581/AB

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Rudolf Anschober, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend Justizskandalurteile bei Polizei­übergriffen, gerichtet und folgende Fragen gestellt:

"l.         Wie beurteilt der Justizminister die Tatsache, daß statistisch belegbar ist, daß Bürger, die Polizeiübergriffe anzeigen, lediglich in einem Ausmaß von 3 bis 40/0 vor Gericht Recht behalten und im Regelfall die Aussage des Exekutivbeamten sich durchsetzt?

2.         Wie beurteilt der Justizminister die gegenständlichen Aussagen des Richters im oben angeführten Prozeß und das gesamte Verfahren?

3.         Wie beurteilt der Justizminister den Vorwurf, daß auf Grund der engen Koope­ration zwischen Justiz und Exekutive es immer wieder eine augenzwinkernde falschverstandene Kameraderie bei diesen Verfahren gibt?

4.         Erwägt der Justizminister Schritte bzw Maßnahmen, um diese von allen kriti­schen Experten geteilte Beobachtung in Zukunft kritisch zu hinterfragen bzw zu verändern?"

Ich beantworte diese Fragen wie folgt:

 

Zu 1:

 

Bereits mit Erlaß vom 15.  September 1989, JABI.  Nr 57, hat das Bundesministerium für Justiz auf die von Österreich übernommenen Verpflichtungen aus dem Überein­kommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschli­che oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, BGBI.NR. 492/1987, aufmerksam gemacht und den Anklagebehörden Richtlinien für das Vorgehen bei Vorwürfen ei­ner Mißhandlung, Körperverletzung oder dergleichen durch Organe von Sicherheits­behörden gegeben.  Dabei wurde insbesondere festgelegt, daß jeder nicht offenbar haltlose Tatvorwurf gegen Organe der Sicherheitsbehörden im Wege gerichtlicher Vorerhebungen, allenfalls eines Antrags auf Einleitung der Voruntersuchung, zu klä­ren ist.  Freilich kann auch nach einer sorgfältigen Prüfung der erhobenen Anschuldi­gung das Gericht nicht von der Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" ent­bunden werden, wonach bei der Feststellung von Tatsachen im Rahmen der Be­weiswürdigung im Zweifel zugunsten des Beschuldigten zu entscheiden ist und ein Schuldspruch nur gefällt werden darf, wenn an Täterschaft und Schuld kein vernünf­tiger Zweifel besteht.  Unabhängig von der Beurteilung des für die Anfrage Anlaß ge­benden Einzeifalles glaube ich daher, daß eine Einstellung des Verfahrens, eine Nichterhebung der Anklage oder ein Freispruch im Fall der Anzeige eines "Polizei­übergriffs" nicht ohne weiteres dahin interpretiert werden darf, daß der betroffene Bürger "nicht Recht behalten" habe.

 

Aus dem gleichen Grund wurden die Staatsanwaltschaften auch mit Erlaß des Bun­desministeriums für Justiz vom 31.  Mai 1991, JABI.  Nr. 27, angewiesen, ein Verfah­ren gegen den Beschwerdeführer wegen Verdachts der Verleumdung (§ 297 StGB) nicht einzuleiten, wenn nach Verfahrenseinstellung oder Freispruch Zweifel verblei­ben, die ein Zutreffen des erhobenen Mißhandlungsvorwurfs möglich erscheinen lassen.

 

Freilich kann sich in dem in der Frage angegebenen Zahlenverhältnis auch ein Man­gel der derzeitigen Verfahrensstruktur der Strafprozeßordnung widerspiegeln, die ei­nerseits eine unbefriedigende Determinierung polizeilichen Handelns im Dienste der Strafjustiz aufweist und dadurch andrerseits auch wenig zur Entkräftung zu Unrecht

 

 

 

erhobener Mißhandlungsvorwürfe beiträgt.  Aufgabe der einen Schwerpunkt des Ar­beitsprogrammes meines Ressorts in der laufenden Gesetzgebungsperiode bilden­den Reform des strafprozessualen Vorverfahrens wird es daher u.a. sein, die Rech­te der Parteien des Strafverfahrens und von diesem sonst betroffener Personen ein­gehend zu regeln.  Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Dokumentation der Form und der Modalitäten einer Ermittlungshandlung sowie auf einen geeigneten Rechtsschutz zu richten sein, um zu gewährleisten, daß Amtshandlungen, die in Rechte Betroffener eingreifen, gesetzeskonform ablaufen, und um deren Durchfüh­rung mit angemessener Verläßlichkeit rekonstruieren zu können.  Zur näheren Dar­stellung verweise ich in diesem Zusammenhang auf die von mir im Juli 1995 den Mitgliedern des Justizausschusses übersandte Broschüre meines Ressorts "Das neue StPO-Vorverfahren", S 18 ff, sowie das im Verlag Österreich, Juristische Schrittenreihe Band 84, veröffentlichte Konzept der im Rahmen des Bundesministe­riums für Inneres tätigen Arbeitsgruppe StPO-Reform zu einem sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahren, S 244 ff.

 

Zu 2:

 

Wie ich schon in meiner Antwort auf die parlamentarischen Anfrage vom 26.  April 1996 (512/J-NR/1996) ausgeführt habe, ist jeder Richter im dienstlichen Verkehr mit Angeklagten, Zeugen und anderen Verfahrensbeteiligten zu einer strengen Sach­lichkeit verpflichtet.  Ich bedaure es außerordentlich, wenn Äußerungen von Richtern bewirken, daß eine Hauptaufgabe unserer Gerichtsbarkeit, nämlich die Gewährlei­stung eines fairen Verfahrens, in Zweifel gezogen werden kann.  Die Justizverwal­tung überprüft die ihr - auf welchem Weg immer - zukommenden Hinweise auf sol­che Vorfälle und ist mit Nachdruck bestrebt, Unzukömmlichkeiten abzustellen.

 

Der erkennende Richter in dem Verfahren, auf das sich die Anfrage bezieht, hat im Zuge des dienstbehördlichen Einschreitens des Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien, von dem ihm die Berichterstattung in den Medien vorgehalten worden ist, zum Teil bestritten, die Äußerungen in der wiedergegebenen Form ge­macht zu haben, zum Teil hat er erklärt, sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern zu können, zum Teil hat er seine "ungeschickte" Ausdrucksweise eingese­hen.

 

 

 

 

Der Richter wurde vom Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Wien er­mahnt und hat versichert, sich künftig um eine korrekte Wortwahl zu bemühen.  Im übrigen hat er jedoch betont, daß er in der Sache in keiner Weise voreingenommen gewesen sei.

 

Im übrigen weise ist darauf hin, daß die Staatsanwaltschaft Wien am 25.  April 1996 gegen das gegenständliche Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien Beru­fung wegen Nichtigkeit und Schuld angemeldet hat.

 

Zu 3 und 4:

 

Gegen Organe der Sicherheitsbehörden erhobenen Mißhandlungsvorwürfen wird im Sinne der zitierten Erlässe sorgfältig nachgegangen.  Dies nicht zuletzt auch im Hin­blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 4.12.1995 im Fall RIBITSCH gegen Österreich (ÖJZ 1996, 5 MRK, 148), wo­nach es unabhängig von der Bindung der Gerichte an den Grundsatz der’Unschuldsvermutung Aufgabe der staatlichen Organe ist, eine plausible Erklärung für Verletzungen zu liefern, die eine in Haft befindliche Person erlitten hat.  Hiezu muß in befriedigender Weise dargelegt werden, daß die Verletzungen eines Betroffenen auf andere Weise zustande gekommen sind als - zur Gänze oder teilweise - durch die Behandlung, die ihm etwa während des polizeilichen Gewahrsams zuteil geworden ist.'

 

Insbesondere vor dem Hintergrund dieser Judikatur der Straßburger Menschen­rechtsinstanzen ergibt sich die Notwendigkeit, bei polizeilichen Amtshandlungen ­vor allem bei Vernehmungen in Haft genommener Personen - für eine Nachvollziehbarkeit des Ablaufs zu sorgen, die nachträgliche Vorwürfe unabhängig von der Fra­ge, ob sie im Einzelfall zu Recht erhoben werden oder nicht bzw. ob sie zur Strafver­folgung und Verurteilung eines Beamten führen oder nicht, möglichst ausschließen oder unplausibel machen.

 

Darüber hinaus bin ich der Überzeugung, daß der möglicherweise im Hinblick auf die enge Kooperation mit Organen der Sicherheitsbehörden entstehende Eindruck einer falsch verstandenen Kameraderie in dem Maß verringert wird, als die Vorstel­lungen meines Ressorts über die Reform des strafprozessualen Vorverfahrens verwirkliche werden.  Danach soll der im Vorverfahren tätig werdende (Ermittlungs)Rich­ter - in Fortführung eines Grundgedankens der Reform des Untersuchungshaf­trechts durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993, BGBI.NR. 526 - schwerpunkt­mäßig zu einem echten Rechtsschutzorgan ausgestattet werden.  Durch die Tren­nung der ermittelnden von der rechtsprechenden und kontrollierenden Funktion soll gewährleistet werden, daß dem Rechtsschutzwerber schon im Vorverfahren ein un­abhängiges, nicht auf unmittelbare Kooperation mit Organen der Sicherheitsbehör­den angewiesenes Organ als Ansprechpartner zur Verfügung steht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

PARL 7037 (Prl)