5058/AB XX.GP
In Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 5345/J betreffend
rechtswidrige Auflagen im Bewilligungsbescheid in besonderen selbständigen
Ausbildungseinrichtungen nach § 30 BAG, welche der Abgeordnete Franz Riepl und
Genossen am 16. Dezember 1998 an mich richteten, stelle ich fest:
Antwort zu den Punkten 1 bis 3 der Anfrage:
Gemäß § 30 Abs. 2 lit. e BAG darf die Bewilligung einer besonderen selbständigen
Ausbildungseinrichtung nur unter der Voraussetzung erfolgen, daß für die Wirtschaft und die
Lehrstellenbewerber ein Bedarf nach einer selbständigen Ausbildungseinrichtung besteht und
die Ausbildung von Lehrstellenbewerbern im betreffenden Lehrberuf in betrieblichen
Lehrverhältnissen
nicht gewährleistet ist.
Zur Auslegung dieser Bestimmung bedarf es auch einer grundsätzlichen Betrachtung des
Systems der österreichischen Lehrlingsausbildung. Die Berufsausbildung auf Facharbeiterstufe
ist in Österreich dual organisiert. Die Ausbildung in der Lehre findet zum überwiegenden Teil
in den Produktionsstätten oder Dienstleistungsbetrieben der Wirtschaft (ca. 4/5 der
Ausbildungszeit) statt. Ergänzend dazu erfolgt der fachtheoretische Unterricht in der
Berufsschule (etwa 1/5 der Ausbildungszeit). Für die Ausbildung auf betrieblicher Ebene
gelten vor allem die Bestimmungen des Berufsausbildungsgesetzes und der darauf gestützten
Verordnungen (Ausbildungsvorschriften Prüfungsordnungen etc.). Die Ausbildung in der
Berufsschule wird durch die Bestimmungen des Schulorganisationsgesetzes, des
Schulpflichtgesetzes, des Schulunterrichtsgesetzes etc. und der einschlägigen Verordnungen
geregelt.
Diese grundsätzliche Konstruktion der österreichischen Lehrlingsausbildung bezweckt die
Ausbildung der Lehrlinge im Rahmen der betrieblichen Praxis unter den Bedingungen der
realen Arbeitswelt. Die Berufsausbildung in der Lehre erfolgt also im Rahmen der Abwicklung
der betrieblichen Aufträge und an Hand der im Betrieb verwendeten Maschinen, Geräte und
Einrichtungen. Dies soll gewährleisten, daß der ausgebildete Lehrling anschließend sofort eine
qualifizierte berufliche Tätigkeit als Fachkraft übernehmen kann. Durch die Sicherstellung der
„vollen beruflichen Handlungsfähigkeit“ des ausgebildeten Lehrlings wird auch ein sehr
wichtiger Beitrag zur im europäischen Vergleich sehr niedrigen Jugendarbeitslosigkeit in
Osterreich geleistet. Während die Jungendarbeitslosenquote in Österreich 6,3% betrug, belief
sie sich im Bereich der Europäischen Union durchschnittlich auf 19,3% und erreicht in
Spanien einen Spitzenwert von 34% (Stand Ende November).
Bei der in § 30 Abs. 2 lit. e BAG vorgeschriebenen Prüfung des Bedarfes an einer besonderen
selbständigen Ausbildungseinrichtung ist somit auf diese wesentliche berufsbildungspolitische
und durch die rechtlichen Regelungen manifestierte Zielrichtung der österreichischen
Lehrlingsausbildung Bedacht zu nehmen, nämlich daß nicht durch die Erteilung von
Bewilligungen
für die Einrichtung einer übermäßigen Zahl von besonderen
selbständigen
Ausbildungseinrichtungen, bei denen es sich in Wirklichkeit um eine schulisch bzw.
lehrgangsmäßig organisierte Ausbildungsform handelt, das Prinzip der betrieblichen
Ausbildung unterlaufen wird.
Die Wahrung der betrieblichen Organisation der Lehrlingsausbildung und damit die
Sicherstellung der überwiegend praxisorientierten Form dieser beruflichen Erstausbildung
ergibt sich auch aus den gesetzgeberischen Intentionen bei der Erstellung der Bestimmung
über die besonderen selbständigen Ausbildungseinrichtungen. In den erläuternden
Bemerkungen zu § 30 BAG heißt es nämlich: „Auf Grund besonders gelagerter Umstände
wurden von verschiedenen Institutionen Ausbildungseinrichtungen geschaffen, die in den
meisten Fällen aus sozialen Erwägungen oder zur Vermeidung von durch nicht entsprechende
Beschäftigung drohenden Schäden an Jugendlichen eingerichtet wurden, wie zum Beispiel die
Ausbildungseinrichtungen von „Jugend am Werk“, der Caritas, oder des Weltkirchenrates“
(Kinscher, Berufsausbildungsgesetz² 1979).
Aus der historischen Entwicklung der Bestimmung des § 30 BAG ergibt sich somit, daß
gemäß der Absicht des Berufsausbildungsgesetzgebers zwecks Vermeidung einer
Unterlaufung des Prinzips der Praxisorientiertheit der Lehrlingsausbildung durch eine Vielzahl
von schulisch/lehrgangsmäßig organisierten Ausbildungseinrichtungen im Sinne des § 30 BAG
die Einrichtung einer besonderen selbständigen Ausbildungseinrichtung nur im Ausnahmefall
erfolgen können soll, und zwar um insbesondere auch solchen Pflichtschulabsolventen, die auf
Grund von lernmäßigen Defiziten, sozialer Fehlanpassung, psychischer Beeinträchtigung oder
körperlicher Behinderung im Rahmen betrieblicher Ausbildungsverhältnisse das
Ausbildungsziel kaum erreichen könnten, ebenfalls die Möglichkeit des Erwerbs einer
gesetzlich anerkannten, abgeschlossenen Berufsausbildung zu geben.
Die Firma Siemens hat sowohl die Produktion als auch die Ausbildung am Standort Fohnsdorf
mit 31. Dezember 1997 aufgelassen. Aus dem Gutachten der Arbeitgeberseite geht hervor,
daß die
Schaffung von Ausbildungsplätzen in dieser Lehrlingsstiftung ohne
Berücksichtigung
der Nachfrage der Wirtschaft erfolgen wurde, wodurch in späterer Folge zwangsläufig
Probleme bei der Unterbringung der Ausgebildeten auf dem Arbeitsmarkt erwachsen werden.
Die Wirtschaftskammer Steiermark wurde daher vom Bundesministerium für wirtschaftliche
Angelegenheiten ersucht, die betreffenden Lehrlinge auf anderen „regulären“ Lehrstellen in
Wirtschaftsbetrieben unterzubringen. Dabei stellte sich im übrigen heraus, daß das Aichfeld -
Ausbildungszentrum offenbar die Ausbildungseinrichtung bereits angemietet hatte und ohne
Bewilligung gemäß § 30 BAG bereits 15 jugendliche Hilfsarbeiter mit einem
„Ausbildungsvertrag“ auszubilden begonnen hat und zwar mit automatischer
Auflösungsklausel, falls die Bewilligung nach § 30 BAG nicht erteilt wird.
Die Wirtschaftskammer Steiermark teilte mit, daß es genügend Lehrbetriebe gibt, die zur
Aufnahme der Jugendlichen bereit sind. Die Jugendlichen waren jedoch auf Grund der guten
Konditionen des Aichfeld - Ausbildungszentrum in arbeitsrechtlicher Hinsicht (bessere
Lehrlingsentschädigungen ohne produktive Arbeit, günstigere zeitliche Arbeitsbedingungen)
nicht zu einem Wechsel bereit.
Es handelt sich bei den im Aichfeld - Ausbildungszentrum ausgebildeten Lehrberufen um
industrielle Lehrberufe. Für diese Lehrberufe besteht in dieser Region kein Bedarf sodaß es
äußerst unsicher ist, ob sie im erlernten Lehrberuf in dieser Region arbeiten können. Es ist
vielmehr davon auszugehen, daß nach Absolvierung der Ausbildung diese Jugendlichen
neuerlich auf einen adäquaten Lehrberuf wie Elektroinstallateur, der vor allem in Klein- und
Mittelbetrieben dieser Region gefragt ist, umgeschult werden oder nach Abschluß ihrer
Ausbildung abwandern müssen.
Die im Bewilligungsbescheid vorgeschriebene Bedingung, daß sich die Ausbildung auf
arbeitsmarktmäßig besonders benachteiligte Personen zu beschränken hat, die sich
nachweislich bei zumindest fünf Lehrberechtigten beworben und auch Vorstellungstermine
wahrgenommen haben, soll gewährleisten, daß die betreffenden Jugendlichen zunächst die in
der Region
vorhandenen Ausbildungsplätze in den privaten Betrieben ausschöpfen
Die Bedingung, daß im Ausbildungsvertrag der Hinweis aufzunehmen ist, daß die Übernahme
in ein Lehrverhältnis bei einem Lehrberechtigten gemäß § 2 BAG angestrebt wird und der
Auszubildende daran aktiv mitzuwirken hat, dient somit der Sicherstellung der ehestmöglichen
Übernahme des Jugendlichen in ein reguläres Lehrverhältnis bei einem Lehrbetrieb,
vornehmlich wohl einem Klein oder Mittelbetrieb der Region, um so schnellstens die
Ausbildung in einem Lehrberuf mit späterer Beschäftigungsmöglichkeit in dieser Region zu
erreichen. Im übrigen dient die Klausel, daß die Auszubildenden nach Möglichkeit und mit
Unterstützung des Arbeitsmarktservice Steiermark oder der Lehrlingsstelle der
Wirtschaftskammer Steiermark bei Lehrberechtigten in reguläre Lehrverhältnisse
unterzubringen sind, einer größtmöglichen Effizienz und Hilfestellung beim Wechsel in
betriebliche Lehrverhältnisse.
Die angeführten Bedingungen sind erforderlich, um die Genehmigungsvoraussetzungen des
§ 30 Abs. 2 lit. e BAG herzustellen und damit überhaupt erst die Bewilligung der besonderen
selbständigen Ausbildungseinrichtung im AiZ Aichfeld - Zentrum zu ermöglichen. Ohne diese
Vorschreibungen hätte das Ansuchen der AiZ Aichfeld - Zentrum um Erteilung der Bewilligung
zur Führung einer besonderen selbständigen Ausbildungseinrichtung abgewiesen werden
müssen.
Im übrigen finden diese Bedingungen ihre Entsprechung in den Bestimmungen des § 5 des
Jugendausbildungs - Sicherungsgesetzes BGBl. I Nr. 91/1998 über die Voraussetzungen für die
Inanspruchnahme eines Platzes in einer Lehrlingsstiftung (d.i. eine Einrichtung gemäß § 30 des
Berufsausbildungsgesetzes im Rahmen des Auffangnetzes gemäß dem Nationalen Aktionsplan
für Beschäftigung 1998). Gemäß § 5 Abs. 2 JASG ist erforderlich, daß der Teilnehmer an einer
Lehrlingsstiftung beim Arbeitsmarktservice als lehrstellensuchend registriert ist und das
Arbeitsmarktservice keine Möglichkeit der Unterbringung auf eine zumutbare Lehrstelle sieht
oder zumindest fünf eigenständige und erfolglose Bewerbungen nachweist. Weiters sind
gemäß § 5 Abs. 5 JASG die Teilnehmer vom Arbeitsmarktservice laufend in dem Sinn zu
betreuen, daß
gezielte Bemühungen zur Übernahme in ein betriebliches
Lehrverhältnis gesetzt
werden. Es ist anzustreben, daß am Ende jedes Lehrjahres zumindest ein Drittel der
Teilnehmer einer Lehrlingsstiftung eine Lehre in einem Betrieb aufgenommen hat. Die
Ablehnung einer zumutbaren Lehrstelle zieht nach § 5 Abs. 6 leg.cit. den Verlust der
Teilnahmeberechtigung nach sich.
Die Ausbildung im Aichfeld - Zentrum ist ohne jede produktive Komponente, also
lehrgangsmäßig, d.h. schulähnlich organisiert und wird zur Gänze aus öffentlichen Mitteln
erhalten und dient als Auffangnetz für arbeitsmarktmäßig benachteiligte Jugendliche. Im
Gegensatz zur betrieblichen Lehrlingsausbildung ist daher keinerlei produktive Arbeit während
der Ausbildung vorgesehen. Im § 30 Abs. 6 ist ausdrücklich bestimmt daß die Bestimmung
des § 17 über die Lehrlingsentschädigung auf Auszubildende in besonderen selbständigen
Ausbildungseinrichtungen keine Anwendung findet. Es ist daher der Behörde überlassen, über
eine allfällige Ausbildungsvergütung dem Grunde und der Höhe nach abzusprechen. Für die
Ausbildungsvergütung der im Aichfeld - Ausbildungszentrum in Ausbildung stehenden
Auszubildenden wurden die einschlägigen Festlegungen im Nationalen Aktionsplan für
Beschäftigung der österreichischen Bundesregierung vorn 5. April 1998 herangezogen, den
gegebenen Strukturen im Ausbildungsbereich Rechnung getragen und für Ausbildungen in
Lehrgängen also weitgehend schulähnlich organisierte Ausbildungen - eine
Ausbildungsvergütung pro Monat vorschlagen. Es handelt sich bei dieser Festlegung im
übrigen um eine einhellige Meinung der Sozialpartner, die im NAP im Kapitel "Gemeinsame
Position der Sozialpartner zum Nationalen Aktionsplan", Punkt 9, festgehalten ist. Letztlich
wurde dann durch § 3 Abs. 5 des Jugendausbildungs - Sicherungsgesetzes die Höhe der
Ausbildungsvergütung/Beihilfe von ATS 2.000,- netto monatlich für Teilnehmer von
Lehrgängen im Sinne des § 3 Abs. 1 leg.cit. auch gesetzlich festgelegt. Dieser Auflage kann
daher keinerlei sachliche Unrichtigkeit vorgeworfen werden. Im übrigen wurde im
Ersatzbescheid vom 16. Dezember 1998 in Anpassung an § 4 Abs. 4 des mittlerweile
beschlossenen Jugendausbildungs- Sicherungsgesetzes eine maximale monatliche Beihilfe zur
Deckung des
Lebensunterhaltes von ATS 2.985,- festgelegt.
Die Vorschreibung der betreffenden Bedingungen zur Gestaltung der Organisation der
Ausbildung bei der Erteilung der Bewilligung zur Einrichtung einer besonderen selbständigen
Ausbildungseinrichtung dient also dazu, die in § 30 BAG genannten Voraussetzungen - und
damit den gesetzlich festgelegten Ausnahmecharakter der § 30 BAG Einrichtungen zu
gewährleisten, ein Unterlaufen der praxisorientierten Lehrlingsausbildung zu verhindern und
im Interesse der Auszubildenden ein rasches Überwechseln der Jugendlichen in ein
Lehrverhältnis in einem Lehrbetrieb und damit in ein betriebliches Ausbildungsverhältnis unter
realen wirtschaftlichen Bedingungen zu begünstigen. Die im Bewilligungsbescheid festgelegten
Bedingungen finden somit ihre gesetzliche Deckung in der Bestimmung des § 30 des
Berufsausbildungsgesetzes und werden durch § 4 und § 5 des Jugendausbildungs -
Sicherungsgesetzes bestätigt. Es ergibt sich daher weder das Erfordernis, künftige Bescheide
abweichend zu gestalten noch bestehende Bescheide abzuändern noch sonstige Konsequenzen
zu ziehen.
Antwort zu Punkt 4 der Anfrage:
Wie aus der Antwort zu den Fragen 1 bis 3 hervorgeht, war zur Erfüllung der Bestimmungen
des § 30 BAG die Erteilung der Bewilligung nur unter Vorschreibung der betreffenden
Bedingungen ihr die organisatorische und sachliche Gestaltung der Ausbildung möglich.
Andernfalls hätte das Bewilligungsansuchen abgewiesen werden müssen.
Antwort zu Punkt 5 der Anfrage:
Die Erlassung des Bewilligungsbescheides war erst deswegen am 11.5.1998 möglich, da die
AiZ Aichfeld - Zentrum erst zu diesem Zeitpunkt das Vorliegen aller
Bewilligungsvoraussetzungen nachweisen konnte und die Grundzüge des Nationalen
Aktionsplanes ihr Beschäftigung 1998, die dem späteren Jugendausbildungs - Sicherungsgesetz
als Vorlage dienten, feststanden.
Antwort zu Punkt 6 der Anfrage:
Die bescheidmäßige Erledigung wurde durch § 4 des Jugendausbildungs - Sicherungsgesetzes
Bestätigt. Es besteht daher kein Anlaß für Einrichtungen gemäß § 30 des
Berufsausbildungsgesetzes, die ihrer Natur nach alle als Auffangeinrichtungen für
arbeitsmarktmäßig benachteiligte Personen angelegt sind, andere oder keine der in diesem
Gesetz festgelegten und daher vom Nationalrat gutgeheißenen Bedingungen festzulegen. In
Zukunft wird jedoch jeder Einschreiter um eine Bewilligung zur Führung einer Einrichtung
gemäß § 30 BAG auf diese Bedingungen besonders aufmerksam gemacht werden.
Antwort zu Punkt 7 der Anfrage:
Da die in Kritik gezogenen Verwaltungsakte des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Angelegenheiten sowohl den einschlägigen Bestimmungen und Intentionen des
Berufsausbildungsgesetzes als auch den vom Nationalrat im Jugendausbildungs -
Sicherungsgesetz unter § 4 festgelegten Anforderungen für Lehrlingsstiftungen (d.s.
Einrichtungen gemäß § 30 des Berufsausbildungsgesetzes entsprechend dem Nationalen
Aktionsplan für Beschäftigung 1998) entsprechen, sind keine weiterer Vorkehrungen
erforderlich.