5696/AB XX.GP
Die schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 6035/J - NR/1999 betreffend „Kampfplatz
Klassenzimmer“, die die Abgeordneten Elfriede Madl und Kollegen am 25. März 1999 an mich
richteten, wird wie folgt beantwortet:
Ad 1.:
Die Ergebnisse der Studie sind in meinem Ressort bekannt.
Die parlamentarische Anfrage stützt sich auf Berichte der Presse anlässlich der Pressekonferenz
(10.3.1999) des Amtsführenden Präsidenten des Landesschulrates für Oberösterreich Dr. Johannes
Riedl mit den Autoren der Studie „Arbeitslust und Arbeitsfrust - Eine Untersuchung zur
Arbeitszufriedenheit der Linzer Pflichtschullehrer/innen“, Dr. Marlies Tscherner und Dr. Werner
Reichenauer (Universität Linz, Institut für Soziologie).
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass unterschiedliche Darstellungsweisen zu konträren
Ergebnissen fuhren können, vergleicht man die Studie mit ihren umfassenden und vielfältigen
Ergebnissen und die Presseunterlage des Landesschulrates für Oberösterreich mit den in der
Präambel der Anfrage zitierten Presseberichten. Die Datenauswahl zeichnet ein Bild der Selbst-
Einschätzungen der Arbeitszufriedenheit durch Pflichtschullehrer/innen in Linz, das den
Studienergebnissen nicht gerecht wird.
Es wird vorausgeschickt, dass ich die Seriosität der Studie und die Aussagekraft für Großstädte
keinesfalls anzweifle.
Die Pflichtschullehrer/innen (n= 563) benoten den Fragebogen zu 20,4% mit „sehr gut“, 54,4% mit
„gut“,
20,4% mit „befriedigend“, 4,1% mit „genügend“ und
0,7% mit „nicht genügend“.
Ergebnisse von Studien werden in meinem Ressort ernst genommen und, sofern dies erforderlich
erscheint, auch realisierbare Maßnahmen zur Veränderung und Verbesserung gesetzt.
Handlungsleitend dafür sind die Schlussfolgerungen, die sich aus der Interpretation der Gesamtheit
der Ergebnisse ergeben und nicht ausschließlich isolierte Ergebnisse, die ein verzerrtes Bild
erzeugen können.
Zu den Ergebnissen der Studie ist demnach festzuhalten:
Die Rückmeldungen der ca.600 Pflichtschullehrer/innen beziehen sich auf ein Programm von 326
Fragen bzw. Schätzskalen. Die Studie setzt sich weiters aus 8 berufsspezifischen Fragen z.B.
Dienstalter, Schultyp und 8 personbezogenen Fragen z.B. Alter, Familienstand zusammen.
Wie in der APA - Meldung vom 10.3.1999 ausgeführt, „zeigte sich generell, dass die Lehrerinnen
und Lehrer in hohem Maß mit ihrer Tätigkeit zufrieden sind. 44% wurden ‚ganz sicher‘ wieder
Lehrer werden, weitere 38% würden ‚eher schon‘ diesen Beruf noch einmal ergreifen“.
Die Fragestellungen zu Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in der Ausbildung vermittelt werden, und
jenen, die im Beruf benötigt werden, sind ein wesentlicher Bestandteil der Untersuchung.
Zusätzlich beschäftigt sich eine Reihe von Fragen mit den Fortbildungsmöglichkeiten (74% der
Befragten bilden sich berufsspezifisch fort und schätzen diese Möglichkeiten zu 93% als wichtig
ein). Tätigkeiten der Lehrerinnen und Lehrer außerhalb der Schule runden das Fragenprogramm ab.
Die genannten Bereiche werden durch 135 Fragen bzw. Einschätzungen abgefragt.
Die zusammengefassten Ergebnisse sind ein wertvoller Beitrag bei der Weiterentwicklung der
Studiengänge an den Pädagogischen Akademien und den Fortbildungsangeboten der Pädagogischen
Institute.
Von Interesse für die gegenständliche Anfrage sind die Ergebnisse auf die Fragen
„Wie stark treffen die hier angegebenen Ursachen von etwaigen Disziplinproblemen für Sie zu?“
Zur Verdeutlichung der Ergebnisse wird die 4-stufige Skala „trifft sehr stark zu, eher zu, eher nicht
zu, nicht zu“ zweigeteilt (Dichotomisierung) und ergibt folgendes Bild:
Zutreffend sind:
Probleme mit Klassenkolleg/innen (57,1%); hohe Schüler/innenanzahl in der Klasse (51,3%)!;
Probleme im Freundeskreis (61%), Probleme im Elternhaus (84,6%); Sonstiges (90,3%)
Nicht - Zutreffend (Prozentsatz) sind:
Desinteresse der Schüler/innen (54, 1%); schlechtes Klassenklima (65,7%); mangelnde Akzeptanz
von Lehrer/innen (8
1,4%),
„Wir haben hier eine Reihe von negativen Arbeitsbedingungen, die bei der Arbeit auftreten können.
Welche treffen für Sie zu?“
Zutreffend sind bzw. können sein: Auswahl geordnet nach oberes Drittel von 27 Einschätzungen
Leistungsschwache Schüler/innen (96,6%)
Aggressives Verhalten der Schüler/innen (88,1%)
Uninteressierte Eltern (81,3%)
Schlechtes Berufsimage (81,1%)
Hoher Verwaltungs - und Organisationsaufwand (77,9%)
Kaum Aufstiegsmöglichkeiten (73 ,9%)
Unmotivierte Schüler/innen (73,0%)
Druck durch Notengebung (72,8%)
Einschränkung durch rechtlichen Rahmen (68,4%)
Zu hohe Schüler/innenzahlen pro Klasse (65,2%)
Die Einschätzungen des tatsächlichen und vermeintlichen Ausmaßes „negativer Arbeits -
bedingungen“ sind in ihrer Gesamtheit als realistische Beschreibung möglicher Schwierigkeiten zu
betrachten. Unterschiedlichste Strategien werden naturgemäß zu deren Bewältigung entwickelt und
angewendet. Der innerschulische Austausch darüber und die Aus- und Fortbildungsangebote tragen
wesentlich dazu bei.
Auffallend ist, dass insgesamt rein organisatorischen Maßnahmen weniger Lösungspotenzial
zugetraut wird.
Die Fragestellung ist so abgefasst, dass Realbild und ,,Möglichkeitsbild" bei der Beantwortung
nicht voneinander getrennt werden können!
Darüber soll die nachfolgende Frage Anhaltspunkte liefern:
Wenn sie zutreffen, empfinden Sie diese als belastend?
73,1% der Lehrer/innen fühlen sich durch aggressive Schüler/innen, 67,5% durch zu hohe
Schüler/innenzahl pro Klasse, 59% durch unmotivierte Schüler/innen und 56,9% durch
uninteressierte
Eltern belastet.
Konkret ist das Ergebnis nicht außergewöhnlich, gehört die Erfüllung des „Zielparagraphen“ des
SchOG zu den schwierigsten Aufgaben der Berufstätigkeit des Lehrers. Das Ergebnis repliziert
somit pädagogische Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte.
Studien über die Arbeitssituation der Lehrerschaft sind wichtige Indikatoren für die Schul -
entwicklung. Befragungen enthalten jedoch jeweils auch eine subjektive Komponente, die durch
andere Indikatoren zu überprüfen sind. Die geplanten Initiativen zur Qualitätssicherung, zur
Entwicklung von Schulprogrammen und zur Evaluation werden für die Lehrerschaft zusätzliche
Möglichkeiten beinhalten, schulische Arbeitsbedingungen mitzugestalten und zu verbessern.
Ad 2.:
Auf Bundesländer oder Städte beschränkte Studien sind nicht bekannt. Größere Studien wurden von
der GÖD und im Rahmen der so genannten Schulklimaforschung durchgeführt. Die vorliegenden
Befunde in der pädagogischen Fachliteratur werden als ausreichend angesehen.
Ad 3.:
Der Begriff „Kampfplatz“ suggeriert eine Tatsache, die in der Realität des österreichischen
Schulwesens nicht vorliegt.
Wichtige Maßnahmen zur Prävention und Intervention werden bereits durch die Umsetzung der
Schulautonomie, durch die Erhaltung und den Ausbau der Beratungssysteme (Schulpsychologie,
Beratungs - und Betreuungslehrer, Lehrersupervision, etc.) und die Erhöhung der Qualifikationen in
Leiterfunktionen (Schulmanagement) gesetzt.
Die Initiativen zum sozialen Lernen, die Förderung von Unterrichtsprojekten und die
Spezialisierungen in der Lehreraus - und Lehrerfortbildung werden fortgesetzt.
Hiebei sind nicht einzelne Anlassfälle erkenntnis - bzw. handlungsleitend, sondern dass mein
Ressort die Problemlösungskapazitäten vor Ort durch adäquate Rahmenbedingungen stärkt, z.B.
schulautonome Lehrpläne zur Unterstützung sozialer Lern - und Beziehungsformen, Wissenstransfer
durch Projektförderung und - betreuung, schulzentrierte Lehrerfortbildung und die Bewusst -
seinsbildung aller Beteiligten durch Veröffentlichungen (Schritten, Filme und neue Medien)
unterstützt.
Fortlaufende Initiativen der Landesschulräte/Stadtschulrat unterstützen vor allem den präventiven
Aspekt.
Schlüsse von Einzelfällen auf die Gesamtheit sind wegen der Komplexität der Probleme unzulässig
und heben das spezifische Anliegen auf eine Metaebene, wo die tatsächlich Betroffenen ihrer
Verantwortung entrückt sind.
Ad 4.:
Nein, psychische Probleme haben nach übereinstimmender Auffassung der Wissenschaft immer ein
multifaktorielles Geschehen zum Anlass. Eine monokausale Zuschreibung wird dem Betroffenen
nicht gerecht und würde auch einer Verbesserung entgegenstehen.
Ad 5.:
Mein Ressort erhebt entsprechende personbezogene Daten nicht. Schlüsse können über die
Befindlichkeitsstudie bzw. Krankenstandstage gezogen werden. Auch hier ist in der Interpretation
wegen multikausaler Einflussfaktoren äußerste Vorsicht geboten.
Es ist nicht auszuschließen, dass bei manchen Lehrerinnen und Lehrern spezifische Personen - und
Umfeldbedingungen zu ernsthaften physischen und psychischen Problemen führen‘ die sich jedoch
nicht signifikant von jenen anderer vergleichbarer Berufsgruppen unterscheiden.
Ad 6.:
Auf der Ebene der Unterstützungssysteme sind anzuführen:
Schulleitung, Kollegen, Schülerberater/innen, Beratungslehrer/innen, Schulpsycholog/innen, Schul -
aufsicht
Auf der Ebene der persönlichen Auseinandersetzung:
Lehrerberatungszentren
Aus - und Fortbildungsangebote der Pädagogischen Akademien und Pädagogischen Institute,
Supervisionen,
Schulärztlicher Dienst; Beratungsstellen, Ambulatorien.
Auf der Ebene einschlägiger Publikationen des Bundesministeriums für Unterricht und kulturelle
Angelegenheiten:
Sedlak: „Worte statt Waffen“; „So geht es“; „Reden wir darüber“; „Verhaltensauffällig - was nun?“,
„Sich helfen lassen - Broschüre und Film“
„Lesen gegen Gewalt“ - Eine Aktion des BMUK gemeinsam mit dem Salzburger Büchereiservice
Filme und CD - ROM aus dem Medienservice
Medienimpulse
„Gewalt und Medien“
Ad 7.:
Gerade im Pflichtschulbereich, wo vertretbare durchschnittliche Schülerzahlen vorliegen, wird ein
höheres Ausmaß an Problemen angeführt. Eine Senkung der Schülerhöchstzahl würde daher nicht
zwingend zu einer Verminderung von Disziplinschwierigkeiten führen. Aus den aktuellen
Ergebnissen der Schulklimaforschung gehört die Schülerzahl nicht zu den maßgeblichsten
Einflussfaktoren. Dementsprechend ist es eine zentrale Aufgabenstellung, das Zusammenwirken
von Eltern und Erziehungsberechtigten zu intensivieren.
Ad 8.:
Von psychologischer Seite wäre festzuhalten, dass das konstruktive Umgehen mit Aggressionen in
der Schule nicht notwendigerweise mit der Senkung von Klassenschülerzahlen einhergeht. Diese
Perspektive wäre verkürzend, weil sie ausschließlich strukturelle Aspekte berücksichtigt und die
Beteiligten am System Schule aus ihrer persönlichen Verantwortung entlässt.