533/AB
Die Abgeordneten zum Nationalrat Schmidt, Kier und PartnerInnen haben am 26. April 1996 unter der Nr. 492/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend "die sog. 'Geisteskrankenevidenz' " gerichtet, die folgenden Wortlaut hat:
" 1. Wieviele Zwangseinweisungen erfolgten 1992, 1993, 1994 und 1995 insgesamt, und wieviele davon waren Frauen?
2. Wieviele Zuweisungen wurden nicht aufgenommen, wieviele Personen wurden ambulant, wieviele stationär behandelt?
3. Mit wievielen Beschwerden von Betroffenen wurde Ihr Ministerium bereits konfrontiert?
4. Welche Konsequenzen wurden daraus- gezogen?
5. Wie Sie sicherlich wissen, sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen fraglich. Sind Sie
aufgrund der erwiesenen Mißbrauchsmöglichkeiten bereit, rechtliche Schritte zu unternehmen, um den Schutz der Privatsphäre zu stärken und zumindest rechtliche Grundlagen dafür zu schaffen, daß der/die einzelne Einsicht in die Aufzeichnungen nehmen und eine Tilgung veranlassen kann?
6. An wievielen Stellen wird eine Ges. -Kartei geführt?
7. Wo werden die Daten verwahrt?
8. In welchen Bundespolizeidirektionen gibt es Panzerschränke?
9. Wenn die Daten.nicht dort verwahrt werden, wo werden sie verwahrt?
10. Nach welchen Kriterien sind Personen zutrittsberechtigt?
1 1. Gilt für die Einsichtnahme ein Vier-Augen-Prinzip, oder können auch einzelne Personen Einsicht nehmen?
12. Werden die Einsichtnahmen protokolliert?
13. Wenn @ wer unterschreibt die Protokolle?
14. Wenn ja, ist auszuschließen, daß andere Zugriffe ohne ordnungsgemäße Protokollierung
möglich sind?
15. In welchem Zeitraum und nach welchen Kriterien erfolgt eine Überprüfung der Eintragungen?
16. Wenn derartiges nicht erfolgt, warum nicht?
17. Wieviele 'Karteileichen befinden sich darin und wie gedenken Sie, diese in Zukunft
auszuschließen?
18. Aus welchen Gründen werden die Aufzeichnungen in psychiatrischen Krankenhäusern an die Polizei weitergeleitet?
19. Wie oft ist dies in den Jahren 1992 - 1995 passiert und aufgrund welcher Anfragen?
20. Was werden Sie als verantwortlicher Minister unternehmen, um die 'Ges.-Kartei' endlich
zu tilgen?"
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Einleitend weise ich darauf hin, daß personenbezogene Daten, die von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zusammenhang mit Amtshandlungen nach den §§ 8 und 9 des Unterbringungsgesetzes (UbG), BGBI.NR. 155/1990, ermittelt werden, zunächst unter dem Gesichtspunkt einer sicherheitspolizeilichen Gefahr für Leben oder Gesundheit anfallen. Anlaß hiefür ist regelmäßig ein Mensch, von dem anzunehmen ist, daß er sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich gefährdet, wobei diese Gefährdungsprognose auf die Verwirklichung des Tatbestandes gerichtlich strafbarer Vorsatztaten hinausläuft (§ 16 Abs. 2 des Sicherheitspolizeigesetzes - SPG). Zum Einschreiten nach dem Unterbringungsgesetz kommt es erst, wenn zu dieser Gefahrenprognose die Vermutung des Vorliegens einer psychischen Krankheit hinzutritt. Erst dann liegt die
Voraussetzung vor, den Betroffenen einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt oder einem Polizeiarzt vorzufahren.
Die Diskussion um die Zulässigkeit der Führung der "chefärztlichen Evidenzen bei den Bundespolizeidirektionen betrifft nun nicht jene Daten, die sich auf die Gefährdungsprognose selbst beziehen, sondern ausschließlich jene, die mit dem Tätigwerden des Arztes oder mit dem Transport des Betroffenen in die Krankenanstalt im Zusammenhang stehen. Es handelt sich hiebei zwar um Daten, die in Vollziehung des Unterbringungsgesetzes ermittelt worden sind, die jedoch einen sicherheitspolizeilichen Konnex aufweisen. Dementsprechend hat auch der Gesetzgeber des Unterbringungsgesetzes eine Regelung dieses Gegenstandes nicht vorgenommen, sondern seine Sicht der Dinge in Form von Bemerkungen des Justizausschusses dargelegt und mit einer Entschließung verbunden. Hiebei wurde ausgeführt, daß es sich bei der Führung von Evidenzen um sicherheitspolizeiliche Maßnahmen handelt, die in einer die Befugnisse der Sicherheitsbehörden umschreibenden Rechtsvorschrift zu regeln seien. Dementsprechend wurde der Bundesminister für Inneres ersucht, "dem Nationalrat im Rahmen einer gesetzlichen Regelung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden auch Bestimmungen über die Zulässigkeit der Führung, die Verwendung, die Weitergabe, die Dauer der Aufbewahrung und die Löschung von Aufzeichnungen der Sicherheitsbehörden über psychisch Kranke vorzulegen und durch entsprechende administrative Vorkehrungen auch auf diesem Gebiet den Schutz der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker sicherzustellen". Es ist somit davon auszugehen, daß der Gesetzgeber des Unterbringungsgesetzes sich der Problematik bewußt war, die der Führung einer namensbezogenen Evidenz über Amtshandlungen gemäß § 9 UbG anhaftet; er hat aber auch die Notwendigkeit der Führung, Verwendung und Übermittlung solcher Daten unter bestimmten Umständen durchaus akzeptiert.
Nachdem ein erster Versuch, diesem Auftrag des Gesetzgebers nachzukommen, wegen des schließlich verwirklichten streng strafrechtsakzessorischen Konzepts des Sicherheitspolizeigesetzes nicht verwirklicht werden konnte, habe ich im Vorjahr mit dem Vorsitzenden des Datenschutzrates Einvernehmen darüber erzielt, daß es zur Fortführung der chefärztlichen Evidenzen der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage bedarf und daß diese in Kooperation mit dem Datenschutzrat ausgearbeitet werden soll. Die Vorarbeiten für dieses Projekt sind soweit gediehen, daß eine Befassung des Datenschutzrates unmittelbar bevorsteht und die Versendung eines Gesetzesentwurfes zur Begutachtung noch während des heurigen Sommers beabsichtigt ist. Das hiefür entwickelte Konzept geht davon aus, daß die Verwendung und
Übermittlung von "Unterbringungsdaten" unter einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt steht, also nur dann erfolgen darf, wenn es hiefür im jeweiligen Materiengesetz eine Grundlage, die sich auf Unterbringungsdaten bezieht, gibt. Für das in der Anfrage aufgeworfene Problem der Verwendung solcher Daten im Rahmen eines automationsunterstützten Datenabgleichs bedeutet dieser Grundsatz, daß Unterbringungsdaten für eine "Rasterfahndung" nur dann herangezogen werden durften, wenn der Gesetzgeber der Strafprozeßordnung dies ausdrücklich vorsieht. In der dem Nationalrat vorliegenden Regierungsvorlage (49 der Beilagen zu den Sten. Prot. XX. GP) ist eine solche Regelung bewußt nicht vorgesehen.
Weiters weise ich darauf hin, daß eine führende Zuständigkeit des Bundesministers für Inneres für die Vollziehung der §§ 8 und 9 UbG nur im Bereich der Bundespolizeidirektionen besteht (§ 47 Z 3 UbG), weshalb sich meine Ausführungen in der Folge auf die Vollziehung im Bereich dieser Behörden beschränken.
Die an mich gestellten Fragen beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:
Im Zeitraum von 1992 bis 1995 sind 18.740 Menschen gemäß den §§ 8 und 9 Unterbringungsgesetz ohne Verlangen in eine Krankenanstalt oder Abteilung für Psychiatrie gebracht worden. Eine geschlechtsspezifische Auswertung ist wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes leider nicht möglich.
Zu Frage 2:
Das Ergebnis der Untersuchung gemäß § 10 Abs. 1 UbG wird den Sicherheitsbehörden nicht bekanntgegeben.
Zu den Fragen 3 und 4:
Diesbezüglich werden keine statistischen Aufzeichnungen geführt. Soweit ermittelt werden konnte, wurden im angeführten Zeitraum acht Beschwerden bei den Bundespolizeidirektionen bekannt. Eine Beschwerde (BPD St. Pölten) ist beim Unabhängigen Verwaltungssenat für das
Bundesland Niederösterreich noch anhängig, die anderen Beschwerden waren unbegründet, es gab keine Konsequenzen.
Zu Frage 5:
Ich verweise auf meine einleitenden Ausführungen.
Zu Frage 6:
Bei acht Bundespolizeidirektionen werden die Unterbringungsdaten in einer eigenen Datensammlung, der "Polizeichefärztlichen Evidenz", geführt.
Zu den Fragen 7, 8 und 9:
Die Karteikarten werden in versperrbaren Aktenschränken, bei den Polizeidirektionen Innsbruck und Leoben in Panzerschränken verwahrt.
Zu den Fragen 1 0 und 1 1:
Zutritts- und einsichtsberechtigt sind ausschließlich die jeweiligen Polizeichefärzte, deren Stellvertreter und über deren Auftrag die Bediensteten der chefärztlichen Kanzleien.
Zu den Fragen 12, 13 und 14:
Eine Protokollierung der Einsichtnahme erfolgt nicht; inhaltliche Auskünfte dürfen jedoch nur schriftlich vom Polizeichefarzt oder seinem Stellvertreter erteilt werden.
Zu den Fragen 15, 16 und 17:
Die Eintragungen werden nach zehnjähriger Unauffälligkeit gelöscht. Im Falle mehrerer Eintragungen ist die letzte Eintragung maßgeblich. Eine entsprechende Überprüfung und gegebenenfalls - Ausscheidung und Vernichtung von Karteikarten erfolgt ständig; "Karteileichen" können daher nicht entstehen.
Zu den Fragen 18 und 19:
Das geltende Recht sieht keine Übemiittlung der Aufzeichnungen psychiatrischer Krankenhäuser an die Bundespolizeidirektionen vor. Allerdings werden offensichtlich im Bereich einzelner psychiatrischer Krankenhäuser Entlassungsberichte (Arztbriefe) an die einweisenden -. Ärzte zur medizinischen Information übermittelt. Außerdem kommt es gelegentlich in Waffen- und Führerscheinangelegenheiten zu Auskünften auf Grund konkreter Anfragen. Statistische Angaben hierüber stehen mir aber nicht zur Verfügung.
Zu Frage 20:
Ich verweise auf meine einleitenden Ausführungen.