6068/AB XX.GP
Der Abgeordnete Thomas Barmüller und weitere Abgeordnete haben am 2. Juni 1999 unter
der Nr. 6368/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend "Auffindung und
Bergung von Fliegerbombenblindgängern" gerichtet, die ich wie folgt beantworte:
Zu den Fragen 1 und 2:
Das Ergebnis einer Abklärung der Zuständigkeit im Bereich der Bergung und Sicherung
sprengkräftiger Kriegsrelikte hat unter anderem Eingang in die Beantwortung der
parlamentarischen Anfrage Nr. 5838/J sowie in die gegenüber dem Amt der Steiermärkischen
Landesregierung abgegebene Stellungnahme gefunden; letztere lautete wie folgt:
„Problemstellung
Nach den zur Verfügung stehenden Informationen stellt sich die Problematik der
Fliegerbombenblindgänger folgendermaßen dar:
Von allen im 2. Weltkrieg abgeworfenen Fliegerbomben sind etwa 4% auf Grund
technischer Fehler, falscher Aufprallwinkel oder sonstiger Umstände nicht detoniert. Es ist
demnach - bezogen auf das Bundesgebiet - von annähernd 18.000 Blindgängern auszugehen
Bislang ist es in vier Fällen zu einer Selbstdetonation gekommen: 1965 in Salzburg, 1974 in der
Gemeinde Mollersorf, Bezirk Tulln, 1977 im Flussbett des Donaukanals sowie 1996 in
Salzburg im Baron Schwarz Park.
Im Zuge von Aufklärungsflügen, die 24 Stunden nach einem Bombardement über den
Abwurfflächen durchgeführt wurden, machten die alliierten Streitkräfte Luftbilder der
betroffenen Gebiete. Auf diesen Bildern waren die Krater detonierter Bomben, aber
- zumindest teilweise - auch jene Stellen zu erkennen, an denen Bomben ohne Umsetzung
(= Explosion) einschlugen. Bereits im Zuge der Aufräumungsarbeiten nach Bombenangriffen,
aber
auch im Rahmen des Wiederaufbaus wurden Blindgänger ohne jede
Dokumentation
darüber beseitigt. Ebenso gibt es keine Aufzeichnungen über Abwürfe auf freien Feldern, in
Waldstücken, in Gewässern und alpinen Regionen.
All dies lässt die Wahrscheinlichkeit, heute an Hand der damals entstandenen Luftbilder
Blindgänger tatsächlich noch lokalisieren zu können, überaus gering erscheinen, zumal sich seit
damals auch die topographischen Verhältnisse vielfach nachhaltig geändert haben. Selbst eine
weitere Eingrenzung der mittels dieser Methode gewonnen Verdachtspunkte durch den Einsatz
von Metalldedektoren erhöht die Wahrscheinlichkeit, Bombenblindgänger mit ausreichender
Sicherheit feststellen zu können, kaum, weil diese Geräte auf Metallgegenstände aller Art
reagieren. Ohne Ausgrabung wird es daher nicht gelingen, die notwendige Sicherheit zu
gewinnen.
Diese Aussagen werden durch ausländische Erfahrungsberichte bestätigt. Eine vom
bayrischen Staatsministerium des Inneren 1993 durchgeführte Erhebung zur Erfolgsquote bei
der Auswertung von Luftbildaufnahmen hat ergeben, dass es daran beteiligten namhaften
Firmen trotz zweier Versuche nicht gelungen ist, tatsächlich die Lage auch nur eines
Blindgängers festzustellen (siehe Mitteilungsblatt DVW - Bayern 3/1996). Aber auch
inländische Erfahrungen zeichnen ein solches Bild: Nach Festlegung von sechs konkreten
Bombenverdachtspunkten mittels Luftbildauswertung durch eine auf diesem Gebiet
spezialisierte Firma, konnten Sondierungsbohrungen auf dem Gelände eines in Österreich
ansässigen Industrieunternehmens den Verdacht in keinem einzigen Fall bestätigen.
Es trifft somit - entgegen anders lautenden Berichten - nicht zu, dass nach dieser
Methode festgestellten Verdachtspunkten auch nur annähernd die Qualität eines
Hinweises auf im Boden liegende Bombenblindgänger zukommt.
Rechtslage
Das bereits eingangs erwähnte Gutachten des Bundeskanzleramt/Verfassungsdienstes
zur Frage der Zuständigkeit zur Bergung sprengkräftiger Kriegsrelikte aus dem 2. Weltkrieg
stellt die Rechtslage folgendermaßen dar:
Einleitend wird festgestellt, 'dass sich die Angelegenheit der Bergung sprengkräftiger
Kriegsrelikte aus dem 2. Weltkrieg nicht unter der Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z
15 B - VG "Kriegsschadenangelegenheiten" subsumieren lässt, da nach der Judikatur des
Verfassungsgerichtshofes dieser Kompetenztatbestand lediglich die finanzielle Seite des
Kriegsschadensproblems, also die Frage der Entschädigung und der Schaffung der
finanziellen Voraussetzungen für durchgreifende Aktionen umfasst, nicht aber die technische
Seite der Schadensbehebung.'
Nach einer ausführlichen Begründung, warum die Angelegenheit nicht dem Regime des
Abfallwirtschaftgesetzes oder des Altlastensanierungsgesetzes zuzurechnen sei, wird der
Schluss
gezogen, dass für die Beseitigung dieser Gegenstände § 42 Abs 5
Waffengesetz gelte.
Zum Zeitpunkt, ab wann diese Zuständigkeit Wirksamkeit entfaltet, wird ausgeführt,
'dass sowohl der in der Sicherheits - als auch in der Verwaltungspolizei maßgebliche
Gefahrenbegriff voraussetzt, dass ein Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich ist. Die
entfernte Möglichkeit eines Schadens allein genügt nicht, um von einer Gefahr sprechen zu
können. Sein Eintritt muss zwar nicht gewiss, aber doch hinreichend wahrscheinlich sein. Ein
absoluter Schutz von Rechtsgütern nach allen Richtungen - d.h. auch vor noch nicht
hinreichend konkretisierten Gefahren - durch staatliche Maßnahmen der Gefahrenabwehr
besteht nicht; vielmehr kann ein gewisses Restrisiko, das der Privatsphäre jedes einzelnen
zuzurechnen ist, niemals ausgeschlossen werden.
Solange daher lediglich von einem bloßen Verdacht einer Gefahr gesprochen werden
kann, liegt noch keine Gefahr im beschriebenen Sinn vor. Es wenn die Wahrscheinlichkeit des
Schadenseintrittes ein gewisse Intensität erreicht hat, ist der Staat verpflichtet, seine ihm im
Rahmen der Verwaltungspolizei übertragenen Aufgaben der Gefahrenabwehr
wahrzunehmen.'
Schlussfolgerung
Als Ergebnis der eingangs aufgezeigten Möglichkeiten, sprengkräftige Kriegsrelikte
tatsächlich aufzufinden, sowie der Rechtslage in diesem Bereich ist somit folgendes
festzuhalten:
Die Zuständigkeit des Bundesministers für Inneres, zur Sicherung und Beseitigung
aufgefundener sprengkräftiger Kriegsrelikte gemäß § 42 Abs 5 Waffengesetz, verpflichtet zur
Gefahrenabwehr, sobald die von Kriegsrelikten ausgehende Gefahr hinreichend konkretisiert
ist. Bei Verdachtspunkten nach einer Luftbildauswertung kann jedoch keineswegs schon davon
ausgegangen werden, dass sprengkräftige Kriegsrelikte tatsächlich aufgefunden werden und
damit die Zuständigkeit des Bundesministers für Inneres nach dem Waffengesetz platzgreift.
Von der erforderlichen Konkretisierung der von sprengkräftigen Kriegsrelikten ausgehenden
Gefahr kann nämlich erst dann gesprochen werden, wenn große Wahrscheinlichkeit besteht,
dass es sich um solche Gegenstände handelt; hiebei wird als Regel wohl gelten, dass dies dann
der Fall ist, wenn die Bombe freigelegt wurde. Erst bei diesem Grad der Konkretisierung kann
und darf der Bundesminister für Inneres die vorgesehenen Maßnahmen zur Sicherung und
Beseitigung ergreifen.
Bis zu diesem Zeitpunkt, wird man von einem Risiko sprechen müssen, das eine
staatliche Intervention noch nicht rechtfertigt, sodass allfällige Vorkehrungen dem Einzelnen
vorbehalten sind. Weder waffenrechtliche Bestimmungen noch andere in meinem
Wirkungsbereich gelegene Materien bieten die für systematische Suchen notwendigen
gesetzlichen
Grundlagen."
Zu den Fragen 3 bis 5:
Wie sich aus dem Gutachten des Bundeskanzleramtes/Verfassungsdienst ergibt, bietet
das Vorliegen einer Verdachtsfläche im oben beschriebenen Sinn noch keine ausreichende
Grundlage für eine staatliche Intervention. Demnach steht es auch dem Bundesminister für
Inneres nicht zu, Methoden zur Erkundung oder Vorgangsweisen zur Auffindung
vorzuschlagen.
Erst mit Auffindung eines sprengkräftigen Kriegsreliktes greift die im Waffengesetz
verankerte Aufgabe des Bundesministers für Inneres. Die Bergung und Entsorgung auf -
gefundener Kriegsrelikte wurde in der Vergangenheit und wird auch in Zukunft - entsprechend
den bisherigen Erfahrungen - mit großem Erfolg von den Experten des Entschärfungs - und
Entminungsdienstes des Bundesministeriums für Inneres durchgeführt werden.
Zur Frage 6:
Die Waffenbehörden werden, wie schon bisher, aufgefundene sprengkräftige
Kriegsrelikte entsprechend dem gesetzlichen Auftrag unverzüglich sicherstellen und zur
weiteren Sicherung und allfälligen Vernichtung den Entschärfungs - und Entminungsdienst des
Bundesministeriums für Inneres heranziehen.
Die Sicherung und allfällige Vernichtung anderer aufgefundener Kriegsmaterialien
- also solcher, die keine sprengkräftigen Kriegsrelikte aus der Zeit vor 1955 sind - obliegt dem
Bundesminister für Landesverteidigung.