisch unterstützten Fortpflanzung zuläßt und daß es in so
manchen Fällen bestehender oder drohender Fortpflanzungsunfähigkeit eine - unter
rein medizinisch - technischen Gesichtspunkten mögliche - Abhilfe unterbindet. Zu
dieser restriktiven Haltung gelangte der Gesetzgeber jedoch aus folgenden, auch
heute noch beachtenswerten Gründen:
Die gesellschafts -, gesundheits - und rechtspolitische Diskussion anläßlich der Vor -
bereitung und Verabschiedung des Fortpflanzungsmedizingesetzes war von einer
besonderen Vielfalt der Fachmeinungen, Standpunkte, Bewertungen und Forderun -
gen gekennzeichnet. Auch sah sich der Gesetzgeber bei eingehender Analyse mit
höchst komplexen und vielschichtigen Problemen konfrontiert. Es galt in diesem Zu -
sammenhang zu beachten, daß die modernen, zunehmend ausgereiften Fortpflan -
zungstechnologien neuartige Möglichkeiten einer individuellen Lebens - und Fami -
lienplanung eröffneten, die zwar einerseits Abhilfe in Fällen bringen, in denen der na -
türliche Zeugungsakt erfolglos verläuft, andererseits aber auch die Erfüllung eines
Kinderwunsches ohne natürlichen Zeugungsakt oder gar ohne die Last einer
Schwangerschaft ermöglichen. Es durfte ferner nicht vernachlässigt werden, daß die
medizinisch - technischen Wahlmöglichkeiten der "Wunscheltern" (oder "Wunschel -
ternteile") nicht mehr darauf beschränkt sein würden, ob und wann sie ein Kind wol -
len, sondern daß sie auf Grund der
Fortschritte von Wissenschaft und Technik künf -
tig mehr oder weniger zuverlässig darüber entscheiden könnten, welches Kind mit
welchen Eigenschaften gezeugt und geboren werden soll. Der Gesetzgeber hatte
aber auch den von verschiedenen Seiten an ihn herangetragenen Forderungen
nach ausreichendem Schutz des werdenden Lebens, der Würde der beteiligten Per -
sonen, insbesondere der Frauen, und nach Verrechtlichung eines sich abzeichnen -
den Marktes für Methoden der modernen Fortpflanzungsmedizin Rechnung zu tra -
gen.
Vor dem Hintergrund des - vor allem von der Ärzteschaft immer wieder ins Treffen
geführten - steigenden Bedarfs nach den Methoden der modernen Medizin, einer
damit verbundenen zunehmenden Rechtsunsicherheit und der gesellschaftlichen
Diskussion zu dem Thema bekannte sich der Gesetzgeber dazu, einen möglichst
breiten Ausgleich der unterschiedlichen Wertungen und Interessen zu suchen. Da -
bei wurde den Grundwerten der menschlichen Würde, des Wohls des (werdenden)
Kindes, dem Recht auf Fortpflanzung und dem Schutz der Frauen vor der in man -
chen Ländern bereits erkennbaren Ausbeutung, Erniedrigung und Belastung ent -
scheidende Bedeutung beigemessen. Diese Grundwerte sollten, soweit sie in einem
Spannungsverhältnis standen, bei der Lösung der einzelnen Fragen jeweils sorgfäl -
tig gegeneinander abgewogen werden. Auf diese Art und Weise sollte der Weg für
möglichst allgemein anerkannte Regelungen bereitet werden (RV 216 BlgNR
XVIII. GP 10 f.; JAB 490 BlgNR XVIII. GP 2).
Die im Zuge des Gesetzgebungsgeschehens geführte gesellschaftspolitische Dis -
kussion führte schließlich zum Ergebnis, die medizinisch unterstützte Fortpflanzung
weitgehend einzuschränken, um dem Schutz aller Beteiligten, vor allem der Frauen
und des werdenden Lebens, der Unterbindung von menschenrechtlich bedenklichen
Mißbräuchen sowie der Eindämmung finanzieller Ausbeutung sozial und wirtschaft -
lich Schwacher gerecht zu werden. Das Resultat dieses gesellschaftspolitischen
Konsenses sind die eher restriktiv gezogenen rechtlichen Grenzen für medizinisch
unterstützte Fortpflanzungen.
Auf der Basis und in Abwägung der angeführten Grundwerte sieht das Fortpflan -
zungsmedizingesetz ein Zulässigkeitssystem vor, das medizinisch unterstützte Fort -
pflanzungen auf Paare (Ehegatten oder
Lebensgefährten) und - mit der Ausnahme
der Insemination - auf die sogenannten "homologen Methoden" (nur mit den Keim -
zellen der Wunscheltern) beschränkt (§ 2 Abs. 1 und § 3 FMedG). Daneben betont
das Gesetz den Grundsatz der Subsidiarität der medizinisch unterstützten Fortpflan -
zung, die nur als ultima ratio bei Erfolg - oder Aussichtslosigkeit von Versuchen na -
türlicher Fortpflanzung zulässig ist (§ 2 Abs. 2 FMedG; Näheres in RV 216 BlgNR
XVIII. GP 11). Schließlich wird die medizinisch unterstützte Fortpflanzung - unter an -
derem in Fortführung des Subsidiaritätsgedankens - auf die Überwindung einer aku -
ten, gegenwärtig bestehenden Fortpflanzungsunfähigkeit eines bestimmten Paares
beschränkt; dazu dient die mit einem Jahr limitierte Aufbewahrung von Samen, Ei -
zellen und entwicklungsfähigen Zellen gemäß § 17 Abs. 1 FMedG.
Diese Zulässigkeitsbeschränkungen wurden und werden unter verschiedenen Ge -
sichtspunkten, auch unter Berufung auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen,
zum Teil problematisiert: So blieb beispielsweise der Ausschluß alleinstehender
Frauen von den Methoden der medizinisch unterstützen Fortpflanzung nicht unum -
stritten; gleiches läßt sich für den Ausschluß gleichgeschlechtlicher Paare sagen, in
dem manche eine Diskriminierung homosexueller Partnerschaften sehen. Das der
großen Belastung von Frauen Rechnung tragende und vor allem die Leihmutter -
schaft sicher ausschließende Verbot der "Eizellen - und Embryonenspende" wurde
von Kritikern des Gesetzes als sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung von
unfruchtbaren Frauen bezeichnet. In Zweifel gezogen wurde etwa auch die Subsi -
diarität der medizinisch unterstützten Fortpflanzung und damit deren Zulässigkeit
nur zur Beseitigung gegenwärtiger und nicht auch künftiger Fortpflanzungsunfähig -
keit mit dem Argument, daß dieses Regelungsmodell der gezielten und langfristigen
Familienplanung abträglich sei; in diesem Zusammenhang wurde auch an der ein -
jährigen Aufbewahrungsfrist des § 17 FMedG Kritik geübt.
Der Gesetzgeber darf sich freilich nach meiner Überzeugung nicht darauf beschrän -
ken, grundsätzlich von der rechtlichen Zulässigkeit alles medizinisch - technisch Mög -
lichen auszugehen und bloß einen geeigneten rechtlichen Rahmen für alle denkba -
ren und möglichen medizinischen Verfahren und deren Auswirkungen zu schaffen.
Er darf sich über Mißbrauchsmöglichkeiten und Auswüchse des Fortschritts von
Wissenschaft und Technik nicht einfach hinwegsetzen und in diesem Kontext das
breite gesellschaftliche Unbehagen
gegenüber der Rolle und den Möglichkeiten der
modernen Reproduktionsmedizin nicht vernachlässigen. Es ist vielmehr Auftrag des
Gesetzgebers, im Rahmen seines rechts - und gesundheitspolitischen Gestaltungs -
freiraums möglichst effektiv den Risiken und Gefahren der modernen Techniken
entgegenzutreten, Auswüchse zu bekämpfen und unerwünschte Begleiterscheinun -
gen hintanzuhalten. Zur Erreichung dieser Schutzziele muß es der Gesetzgeber in
Kauf nehmen, daß die Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung nicht
allen "Wunscheltern" oder "Wunschelternteilen" zur Verfügung stehen, bei denen
aus medizinischer Sicht eine erfolgversprechende Therapie gewährleistet wäre.
Wenn nun ein Bedürfnis gesehen werden sollte, die geltende einschränkende Rege -
lung, die den rechtspolitischen Konsens im Spannungsfeld der unterschiedlichsten
Forderungen, Standpunkte und Fachmeinungen darstellt, in einem Teilbereich - wie
etwa hinsichtlich der angesprochenen Aufbewahrungsfrist - liberaler zu gestalten,
wird dies nicht geschehen können, ohne neuerlich den gesellschaftspolitischen Dis -
kurs zu dieser Thematik auf breiter Basis zu führen. Ob am Ende eines solchen Dis -
kurses eine Änderung der bestehenden Regelungen für die Fortpflanzungsmedizin
stünde, insbesondere ob er zu einer Änderung des § 17 FMedG etwa in der von der
Anfrage angedeuteten Richtung führte, ist nicht vorherzusehen. Unter Berücksichti -
gung der bisherigen Erfahrungen schiene es mir aber weder der Vielschichtigkeit
des Regelungsgegenstands noch der Vielfalt der betroffenen Interessen angemes -
sen, eine rechtspolitische Diskussion zum Fortpflanzungsmedizinrecht unter dem
Blickwinkel einzelner - vom historischen Gesetzgeber bewußt in Kauf genommener -
Härtefälle zu führen und bloß diesen durch eine gesetzliche Regelung Rechnung zu
tragen. Damit wäre nämlich einerseits die Gefahr der Begünstigung bestimmter Fall -
konstellationen im Verhältnis zu anderen verbunden, durch die der verfassungs -
rechtliche Gleichheitssatz verletzt würde; andererseits könnte dadurch ein System
entstehen, das in höherem Maß für Mißbräuche anfällig wäre.
Zu 3 und 4:
Nur in einem Teil der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und anderer europäi -
scher Staaten bestehen vergleichbare zeitliche Obergrenzen für die Aufbewahrung
von Samen, Eizellen und
fortpflanzungsfähigen Zellen; es sind dies neben Öster -
reich noch Dänemark, Spanien, Schweden und das Vereinigte Königreich sowie Is -
land, Norwegen und die Schweiz. Nur in Österreich und in Schweden beträgt die
Höchstdauer der Einlagerung ein Jahr, in den übrigen Staaten zwischen zwei (Dä -
nemark), fünf (Spanien [dort nur für Samen]), Schweiz ([dort nur bei schriftlicher Zu -
stimmung, jedoch mit gewissen Verlängerungsmöglichkeiten]) und zehn Jahren (Is -
land, Vereinigtes Königreich). Anzumerken ist aber, daß dieser Fragenkreis nicht in
den Wirkungsbereich der Europäischen Union fällt und somit kein gemeinschafts -
rechtlicher Harmonisierungsbedarf besteht.
Bei jedem Änderungsvorschlag zur geltenden österreichischen Regelung, etwa in
Richtung einer Ausdehnung der Aufbewahrungsfrist bis zu einem bestimmten Alter
des Spenders, gilt es zu berücksichtigen, daß die Frist nur einen verhältnismäßig
kleinen Teilbereich des in diesem Zusammenhang unbedingt regelungsbedürftigen
Fragenkomplexes darstellt; bei einer allfälligen Änderung der Aufbewahrungsfrist
müßten auch folgende Überlegungen - neuerlich - angestellt werden:
Sollen nur Samen oder auch Eizellen oder auch befruchtete Eizellen - verlängert -
aufbewahrt werden dürfen (wie z.B. in Österreich, in Island oder Spanien)? Soll es
unterschiedliche Aufbewahrungsfristen für Eizellen und Samenzellen (wie teilweise
in Deutschland) und Embryonen geben? Soll nur die einmalige Aufbewahrung in Be -
tracht kommen (wie in Deutschland) oder auch eine wiederholte? Soll es Unter -
bzw. Obergrenzen für den Wunsch einer Person oder eines Paares auf Aufbewah -
rung geben (wie z.B. in Dänemark, wo etwa Samenspenden unter 30 Jahren unzu -
lässig sind)? Soll es absolute Obergrenzen für die aus den aufbewahrten Gameten
zu zeugenden Kinder geben (wie etwa in Frankreich mit fünf Lebendgeburten, in
Spanien mit je sechs Lebendgeburten oder in den Niederlanden und im Vereinigten
Königreich mit je zehn Lebendgeburten)? Soll die Aufbewahrung von Gameten für
den persönlichen Gebrauch in der Zukunft grundsätzlich jedermann offenstehen
(wie etwa in Deutschland oder in der Schweiz), nur Paaren (wie etwa in Belgien),
Einzelpersonen nur unter besonderen Umständen, etwa drohender Unfruchtbarkeit
(wie etwa in Spanien), oder Paaren nur unter besonderen Umständen, etwa bei dro -
hender Unfruchtbarkeit eines der beiden (wie etwa in Irland)? Was soll mit den auf -
bewahrten Zellen geschehen, wenn der Spender stirbt? Sollen sie vernichtet wer -
den, sollen sie für alle Zwecke,
einschließlich der Forschung, eingesetzt werden
dürfen (wie etwa in Deutschland), soll diese freieVerfügbarkeit einer vorherigen Zu -
stimmung des Spenders bedürfen (wie im Vereinigten Königreich), soll bereits die
gesetzliche Regelung bestimmte Verwendungszwecke ausschließen oder vorbehal -
ten oder soll der Ausschluß oder Vorbehalt von einer speziellen Willenserklärung
des Spenders abhängig sein (wie etwa in Spanien)?
Diese kurze Übersicht zeigt, daß schon die in der Anfrage angesprochene Ausdeh -
nung der einjährigen Aufbewahrungsfrist nach § 17 FMedG eine Vielzahl von Fra -
gen aufwirft, die anläßlich einer solchen Fristverlängerung einer ausgewogenen, ge -
sellschaftspolitisch konsensfähigen gesetzlichen Regelung zugeführt werden müß -
ten. Möglicherweise hätte dies auch Reflexwirkungen für andere Bereiche der Fort -
pflanzungsmedizin. Es läßt sich daher resümieren, daß auch die angestrebte Ände -
rung nur eines Teils der Regelungen des Fortpflanzungsmedizingesetzes nicht ohne
breite rechtspolitische Diskussion erfolgen könnte.
Im übrigen werde ich in nächster Zeit Vorkehrungen für eine fachliche Diskussion le -
gislativer Fragen der Fortpflanzungsmedizin treffen.
Zu 5:
Zum Vollzug der mit der Anfrage angesprochenen Bestimmung des § 17 FMedG lie -
gen dem Bundesministerium für Justiz keine spezifischen Informationen vor.