4733/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Haller und Kollegen haben am 8. Oktober

1998 unter der Nr. 5018/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage

betreffend Atomkraftwerk Marienberg gerichtet.

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

Einleitend weise ich darauf hin, daß ich den zugrundeliegenden Sachverhalt

bereits in meiner Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 3809/J aus-

führlich dargestellt habe. Ich möchte jedoch nochmals die Situation in einem

Überblick darlegen:

Seit Mitte der 80er Jahre wird von der deutschen und französischen Nuklear-

industrie das Projekt eines Nachfolgemodells für die derzeit bestehenden Reak—

toren unter der Bezeichnung “Europäischer Druckwasserreaktor" (EPR) ver-

folgt. Dieser neue Reaktortyp mit einer elektrischen Leistung von etwa

1.450 MW soll verbesserte Sicherheitseigenschaften besitzen; insbesondere

soll eine allfällige Kernschmelze, wie im deutschen Atomgesetz gefordert, im

wesentlichen im Bereich der Anlage selbst kontrolliert werden können.

Ende 1995 trat das Projekt in die sogenannte “Basic Design Phase”. Die

beteiligten Firmen beabsichtigten, in den Jahren 1996 - 1998 etwa

200 Millionen DM dafür aufzuwenden. Anschließend soll entschieden werden,

ob und wo ein erster Prototyp dieses Reaktors errichtet werden könnte. in

Deutschland wurde der EPR immer wieder als Ersatz für stillzulegende bzw.

stillgelegte Kernkraftwerke an bereits bestehenden Standorten genannt (zum

Beispiel Kernkraftwerk Würgassen oder Greifswald). Gemäß den Erklärungen

verschiedener deutscher Elektrizitätsunternehmen in der Öffentlichkeit besteht

in Deutschland frühestens in den Jahren 2006 bis 2010 ein Ersatzbedarf für be-

stehende Kernkraftwerke, sofern für diese nicht "lebensverlängernde Maßnah-

men” getroffen werden. Die einschlägige Industrie will sich die Option der Er-

richtung eines neuen Reaktors jedenfalls offen halten.

Unabhängig davon existiert in Bayern ein "Standortsicherungsplan für Wärme-

kraftwerke”. In diesem sind auch potentielle Standorte für Kernkraftwerke aus-

gewiesen. Dieser Plan ist offensichtlich die Grundlage für immer wiederkehren-

de Behauptungen, in der Nähe von Passau oder Rosenheim sei demnächst mit

der Errichtung neuer Kernkraftwerke zu rechnen. Wie mir mitgeteilt wurde, hat

das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten dazu bereits vor Mona-

ten eine Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung

und Umweltfragen eingeholt, wonach gegenwärtig keine Anträge auf Errichtung

von Kernkraftwerken in Bayern vorliegen und solche auch in absehbarer Zeit

nicht zu erwarten seien. Darüber hinaus hat die Bayerische Staatsregierung am

14. Juli 1998 die Überarbeitung des Standortsicherungsplanes beschlossen.

Laut Mitteilung der Bayerischen Staatsregierung seien zusätzliche Standorte

für Kernkraftwerke angesichts der Nachfrageentwicklung entbehrlich geworden.

Nach einer weiteren kürzlich seitens des Bundesministeriums für auswärtige

Angelegenheiten eingeholten Auskunft ist jedoch mit einem neuen

"Standortsicherungsplan für Wärmekraftwerke” nicht so rasch zu rechnen, da

alleine die Erstellung der dafür erforderlichen Gutachten gut ein Jahr in

Anspruch nehme.

Die Fragen im einzelnen beantworte ich wie folgt:

Zu Frage 1:

Ja; ich verweise auf meine einleitenden Bemerkungen.

Zu den Fragen 2 und 3:

Der Schutz der österreichischen Bevölkerung und der Umwelt vor den Gefah-

ren der Kernenergie ist das zentrale Anliegen der Kernenergiepolitik der Bun-

desregierung; In diesem Zusammenhang sind die Bemühungen unter anderem

darauf ausgerichtet, betroffenen Gebietskörperschaften, Institutionen und Ein-

zelpersonen ein größtmögliches Ausmaß an Informationen und Mitsprache zu

sichern. Gegenwärtig geht es darum, lnformationsmechanismen, die bereits

Gegenstand vielfältiger Abkommen sind, zu verbessern und Konsultations-

mechanismen, die noch kaum Gegenstand einschlägiger Vereinbarungen sind,

völkerrechtlich verbindlich zu verankern.

Die Bundesregierung hat sowohl auf politischer Ebene als auch im Rahmen

des bilateralen "Nuklearformationsabkommens" mit Deutschland an der ab-

lehnenden Haltung zur energetischen Nutzung der Kernenergie keinen Zweifel

gelassen. Es ist jedoch festzuhalten, daß jeder Mitgliedstaat der Europäischen

Union die Entscheidung über die Erzeugung von Kernenergie entsprechend

seinen eigenen politischen Ausrichtungen treffen kann. Diese europa- und

völkerrechtliche Gegebenheit muß Österreich auch in seiner Rolle als Ratsvor-

sitzender zur Kenntnis nehmen.

Ich füge hinzu, daß die Weiterentwicklung des Völkerrechts - neben der risiko-

bezogenen und energiewirtschaftlichen Dimension - eine der drei strategischen

Dimensionen der Kernenergiepolitik der Bundesregierung darstellt. Unser Ziel

in diesem Bereich ist es, von der Information über die Konsultation zu rechtlich

verankerten Mitsprache- und Mitwirkungsmöglichkeiten sowohl für die Bürge-

rinnen und Bürger als auch für die Bundesregierung bzw. für Gebietskörper-

schaften zu gelangen. Da diese Entwicklung den Konsens aller Beteiligten

erfordert, sind Fortschritte in diesem Bereich nur sehr langfristig zu erzielen.

Die von den Anfragestellern erwähnte Alpenkonvention ist ein Beispiel für die

Komplexität derartiger Verhandlungen. Österreichische Initiativen zur Veranke-

rung der Kernenergiefreiheit der Alpen fanden nicht die Zustimmung aller Ver-

handlungspartner. Andererseits konnte und wollte sich Österreich nicht auf die

explizite Festschreibung des “status quo” einlassen. Der von der neuen deut-

schen Bundesregierung angekündigte kernenergiepolitische Kurs wird von der

Bundesregierung begrüßt; ich bin zuversichtlich, daß dieser Kurswechsel die

kernenergiepolitische Landschaft Europas nachhaltig verändern wird. Im

übrigen verweise ich hinsichtlich der Alpenkonvention auf die Beantwortung

des Herrn Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie auf die

gleichlautend an ihn gerichtete parlamentarische Anfrage Nr. 5008/J.

Abschließend versichere ich, daß seitens der Bundesregierung die sich nun

kernenergiepolitisch bietenden besseren Kooperationsmöglichkeiten mit

Deutschland genützt werden.