592/AB
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend strafrechtlicher Verfolgung HIV-Positiver, gerichtet und folgende Fragen gestellt:
1. Teilen Sie die Auffassung, daß Sexualverkehr von HIV-Positiven auch dann die Tatbestände der §§ 178 f StGB erfüllt, wenn mit Kondom verkehrt wird ? Wenn ja, warum ?
2. Teilen Sie die Auffassung, daß die Tatbestände der §§ 178 f StGB auch durch Sexualverkehr zwischen HIV-Positiven erfüllt werden kann? Wenn ja, warum ?
3. Wie bewerten Sie die Praxis der Staatsanwaltschaften, HIV-positiven Personen nach §§ 178 f StGB anzuklagen, die mit Kondom verkehrt haben?
4. Sehen Sie in der Praxis der Staatsanwaltschaften, HIV-Positive Personen nach §§ 178 f StGB anzuklagen, die mit Kondom verkehrt haben, eine Gefährdung der Aids-Präventationskampagnen des Gesundheitsministers, die zum Schutz vor Aids Sex mit Kondom propagieren ? Wenn nein, warum nicht?
5. Werden Sie Weisung geben, künftig keine Anklagen nach den §§ 178 f StGB mehr zu erheben, wenn sich eine HIV-positive Person an die „safer sex“ -Regeln gehalten, d.h. insbesondere Kondome verwendet hat? Wenn nein, warum nicht ?
6. Teilen Sie die Meinung, daß die Praxis der Staatsanwaltschaften, von allen Personen, die die Tatbestände der §§ 178 f StGB setzen, lediglich HIV-positive Frauen anzuklagen, Diskriminierung gegen HIV-Positive und gegen Frauen dargestellt? Wenn nein, warum nicht?
7. Werden Sie gegen die Praxis der Staatsanwaltschaften, von allen Personen, die die Tatbestände der §§ 178 f StGB setzen, lediglich HIV-positive Frauen anzuklagen, etwas unternehmen ? Wenn ja, was ? Wenn nein, warum nicht ?
8. Werden Sie gesetzliche Maßnahmen initiieren, die die Diskriminierung HIV-Positiver und Menschen mit Aids abbauen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?
Ich beantworte Ihre Fragen wie folgt:
Zu 1,3,4, und 5
Nach den von den Staatsanwaltschaften erstatteten Berichten wurden zwischen 1992 und 1995 (nur) in drei Fällen HIV-infizierte Personen angeklagt, die bei der Ausführung des Geschlechtsverkehrs Schutzvorkehrungen getroffen hatten, wobei in zweien Fällen Verurteilungen erfolgten.
Es muß wohl davon ausgegangen werden, daß auch bei einem durch Kondome geschützten Sexualverkehr eines AIDS-Infizierten ein - wenn auch geringer - Risikofaktor besteht. Ob Kondome einen ausreichenden Schutz gegen Sekretkontakt bieten, ist jeweils im Einzelfall von der angewandten Sorgfalt bei deren Gebrauch, aber etwa auch von der Erkennbarkeit von Fehlern in der Herstellung von Kondomen abhängig. Deshalb wird die Frage, ob die §§ 178 und 179 StGB als abstrakte Gefährdungsdelikte auch bei durch Kondome geschütztem Sexualverkehr eines AIDS- Infizierten verwirklicht werden können, in der strafrechtlichen Literatur kontroversiell beantwortet: Eher überwiegend wird die Auffassung vertreten, daß eine HIV-infizierte Person, die beim Geschlechtsverkehr ein Kondom verwendet, nicht sozialinadequadänt gefährlich gehandelt, weil Sie die Ansteckungsgefahr auf ein vertretbares Maß reduziert (vgl. Bittmann, strafrechtliche Probleme im Zusammenhang mit Aids, OJZ 1987, 486 [489]; Triffterer, Kommentar zum StGB, Rz 12 und 24 zu § 178; Bertell Schwaighofer, BT II ³ Rz1 zu §§ 178 und 179 StGB) Doch gibt es auch gewichtige Gegenstimmen (Kienapfel, Anm. zu RZ 1989/48, 122 [123]; derselbe, BT I ³ Vorbem zu §§ 83 ff RZ 7; Mayerhofer, WK , Anm. 4 zu § 178 StGB).
Aufklärungskampagnen, die einen verantwortungsvollen Umgang mit HIV-Infektionen und Aids zum Ziel haben und die etwa die Verwendung von Kondomen propagieren, verdienen meines Erachtens uneingeschränkte Unterstützung. Dies gilt umsomehr, als ich mir der begrenzten Funktion des Strafrechtes auf diesem Gebiet bewusst bin (vgl. Pilnacek/Tiegs, Verpflichtung des Patienten zur Offenlegung seines HIV-Status? Recht der Medizin 1995, 32 [34]). In diesem Sinn hielte ich bei der Anwendung der §§ 178 f StGB eine Praxis, die der Verwendung von Kondomen überhaupt keine Bedeutung beimäße und damit den Betroffenen angesichts der in jedem Fall drohenden Verurteilung keinen „Anreiz“ zur Ergreifung dieser Schutzmaßnahme böte. (mögen derartige Überlegungen in der Realität auch nur eine Untergeordnete Rolle spielen), für verfehlt. Umgekehrt schiene es mir aber auch nicht angezeigt, eine der Natur des § 178 StGB als abstraktem Gefährdungsdelikt entsprechende und im Licht der erwähnten Lehrmeinungen vertretbare Rechtsanwendung durch staatsanwaltschaftliche Behörden ohne nähere Prüfung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles im Weisungsweg generell einzuengen.
Zu 2.:
Nach den eingeholten Berichten der Staatsanwaltschaft konnte für die Jahre 1992 bis 1995 nur ein einziger solcher Fall festgestellt werden, und zwar wurde gegen einen HIV-infizierten Mann, der mit seiner ebenfalls HIV-infizierten Partnerin Geschlechtsverkehr hatte, Anklage erhoben. In diesem Fall erging ein Freispruch.
Allgemein ist davon auszugehen, daß in Fällen, in denen beide Partner Geschlechtsverkehrs HIV infiziert sind, Gefahr der Weiterverbreitung der Krankheit nicht begründet oder vergrößert werden kann; die Handlung aber dennoch, exante betrachtet, zur Verbreitung geeignet sein (vgl. Tritterer, a.a.O. Rz 26 zu § 178,der die Sachlage für den Fall schon vorher vorhandenen Wissens von der Infektion des Partners aber wieder anders beurteilt)
Zu 6 und 8:
Sowohl nach dem von den einzelnen Staatsanwaltschaften bekanntgegebenen Zahlenmaterial als auch nach der Gerichtlichen Kriminalstatistik werden nicht ausschließlich Frauen wegen §§ 178 f StGB angeklagt und verurteilt. Die gerichtliche Kriminalstatistik für die Jahre 1992 bis 1994 (für 1995 wurde diese Statistik noch nicht herausgegeben.) weist insgesamt 13 Verurteilungen wegen §§ 178 StGB auf, darunter von drei Männern. Im selben Zeitraum wurden zwei Personen, davon ein Mann, wegen §179 StGB verurteilt. Die von den Staatsanwaltschaften eingeholten Berichte bieten ein ähnliches Bild.
Aus der größeren Zahl der im gegebenen Zusammenhang verfolgten und verurteilten Frauen solle meines Erachtens nicht eine bewußte Diskriminierung von Frauen abgeleitete werden, zumal nach den Verfügungen stehenden Informationen keine Anhaltspunkte in diese Richtung vorliegen. Nähere Aufschlüsse über die Hintergründe wären nur im Weg einer wissenschaftlichen Untersuchung zu gewinnen
Es ist daher derzeit nicht beabsichtigt, Gesetzgebungsmaßnahmen vorzuschlagen.