986/AB

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag.  Kukacka und Kollegen haben am 3. Juli 1996 unter der Nr. 942/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Verwaltungsverfahrensreform bei Massenverfahren, speziell im Umweltbereich gerichtet, die folgenden Wortlaut hat:

 

1.    Warum haben Sie bisher der Entschließung des Nationalrates vom 23.  Juni 1995 betreffend die Entbürokratisierung, Konzentration und Beschleunigung der Verwaltungsverfahren, insbeson­dere bei Massenverfahren, nicht Rechnung getragen?

 

2.    Wie ist der Stand der legistischen Vorarbeiten für eine Novelle zum AVG betreffend die sogenannten Massenverfahren?

 

3.    Sehen Sie angesichts der hohen Kosten und der praktischen Probleme bei der Abwicklung solcher Großprojektverfahren mit einer hohen Anzahl von Beteiligungen einen Handlungsbedarf Ihres Ressorts?

 

4.    In welcher Weise werden Sie bei einer Verwaltungsverfahrensrefonn bezüglich der Massenverfahren auf die Empfehlungen des Umweltrates eingehen?

 

5.    Wann werden Sie dem Nationalrat eine Novelle zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorlegen, die verwaltungsökonomische und rechtsstaatliche Gesichtspunkte im Verfahrensrecht in Einklang bringt?"

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Zu Frage 1:

Eine Reform des Verwaltungsverfahrens, die eine Vereinfachung, Konzentration und vor allem Beschleunigung der Verfahren bewirkt, ist nicht nur in der Entschließung des Nationalrats vom 23. Juni 1995, sondern auch im Koalitionsübereinkommen zwischen der Sozialdemokratischen Partei Österreichs und der Österreichischen Volkspartei vom 11. März 1996 - unter der Überschrift "Initiativen zur Entbürokratisierung, Unternehmensgründung und Standortsicherung" - angesprochen.  Allerdings wird sowohl in der Entschließung als auch im Arbeitsprogramm der Bundesregierung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eine Reform des Verwaltungsverfahrens keine Beeinträchtigung berechtigter Rechtspositionen nach sich ziehen darf.

Dies deshalb, weil eine Beschleunigung von Verwaltungsverfahren theoretisch durch den Entfall von Partizipationsmöglichkeiten Dritter bewirkt werden könnte.  Dabei würden die derzeit abzuwickelnden Mehrparteienverfahren (mit unter Umständen mehreren hundert Parteien und Beteiligten) im Ergebnis in bloße Einparteienverfahren umgewandelt, in denen nur noch ein Projektwerber der Verwaltungsbehörde gegenübersteht.

Demgegenüber gehe ich davon aus, daß die Reform des Verfahrens nur in einer behutsamen Veränderung der derzeit geltenden Rechtslage gesucht werden kann, in der Beschleunigungselemente verstärkt und bestehende Rechtsschutzelemente erhalten werden.

Da es in der österreichischen Rechtsordnung verschiedene Modelle für die Bewältigung von "Großverfahren" gibt, galt es grundsätzlich zu klären, ob eher das Modell der Gewerbeordnung 1994 oder jenes des AVG Vorrang genießen sollte.  Das Modell der Gewerbeordnung 1994 ist im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß Parteistellung nur erwirbt, wer binnen einer bestimmten Frist Einwendungen gegen ein Projekt erhebt.  Wer dies unterläßt, nimmt auch an Folgeverfahren, die ein solches Projekt betreffen, nicht teil.  Demgegenüber zeichnet sich das Modell des AVG derzeit dadurch aus, daß das Nichterheben von Einwänden nur zur Präklusion von Einwendungsmöglichkeiten, nicht aber zu einem Verlust der Parteistellung als solcher führt.

Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts hat - unter anderen in Zusammenarbeit mit anderen Ressorts sowie unter Einbeziehung der in der rechtswissenschaftlichen Literatur diskutierten Lösungsansätze - die Vor- und Nachteile beider Modelle erhoben und gegeneinander abgewogen.  Inwieweit eine Vereinheitlichung des Verfahrensrechts hinsichtlich sogenannter "Massenverfahren" aufgrund unterschiedlicher Präferenzen in den einzelnen Ressorts gelingt, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden.  Das Bundeskanzleramt wird jedenfalls danach trachten, ein Reformmodell auszuarbeiten, das eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung ermöglicht.  Daß diese Aufgabe eine

gewisse Vorbereitungszeit in Anspruch nimmt, kann bei der dargelegten Komplexität des an­stehenden Problems nicht überraschen.

 

 

Zu den Fragen 2 und 3:

 

Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts wird in der nächsten Zeit den Entwurf einer Novelle zum AVG fertigstellen, der unter möglichstes Wahrung der bestehenden Rechtsschutzstandards eine kalkulierbare Abwicklung von Großverfahren (den sogenannten "Massenverfahren") erleichtern soll.  Aus kompetenzrechtlichen Gründen wird dieser Entwurf keine Regelungen über die Zuständigkeit nur einer Behörde (Zuständigkeitskonzentration) enthalten können, weil die Festlegung von Zuständigkeiten keine Angelegenheit des Verwaltungsverfahrensrechts ist und der Bundesgesetzgeber insbesondere über keine Kompetenz zur Regelung der Zuständigkeit im Gesetzgebungsbereich der Länder verfügt.  Die Verfahrensregelungen sollen allerdings so konzipiert werden, daß sie die parallele Abwicklung von Verfahren nach mehreren Gesetzen (Bundes- und Landesgesetzen) erleichtern und so einer Verfahrenskonzentration Vorschub leisten.

 

Unabhängig von den rechtlichen Rahmenbedingungen sogenannter Massenverfahren werde ich mich, gemeinsam mit Staatssekretär Mag.  Schlögl, in den Gesprächen mit den Ländervertretern für ein Einvernehmen über eine größtmögliche Verfahrenskonzentration einsetzen.  Das erscheint mir insbesondere im Zusammenhang mit Betriebsgründungen, -ansiedlungen oder -übernahmen und den damit verbundenen wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Impulsen ganz besonders wichtig.

 

 

Zu Frage 4:

 

Das oben erwähnte Reformmodell sollte nicht explizit für Massenverfahren auf dem Gebiet des Umweltrechts konzipiert werden, wird aber in diesem Bereich, sofern keine abweichenden Sonderregelungen bestehen oder neu geschaffen werden, eine besondere Rolle spielen.  Auf die Empfehlungen des Umweltrats wird mit dieser Maßgabe daher Bedacht zu nehmen sein.

 

 

Zu Frage 5:

 

Ein Zeitpunkt der Übermittlung einer Regierungsvorlage an das Parlament kann derzeit noch nicht angegeben werden.