5557/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Öllinger, Freundinnen und Freunde haben

am 25. Februar 1999 unter der Nr. 5834/J an mich eine schriftliche parlamen -

tarische Anfrage betreffend passives Wahlrecht gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Einleitend ist zu bemerken, daß von der Europäischen Kommission an die

Republik Österreich gerichtete Mahnschreiben bzw. Schreiben im Rahmen von

Vertragsverletzungsverfahren und der damit verbundene Schriftverkehr von

dem als Prozeßvertretung der Republik Österreich agierenden Bundeskanzler -

amt - Verfassungsdienst bzw. dem Bundesministerium für auswärtige Angele -

genheiten - Völkerrechtsbüro wahrgenommen werden. Von der Prozeßver -

tretung abgegebene Stellungnahmen werden in der Regel keiner Beschluß -

fassung im Ministerrat zugeführt.

Im Beschwerdeverfahren wegen möglicher Verletzung des Gemeinschafts -

rechts im Bereich Wahlrecht bei Betriebsratswahlen bzw. Arbeiterkammer -

wahlen wurde die Prozeßvertretung vom Bundeskanzleramt - Verfassungsdienst

wahrgenommen.

 

Zu Frage 1:

 

Mit Schreiben vom 16. Oktober 1997 führt die Europäische Kommission im

wesentlichen aus, daß das Gemeinschaftsrecht gebiete, Unionsbürgern das

passive Wahlrecht zum Betriebsrat und zu den Arbeiterkammern einzuräumen.

Aber auch die im Abkommen mit der Türkei und die in den mit den Staaten

Mittel - und Osteuropas abgeschlossenen Abkommen enthaltenen Gleichbe -

handlungsgebote hinsichtlich der Arbeitsbedingungen würden nach Ansicht der

Europäischen Kommission die Einräumung des passiven Wahlrechts gebieten.

 

Zu Frage 2:

 

Die Republik Österreich hat das Schreiben der Europäischen Kommission da -

hingehend beantwortet, daß eine dementsprechende Änderung des Arbeiter -

kammergesetzes und des ArbVG angekündigt wurde.

 

Zu den Fragen 3 bis 5 und 8:

 

Dazu verweise ich auf meine einleitenden Bemerkungen.

 

Zu Frage 6:

 

Mit Schreiben vom 28. Oktober 1998 hat die Europäische Kommission die Re -

publik Österreich aufgefordert, weitere Informationen über den Fortgang des

Gesetzgebungsverfahrens (Novelle des Arbeiterkammergesetzes und des

ArbVG) zu übermitteln.

 

Zu Frage 7:

 

Die Republik Österreich hat in Beantwortung dieses Schreibens der Europä -

ischen Kommission eine Darstellung der geltenden Rechtslage betreffend das

passive Wahlrecht im ArbVG (§ 53), Bahn - Betriebsverfassungsgesetz (§ 24)

und im Arbeiterkammergesetz 1992 (§21) übermittelt.

 

Zu § 21 Arbeiterkammergesetz 1992 wurde darüber hinaus ausgeführt, daß der

Begutachtungsentwurf, der letztlich zur Novelle des Arbeiterkammergesetzes

BGBl. I Nr. 104/1998 geführt hat, eine Ausdehnung des passiven Wahlrechts

auf ausländische Arbeitnehmer vorsah, die Regierungsvorlage jedoch keine

Änderung gegenüber der geltenden Rechtslage enthält.

 

Zu Frage 9:

 

Der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt wurde vom Bundesministerium

für Arbeit, Gesundheit und Soziales um Stellungnahme zur Frage der Ver -

einbarkeit des Ausschlusses von ausländischen Arbeitnehmern vom passiven

Wahlrecht zu den Arbeiterkammern (§ 21 Arbeiterkammergesetz 1992) mit dem

Gemeinschaftsrecht ersucht. Die Stellungnahme des Verfassungsdienstes läßt

sich wie folgt zusammenfassen:

 

Im Hinblick auf Kammerzugehörige Arbeitnehmer aus Mitgliedstaaten, die Ver -

tragsparteien des EWR - Abkommens sind, steht § 21 Arbeiterkammergesetz

1992 im Widerspruch zu Art. 8 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 über die

Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Diese Bestimmung - welche unmittelbar

anwendbar ist - gewährt einem Arbeitnehmer aus einem anderen Mitgliedstaat

unter anderem Anspruch auf die gleiche Behandlung „hinsichtlich der Zuge -

hörigkeit zu Gewerkschaften und der Ausübung gewerkschaftlicher Rechte

einschließlich des Wahlrechts‘ sowie des Zugangs zur Verwaltung oder Leitung

von Gewerkschaften; er kann von der Teilnahme an der Verwaltung von Kör -

perschaften des öffentlichen Rechts und der Ausübung eines öffentlich - recht -

lichen Amts ausgeschlossen werden“. Nach der Rechtsprechung des Europä-

ischen Gerichtshofes (vgl. Urteil vom 4. Juli 1991, Rs C - 21 3/90; 18. Mai 1994,

Rs C - 118/92) steht diese Bestimmung Vorschriften entgegen, die in einem

Land beschäftigten Arbeitnehmern, die die Staatsangehörigkeit eines anderen

Mitgliedstaates besitzen, das Recht vorenthalten, bei den Wahlen zu Berufs -

kammern zu wählen oder gewählt zu werden.

 

Aufgrund des Anwendungsvorrangs von unmittelbar anwendbarem Gemein -

schaftsrecht verdrängt Art. 8 der genannten Verordnung § 21 Arbeiterkammer -

gesetz 1992, was bedeutet, daß sich Kammerzugehörige Arbeitnehmer aus

Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des EWR - Abkommens sind, unter Be -

rufung auf Art. 8 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 in eine Wählerliste

eintragen lassen können.

 

Im Hinblick auf türkische Arbeitnehmer führt der Verfassungsdienst in seiner

Stellungnahme aus, daß gemäß Art. 10 des Beschlusses Nr. 1/80 des Asso -

ziationsrates EWG/Türkei, die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft türkischen

Arbeitnehmern, die dem regulären Arbeitsmarkt angehören, Regelungen

einräumen, die unter anderem hinsichtlich der sonstigen Arbeitsbedingungen

jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließen.

 

Nach Ansicht des Verfassungsdienstes ist auch diese Bestimmung unmittelbar

anwendbar. Nach Ansicht des Verfassungsdienstes kann allerdings nicht mit

Sicherheit gesagt werden, ob die Wortfolge „sonstige Arbeitsbedingungen“ in

Art. 10 des Beschlusses Nr. 1180 des Assoziationsrates EWG/Türkei bereits

ausreicht, um türkischen Arbeitnehmern das passive Wahlrecht zu den Ar -

beiterkammern einzuräumen, oder es weiterer Konkretisierungsschritte auf

Ebene der Gemeinschaft bedarf, wofür insbesondere ein Vergleich mit dem

Gemeinschaftsrecht spricht. Auch in diesem ist in Art. 48 Abs. 2 EGV ein

Gleichbehandlungsgebot hinsichtlich der sonstigen Arbeitsbedingungen ent-

halten, welches allerdings durch Art. 8 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68

näher konkretisiert wurde.

 

Zu Frage 10:

 

Nein.

 

Zu Frage 11:

 

Es ist nochmals darauf hinzuweisen, daß der vom Bundesministerium für

Arbeit, Gesundheit und Soziales zur Begutachtung versendete Entwurf, der

letztlich zur Novelle des AKG BGBl. I Nr. 104/1998 führte, eine Ausdehnung

des passiven Wahlrechts auf ausländische Arbeitnehmerin nen und

Arbeitnehmer vorsah, darüber aber keine politische Einigung mit dem

Koalitionspartner erzielt werden konnte (vgl. 1154 Blg. NRXX.GP, 13).

 

Die Ausarbeitung eines neuerlichen Novellierungsvorschlags fällt in die

Zuständigkeit des BMAGS.