887/AB

 

 

Auf die - aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit in Kopie beigeschlossene - schriftliche parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Hermann Böhacker und Genossen vom 27. Juni 1996, Nr. 879/J, betreffend EU(n)-Konformität von umsatzsteuerähnlichen Abgaben beehre ich mich, folgendes mitzuteilen:

 

Zu 1.:

 

In letzter Zeit wurde mehrmals die Meinung geäußert, die Getränkesteuer, die in Österreich eingeriebenen Fremdenverkehrsabgaben und die Handelskammerumlage könnten nach der Mehrwertsteuerrichtlinie der EU unzulässig sein.  Bei Fremdenverkehrsabgaben, die Vereinen zufließen, und bei der Handelskammerumlage, die einer Interessenvertretung zufließt, stellt sich die Frage ob hier die Mehrwertsteuerrichtlinie überhaupt zur Anwendung kommen kann, da diese Beiträge innerstaatlich nicht als Abgaben im Sinne der österreichischen Finanzver­fassung anzusehen sind.

 

Art. 33 der 6. Mehrwertsteuer-Richtlinie stellt gemäß der derzeitigen Judikatur des Euro­päischen Gerichtshofes (EUGH) darauf ab, daß die Einführung von Steuern verhindert werden soll, die das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dadurch be­einträchtigen, daß sie den Waren- und Dienstleistungsverkehr in einer der Mehrwertsteuer vergleichbaren Art und Weise belasten.  Diese Voraussetzungen treffen jedoch auf die ge­nannten Steuern nicht zu, insbesondere weil sie keine Formalitäten beim Grenzübergang hervorrufen.  Hinzu kommt, daß sie wegen des fehlenden Vorsteuerabzuges nicht als mehrwertsteuerähnlich bezeichnet werden können.

 

Das Problem der Versagung des Vorsteuerabzuges für Kraftfahrzeuge wird derzeit innerhalb der Europäischen Union diskutiert (Entwurf einer 12.  EG-Richtlinie); eine einheitliche Lösung

 

konnte aber bis jetzt nicht verwirklicht werden.  Bis zum Inkrafttreten solcher einheitlichen Regeln können die Mitgliedstaaten Ausschlüsse vom Vorsteuerabzug beibehalten (Art. 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie).  Einschränkungen des Vorsteuerabzuges für Personen- und Kombinationskraftwagen waren bereits im § 12 Abs. 2 Z 2 lit. c Umsatzsteuergesetz (USTG) 1972 vorgesehen und wurden unverändert in das USTG 1994 übernommen.  Von einer EU-Widrigkeit kann daher nicht gesprochen werden.

 

Es ist zutreffend, daß die im § 12 Abs. 2 Z 2 lit. c USTG 1972 bzw. § 12 Abs. 2 Z 2

 

lit. b USTG 1994 gebrauchten Begriffe Personen- und Kombinationskraftwagen in der Verord­nung BGBI. NR. 273/1996 neu definiert wurden.  Diese Neudefinition war aber nicht zuletzt im Hinblick auf die bisherige Verwaltungsgerichtshof-Rechtsprechung erforderlich.  Mit der Neu­definition wurde lediglich dieser Rechtsprechung Rechnung getragen.  Auch hierin kann ich keine EU-Widrigkeit sehen.

 

Was die Erhöhung der Mindestkörperschaftsteuer anlangt, so ist die Körperschaftsteuer­harmonisierung in der Gemeinschaft bisher noch nicht soweit fortgeschritten, daß in diesem Bereich relevantes Richtlinienrecht vorliegt.  Die Ausmessung der Höhe der Körper­schaftsteuerbelastung bleibt nach wie vor jedem Mitgliedstaat überlassen.  Daß durch das Verlangen nach einer Körperschaftsteuervorauszahlung (das heißt im gegebenen Zusam­menhang einer nunmehr ohne zeitliche Begrenzung mit künftigen Körperschaftsteuerschulden verrechenbaren Mindest-Körperschaftsteuer) ein Verstoß gegen Gemeinschafts­recht vorliegt, ist zur Zeit ebenfalls nicht erkennbar.

 

Zu 2.:

 

Da wie zu Frage 1 ausgeführt hinsichtlich der Umsatzsteuer keine EU-Widrigkeit vorliegt, und da weiters mangels Harmonisierung des Körperschaftsteuerrechtes in der Gemeinschaft auch in diesen Belangen kein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht erkennbar ist, wird nicht erwartet, daß der Europäische Gerichtshof zu anderslautenden Entscheidungen gelangen könnte, sodaß Einnahmenausfälle nicht ernsthaft befürchtet werden.  Im Bundesministerium für Finanzen wurden daher diesbezüglich auch keine Schätzungen angestellt.

 

Die Fremdenverkehrsabgaben fallen nach dem Finanzausgleichsgesetz (FAG) 1993 bzw.  FAG 1997 in die Zuständigkeit der Länder.  Hinsichtlich der Kammerumlage wäre die zu­ständige Interessenvertretung berufen, entsprechende Vorschläge auszuarbeiten.  Lediglich die Getränkesteuer fällt in die unmittelbare Zuständigkeit des Bundes.

 

Unabhängig von der aktuellen Diskussion einer allfälligen EU-Rechtswidrigkeit der Geträn­kesteuer wurde jedoch in meinem Ressort eine Arbeitsgruppe eingesetzt, deren Aufgabe es

 

sein wird, das vielschichtige Problem der Getränkesteuer zu analysieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten.  Es ist mir daher nicht möglich, zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem eine Abschaffung der Getränkesteuer nicht als aktuell bezeichnet werden kann, bereits konkrete Lösungen für eine Abgeltung des Einnahmenausfalls der Gemeinden vorzulegen, wofür ich um Verständnis ersuche.

Zu 3. bis 5.:

 

Wie zu Frage 1 ausgeführt, erscheinen Überlegungen zu allfälligen Rückforderungsan­sprüchen nicht unmittelbar aktuell.  Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß Entscheidun­gen des EUGH meist im sogenannten Vorabentscheidungsverfahren ergehen.  Durch diese Entscheidung wird nicht das - aus der Sicht des EUGH - gemeinschaftswidrige Gesetz auf­gehoben, sondern dem um Vorabentscheidung ersuchenden österreichischen Gericht wird lediglich die Interpretationsauffassung des EUGH mitgeteilt; dies allerdings mit bindender Wirkung.  Eine solche EUGH-Entscheidung wird dann sicherlich Anlaß sein, das österreichi­sche innerstaatliche Recht entsprechend anzupassen; die Anpassung wird aber in der Regel ex nunc und nicht ex tunc erfolgen, sodaß im allgemeinen umfassende rückwirkende Steuerentlastungen bzw.  Steuerrückerstattungen von Amts wegen nicht notwendig sind.  Diese Situation gleicht jener, wie sie auch bei innerstaatlichen Gesetzeskorrekturen nach Aufhebungen durch den Verfassungsgerichtshof besteht.  Eine Änderung der Bundesabgabenordnung erscheint mir daher derzeit nicht erforderlich.

 

Auch in den Fällen des sogenannten Vertragsverletzungsverfahrens (Verstoßverfahrens), bei dem die Europäische Kommission Klage gegen einen Mitgliedstaat vor dem EUGH erhebt, wenn ihre vorhergehenden Bemühungen vergeblich geblieben sind, diesen Mitgliedstaat zur Anpassung seines Rechts an das Gemeinschaftsrecht zu bewegen, zwingt der Gerichtshof den betreffenden Mitgliedstaat in der Regel nur zur Rechtsanpassung ex nunc.

 

Nicht unerwähnt sollte im gegebenen Zusammenhang bleiben, daß sogenannte Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht vielfach nicht auf "echte" Pflichtverletzungen eines Mitglied­staates zurückzuführen sind.  Gerade im Steuerbereich treten immer wieder Situationen auf, in denen erst durch Judikat des EUGH einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung eine Bedeutung beigemessen wird, die dieser Bestimmung von vornherein nicht ohne weiteres zugeschrieben werden konnte.  Hinzu kommt, daß auch nach Ergehen von EUGH-Judikaten teils beachtliche Ungewißheit über die rechtliche Reichweite der Erkenntnisse verbleibt.  Eine Hebung der Rechtssicherheit und eine damit einhergehende verbesserte nationale Um­setzung von Gemeinschaftsrecht verlangt daher nach einer verbesserten innergemeinschaftlichen Rechtsharmonisierung. Österreich wird diesen Aspekt bei seiner Mitarbeit in den EU­Institutionen künftig verstärkt vortragen.

 

Zu 6.:

Die Angelegenheiten von Landesabgabenordnungen fallen in die Zuständigkeiten der

Länder, weshalb ich hiezu keine Stellungnahme abgeben kann.