6368/AB XX.GP
zur Zahl 6715/J - NR/1999
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dkfm. DDr. Friedrich König und Kollegen haben
an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend „Schutz europäischer Firmen in den
USA“, gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt.
Zu 1:
Nach US - amerikanischem Zivilrecht hat der Geschädigte über den eigentlichen
Schadenersatz (compensatory dameges) hinaus unter gewissen Umständen An -
spruch auf Strafschadenersatz (punitive dameges). Solche Ansprüche setzen vor -
aus, dass der Schädiger absichtlich, rücksichtslos oder bewusst fahrlässig gehan -
delt hat. Praktische Bedeutung haben sie vor allem in Produkthaftungssachen; dort
werden sie insbesondere dann zugesprochen, wenn der Produzent von der Gefähr -
lichkeit des Produktes wusste, jedoch aus wirtschaftlichen Gründen Sicherungs -
maßnahmen unterließ.
Punitive dameges haben nach amerikanischer Rechtsprechung und Lehre in erster
Linie Straf - und Abschreckungsfunktion. Weiters soll der Geschädigte für die auf
seinem Einsatz beruhende Rechtsdurchsetzung (zur Stärkung der Rechtsordnung
im allgemeinen) belohnt werden und eine Ergänzung zum kompensatorischen Scha -
denersatz erhalten, der teilweise als nicht ausreichend angesehen wird. In diesem
Zusammenhang ist insbesondere zu beachten, dass das amerikanische Verfahrens -
recht keine Kostenersatzpflicht der unterlegenen Partei kennt, sodass aus dem er -
siegten Betrag auch die Kosten der eigenen
Rechtsverfolgung beglichen werden
müssen. Zu diesem Zweck wird in aller Regel zwischen Anwalt und Mandant eine
erfolgsabhängige Quota - litis - Vereinbarung geschlossen: Der Honoraranspruch des
Klagsvertreters hängt von der Höhe der zugesprochenen Summe ab; wird die Klage
abgewiesen, so entfällt er zur Gänze. Anders ist die Lage auf der Seite des Beklag -
ten: dieser muss auch bei vollständigem Obsiegen die Kosten seiner Vertretung tra -
gen.
Erstinstanzliche Gerichte sprechen punitive damages tatsächlich in teilweise exorbi -
tanter Höhe zu. Dies folgt nicht zuletzt daraus, dass in den USA aufgrund bundes -
verfassungsrechtlicher Vorgaben auch in Zivilsachen in erster Instanz Geschwore -
nengerichte entscheiden. Zumal dann, wenn auf der Gegenseite wirtschaftlich
mächtige (und/oder ausländische) Unternehmen stehen, sind Geschworene geneigt,
großzügige punitive damages zuzuerkennen. Allerdings ist es ständige Praxis, dass
überzogene Zusprüche durch Berufungsgerichte reduziert werden. Durch die im
Jahr 1996 ergangene Entscheidung des Supreme Court in der Sache BMW of North
America v. Ira Gore (116 S. Ct. 1589) wurde überdies klargestellt, dass durch exzes -
sive Zusprüche einzelstaatlicher Gerichte auch bundesverfassungsrechtliche
Grundsätze verletzt werden. Insbesondere dürfen punitive damages demnach nicht
unverhältnismäßig höher sein als der tatsächliche Schaden, wobei im jeweiligen
Einzelfall auf das Ausmaß der Vorwerfbarkeit des schädigenden Verhaltens abzu -
stellen ist.
In BMW v. Gore wurden die punitive damages von ursprünglich $ 4.000.000,-- zu -
nächst schon vom Berufungsgericht auf $ 2.000.000,-- herabgesetzt und dann in
Folge der höchstgerichtlichen Entscheidung auf nur mehr $ 50.000,-- reduziert. Die
Entscheidung des Supreme Court hat dazu geführt, dass Berufungsgerichte bei der
Zuerkennung von punitive damages nun noch zurückhaltender sind als bisher
(Griessbach/Cordero, RIW 1998, 594 ff).
Dennoch stellen punitive demages für Unternehmen, die in den USA tätig werden,
ein nicht unbeträchtliches Risiko dar. Einerseits werden auch von Berufungsgerich -
ten noch immer Ersatzbeträge zugesprochen, die in Einzelfällen den tatsächlichen
Schaden um das hundertfache übersteigen. Andererseits sind Beklagte aufgrund
exorbitanter Zusprüche durch Geschworenengerichte zu Rechtsmitteln genötigt, de -
ren Kosten sie auch bei Obsiegen selbst zu tragen haben.
Österreichische Unternehmen werden davon allerdings nur in eingeschränktem
Ausmaß getroffen. Eine Vollstreckung US
- amerikanischer Urteile ist nämlich in
Österreich derzeit nicht möglich, da es an einer Verbürgung der Gegenseitigkeit
durch Staatsvertrag oder Verordnung (§ 79 Abs 2 EO) fehlt. Faktisch wirksam wer -
den solche Entscheidungen daher nur dann, wenn der Schädiger über Vermögen in
den USA oder in Staaten verfügt, in denen US - amerikanische Entscheidungen aner -
kannt und vollstreckt werden.
Zu 2, 3 und 4:
Die Problematik der punitive damages ist vor allem bei den Beratungen für ein welt -
weites Gerichtsstands - und Vollstreckungsübereinkommen zu beachten. Es handelt
sich dabei um ein Projekt der Haager Konferenz für internationales Privatrecht, das
bereits Gegenstand von vier Sitzungen einer Spezialkommission gewesen ist und
voraussichtlich Ende nächsten Jahres abgeschlossen wird. Das Übereinkommen
wird (nach dem Vorbild des EuGVÜ) sowohl unmittelbar anwendbare Zuständig -
keitsregeln als auch Bestimmungen über die Anerkennung und Vollstreckung ge -
richtlicher Entscheidungen enthalten. Im Zuge der Beratungen in Den Haag werden
regelmäßig Koordinationssitzungen der EU - Mitgliedstaaten abgehalten.
Nach einer Ratifizierung dieses Übereinkommens werden US - amerikanische Ent -
scheidungen grundsätzlich auch in Österreich vollstreckt werden können. Eine Voll -
streckung von punitive damages würde allerdings schon an der allgemeinen Ordre -
public - Klausel scheitern. Die Durchsetzung einer Privatstrafe stünde nämlich mit
Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung, und zwar mit der Kompensa -
tionsfunktion des Schadenersatzrechts und dem Strafmonopol des Staates, in un -
lösbarem Widerspruch.
Aus Gründen der Rechtssicherheit drängen die Mitgliedstaaten der EU jedoch auf
die Aufnahme eines speziellen Verweigerungsgrundes für punitive damages. Nach
Art 32 des Preliminary Draft vom 18. 6. 1999 soll die Anerkennung und Vollstreckung
verweigert werden können, soweit ein nach den Umständen deutlich überhöhter Be -
trag („grossly excessive damages“) zugesprochen wurde. Untergrenze soll jene
Schadenersatzforderung sein, die nach dem Recht des Vollstreckungsstaates zuge -
standen wäre; bei der konkreten Bemessung soll auch auf die Verhältnisse im Ur -
sprungsstaat, und zwar insbesondere auf eine allfällige Kostenersatzfunktion von
punitive damages, Rücksicht genommen werden.
Die Vertreter des Justizministeriums werden bei den Beratungen in Den Haag und
bei den Koordinationssitzungen der EU -
Staaten auf die Aufnahme einer solchen Be -
Stimmung in das Übereinkommen drängen. Weitere Maßnahmen auf europäischer
Ebene sind derzeit nicht erforderlich. Insbesondere erscheint eine „Abwehrgesetz -
gebung“ nach dem Vorbild der EU - Reaktion auf den US- amerikanischen Helms - Bur -
ton - Act nicht angebracht.
Der Helms - Burton - Act enthält unter anderem Regelungen über die Entschädigung
amerikanischer Staatsbürger, die vom kubanischen Staat im Jahr 1959 entschädi -
gungslos enteignet worden waren. Diese können demnach vor US - amerikanischen
Gerichten Strafschadenersatz von Nicht - US - Staatsangehörigen einfordern, wenn
letztere an einer (sehr weit gefassten) wirtschaftlichen Nutzung des enteigneten
Vermögens beteiligt waren. Als solche Nutzung gelten etwa der Ankauf von Zucker,
der auf einer enteigneten Plantage geerntet worden war, oder Investitionen in Tou -
rismusbetriebe, die sich auf enteignetem Grund befinden.
Diese Regelung ist vor allem deswegen problematisch, weil sie eine amerikanische
Zuständigkeit allein aufgrund der Staatsangehörigkeit des Klägers vorsieht. Darin
liegt eine völkerrechtlich bedenkliche extraterritoriale Durchsetzung nationaler wirt -
schaftlicher und politischer Interessen.
Als Reaktion darauf wurde vom Rat der EG eine Verordnung erlassen, die unter an -
derem vorsieht, dass Entscheidungen nach dem Helms - Burton - Act in den Mitglied -
staaten nicht vollstreckt werden können und dass bei einer Vollstreckung außerhalb
der Union eine Klage auf Rückforderung vor den Gerichten der Mitgliedstaaten zu -
lässig ist (VO Nr 2271/96 des Rates vom 22.11.1996, ABI L 309,1). Diese Abwehr -
gesetzgebung war mit einem Streitschlichtungsverfahren bei der Welthandelsorga -
nisation (WTO, verbunden, welches (ohne formelle Entscheidung) dazu führte, dass
der amerikanische Präsident mehrfach von einer im Helms - Burton - Act enthaltenen
Ermächtigung Gebrauch machte, die oben geschilderte Schadenersatzpflicht zu
suspendieren.
Bei Schadenersatzklagen nach allgemeinem Zivilrecht ist die Situation anders. Eine
US - amerikanische Zuständigkeit besteht hier nur dann, wenn der Sachverhalt aus -
reichende Inlandsbeziehungen (minimal contacts) aufweist. In den meisten Fällen
wird dabei auf ein Tätigwerden des Schädigers auf dem amerikanischen Markt ab -
gestellt (Zuständigkeit aufgrund von doing business); die Staatsangehörigkeit des
Klägers reicht für sich allein (anders als im Bereich des Helms - Burton - Acts) nicht
aus. Eine einseitige Abwehrgesetzgebung könnte aus diesem Grund nicht mit einer
völkerrechtlich bedenklichen Ausdehnung
der Gerichtsgewalt begründet werden.
Zudem ist eine allgemeine Abwehrgesetzgebung derzeit aus österreichischer Sicht
nicht erforderlich, weil eine Vollstreckung US - amerikanischer Urteile in Österreich
vor Inkrafttreten des weltweiten Gerichtsstands - und Vollstreckungsübereinkom -
mens ohnehin nicht möglich ist.
In den anderen Mitgliedstaaten der EU sind zwar amerikanische Entscheidungen
schon derzeit vollstreckbar, da die Notwendigkeit einer formellen Verbürgung der
Gegenseitigkeit durch Staatsvertrag oder Verordnung eine österreichische Beson -
derheit darstellt. Allerdings dürfte dort die Berufung auf den Ordre public zur Bewäl -
tigung der Punitive - damages - Problematik ausreichen. Dazu ist insbesondere auf die
Rechtslage in Deutschland zu verweisen: Nach der Rechtsprechung des Bundesge -
richtshofes (4. 6 . 1992 BGHZ 118, 331) stellt die Zuerkennung von pauschalem Straf -
Schadenersatz, der über den Ersatz des vollen materiellen und immateriellen Scha -
dens hinausgeht, einen Verstoß gegen Grundwertungen des deutschen Rechts dar.
US - amerikanische Schadenersatzurteile können daher nur soweit vollstreckt wer -
den, als sie Schadenersatz im eigentlichen Sinn (compensatory damages) zuspre -
chen. Eine Vollstreckung von punitive damages ist nur in Ausnahmefällen möglich,
und zwar dann, wenn sie eindeutig dem Kostenersatz des obsiegenden Klägers
oder der Abgeltung immaterieller Schäden (pain and suffering) dienen,
Informationen über die Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union liegen dem Justizministerium nicht vor. Allerdings wurden in den Beratungen
zum weltweiten Gerichtsstands - und Vollstreckungsübereinkommen von den Vertre -
tern der anderen Mitgliedstaaten keine „Abwehrgesetze“ gegenüber punitive da -
mages erwähnt, Dies lässt darauf schließen, dass solche Regelungen nicht existie -
ren.