5899/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und Genossen haben an
mich eine schriftliche Anfrage, betreffend „die Sicherung des Grundrechts auf ein
faires Verfahren in Wiederaufnahmeprozessen und betreffend die Sicherung des
Verfahrensgrundsatzes der amtswegigen Wahrheitsforschung gemäß § 3 der Straf -
prozessordnung in Strafverfahren und kriminalpolizeilichen Ermittlungen“, gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 und 2:
Vorweg muss ich um Verständnis ersuchen, dass eine Beanwortung dieser Fragen
nur soweit erfolgt, als die strafgerichtlichen Geschäftsregister auf automationsunter -
stützte Datenverarbeitung umgestellt sind. Die Umstellung bei den Bezirksgerichten
ist im Laufe des Jahres 1998 erfolgt, die Umstellung bei den Landesgerichten wird
im Zuge des Projektes Redesign voraussichtlich im Jahre 2000 beginnen. Eine
Durchsicht der händisch geführten Register würde für das Kanzleipersonal der Ge -
richte einen unverhältnismäßigen Mehraufwand bedeuten.
Bei den Bezirksgerichten sind im Jahre 1997 70 Wiederaufnahmeanträge (bei ei -
nem Gesamtanfall von 100.139 Strafsachen) und im Jahre 1998 73 Wiederaufnah -
meanträge (bei einem Gesamtanfall von 92.401 Strafsachen) gestellt worden, wobei
in den genannten Zahlen auch die Wiederaufnahmeanträge der Staatsanwaltschaf -
ten enthalten sind. 49 bzw. 55 Wiederaufnahmeanträge sind von den Bezirksgerich -
ten
bewilligt worden.
Zu 3:
Nach den - in der für die Beantwortung der Frage erforderlichen Aufgliederung erst
seit dem Jahre 1992 geführten - Unterlagen der zuständigen Abteilung des Bundes -
ministeriums für Justiz wurden seit dem Jahre 1992 auf Grund von erfolgreichen
Wiederaufnahmeverfahren in zwei Fällen Entschädigungszahlungen in Höhe von
insgesamt 222.146 S gezahlt. Die Entschädigungen wurden nach den Grundsätzen
des § 1 des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes, des Art. 5 Abs. 5 EMRK und
des Art. 7 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Frei -
heit berechnet. In zwei weiteren Fällen sind zivilgerichtliche Verfahren zwischen Ent -
schädigungswerbern und der Republik Österreich anhängig.
Zu 4:
Mit dem Strafprozessänderungsgesetz 1993, BGBl. Nr.526/1993, wurde § 68 StPO
dahingehend geändert, dass jene Richter, die im Erstverfahren als Untersuchungs -
richter oder in der Hauptverhandlung tätig gewesen sind, sowohl von der Entschei -
dung über einen Wiederaufnahmeantrag als auch von der Mitwirkung und Entschei -
dung in einer neuen Hauptverhandlung ausgeschlossen sind. Darüber hinausgehen -
de legislative Vorkehrungen halte ich nicht für erforderlich.
Im Übrigen ist es im gegebenen Zusammenhang nicht angebracht, von Fehlurteilen
oder Justizfehlern zu sprechen, wenn die rechtskräftig gewordene Vorentscheidung
auf Grund einer anderen Sachlage ergangen ist und sich die Entscheidungsgrundla -
ge in der Zwischenzeit geändert hat.
Zu 5:
Soweit sich diese Frage auf die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grund neuer
Tatsachen oder Beweismittel bezieht, sehe ich weder eine Notwendigkeit noch eine
Veranlassung, verfahrensspezifische Änderungen vorzuschlagen.
Soweit sich die Frage auf das ordentliche Rechtsmittelverfahren bezieht, ist vor al -
lem darauf hinzuweisen, dass eine Erweiterung der Rechtsmittelmöglichkeiten im
Geschworenenverfahren vor allem deswegen an systematische Grenzen stößt, weil
eine Bekämpfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung eine ausführliche schriftli -
che Begründung des Wahlspruches voraussetzen würde. Eine solche kann jedoch
von den juristisch in der Regel nicht vorgebildeten Geschworenen nicht erwartet
werden.
Zu 6 bis 8:
Eine Ausschließung, wie sie für Richter normiert ist, ist hinsichtlich des am Erstver -
fahren beteiligten Staatsanwaltes gesetzlich nicht vorgesehen, zumal das Einschrei -
ten des Staatsanwaltes auch den kontradiktorischen Charakter des Verfahrens zum
Ausdruck bringt. Die Gefahr, dass ein Staatsanwalt auf Grund unsachlicher Erwä -
gungen bei seiner früheren Meinung bleibt, obwohl sich die Tatsachen - oder Be -
weislage im Zuge des Wiederaufnahmeverfahrens anders darstellt, halte ich nicht
für gegeben. Auch während der Hauptverhandlung im erstgerichtlichen Verfahren
kann und muss der Staatsanwalt etwa von seiner Anklage zurücktreten, wenn das
Beweisverfahren ergibt, dass die Anklage nicht mehr haltbar ist. Ich habe volles Ver -
trauen in das verantwortungsvolle Wirken der Staatsanwälte und weise daraufhin,
dass die Bestimmung des § 3 StPO, derzufolge die Staatsanwaltschaften „die zur
Belastung und die zur Verteidigung des Beschuldigenden dienenden Umstände mit
gleicher Sorgfalt zu berücksichtigen“ haben, einen wichtigen Bestandteil des Berufs -
bildes und des Selbstverständnisses der österreichischen Staatsanwälte bildet.
Auch prozessökonomische Gründe sprechen dafür, dass der mit dem Sachverhalt
vertraute Staatsanwalt weiterhin die betreffende Strafsache bearbeitet, weil er am
besten beurteilen kann, ob die neuen Umstände geeignet sind, zu einer anderen
Beurteilung des Falles zu gelangen. Das in der Anfrage zur Erwägung gestellte Ein -
schreiten der staatsanwaltschaftlichen Oberbehörde würde an dem angesproche -
nen Problem, sofern man es überhaupt als solches bezeichnen kann, wenig ändern.
In berichtspflichtigen Fällen oder auf Veranlassung durch einen Betroffenen ist die
Befassung der Oberbehörde ohnehin sichergestellt.
Zu 9:
Nahen Angehörigen des Angeklagten steht gemäß § 152 Abs. 1 Z 2 StPO das
Recht zu, sich der Aussage zu entschlagen. Damit sollen sie aus einer allfälligen In -
teressenskollision befreit werden. Wenn sie auf dieses Recht verzichten, stehen sie
- wie
alle anderen Zeugen - bei sonstiger Strafdrohung unter Wahrheitspflicht.
Eine Änderung dieser Rechtslage halte ich - wenn überhaupt - nur in größerem
Rahmen, nämlich unter Einbeziehung jener Personen, die als Zeugen vernommen
und in einem anderen Verfahren wegen desselben Sachverhalts beschuldigt werden
oder wurden, für sinnvoll. Diese Fragen werden derzeit im Zuge der Arbeiten zur
Gesamterneuerung des strafprozessualen Vorverfahrens geprüft.