804/AB
Die Abgeordneten zum Nationalrat Haidlmayr, Freundinnen und Freunde haben an
mich eine schriftliche Anfrage, betreffend Straffreiheit eines Schwangerschaftsab-
bruches, gerichtet und folgende Fragen gestellt:
''1. Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, daß im § 97 StGB Abs. 1 Punkt 2 die
Wörter ''oder eine ernste Gefahr besteht, daß das Kind geistig oder körperlich
schwer geschädigt sein werde'' gestrichen werden?
Wenn nein: Was sind die Gründe dafür?
2. Sind Sie bereit, überprüfen zu lassen, ob sich bei lhr Ressort betreffenden
Gesetzen noch weitere Stellen finden, in denen behinderte Menschen diskri-
miniert werden?
Wenn nein: Was sind die Gründe dafür?''
lch beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1 :
Die geltende Regelung des § 97 Abs. 1 Z 2 zweiter Fall StGB geht auf die strafrecht-
liche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs der Siebzigerjahre zurück und ist
- wie auch die sogenannte ''Fristenlösung'' - ausschließlich im Zusammenhang mit
der dadurch bewirkten Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der schwange-
ren Frau in bestimmten Konfliktsituationen zu sehen. lnsbesondere ist der lndikati-
onsgrund nicht auf die Verhinderung erbkranken Nachwuchses gerichtet und geht
auch keinesfalls davon aus, daß die Geburt eines geistig oder körperlich schwer be-
hinderten Kindes ein das Lebensrecht des Ungeborenen aufhebender Unwert wäre.
Er basiert vielmehr allein auf Erwägungen der Unzumutbarkeit für die schwangere
Frau. Nicht die befürchtete Schädigung des Kindes bildet den Grund für die Straf-
freiheit, sondern die Erkenntnis, daß die Entscheidung der Frau zum Austragen des
Fötus in einer für sie besonders belastenden Konfliktsituation nicht mit Mitteln des
Strafrechts erzwungen und nur der individuellen Verantwortung der Frau überlassen
werden kann. Daraus, daß die Rechtsordnung die Entscheidung der Frau, ein Kind
nicht gebären zu wollen, in den im § 97 StGB gesetzlich typisierten KonfliktfälIen
straffrei stellt, kann und darf auch nicht etwa geschlossen werden, daß die Rechts-
ordnung dieses Verhalten guthieße. Da der Verzicht auf Strafandrohung bei ernster
Gefahr einer schweren Schädigung des Kindes somit ausschIießlich auf der Berück-
sichtigung der Notstandssituation der Frau beruht, ist darin weder eine Wertung
noch eine Diskriminierung behinderten Lebens zu erkennen. Eine strafbewehrte
Verpflichtung der schwangeren Frau zum Austragen des Fötus in einer für sie derart
belastenden Situation haIte ich demgegenüber nicht für vertretbar.
Zu 2:
Das Bundesministerium für Justiz hat sich in der Vergangenheit erfolgreich darum
bemüht, Diskriminierungen behinderter Menschen zu beseitigen. Zu denken ist in
diesem Zusammenhang vor allem an das Sachwaltergesetz und an das Unterbrin-
gungsgesetz, mit denen Stigmatisierungen und längerdauernde Verwahrungen psy-
chisch kranker und geistig behinderter Menschen beseitigt wurden. lch möchte hier
aber auch das FortpfIanzungsmedizingesetz erwähnen, dessen Restriktionen für die
Untersuchung von Samen, Eizellen und entwicklungsfähigen Zellen gewährleisten,
daß eine Differenzierung zwischen ''lebenswertem'' und ''lebensunwertem'' Leben
mit Hilfe moderner medizinischer Methoden ausgeschlossen ist. ln jüngster Zeit
konnte - nicht zuletzt durch die Bemühungen meines Ressorts - ein Verbot der Dis-
kriminierung auf Grund des Genoms in der vom zuständigen Komitee fertiggestell-
ten Fassung der Konvention über Menschenrechte und Biomedizin des Europarats
erreicht werden.
Dementsprechend enthalten die zum Wirkungsbereich des Justizressorts gehören-
den Gesetze keine Regelungen, durch die eine Diskriminierung Behinderter bewirkt
würde. Die Regelungen über die Einschränkung der Handlungs-, Geschäfts- und
Deliktsfähigkeit psychisch kranker oder geistig behinderter Personen, die Regelun-
gen des Unterbringungsgesetzes über die Unterbringung psychisch kranker Perso-
nen sowie die Regelungen des Verfahrensrechts betreffend äußerungsunfähige
Personen sehen einen adäquaten Schutz des genannten Personenkreises vor und
sind somit nicht diskriminierend. Auch im Bereich des Schuld- und Sachenrechts fin-
det sich ein angemessener Ausgleich zwischen den lnteressen der behinderten Per-
son und den lnteressen der Allgemeinheit. Eine über die bereits erfolgte Beseitigung
von Diskriminierungen hinausgehende Überprüfung im Sinn der Anfrage scheint da-
her nicht erforderlich.