611/AB

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag.  Doris

Pollet-Kammerlander, Freundinnen und Freunde haben am 22. Mai 1996 unter der Nr. 624/J-NR/1996 an mich eine schriftliche Anfrage betreffend die österreichisch-türkischen Beziehungen gerichtet, welche den folgenden Wortlaut hat:

111.        Wie bewerten Sie die österreichisch-türkischen Beziehungen des Jahres 1995 auf diplomatischer Ebene?

 

2.       Wie entwickeln sich die Handelsbeziehungen mit der Türkei?

 

3.       Wie entwickelt sich der österreichische Fremdenverkehr mit der Türkei?

 

4.       Wie entwickeln sich die Zahlen türkischer Gastarbeiter in Österreich?

 

5.       Wie beurteilen Sie die Menschenrechts-, die Zypern- und die Kurdenpolitik der türkischen Regierung?

 

6.    Hat die Menschenrechtspolitik Ankaras, die Zypernpolitik und der Umgang mit der Kurdistanfrage Einfluß auf die österreichisch-türkischen Beziehungen?

 

7.    Hat der österreichische Botschafter in Ankara Aufträge erhalten, in einer dieser Fragen Aktivitäten zu setzen und welche?

 

8.    Hat der österreichische Botschafter inzwischen, in Ihrem Auftrag, die am 8.Dezember 1994 zu schweren Gefängnisstrafen verurteilten Abgeordneten der "Kurdischen Partei der Demokratie" besucht?

 

9.         Welche Aktivitäten haben Sie, Herr Außenminister, bisher gesetzt, um die Menschenrechtspolitik der Türkei bilateral oder international zu thematisieren?  Hat die Bundesregierung weitere Schritte des Protests gesetzt?

 

10.       Welche Schritte werden Sie im EU-Ministerrat vorschlagen, sodaß die Einhaltung der Menschenrechte und die Zollunion der Türkei mit der EU tatsächlich akkordiert werden könnte?

 

11.       Halten Sie es angesichts des Krieges der Türkei gegen Kurden und angesichts des Terrors, den die PKK in Touristenzentren trägt, für verantwortbar, die Türkei als Ziel österreichischen Massentourismus aufrechtzuerhalten?

 

12.       Teilen Sie die Auffassung Ihres Amtsvorgängers, daß "die Kurdenfrage vor allem durch einen breiteren politischen Dialog" (AB 457/XIX.GP) einer Lösung näher gebracht werden kann?

 

13.       Sind Sie davon in Kenntnis gesetzt worden, daß der neue" türkische Ministerpräsident Yilmaz beim jüngsten Treffen der EDU Klubobmann Khol ersucht hat, sich um eine Vermittlung im türkisch-kurdischen Konflikt zu bemühen und unterstützen Sie diese Bemühungen?

 

14.       Beurteilen Sie die Einrichtung eines gemeinsamen Kurdenbüros in Wien wie Ihr Vorgänger als ÖVP-Obmann Dr. Busek, der meinte: "Prinzipiell sollte eine derartige Einrichtung durchaus völkerverbindenden Charakter haben und einen positiven Beitrag zum Zusammenleben Über kulturelle Grenzen hinweg leisten können" (AB467/XIX.GP)?

 

Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:

 

ad 1):

 

Die österreichisch-türkischen Beziehungen haben sich auch im Jahre 1995 auf dem Niveau der letzten Jahre entwickelt (gute wirtschaftliche Zusammenarbeit, dichtes Kulturprogramm des österreichischen Kulturinstitutes Istanbul).  Auf politischer Ebene fanden Besuche des Stellvertretenden Premierministers und Außenministers Murat Karayalcin, des Präsidenten der Großen Türkischen Nationalversammlung Hüsamettin Cindoruk sowie des Unterstaatssekretärs im türkischen Außenministerium Onur öymen in Österreich statt.

Weiters besuchten Abgeordnete zum Nationalrat sowie österreichische Abgeordnete zum Europaparlament die Türkei.

 

Wegen divergierender Auffassungen in der Frage des sogenannten ERNK-Büros in Wien sowie einer geplanten Tagung des sogenannten "Kurdischen Exilparlaments" ist es allerdings zu Friktionen gekommen.

 

ad 2):

 

Der Warenverkehr zwischen Österreich und der Türkei hat sich in den vergangenen Jahren wie folgt entwickelt:

                        Einfuhren: 1992                                         2,613 Milliarden ÖS

                                        1993                                         2,894 Milliarden ÖS

                                        1994                                         3,333 Milliarden ÖS

 

                                    Ausfuhren: 1992                                  3,140 Milliarden 6S

                                                     1993                               3,022 Milliarden ÖS

                                                     1994                               1,974 Milliarden ÖS

                                                     1995                               3,087 Milliarden 8S

 

                                  Die Statistik zeigt,     daß es 1994 vorübergehend einen

                            starken Rückgang der     österreichischen Exporte gegeben

 

hat, welcher dem allgemeinen Importrückgang der Türkei in dieser Zeit aufgrund von Währungsturbulenzen und der Stabilitätspolitik der türkischen Regierung entsprochen hat.  Mit Ausnahme des erwähnten Jahres 1994 ist die Handelsbilanz für Österreich leicht aktiv.

Die seit 1. Jänner 1996 in Kraft befindliche Zollunion zwischen der Europäischen Union und der Türkei sollte auch bilateral den Zugang der Wirtschaft zum türkischen Markt erleichtern.

ad 3):

 

Die Zahl der österreichischen Touristen ist im Jahre 1995 gegenüber dem Jahr 1994 angestiegen. Über 180.000 österreichische Touristen haben die Türkei besucht.

 

ad 4):

 

Die Zahl der bewilligungspflichtig beschäftigten türkischen Gastarbeiter hat sich wie folgt entwickelt:

                      Jahresdurchschnitt 1993                                  54.503

                      Jahresdurchschnitt 1994                                  56.623

                      Jahresdurchschnitt 1995                                  55.723

                      Mai 1996                                                        53.083

 

ad 5),9) und 10):

 

Der Türkei sollte nicht die Absicht und das Bemühen abgesprochen werden, die Menschenrechte im türkischen Staat in besserer Weise als bisher zur Anwendung zu

 

türkischen Human Rights Association sowie eine gewisse Entschärfung von strafgesetzlichen Bestimmungen zu sehen, die bisher im Zuge der Terrorismusbekämpfung sehr extensiv angewandt worden sind.  Nichtsdestoweniger hat sich die allgemeine Menschenrechtslage in der Türkei nach übereinstimmender Ansicht zahlreicher internationaler Instanzen verschlechtert.  Die weite Anwendung von Folter, die Ermordungen von Journalisten, die Inhaftierungen von gewählten Abgeordneten, die steigende Zahl von Verschwundenen deuten auf die Unzulänglichkeit der Maßnahmen hin, die von Regierungsseite zur Bekämpfung dieser Phänomene bisher ergriffen wurden.  Hinzu tritt noch der Umstand, daß seitens der türkischen Regierungsbehörden nach wie vor keine substantiellen und effektiven Maßnahmen zugunsten der berechtigten Anliegen der kurdischen Bevölkerung gesetzt werden.  Vielmehr steht in der Kurdenfrage für die türkische Seite zum gegenwärtigen Zeitpunkt die militärische Bekämpfung der PKK im Vordergrund.

 

Österreich hat sowohl bilateral als auch in

 

multilateralen Foren wiederholt seine Besorgnis über die anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, insbesondere im Südosten des Landes zum Ausdruck gebracht.  Die Europäische Union gab im April d.J. vor der UN-Menschenrechtskommission eine Erklärung zur Menschenrechtslage in einer Reihe von Staaten ab; darin brachte sie ihre Sorge "über die Lage im Südosten der Türkei und die weitverbreiteten Folterpraktiken" zum Ausdruck.

 

Österreich hatte beim Rat Allgemeine Angelegenheiten der EU am 6.3.1995 sowie am 30.10.1995 entsprechend der bindenden Stellungnahme des Nationalrates gemäß Art. 23e B-VG vom 3. März 1995 die Herstellung eines klaren Konnexes zwischen der Finalisierung der Zollunion

 

EU-Türkei (und auch mögliche Finanzhilfen der EU an die Türkei) und der Verbesserung der Menschenrechtslage sowie der DurchfÜhrung institutioneller Reformen in der Türkei gefordert und entsprechende Formulierungen in den einschlägigen Dokumenten erreicht.

 

Die österreichischen Positionen spiegeln sich weiters in den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Madrid vom 15./16.12.1995 wider, der erneut darauf hinwies, "daß er die Entwicklung und Vertiefung der Beziehungen zur Türkei als vorrangig ansieht", und daran erinnerte "daß er der Achtung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundfreiheiten große Bedeutung beimißt und .... ganz entschieden all jene unterstützt, die sich in der Türkei um die Durchführung der Reformen bemühen-."

 

Diese österreichischen Positionen werde ich auch in Zukunft im Rahmen der EU sowie in bilateralen Kontakten mit türkischen Vertretern mit Nachdruck vertreten.

 

Schließlich verweise ich darauf, daß entsprechend einer Entschließung des EP vom Dezember 1995 die EK sowie der Rat der EU die Menschenrechtssituation und die Entwicklung der Demokratie in der Türkei ständig beobachten sollen und die Kommission dem EP wenigstens einmal jährlich einen Lagebericht vorzulegen hat.

 

Die Perspektive eines EU-Beitritts Zyperns sowie der Regierungswechsel sowohl in Ankara als auch in Athen haben eine gewisse Bewegung in die Lösung des Zypern-Problems gebracht, die jedoch durch die jüngsten griechisch-türkischen Auseinandersetzungen betreffend verschiedene Inseln in der Ägäis und neuerdings auch im Mittelmeer einen Rückschlag erlitten hat.

 

Die EU unterstützt eine umfassende Regelung der

 

Resolutionen des Sicherheitsrates der VN.  Der Vorsitz der EU im ersten Halbjahr 1996 hat mit der Ernennung eines eigenen Zypernbeauftragten seine Kontakte mit den Beteiligten intensiviert.  Im Zusammenhang mit ihrem Beschluß betreffend die Finalisierung der Zollunion mit der Türkei vom März 1995 hat die EU an die Türkei appelliert, zur Lösung der Zypern-Frage beizutragen.

Österreich ist mit einem UNFICYP-Kontingent in Zypern präsent.

 

ad 6):

 

Die in meiner Beantwortung der Fragen 5), 9) und 10) dargelegten Faktoren sind wesentliche Elemente bei einer Beurteilung der Qualität der österreichisch-türkischen Beziehungen durch die österreichische Seite.  Die prekäre Menschenrechtslage und die ungelöste Kurdenfrage haben auf die Weiterentwicklung des Besuchsaustausches hemmend gewirkt.

 

ad 7):

 

Der österreichische Botschafter in Ankara hat den permanenten Auftrag, in Gesprächen mit Kontaktpersonen auf die Notwendigkeit der Verbesserung der

Menschenrechtslage (die sich bei Fortschritten in der Kurdenfrage sicherlich verbessern würde) hinzuweisen. weiters wurde in zahlreichen österreichischen Interventionen die prekäre Lage der Menschenrechte in der Türkei immer wieder thematisiert.  Seit der Mitgliedschaft Österreichs bei der EU werden offizielle Demarchen in diesen Fragen entweder durch die EU-Präsidentschaft oder" durch die EU-Troika durchgeführt.

 

ad 8):

 

Wie alle anderen Missionschefs von EU-Staaten hat auch der österreichische Botschafter die genannten Abgeordneten bisher nicht besucht.

 

ad 11) :

Das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten beobachtet die Sicherheitssituation in den für österreichische Reisende interessanten Ländern und gibt die Einschätzung der Lage auf Grund aller ihm zur Verfügung stehenden Informationen, insbesondere der Berichte der österreichischen VertretungsbehÖrden, in Form von Reiseinformationen an den Fachverband der Reisebüros in der Wirtschaftskammer weiter.  Direkte, meist telefonische Anfragen von Reisebüros und Einzelpersonen werden vom Bürgerservice des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten inhaltlich gleich beantwortet.

Bei der Abfassung seiner Reiseinformationen wird das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten geleitet von seiner Verantwortung für die Sicherheit der österreichischen Touristen im Ausland unter Bedachtnahme auf die jeweilige konkrete Situation sowie die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen.  Daher wird in der Regel nicht generell vor Reisen in ein bestimmtes Land gewarnt, sondern eine differenzierte Information gegeben, auf Grund derer die Reisenden selbst die Entscheidung Über Buchung bzw.  Stornierung einer Reise treffen können.

So hat das Bürgerservice, nachdem von der kurdischen Arbeiterpartei PKK Anfang März d.J., wie in den vergangenen Jahren, wieder Anschläge gegen ausländische Touristen und Ferienzentren in der Türkei angekündigt worden waren, nach Einholung eines Berichtes der Österreichischen Botschaft Ankara den Fachverband der Reisebüros in einer Reiseinformation von der Drohung zwecks Information der Reisebüros in Kenntnis gesetzt.  Eine Warnung vor Reisen in die Türkei bzw. in die von Touristen hauptsächlich besuchten Feriengebiete erschien bislang nicht angebracht.  Es wurde jedoch vor Reisen in den Südosten des Landes, wo seit Jahren Ausnahmezustand

ad 12) :

Österreich sowie auch die übrigen EU-Mitgliedsstaaten weisen immer wieder darauf hin, daß die Kurdenfrage nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden kann.

Voraussetzung einer politischen Lösung ist sicherlich ein möglichst umfassender politischer Dialog, der allerdings die territoriale Integrität der Türkei nicht in Frage stellen kann.

ad 13):

 

Die ggstdl.  Frage betrifft politische Kontakte auf der

 

Ebene der Parteien und ist kein Gegenstand der

 

Vollziehung des Bundes.

 

ad 14):

 

Von einer Institution, die sich der Verbesserung der kulturellen Dimension der Kurdenfrage mit friedlichen Mitteln widmet, können grundsätzlich positive Ergebnisse erwartet werden.  Sollte ein gemeinsames Kurdenbüro im politischen Bereich tätig werden, wäre es u. a. an der Frage zu messen, ob die territoriale Integrität anderer Staaten berührt werden könnte.

 

Der Bundesminister

für auswärtige Angelegenheiten: