1020 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Unterrichtsausschusses


über den Antrag 560/A(E) der Abgeordneten Maria Schaffenrath und Genossen betref­fend Einführung einer „Geschlechterbewußten Koedukation“


Die Abgeordneten Maria Schaffenrath und Genossen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 18. September 1997 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Laut den Daten der letzten Volkszählung (1991) hat sich das Bildungsniveau der österreichischen Bevölkerung gegenüber 1981 deutlich verbessert. Dennoch bestehen noch immer ausgeprägte geschlechtsspezifische Disparitäten:

Mehr als die Hälfte der Frauen (51%) hat nur eine Pflichtschule besucht (Männer 31%), etwas mehr als ein Fünftel der Frauen (21%) absolvierte eine Lehre (Männer 44%), bei den Fachschulabsolventinnen überwiegen die Frauen (mit 15%) gegenüber den Männern (mit 7%). 9% der Frauen haben Matura als höchste abgeschlossene Ausbildung (Männer 11%): der Anteil der Frauen mit einer abgeschlossenen Hochschulbildung bzw. einer hochschulverwandten Ausbildung beträgt 4% (Männer 6%).

Eine Studie der OECD (,Education at a glance‘, Paris 1996) besagt, daß der Unterschied im Ausbildungsniveau von Frauen und Männern in Österreich zu den höchsten in den OECD-Ländern gehört.

Zu diesem Bildungsrückstand der österreichischen Frauen und Mädchen kommt laut OECD (,Education at a glance‘, Paris 1993) noch die geringere Zahl der natur- und ingenieurwissenschaftlichen Abschlüsse hinzu. Der Unterschied ist bei den Ingenieurwissenschaften besonders deutlich, da männliche Absolventen in Österreich viermal so stark vertreten sind wie Frauen.

Insgesamt nähert sich in Österreich der Frauenanteil der StudienanfängerInnen der 50%-Marke, in den mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Richtungen sind Frauen aber nach wie vor unterre­präsentiert: beispielsweise sind nur 17,9% der Studierenden der Studienrichtung ,Technische Natur­wissenschaften‘ Frauen; bei der Studienrichtung ,Maschinenbau, Elektrotechnik‘ sinkt der Frauenanteil auf 2,6%. Die Abschlüsse von Frauen bei der zuletzt genannten Studienrichtung liegen bei 0,66%.

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, daß diese Begabungen sowohl bei Mädchen als auch bei Buben von Geburt an vorhanden sind, nur werden diese grundsätzlich gleichen Begabungen geschlechts­spezifisch unterschiedlich gefördert.

Die Schule kann dafür nicht alleine verantwortlich gemacht werden, da auch die häusliche Erziehung sicherlich eine wichtige Funktion einnimmt.

In naturwissenschaftlichen und technischen Fächern besteht eine pädagogisch wenig wünschenswerte Interessenspreizung zwischen Mädchen und Buben, die sich besonders im Wahlverhalten der Schüler­innen und Schüler zeigt. Überall dort, wo eine Fächerwahl zugleich eine Wahl zwischen ,männlichen‘ und ,weiblichen‘ Domänen bedeutet, wählen Buben und Mädchen auch heute noch nach traditionellen Normen. Diese Polarisierung des Interesses ist außerordentlich folgenreich, da die Interessenentwicklung maßgeblich das spätere Berufsverhalten bestimmt.

Wissenschaftliche Untersuchungen und Beobachtungen durch und von Lehrerinnen und Lehrern zeigen in geschlechterheterogenen Klassen folgendes Bild:

–   Der koedukative Unterricht allein baut keineswegs die Klischees vom Dominanzverhalten der Buben und der Anpassungsfähigkeit der Mädchen ab. Durch die Dominanz und die Bevorzugung der Buben in allen schulischen Bereichen, werden die Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung der Mädchen und damit langfristig ihre Entfaltungsmöglichkeiten und Chancen beeinträchtigt.

–   Schülerinnen haben häufig ein ihren schulischen Leistungen nicht entsprechendes Selbstvertrauen in ihre eigene Leistungsfähigkeit. So läßt sich die Diskrepanz zwischen schulischer Leistung in Mathematik und beruflichen Ambitionen, bei denen Mathematik wichtig ist, durch folgende Zahlen zeigen: Von den Mädchen, die ein Sehr gut oder ein Gut in Mathematik im letzten Schulzeugnis haben, entwickeln nur 17% gegenüber 44% der Burschen eine ausgeprägte berufliche Verwertungsperspektive ihrer Mathematikkenntnisse. Dabei hängen offenbar fehlendes Selbstvertrauen und einseitige Berufs­orientierung eng miteinander zusammen.

–   Durch Interaktion im Unterricht werden traditionelle Rollenbilder aufrechterhalten oder sogar verstärkt, so erhalten zB Buben regelmäßig mindestens 58% der Lehreraufmerksamkeit, während den Mädchen derselben Klasse höchstens 42% zugebilligt werden. Sich von solch fatalen Strategien zu befreien ist offenbar sehr schwierig und fällt selbst problembewußten Lehrerinnen und Lehrern schwer.

–   Zahlreiche Untersuchungen belegen, daß während der Pubertät (und damit zeitgleich in der Vorbereitung auf den Schulabschluß und den Beruf) Mädchen – wie in zwangsläufig kommender Selbstaufgabe – gerade in jenen Fächern nachlassen, in denen die Buben als künftige Männer der Tradition gemäß dominieren: Mathematik, Technik und Naturwissenschaften. Die pragmatischen Vorteile dieser Fächer liegen auf der Hand. Die Berufschancen sind ungleich höher, und auch die Bezahlung ist lukrativer.

–   Handlungspraktiken wie auch Sprachverhalten von Lehrenden und Lernenden sind geschlechts­spezifisch geprägt, wie die unterschiedliche Aufmerksamkeitsverteilung an Schülerinnen und Schüler, die Marginalisierung von Mädchen und Frauen und deren Lebensrealität in der Auswahl des gesamten Unterrichtsstoffes (nicht nur in den Lehrbüchern) usw. Eine ISMA-Umfrage ergab, daß deutlich weniger Mädchen als Buben das Gefühl haben, in der Schule mitreden zu dürfen und deutlich seltener als Buben angeben, daß Lehrerinnen und Lehrer auf ihre Persönlichkeit eingehen.

–   Internationale Vergleichsstudien (COMPED) weisen bei österreichischen Mädchen nicht nur ein gegenüber den Buben geringeres (und in höheren Schulstufen noch abnehmendes) Interesse am Umgang mit Computern nach, sondern auch größte Differenzen in den Testleistungen von Mädchen und Buben. Mädchen haben deutlich weniger Spaß und Interessse an Computern als Buben. Diese Freude an der Arbeit mit Computern sinkt bei 18jährigen Mädchen von 41% auf 27% ab. Die Testleistungen der Mädchen sind signifikant niedriger, wobei die Differenz in Österreichs Oberstufe nach der COMPED-Studie die größte aller untersuchten Staaten ist. Es fehlen allerdings auch weibliche Vorbilder in der Schule, denn nur 19% der Informatiklehrkräfte sind weiblich, bei einem Anteil von 69% Lehrerinnen in allgemeinbildenden Schulen. Andere Vergleichsstudien (TIMSS) weisen auch für Österreich deutliche geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede in Mathematik und vor allem in den Naturwissenschaften zugunsten der Burschen nach (OECD, 1996).

–   Buben hingegen leiden unter ,typisch männlichen‘ Rollenerwartungen, wie: Buben sprechen eine andere Sprache; Buben fehlen häufig männliche Identifikationsfiguren, die dafür durch ein kli­scheehaftes ,Manns-Bild‘ ersetzt werden; Buben werden kaum ermuntert, sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen bzw. sind es nicht gewöhnt, über ihre Gefühle mit anderen Buben zu reden; Buben haben eine höhere Repetentenquote und sitzen häufiger in der Sonderschule.

In der Auseinandersetzung mit einer ,Erziehung zur Gleichstellung‘ wird oft primär vom Konzept der Mädchenförderung ausgegangen. Buben werden dabei nicht selten auf der Suche nach erweiterten geschlechtsspezifischen Verhaltensmustern allein gelassen.

Wie die oben angeführten Beispiele und empirische Analysen beweisen, wird immer noch ungebrochen geschlechterdifferente Sozialisation unter dem Deckmantel der Koedukation vermittelt. Rollenklischees und geschlechterstereotype Verhaltensweisen, durch die Mädchen und Buben gesellschaftlich benach­teiligt sind, werden reproduziert anstatt thematisiert. Um diesem Teufelskreis ein Ende setzen zu können, muß der ,heimliche Lehrplan‘, der bei der obligatorischen Koedukation oft unbewußt und ungewollt – daher zwangsläufig – mitgelehrt wird, fokussiert, schonungslos entlarvt und zur Disposition gestellt werden.“

Der Unterrichtsausschuß hat den Antrag 560/A(E) in seiner Sitzung am 3. Dezember 1997 in Ver­handlung genommen.

Berichterstatter im Ausschuß war der Obmann Mag. Dr. Josef Höchtl.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Mag. Dr. Udo Grollitsch, Karl Öllinger, Mag. Dr. Josef Höchtl, Mag. Karl Schweitzer, Dr. Dieter Antoni, Maria Schaffenrath, DDr. Erwin Nieder­wieser, Dr. Susanne Preisinger, Dr. Gertrude Brinek, Dipl.-Ing. Leopold Schöggl und Elfriede Madl sowie die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer.


Die Abgeordneten Dr. Gertrude Brinek und Dr. Christa Krammer brachten einen Entschließungsantrag ein, der wie folgt begründet war:

„Der bestehende Lehrplan der Allgemeinbildenden höheren Schulen und der Hauptschulen sieht bereits jetzt das Unterrichtsprinzip ,Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern‘ vor und gibt für die Umsetzung dieses übergreifenden Prinzips zahlreiche moderne inhaltliche Vorgaben. Für weiterführende Schulformen befinden sich derzeit Lehrpläne in Überarbeitung (zB: HTL), bei der das Unterrichtsprinzip integriert werden sollte.

Daneben hat das Bundesminsterium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten (BMUK) in den letzten beiden Jahren zahlreiche Aktionen durchgeführt, die den Blick auf geschlechtsspezifisch unterschiedliche Zugänge zum Lernen lenken sollen und so zur Förderung von Mädchen und Frauen beitragen. In diesem Zusammenhang wurde ein umfassender ,Aktionsplan 2000‘ des BMUK präsentiert, der 99 Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung ins Auge faßt. Diese Zielsetzungen umfassen ua. schulrechtliche Ver­änderungen, Forschungsarbeiten zur Situation der Mädchen und Frauen im Bildungsbereich, Werbe­aktionen für den Einstieg in technisch-naturwissenschaftliche Ausbildungen und die Verankerung entsprechender Schwerpunkte in der Lehrer/innenausbildung.“

Bei der Abstimmung fand der Antrag 560/A(E) keine Mehrheit.

Der von den Abgeordneten Dr. Gertrude Brinek, Dr. Christa Krammer und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag wurde mit Stimmenmehrheit angenommen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Unterrichtsausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle

           1. diesen Bericht zur Kenntnis nehmen und

           2. die beigedruckte Entschließung annehmen.

Wien, 1997 12 03

                              Mag. Walter Posch                                                         Mag. Dr. Josef Höchtl

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann

Anlage

Entschließung

Die Frau Bundesminister für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten wird ersucht, die vorgelegten Maßnahmen des Aktionsplans 2000 zielstrebig umzusetzen und bei der Überarbeitung der Lehrpläne anderer Schulformen das Unterrichtsprinzip ,Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern‘ umfassend zu integrieren. Ebenso soll die Elternarbeit zur Sensibilisierung betreffend rollenspezifischer Benachteiligungen forciert und das Berufswahl- und Studienwahlverhalten von Mädchen deutlich erweitert werden. Im Rahmen der neu eingerichteten verbindlichen Übung ,Berufsorientierung‘ sollen die geschlechtsspezifischen Aspekte der Berufswelt und des Bildungszugangs besondere Berücksichtigung erfahren.

Weiters wird die Frau Bundesminister für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten ersucht, im Rahmen der Lehrer/innenbildung Schwerpunkte zu verankern, durch die Lehrerinnen und Lehrer befähigt werden, geschlechtshierarchische Arbeitsstrukturen abzubauen und ein partnerschaftliches Verhalten in allen Lebensbereichen zu fördern. Im Rahmen der Erwachsenenbildung sollen frauenspezifische Schwer­punkte unterstützt und ausgeweitet werden.

Dr. Gertrude Brinek

Dr. Christa Krammer