50/ABPR XX.GP

 

                                               ANFRAGEBEANTWORTUNG

 

Die Abgeordneten Mag. Pollet - Kammerlander und Genossen haben am 20. Mai 1999 an den

Präsidenten des Nationalrates die parlamentarische Anfrage 53/JPR betreffend Erteilung von

Ordnungsrufen gerichtet, die folgenden Wortlaut hat:

 

1. Teilen Sie die Auffassung, daß die generalisierende Zuschreibung negativer

     Charaktereigenschaften gegenüber bestimmten Menschengruppen („liegt in der Natur

     dieser Menschen“) als rassistisch zu klassifizieren ist?

 

2. Wird durch rassistische Äußerungen die Würde des Nationalrats nicht in einem

    stärkeren Ausmaß verletzt als durch die Verwendung des Wortes: „Rosstäuscherei“,

    die bereits mit einem Ordnungsruf belegt wurde?

 

3. Nach welchen Kriterien differenzieren Sie zwischen Aussagen, die mit einem

    Ordnungsruf zu belegen sind, und Aussagen, mit denen man sich - lediglich - po -

    litisch auseinanderzusetzen hat?

 

Ich darf zunächst folgende Feststellung treffen: Das Recht der Abgeordneten, an den Prä -

sidenten des Nationalrates Anfragen zu stellen, bezieht sich zweifellos auf jenen Bereich der

Tätigkeit des Präsidenten, den dieser als Verwaltungsorgan im Sinne des Artikels 30 B - VG

ausübt. Auch einzelne Befugnisse, die der Präsident in Vollziehung der Geschäftsordnung

des Nationalrates oder der Hausordnung wahrnimmt, wurden gelegentlich zum Gegenstand

von Anfragen gemacht.

 

Unbestritten war bisher, daß Entscheidungen im Zuge der Vorsitzführung (z.B. betreffend die

Erteilung oder Nichterteilung von Ordnungsrufen, oder eines Rufes zur Sache) nicht einer

nachprüfenden Kontrolle im Wege parlamentarischer Anfragen unterliegen.

 

Dennoch möchte ich - ohne Präjudiz - im Hinblick auf die zweifellos gegebene grundsätz -

liche Bedeutung der gestellten Anfrage zum Thema dieser Anfrage folgende Stellungnahme

abgeben:

Artikel 57 Absatz 1 der Bundesverfassung sichert jedem Abgeordneten zum Nationalrat volle

inhaltliche Redefreiheit zu. Dieses Recht der Redefreiheit wird auch durch das Instrument

des Ordnungsrufes nicht aufgehoben.

 

§ 102 Abs. 1 der Geschäftsordnung, in dem der Ordnungsruf geregelt wird, ist vielmehr als

Instrument der Sitzungspolizei zu verstehen, wonach der Präsident, wenn jemand „den An -

stand oder die Würde des Nationalrates verletzt, beleidigende Äußerungen gebraucht oder

Anordnungen des Präsidenten nicht Folge leistet“ durch Erteilung eines Ordnungsrufes ein -

greifen kann. Es wäre aber ein Mißverständnis anzunehmen, daß jede Äußerung im

Nationalrat, die beispielsweise ihrer Art nach "verfassungswidrig" ist oder internationalen

Abkommen widerspricht, mit Hilfe eines Ordnungsrufes zu sanktionieren ist.

 

Dazu kommt, daß es auch ein grobes Mißverständnis der Institution des Ordnungsrufes

wäre, anzunehmen, daß bestimmte Worte oder bestimmte Thesen entweder durch einen

Ordnungsruf zu ahnden oder eben nicht zu ahnden sind. Vielmehr kommt es (dem Charakter

des Ordnungsrufes entsprechend) auch auf den konkreten Sitzungsverlauf an. Es ist durch -

aus möglich, daß ein bestimmter Ausdruck oder ein bestimmter Gedankengang, der in einer

bereits sehr zugespitzten und aufgeheizten Stimmung offensichtlich zu einer weiteren

Eskalation der Auseinandersetzungen beizutragen geeignet ist, vom vorsitzführenden

Präsidenten gerügt oder mit einem Ordnungsruf belegt wird, während der gleiche Ausdruck

in einer anderen und ruhigeren Phase der parlamentarischen Diskussion ein Eingreifen des

vorsitzführenden Präsidenten nicht erforderlich macht, insbesondere dann, wenn die nach -

folgenden Redner ohnehin Gelegenheit haben, sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen.

 

Dies ist auch ein Grund dafür, warum von der nachträglichen Erteilung von Ordnungsrufen,

die erst mehrere Tage nach dem Ende einer Nationalratssitzung verlangt werden, nur in

äußerst sparsamer Weise Gebrauch gemacht wird.

 

Der Sachverhalt ist in aller Kürze folgender:

 

In der Sitzung des Nationalrates vom 10. Mai 1999 hat die Frau Abgeordnete Dr. Partik -

Pablé folgende Äußerung gemacht: „Erkundigen Sie sich doch einmal bei den Beamten über

die Art der Schwarzafrikaner! Sie schauen nicht nur anders aus, wie Sie heute gesagt haben,

sondern sie sind auch anders, und zwar sind sie ganz besonders aggressiv. Das liegt offen -

sichtlich in der Natur dieser Menschen. Sie sind meistens illegal da, sie sind meistens

Drogendealer, und sie sind ungeheuer aggressiv, wenn sie von Exekutivbeamten bean -

standet werden"

 

Dazu gab es einen Zwischenruf von seiten eines grünen Abgeordneten. Die nächste

Rednerin der Grünen Fraktion ist jedoch auf diese Passage nicht mehr eingegangen. Die

übernächste Rednerin der Grünen Fraktion hat eine Befassung der Präsidialkonferenz mit

dieser Äußerung gefordert.

Im Sinne dieses Verlangens ist der Sachverhalt sodann in der Präsidialkonferenz am 12. Mai

erörtert worden und hat im Präsidialprotokoll seinen Niederschlag gefunden. Ein Ordnungs -

ruf wurde auch bei dieser Gelegenheit nicht verlangt, nachdem der Klubobmann der Freiheit -

lichen sich dahingehend geäußert hat, daß sich die Rednerin vielleicht mißverständlich aus -

gedrückt habe, ihr aber eine rassistische Äußerung ferngelegen sei (Die Vorsitzende des

Liberalen Forums meldete Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Darstellung an, der

Klubobmann der Freiheitlichen Abg. Scheibner wiederholte diese Feststellung in einer

Presseaussendung vom 12. Mai 1999).

 

Erst sechs Tage später wurde von einem Vertreter der Grünen Fraktion angekündigt, daß

man am Beginn der nächsten Sitzung des Nationalrates vom Präsidenten einen Ordnungsruf

verlangen werde (wobei dieser zum Zeitpunkt der inkriminierten Rede der Frau Ab -

geordneten Dr. Partik - Pablé gar nicht den Vorsitz geführt hatte).

 

Zur rechtlichen Beurteilung ist nochmals festzuhalten, daß es sich beim Ordnungsruf gemäß

§ 102 Abs. 1 der Geschäftsordnung um ein Instrument der Sitzungspolizei handelt, wonach

der Präsident, wenn jemand „den Anstand oder die Würde des Nationalrates verletzt, be -

leidigende Äußerungen gebraucht oder Anordnungen des Präsidenten nicht Folge leistet“,

durch Erteilung eines Ordnungsrufes eingreifen kann.

 

Allerdings ist der Ordnungsruf in keiner Weise als ein Instrument zu verstehen, um par -

lamentarische Redefreiheit in inhaltlicher Weise einzuschränken. Dies führt auch dazu, daß

Äußerungen, die inhaltlich zu mißbilligen sind, in der Regel dann nicht mit einem Ordnungs -

ruf geahndet werden, wenn die Möglichkeit einer politischen Auseinandersetzung und

politischen Widerspruches gegeben ist und der Ordnungsruf auch nicht zur Wieder -

herstellung von Ruhe und Ordnung im Zuge solcher Auseinandersetzungen erforderlich ist.

Daher wurde z.B. ein Ordnungsruf auch weder verlangt noch erteilt, als in einer Rede im

Plenum des Nationalrates Konzentrationslager als „Straflager“ verharmlost wurden.

 

Zusammenfassend möchte ich im Lichte des vorstehend dargestellten Sachverhaltes mit

Nachdruck festhalten, daß es unfair und unrichtig wäre, den Eindruck zu erwecken, daß

rassistische Äußerungen im Österreichischen Nationalrat „toleriert" werden und daß

insbesondere der Eindruck falsch wäre, daß alle jene Passagen und Formulierungen in

Reden von Abgeordneten im Nationalrat, auf die nicht mit einem Ordnungsruf reagiert wird,

vom Präsidium gebilligt oder gar gutgeheißen werden.

Ich denke vielmehr, daß es bisher im großen und ganzen gelungen ist, die Bestimmungen

des Artikels 57 der Bundesverfassung über die parlamentarische Redefreiheit einerseits und

die Ordnungsbestimmungen des § 102 Abs. 1 der Geschäftsordnung andererseits einiger -

maßen in Einklang zu bringen und daß sich alle vorsitzführenden Präsidenten des National -

rates darum bemühen, diese Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen.

 

In diesen Klarstellungen sind auch die Antworten auf die gestellten Fragen enthalten, wobei

zur Definition des Begriffes Rassismus auf die einschlägige wissenschaftliche Literatur

verwiesen werden darf.

 

Zu dem in der Tageszeitung „Der Standard“ vom 20.5.1999 vom Abgeordneten Van der

Bellen erhobenen Vorwurf, es sei auch „nicht korrekt“ gewesen, daß der Präsident über das

Verlangen auf Erteilung eines Ordnungsrufes „keine Debatte zugelassen habe“, ist nicht nur

darauf hinzuweisen, daß ein solcher Antrag gar nicht gestellt wurde, sondern es ist vor allem

darauf hinzuweisen, daß ein solcher Antrag - selbst wenn er gestellt worden wäre - nach

§ 103 Abs. 1 der Geschäftsordnung nicht zuzulassen gewesen wäre, weil die Entscheidung

über einen Ordnungsruf „ohne Berufung an den Nationalrat“ d.h. ohne Debatte und ohne

Abstimmung zu treffen ist.