607/AB

 

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Jörg Haider und Kollegen haben am 22.  Mai 1996 unter der Nummer 611/J-NR/1996 an mich eine schriftliche Anfrage betreffend EU-Standards, BSE und neue Beitrittskandidaten gerichtet, welche den folgenden Wortlaut hat:

 

1.  Wie begründen Sie Ihre in der "ZiB 211 vom 30.4.1996 getä­tigte Aussage: "wären wir nicht (EU)-Mitglied, gäbe es ge­nauso eine Vertrauenskrise der Konsumenten" im Zusammenhang mit BSE, obwohl bisher in Österreich noch kein BSE-befallenes Rind gefunden wurde?

 

2.  Verstehen Sie unter "Gegensteuern mit schärfsten Kontrollen" - Verschärfung der Grenzkontrollen innerhalb der EU-Mitglieder, da ja die Seuche BSE von einem EU-Mitglied ihren Ausgang genommen hat?

 

- Verschärfung der Grenzkontrollen gegenüber Drittländern, um eine mögliche Umgehung des BSE-Embargos zu verhindern?

 

- Verschärfung der innerösterreichischen Kontrollen, obwohl BSE-Fälle innerhalb Österreichs bisher nicht bekanntgewor­den sind?

 

- oder welche sonstigen Kontrollen sollen verschärft werden?

 

3.  Sowohl beim Abschluß des EWR-Vertrages als auch beim EU­Beitritt erhielt der freie Waren- und Kapitalverkehr ­nicht zuletzt durch die konkrete Verhandlungstätigkeit des seinerzeitigen Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten und nunmehrigen Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten - deutliche Priorität vor den berechtigten Anliegen des Verbraucherschutzes.

     Übernehmen Sie für die aus diesem Fehlverhalten in logischer Folge entstandene Vertrauenskrise der österreichischen Konsumenten - nicht nur im Bereich des Rindfleisches - die politische Verantwortung?

 

4.  Was verstehen Sie unter "ethnischen Standards", die laut Ihrer ZiB 2-Aussage nicht alle beitrittswilligen MOEL­Staaten erfüllen?

 

5.  Sollte es sich um einen Druckfehler handeln und Sie "ethische Standards" gemeint haben: Welche beitrittswilligen MOEL-Staaten erfüllen derzeit welche ethischen Standards nicht?

 

6.  Einige MOEL-Staaten, z. B. Ungarn und die Tschechische Republik, haben Importrestriktionen erlassen, obwohl dies weder GATT- noch EU-konform ist und Ihrer ZiB 2-Forderung nach Beachtung des freien Exports und Kapitalverkehrs widerspricht.  Was außer ZiB 2-Aussagen haben Sie gegen die Importrestriktionen der einzelnen MOEL-Staaten unternommen, obwohl diesen Staaten von der EU und damit auch von Österreich höhere Importquoten in die EU, niedrigere Zölle und Meistbegünstigungen zugestanden wurden?

 

7.  Welche beitrittswilligen MOEL-Staaten erfüllen derzeit welche wirtschaftlichen Standards nicht, die an sich Bei­trittsbedingung wären?

 

8.  Nach dem Inkrafttreten des EU-Versandverfahrens an Öster­reichs Ostgrenzen und der damit einhergehenden Aufweichung der Außengrenzkontrollen wird die vertrauenskrise der österreichischen Konsumenten einen neuen Höhepunkt erreichen, , nachdem schon jetzt ostware als österreichisches Pro­dukt verkauft wird (Beispiel Teebutter).

     Welche Maßnahmen und Schritte sind seitens Ihres Ressorts anläßlich des Inkrafttretens des EU-Versandverfahrens an Österreichs MOEL-Grenzen vorgesehen, um weitere Vertrauens­krisen der österreichischen Konsumenten sowie den Außenhan­del mit gefälschten Dokumenten hintanzuhalten?

 

9.  Wie begründen Sie Ihre ZiB-Aussage, wonach Österreich kein Druckmittel gegen AKW-betreibende MOEL-Staaten habe?

 

10.       Hat Österreich aus der Sicht Ihres Ressorts nach dem EU­Beitritt auch kein Druckmittel gegenüber MOEL-Staaten hin­sichtlich Importrestriktionen einerseits und Dumpingexporten unkontrollierter oder fehldeklarierter Qualität an­dererseits?

 

11.       Ist Ihre ZiB 2-Aussage: "nicht Instabilität importieren, sondern Stabilität exportieren" als Programm, als Warnung oder als unrichtige Tatsachenfeststellung gemeint?

 

 

Zu 1:

Die vertrauenskrise der Konsumenten aufgrund BSE existiert un­abhängig davon, ob Österreich EU-Mitglied ist oder nicht.  So­wohl Konsumenten in der EU als auch solche außerhalb der EU machen sich gleichermaßen Sorgen um ihre Gesundheit.

Die Vertrauenskrise der Konsumenten geht auf die Tatsache zu­rück, daß an Pflanzenfresser Nahrung aus Tierkörpern verfüttert worden ist, eine Vorgangsweise, die seit Jahren in Österreich verboten ist.  Daran hat auch der EU-Beitritt Österreichs nichts geändert.  Die zuständigen österreichischen Behörden haben fest­gestellt, daß kein BSE-verseuchtes Rindfleisch oder Lebendrind nach Österreich importiert worden ist.

 

Zu 2:

 

Großbritannien unterliegt einem Exportverbot für Lebendrinder, Rindfleisch und für die daraus gewonnenen Produkte.  Für Talg, Gelatine und Samen wurde eine Ausnahme grundsätzlich beschlossen, die Freigabe ist aber noch nicht umgesetzt.  Jede Maßnahme der EU im Zusammenhang mit BSE wird in konsequenter Weise überwacht. Österreich tritt dafür ein, daß das Verbot durch schärfste Kontrollen lückenlos durchgesetzt wird.

     Schärfste Kontrollen sind deshalb wichtig, damit den berechtigten Sorgen der Konsumenten entsprochen werden kann und diese den Waren, die ihnen durch den österreichischen Handel angeboten werden, vertrauen können.  Entsprechende Kontrollen wurden durch die Europäische Kommission veranlaßt.  Ich gehe davon aus, daß diese Kontrollen durch die dafür zuständigen Organe in effizienter und durchgreifender Weise durchgeführt werden.

 

zu 3:

 

Sowohl der freie Waren- und Kapitalverkehr als auch der Verbraucherschutz gehören zu den Grundprinzipien des EU-Vertrages.  Die österreichische Bundesregierung hat in den EU-Beitrittsverhandlungen besonders darauf geachtet, Verbraucherinteressen zu schützen.

     Das aufgrund des Binnenmarktes dem österreichischen Konsumenten heute zur Auswahl stehende breitere, vielfältigere und zum Teil auch preisgünstigere Warenangebot ist strengen Verbraucherschutzbestimmungen unterworfen.  Die rasche und konsequente Reaktion der Institutionen der EU auf die Mitteilung seitens Großbritanniens, daß BSE für den Menschen gefährlich sein kann, belegt dies deutlich.

 

 

Zu 4 und 5:

 

Gemeint war die Notwendigkeit eines Europa-gerechten Standards des Minderheiten- und Volksgruppenschutzes.

 

Dabei denke ich insbesondere an die Anforderungen an Beitrittskandidaten, wie sie im Juni 1993 durch den Europäischen Rat in Kopenhagen in grundlegender Weise festgelegt wurden:

 

"Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muß der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben;......

 

Das Beitrittsverfahren der EU sieht die Erstellung eines umfassenden Berichtes, des sogenannten "Avis", Über jeden einzelnen Kandidaten durch die Europäische Kommission vor.  In den Avis über die MOEL wird auch die Erfüllung der in Kopenhagen aufgestellten Beitrittsvoraussetzungen angesprochen werden.  Die Berichte werden als Grundlage für zukünftige Beitrittsverhand­lungen herangezogen werden.

 

 

zu 6:

 

Das Handelsregime zwischen den EU-Staaten und den mittel- und osteuropäischen Staaten wird in erster Linie durch die Europa­Abkommen bestimmt.  Die Asymmetrie der Europa-Abkommen, welche den MOEL einen besseren Marktzugang in der EU bietet als umge­kehrt, hat die für Österreich positive Handelsbilanz gegenüber den MOEL nicht wesentlich verändert.

 

Da die Verhandlungen zwischen der EU und den MOEL Über die Anpassung der Europa-Abkommen aufgrund der jüngsten Erweiterung der EU um Österreich, Schweden und Finnland sowie an die Ergebnisse der Uruguay-Runde des GATT noch nicht abgeschlossen sind, gelten zusätzlich zu den Europa-Abkommen auch zu gegenseitigem Nutzen gewährte autonome Maßnahmen.  Ziel der autonomen Maßnah­men ist insbesondere die Aufrechterhaltung traditioneller Handelsströme.  Im erforderlichen Ausmaß wird allerdings zum Schutz von EU-Produzenten der Export von MOEL-Produkten in die EU durch Quotenregelungen, Zollschranken und Antidumpingmaßnahmen beschränkt.

 

Ungerechtfertigte Importrestriktionen in MOEL werden im Rahmen des Assoziationsausschusses oder des Assoziationsrates releviert.  In der Praxis erweist sich als gewichtiger Vorteil, Verein mit den übrigen EU-Partnern und mit der tatkräftigen Unterstützung der Europäischen Kommission verfolgt werden können.  In Ergänzung zu den multilateralen Verhandlungen werden wie bisher wirtschaftliche Problemfälle auch in bilateralen Gesprächen im Rahmen politischer Besuche erörtert.

     Gemeinsame Einflußnahmen der EU-Mitgliedstaaten und der EU-Organe gegenüber Ungarn haben zum Beispiel vor einigen Wochen zur Zusage dieses Landes geführt, einen Importzuschlag von 8% schrittweise bis 30.6.1997 aufzuheben.  Ein gradueller Abbau ab dem 1.7.1996 wurde beschlossen.

     Importrestriktionen, die anderen multilateralen Handelsverträgen als Vereinbarungen mit der EU widersprechen, werden gemäß den dafür vorgesehenen Verfahren, aber auch in bilateralen diplomatischen und politischen Kontakten thematisiert.

 

 

Zu 7:

 

Ziel der Maßnahmen der durch den Europäischen Rat in Essen festgelegten Vorbeitrittsstrategie zur Heranführung der Kandidaten an die EU ist es, die Reformen in den MOEL bestmöglich zu unterstützen.  Wichtige Instrumente dafür sind das Hilfsprogramm PHARE und das Weißbuch Über den Binnenmarkt, welches die Rege­lungen erläutert, die zur Teilnahme am Binnenmarkt erforderlich sind.  Um beitreten zu können, muß ein Beitrittswerber in der Lage sein, nicht nur die Rechte, sondern auch die Pflichten der EU-Mitgliedschaft und den bestehenden EU-Rechtsbestand überneh­men zu können.

 

Man muß daher zunächst den Abschluß der derzeit in Ausarbeitung befindlichen Stellungnahmen der Kommission ("Avis") zu den Beitrittsanträgen, die diese Fragen behandeln, abwarten.  Erst auf Grundlage der Stellungnahme der Kommission werden die EU­Mitgliedsstaaten einen Beschluß Über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen zu fassen haben.  In diesen Beitrittsverhandlungen wird detailliert auf alle substantiellen Fragen im Einvernehmen mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten einzugehen

 

Zu 8:

Das EU-Versandverfahren stellt eine zolltechnische Reform dar, die die Abwicklung von Grenzformalitäten verbessern soll.  Dieses hat sich als strenges Verfahren bewährt und ist ab dem 1. Juli 1996 auch im Warenverkehr mit Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn eingeführt worden.  Damit wird keine Änderung der Palette zulässiger Exporte der MOEL bezweckt.  Das Versandverfahren zielt auf die Verringerung der Bürokratie und nicht auf eine Reduzierung der Kontrollen ab.  Grundidee des Verfahrens ist die verlagerung der Kontrollvorgänge von der Grenzstation, an der in der Praxis oft Zeitdruck herrscht, an einen für die Kontrolle besser geeigneten Ort, zum Beispiel den Ort des Abladens.

     Warenimporte erweitern das dem österreichischen Konsumenten zugängliche Angebot.  Neben der vergrößerten Auswahl kommt es zu einer größeren Bandbreite unterschiedlicher Qualitäten und un­terschiedlicher Preiskategorien.  Es bleibt dem mündigen Bürger vorbehalten, das Angebot zu prüfen und seine Entscheidung zu treffen.  Konsumentenschutz bedeutet unter anderem Schutz vor Fälschungen sowie nicht zugelassenen und gesundheitsschädlichen Produkten, jedoch nicht eine Bevormundung des Bürgers.

 

 

Zu 9:

 

Österreich verfolgt im Rahmen der Nachbarschaftspolitik eine konsequente Linie mit der Zielrichtung der Stillegung der in seiner Nachbarschaft angesiedelten nuklearen Einrichtungen.  Diese Bemühungen werden ergänzt durch konstruktive Angebote an die Nachbarn zur Realisierung einer modernen Energiewirtschaft ohne Atomkraftwerke.  In diesem Sinne setzt sich Österreich auch innerhalb der EU konsequent für diese Zielsetzung ein.  Im übrigen bin ich der Ansicht, daß Druck und Drohungen kein geeignetes Mittel der internationalen Politik zur Durchsetzung eigener Zielsetzungen sind.

 

Zu 10:

Österreich hat Möglichkeiten gegenüber den mittel- und osteuropäischen Staaten hinsichtlich Dumpingexporten bzw. falsch deklarierter und nicht qualitätskonformer Produkte durch Anrufung der dazu berufenen Organe der Gemeinschaft zur Verhängung von Antidumpingmaßnahmen bzw. durch Relevierung der in den verschiedenen Europaabkommen verankerten Schutzklauseln vorzugehen.  Verstöße gegen Qualitätsbestimmungen, wettbewerbsverzerrende Praktiken oder falsche Deklarierung von Waren werden nach Maßgabe der dafür innerhalb der EU gültigen Bestimmungen und mit dem der EU zur Verfügung stehenden Rechtinstrumentarium zu behandeln sein.

 

 

Zu 11:

 

Ich habe in der ZiB 2 gesagt, daß man die Erfüllung aller in Kopenhagen aufgestellten Bedingungen verlangen muß, damit wir nicht Instabilität importieren".  Die Aufnahme demokratiepoli­tisch instabiler Staaten, in denen die Menschenrechte nicht ausreichend garantiert sind und in denen Minderheiten nicht so geschätzt sind, wie das EU-Standard ist, könnte zu Problemen innerhalb der EU führen.  Die EU will "Stabilität exportieren" indem Staaten, die noch vor wenigen Jahren kommunistisch regiert waren, die politischen und wirtschaftlichen Standards der EU übernehmen.  Dadurch würde die Zone der Stabilität, welche die EU darstellt, auf ein größeres Gebiet ausgedehnt.  Diese Entwicklung kommt gerade Österreich aufgrund seiner geographischen Lage in ganz besonderem Maße zugute.