5240/AB XX.GP

 

Beantwortung

 

der parlamentarischen Anfrage der Abgeordneten Öllinger, Freundinnen und

Freunde betreftend Arbeiterkammergesetz

(Nr. 5705/J)

 

Zu Frage 1:

 

Nach vorläufiger Prüfung der Rechtsgrundlagen ist aus meiner Sicht auszuführen;

Das innerstaatliche Recht (§ 21 Arbeiterkammergesetz 1992 - AKG) ist hinsichtlich

des passiven Wahlrechts nichtösterreichischer arbeiterkammerzugehöriger Arbeit -

nehmerinnen und Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsrecht zu

sehen. Läßt sich also aus dem Gemeinschaftsrecht das passive Wahlrecht für aus -

ländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ableiten, so ist die Vorschrift des

§ 21 Z 3 AKG insoweit zu ergänzen.

 

Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Angehörige eines Staates, der Ver -

tragspartei des EWR - Abkommens ist, sind, ergibt sich das passive Wahlrecht zur

Vollversammlung der Arbeiterkammer aus Art. 8 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68

über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

Gemäß dieser Bestimmung haben solche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer u.a.

Anspruch auf die gleiche Behandlung "hinsichtlich der Zugehörigkeit zu Gewerk -

schaften und der Ausübung gewerkschaftlicher Rechte, einschließlich des Wahl-

rechts, sowie des Zugangs zur Verwaltung oder Leitung von Gewerkschaften". Eine

Ausnahmemöglichkeit besteht lediglich hinsichtlich der Teilnahme an der Verwaltung

von Körperschaften des öffentlichen Rechts und der Ausübung eines öffentlich -

rechtlichen Amtes.

Aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes zur Luxemburgischen Angestell -

tenkammer (Urteil vom 4. Juli 1991, Rs C - 213/90; Urteil vom 18. Mai 1994, Rs C -

118/92) ergibt sich, daß das aktive und passive Wahlrecht zu den Arbeiterkammern

in Österreich als "Ausübung gewerkschaftlicher Rechte" im Sinne des Art. 8 der Frei -

zügigkeitsverordnung zu werten ist.

 

Die Möglichkeit des Ausschlusses ausländischer Staatsbürgerinnen und Staatsbür -

ger von der Teilnahme an der Verwaltung von Körperschaften des öffentlichen

Rechts ist eng auszulegen; gemeint sind damit Kembereiche der staatlichen Tätig -

keit. Auch aus der oben zitierten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes ergibt

sich in diesem Zusammenhang, daß die Ausübung einiger hoheitlicher Befugnisse,

die den Kammern übertragen sind, den Ausschluß vom Wahlrecht nicht zu rechtfer -

tigen vermag.

 

Im Ergebnis ist also festzuhalten, daß Art. 8 der Freizügigkeitsverordnung kammer -

zugehörigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Staaten, die Vertragspar -

teien des EWR - Abkommens sind, das passive Wahlrecht bei den Arbeiterkammer -

wahlen eröffnet. § 21 Z 3 Arbeiterkammergesetz 1992 ist mit dieser Ergänzung an -

zuwenden.

 

Gemäß Art. 10 des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrates EWG - Türkei räu -

men die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft den türkischen Arbeitnehmerinnen und

Arbeitnehmern, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung ein, die

gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hin -

sichtlich des Arbeitsentgelts und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminie-

rung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließt.

 

Diese Bestimmung ist eine unmittelbar anwendbare Vorschrift des Gemeinschafts -

rechts.

 

Das darin normierte Gleichbehandlungsgebot ist dahingehend auslegungsbedürftig,

ob unter "Arbeitsbedingungen" auch das passive Wahlrecht zur Vollversammlung

der Arbeiterkammer miterfaßt ist oder nicht.

 

Für eine Auslegung, die das passive Wahlrecht bejaht, sprechen folgende Erwä -

gungen: der Inhalt des Gleichbehandlungsgebotes ergibt sich aus Art. 48 Abs. 2 EG -

Vertrag, wonach die Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Abschaffung jeder auf der

Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitneh -

merinnen und Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entloh-

nung und sonstige Arbeitsbedingungen umfaßt. Dieses Gleichbehandlungsgebot

wird durch die Art. 7 bis 9 der Freizügigkeitsverordnung nach herrschender Lehre

näher konkretisiert; zu den sonstigen Arbeitsbedingungen im Sinne des Art. 48

Abs. 2 EG - Vertrag zählen daher auch die in Art. 8 der Freizügigkeitsverordnung

normierten betrieblichen und überbetrieblichen Mitwirkungsrechte, damit auch das

passive Wahlrecht zur Arbeiterkammer.

 

Legt man hingegen ein anderes Verständnis des Begriffes "sonstige Arbeitsbedin -

gungen" im Sinne einer Beschränkung auf die arbeitsvertraglichen Ansprüche zu -

grunde, so würde das assoziationsrechtliche Gleichbehandlungsgebot das passive

Wahlrecht zur Arbeiterkammer nicht mit umfassen. Argumentieren könnte man allen -

falls mit der Zielsetzung des Assoziationsübereinkommens, das auf die arbeitsver -

tragliche Gleichstellung abzielt und daher "Nebeneffekte" wie das passive Wahlrecht

zu kammern nicht mit erfassen wollte. Die konkrete Frage des passiven Wahlrechts

zur Vollversammlung der Arbeiterkammer ist vom Europäischen Gerichtshof bis dato

noch nie geprüft worden.

 

Hinzuweisen ist auch auf die Entscheidung des OGH vom 21. Dezember 1995, 8 Ob

A 253/95, worin dieser das passive Wahlrecht eines türkischen Arbeitnehmers zum

Betriebsrat verneinte.

 

Art. 10 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 garantiert jenen türkischen Ar -

beitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Gleichbehandlung, "die dem regulären Ar -

beitsmarkt angehören." Auch dieser Begriff ist auslegungsbedürftig: darunter ist eine

gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt zu verstehen, die

dann gegeben ist, wenn die Beschäftigung aufgrund einer giltigen Beschäftigungs -

bewilligung nach den einschlägigen Vorschriften und auch eines gültigen Aufent -

haltstitels erfolgt.

 

Nur der Vollständigkeit halber wird bemerkt, daß die weiteren Wählbarkeitsvoraus -

setzungen, wie sie in § 21 Z 1 und 2 AkG bzw. in Z 3 hinsichtlich des Nichtvorlie -

gens eines Wahlausschließungsgrundes wegen gerichtlicher Verurteilung normiert

sind, selbstverständlich auch für ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

so wie für österreichische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegeben sein

müssen.

 

Zu Frage 2:

 

Grundsätzlich ist dazu klarzustellen, daß die Hauptwahlkommission eine Behörde -

außerhalb der Selbstverwaltung der Arbeiterkammer - ist, sodaß sich die staatliche

Aufsicht über die Arbeiterkammern nicht auch auf sie erstreckt.

 

Mein Ressort hat allerdings der Hautpwahlkommission in Vorarlberg auf deren Ersu -

chen Informationen und Rechtsmeinungen als Entscheidungsgrundlage zur Verfü -

gung gestellt, wobei allerdings betont wurde, daß die Entscheidung in der Verant -

wortung der Hauptwahlkommission liegt.

 

Zu Frage 3:

 

Im Ministerratsvortrag zur AKG - Novelle BGBI. 1 Nr.104/1998 war eine Ausdehnung

des passiven Wahlrechts auf alle kammerzugehörigen Arbeitnehmerinnen und Ar -

beitnehmer - ungeachtet der Staatsangehörigkeit - vorgesehen. Die Umsetzung die -

ses meines Vorschlages war nicht möglich. Eine neuerliche Novellierung noch vor

den AK - Wahlen in den anderen Bundesländern, die durchwegs im ersten Halbjahr

2000 stattfinden werden, halte ich für eher unwahrscheinlich.

 

Eine Klarstellung der Rechtslage kann und wird vermutlich aber in einem Wahlan -

fechtungsverfahren, und zwar letztendlich durch den Verfassungsgerichtshof, erfol -

gen.

Zu Frage 4:

 

Für die Wahlanfechtung ist in erster und letzter Instanz mein Ressort zuständig.

Diese Entscheidung ist dann in einem Verfahren nach Art. 141 B - VG bekämpfbar.

Mein Ressort wird bei einer alifälligen Wahlanfechtung die Rechtsgrundlagen ein -

gehend und sorgfältig prüfen und seiner Entscheidung zugrunde legen. Auch Mei -

nungen der Wissenschaft werden zur Entscheidungsfindung herangezogen werden.

Eine Vorwegnahme einer bestimmten Entscheidung ist zum gegenwärtigen Zeit -

punkt nicht möglich.