1042 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Ausgedruckt am 27. 1. 1998

Regierungsvorlage


Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Ukraine über Informationsaustausch und Zusammenarbeit auf dem Gebiete der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes samt Anlagen

ABKOMMEN

zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Ukraine über Informationsaustausch und Zusammenarbeit auf dem Gebiete der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes


Die Regierung der Republik Österreich und die Regierung der Ukraine (im folgenden „Vertrags­parteien“ genannt),

geleitet von dem Wunsche, die guten Beziehungen zwischen der Republik Österreich und der Ukraine weiter zu entwickeln,

in dem Bestreben, die Bestimmungen der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammen­arbeit in Europa und des Schlußdokumentes des Madrider Treffens zu erfüllen,

in Betracht ziehend, daß Unfälle in Nuklearanlagen grenzüberschreitende Auswirkungen haben können,

in der Überzeugung, daß ein rechtzeitiger Austausch von Informationen und Erfahrungen auf dem Gebiete der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes in bedeutendem Maße zur Sicherheit der Bevölkerung beider Vertragsparteien beitragen kann,

in Betracht ziehend das Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen und das Übereinkommen über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen und strahlungsbedingten Notfällen, beide vom 26. September 1986, sowie auch die anerkannten Grundsätze der Zusammenarbeit im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation,

sind wie folgt übereingekommen:

Artikel 1

(1) Wenn sich auf dem Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien in einer Kernanlage oder während einer Tätigkeit im nuklearen Bereich, wie im Absatz 2 bestimmt, ein Unfall ereignet, der zur Freisetzung radioaktiver Stoffe geführt hat oder führen kann, und diese das Territorium der anderen Vertragspartei erreichen kann, benachrichtigt die Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat, unverzüglich die andere Vertragspartei im Wege der Kontaktstellen.

(2) Unter „Kernanlage“ und „Tätigkeit im nuklearen Bereich“ gemäß Absatz 1 versteht man:

           a) einen Kernreaktor,

          b) Ausrüstung und Anlagen, die im Kernbrennstoffkreislauf verwendet werden,

           c) Ausrüstung und Anlagen, die zur Behandlung radioaktiver Abfälle vorgesehen sind,

          d) die Beförderung und Lagerung von Kernbrennstoffen oder radioaktiven Abfällen,

           e) die Herstellung, Verwendung, Lagerung, Beseitigung und Beförderung von Radioisotopen für landwirtschaftliche, industrielle, medizinische sowie damit zusammenhängende wissenschaftliche Zwecke und Forschungszwecke sowie Beta- oder Gamma-Bestrahlungseinrichtungen und

           f) die Verwendung von Radioisotopen für die Energiegewinnung in Weltraumgegenständen.

Artikel 2

(1) Gegenstand der gegenseitigen Information gemäß Artikel 1 Absatz 1 sind Ereignisse, die zumindest der Stufe 3 der Internationalen Skala nuklearer Ereignisse entsprechen; die Definition dieser Ereignisse ist dem Abkommen als Anlage B beigeschlossen.

Vorläufige Informationen über solche Ereignisse werden der anderen Vertragspartei im Wege der Kontaktstellen unverzüglich übermittelt.

(2) Die Vertragsparteien informieren einander ehestmöglich auch über Ereignisse, die keine Unfälle gemäß Artikel 1 Absatz 1 sind, die aber in der Bevölkerung einer Vertragspartei Besorgnis hervorrufen könnten; dies betrifft unter anderem wichtige geplante oder ungeplante Ereignisse in der Umgebung von Nuklearanlagen, wie Brände, Erdbeben und größere Abbrucharbeiten.

(3) Im Falle, daß eine Vertragspartei Informationen über ein Ereignis besitzt, das ihr gemäß diesem Artikel nicht gemeldet worden ist, hat sie das Recht, von der anderen Vertragspartei Aufklärung über dieses Ereignis im Wege der Kontaktstellen zu verlangen.

Artikel 3

(1) Die Vertragsparteien sorgen dafür, daß die gemäß Artikel 1 Absatz 1 dieses Abkommens übermittelte Information hinreichend vollständig ist, um der anderen Vertragspartei die Möglichkeit zu geben, über die Vorbereitung oder Durchführung entsprechender Maßnahmen zum Schutz ihrer Bevölke­rung zu entscheiden. Diese Information enthält insbesondere jene Angaben, über die die mitteilende Vertragspartei im Moment der Informationsübermittlung verfügt, und zwar:

           1. den Zeitpunkt, gegebenenfalls den genauen Ort und die Art des nuklearen Unfalls,

           2. die betroffene Anlage oder Tätigkeit,

           3. die vermutete oder festgestellte Ursache und die vorhersehbare Entwicklung des nuklearen Unfalls in bezug auf die grenzüberschreitende Freisetzung radioaktiver Stoffe,

           4. die allgemeinen Merkmale der radioaktiven Freisetzung, einschließlich, soweit möglich, der Art, der wahrscheinlichen physikalischen und chemischen Form und der Menge, Zusammensetzung und effektiven Höhe der radioaktiven Freisetzung,

           5. Informationen über die derzeitigen und die vorhergesagten meteorologischen und hydrologischen Bedingungen, die zur Vorhersage der grenzüberschreitenden Freisetzung der radioaktiven Stoffe notwendig sind,

           6. Ergebnisse der Umweltüberwachung, die die grenzüberschreitende Freisetzung der radioaktiven Stoffe betreffen,

           7. die ergriffenen oder geplanten Schutzmaßnahmen außerhalb der betroffenen Anlage,

           8. die Vorhersage über das Verhalten der radioaktiven Freisetzung im weiteren Verlauf.

(2) Die übermittelten Angaben werden entsprechend der weiteren Entwicklung der Unfallsituation laufend auf den neuesten Stand gebracht. Die benachrichtigende Vertragspartei wird auf Ersuchen der anderen Vertragspartei notwendige Erklärungen und zusätzliche Angaben zur Verfügung stellen.

(3) Diese Angaben und deren allfällige Ergänzungen werden so lange übermittelt, bis die im Artikel 1 dieses Abkommens erwähnte Unfallsituation nicht mehr gegeben ist, oder bis die für eine erschöpfende Beurteilung der Lage ausreichende Information vorliegt.

(4) Die Vertragsparteien können gemäß gegenseitiger Absprache zur weiteren Klärung der Unfall­situation Vertreter ihrer zuständigen Behörden zum Unfallort entsenden.

Artikel 4

(1) Bei Eintritt einer Unfallsituation gemäß Artikel 1 Absatz 1 dieses Abkommens pflegen die Vertragsparteien unverzüglich das Einvernehmen über die sofortige Durchführung der notwendigen Zusammenarbeit zum Schutz der Gesundheit und des Vermögens ihrer Bevölkerung sowie über die notwendige Hilfeleistung.

(2) Solche weiteren Maßnahmen werden gemäß Artikel 7 dieses Abkommens im Wege der Kontaktstellen abgesprochen.

Artikel 5

(1) Jede Vertragspartei führt auf ihrem Hoheitsgebiet ein Programm zur Messung der ionisierenden Strahlung und der Radionuklide in der Luft (Aerosole), im Trinkwasser, im Oberflächenwasser und im Boden durch. Die Meßergebnisse müssen hinreichende Informationen über die Strahlungsbelastung der Bevölkerung der jeweiligen Vertragspartei enthalten.

(2) Die Meßergebnisse werden der anderen Vertragspartei einmal jährlich übermittelt. Bei bedeutenden Abweichungen vom Naturzustand wird diese Information der anderen Vertragspartei im Wege der Kontaktstellen unverzüglich übermittelt. Auf Ersuchen einer Vertragspartei übermittelt die andere Vertragspartei zusätzliche Daten. Beide Vertragsparteien tragen zur Ausarbeitung eines Strahlen­frühwarnsystems bei, dem auch andere Staaten beitreten können.

Artikel 6

(1) Die Vertragsparteien informieren einander wenigstens einmal alle zwei Jahre über ihre Nuklearprogramme, über Erfahrungen aus dem Betrieb der Kernanlagen und über die Rechtsvorschriften über nukleare Sicherheit und Strahlenschutz.

(2) Die Vertragsparteien informieren einander über stillgelegte, in Betrieb oder in Bau befindliche und geplante Kernanlagen sowie über Betriebsstillegungen und übermitteln einander zu diesem Zweck die in den Rahmen dieses Abkommens fallenden Angaben (siehe die Anlage zu diesem Abkommen).

(3) Informationen gemäß Absatz 2 über geplante Kernanlagen werden im voraus übergeben, und zwar nicht später als sechs Monate vor dem Beginn der Bauarbeiten.

Artikel 7

(1) Für die Übermittlung der Information gemäß den Artikeln 1, 2, 3 und 4 dieses Abkommens richtet jede Vertragspartei eine eigene Kontaktstelle ein, die sie der anderen Vertragspartei bei Inkraft­treten des Abkommens auf diplomatischem Wege bekanntgibt.

(2) Die Kontaktstellen vereinbaren miteinander direkt die konkreten Wege der Informations­übermittlung. Das Funktionieren des Systems der Informationsübermittlung wird mindestens zweimal jährlich überprüft.

Artikel 8

(1) Die Vertragsparteien führen bei Bedarf gemeinsame Expertentagungen durch, um folgende Punkte zu behandeln:

           1. Bewertung der Erfüllung dieses Abkommens,

           2. Erörterung von Umfang, Rechtzeitigkeit und Qualität der gemäß Artikel 6 dieses Abkommens übermittelten Information,

           3. Beurteilung von Ergebnissen und Erfahrungsaustausch auf dem Gebiete des im Artikel 5 dieses Abkommens angeführten Strahlenmeßprogramms,

           4. Erörterung anderer aktueller Fragen der Gewährleistung der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes, sowie gegenseitige Information über die Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen auf diesem Gebiet.

(2) Informationen über Inhalt, Verlauf und Ergebnisse der gemeinsamen Expertentagungen werden den zuständigen staatlichen Behörden zur Kenntnisnahme vorgelegt.

(3) Zeit, Ort und Tagesordnung der Tagungen sowie Zusammensetzung der Delegationen werden von den in Artikel 9 angeführten Koordinatoren vereinbart.

(4) Bei Bedarf sowie nach Vereinbarung der Vertragsparteien können außerordentliche Experten­beratungen und Expertenuntersuchungen der Anlagen durchgeführt werden.

Artikel 9

(1) Für die Erfüllung dieses Abkommens bestellt jede Vertragspartei einen Koordinator, und zwar:

            – die österreichische Seite: das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten,

            – die ukrainische Seite: das Ministerium für Umweltschutz und nukleare Sicherheit.

(2) Die Koordinatoren

organisieren und gewährleisten den Informationsaustausch gemäß diesem Abkommen,

organisieren die gemeinsame Arbeit der Experten gemäß Artikel 8 dieses Abkommens,

erfüllen nötigenfalls andere Aufgaben, die sich aus diesem Abkommen ergeben.

(3) Über mögliche Änderungen des Koordinators informieren die Vertragsparteien einander auf diplomatischem Wege.

Artikel 10

Informationen, die gemäß diesem Abkommen erhalten werden, können von jeder Vertragspartei zur Informierung der Bevölkerung verwendet werden, falls die Vertragspartei, die diese Informationen übermittelt, sie nicht für vertraulich erklärt.

Artikel 11

Der gegenseitige Informationsaustausch gemäß diesem Abkommen erfolgt kostenlos. Wenn zusätzliche Informationen notwendig sind und ihre Beschaffung mit bedeutenden Auslagen verbunden ist, so übernimmt die ersuchende Vertragspartei diese Auslagen unter der Voraussetzung, daß sie rechtzeitig über sie informiert worden ist.

Artikel 12

Alle Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen dieses Abkommens werden durch Verhandlungen zwischen den Vertragsparteien beigelegt.

Artikel 13

(1) Dieses Abkommen tritt mit dem Tage in Kraft, an dem beide Vertragsparteien einander auf diplomatischem Wege bekanntgeben, daß die entsprechenden innerstaatlichen Voraussetzungen für sein Inkrafttreten erfüllt sind.

(2) Die Anlagen A und B sind Bestandteile dieses Abkommens.

(3) Dieses Abkommen wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Es kann von jeder Vertragspartei schriftlich auf diplomatischem Wege gekündigt werden. Das Abkommen tritt sechs Monate nach der Übergabe einer entsprechenden diplomatischen Note außer Kraft.

(4) Durch dieses Abkommen wird das Abkommen zwischen der ehemaligen UdSSR und Österreich über die frühzeitige Benachrichtigung bei einem nuklearen Unfall und den Informationsaustausch über Kernanlagen vom 12. September 1988 im Verhältnis zwischen der Republik Österreich und der Ukraine aufgehoben.

Geschehen zu Graz, am 8. November 1996 in zwei Ausfertigungen, jede in deutscher und ukrainischer Sprache, wobei beide Texte gleichermaßen authentisch sind.

Für die Regierung der Republik Österreich:

Schüssel

Für die Regierung der Ukraine:

Udovenko

Anlage A

zum Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Ukraine über Informationsaustausch und Zusammenarbeit auf dem Gebiete der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes

Gemäß dem Artikel 6 Absatz 2 dieses Abkommens werden folgende Daten mitgeteilt:

–   Name der Anlage,

–   Ort der Unterbringung und Adresse der Anlage,

–   Bezeichnung der Anlage,

–   wichtigste technische Daten der Anlage,

–   gegenwärtiger Status der Anlage,

–   Betriebsdaten,

–   Beschreibung des Ortes der Anlage.

Im Falle eines Kernreaktors werden zusätzlich folgende Daten mitgeteilt:

–   Reaktortyp,

–   Leistung,

–   Beschreibung der Spaltzone

     (z. B.: Geometrie, Brennstoff, Belastung, Anreicherung, Abbrand, Leistungsdichte),

–   Typ des Reaktorgefäßes,

–   Kühlmittel, Kühlkreisläufe (primär und sekundär),

–   Typ des Dampferzeugers,

–   zulässige Werte der Abgabe radioaktiver Stoffe in die Umwelt,

–   Systeme zur Gewährleistung der nuklearen Sicherheit.

Anlage B


zum Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Ukraine über Informationsaustausch und Zusammenarbeit auf dem Gebiete der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes

Freisetzung von radioaktiven Stoffen in die Umgebung über die behördlich festgesetzten Grenzwerte hinaus, die bei den am stärksten betroffenen Personen außerhalb der Anlage zu einer Strahlenbelastung in der Größenordnung von einigen zehntel Millisievert führt.

Bei einer derartigen Freisetzung müssen außerhalb der Anlage Schutzmaßnahmen nicht erforderlich sein.

Ereignisse in der Anlage, die Strahlendosen zur Folge haben, die akute Gesundheitsbeeinträchtigungen für das Betriebspersonal bewirken können und/oder ein Ereignis mit großflächiger Kontamination z. B. mit einer Aktivität von einigen tausend Terabecquerel in ein sekundäres Containment, wo das radioaktive Material in einen sicheren Lagerbereich zurückverbracht werden kann.

Störfälle, bei denen ein zusätzlicher Ausfall von Sicherheitseinrichtungen zum Eintritt eines Unfalls führen könnte oder Anlagenzustände, bei denen die Sicherheitseinrichtung im Falle des Eintritts bestimmter auslösender Ereignisse eine Ausweitung zu einem Unfall nicht verhindern könnte.








Vorblatt

Zweck des Abkommens:

Österreich, das durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 676/1978 auf die Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung verzichtet hat, tritt auch international dafür ein, daß möglichst weltweit, vor allem aber in Mitteleuropa, auf die Energiegewinnung durch Kernspaltung verzichtet wird. Da dieses Ziel in absehbarer Zeit nicht erreicht werden dürfte, hätte sich Österreich vor den von der Kernspaltung ausgehenden Gefahren bestmöglich zu schützen.

Ziel:

Schaffung von umfassenden Informations- und Konsultationssystemen für Fragen der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes zwischen Österreich und anderen mitteleuropäischen Staaten durch bilaterale Abkommen, im vorliegenden Falle mit der Ukraine; Errichtung eines multilateralen Strahlenfrühwarnsystems.

Alternativen:

Keine.

EU-Konformität:

Der Entwurf des Abkommens wurde der EU-Kommission gemäß Art. 103 des EURATOM-Vertrags mitgeteilt, jedoch hat diese keine Einwendungen bekanntgegeben.

Kosten:

An Kosten werden aus diesem Abkommen vorerst nur die für die Abhaltung der gemeinsamen Expertentagungen gemäß Art. 8 erforderlichen Aufwendungen anfallen, die bei Abhaltung in Österreich etwa 30 000 S, bei Abhaltung in der Ukraine etwa 100 000 S betragen dürften. Ferner wird im Falle der Errichtung des gemäß Art. 5 Abs. 2 auszuarbeitenden Strahlenfrühwarnsystems ein gewisser Kostenauf­wand für den österreichischen Beitrag hiezu erforderlich sein. Als Richtwert können vorläufig 1,7 Millionen Schilling Errichtungskosten (Hardware, Software und Datenleitung) und 700 000 S jährliche Betriebskosten veranschlagt werden.

Erläuterungen


Allgemeiner Teil

Das am 8. November 1996 unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Ukraine über Informationsaustausch und Zusammenarbeit auf dem Gebiete der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes ist gesetzändernd und gesetzesergänzend und bedarf daher der Genehmigung durch den Nationalrat nach Art. 50 Abs. 1 B-VG. Es ist der unmittelbaren Anwendung im innerstaatlichen Bereich zugänglich, sodaß ein Beschluß nach Art. 50 Abs. 2 B-VG nicht erforderlich ist. Es hat nicht politischen Charakter und enthält keine verfassungsändernden oder verfassungs­ergänzenden Bestimmungen. Eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG ist nicht erforderlich, da keine Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder geregelt werden.

Im Rahmen der österreichischen Kernenergiepolitik stellt die Weiterentwicklung und Verbesserung des Völkerrechts zur Wahrung der Interessen der österreichischen Bevölkerung und zum Schutz der Umwelt ein wesentliches strategisches Element dar. Konkret wird insbesondere im Verhältnis zu den Nachbar­staaten sowie im Verhältnis zu Staaten mit Kernreaktoren geringeren Sicherheitsniveaus die rechtlich verbindliche Vereinbarung von Informations- und Konsultationsmechanismen angestrebt, nicht zuletzt, da frühzeitige und umfassende Informationen eine wesentliche Voraussetzung für die Optimierung öster­reichischer Vorsorge- und Schutzmaßnahmen sind.

Auf internationaler Ebene ermöglicht das Übereinkommen vom 26. September 1986 über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen, dem Österreich angehört, den Mitgliedstaaten, bei einem nuk­learen Unfall in einem anderen Staat möglichst frühzeitig Schutzmaßnahmen einzuleiten. Die Benach­richtigungspflicht im Rahmen dieses Übereinkommens ist allerdings – wie der Titel besagt – auf Unfälle beschränkt; zudem ist der Benachrichtigungsweg über die IAEO relativ umständlich und unter Um­ständen zu langwierig.

Österreich ist daher bemüht, in Ergänzung und Erweiterung dieses internationalen Übereinkommens, Informationsabkommen im Bereich der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes abzuschließen. Durch diese bilateralen Abkommen soll der durch das erwähnte Übereinkommen vorgesehene Informa­tionsweg abgekürzt und die Vorbereitung oder Durchführung von Schutzmaßnahmen durch ergänzende Informationen über Kernanlagen in diesen Staaten erleichtert und verbessert werden. Derartige bilaterale Übereinkommen bestehen bereits mit Deutschland, mit der Tschechischen Republik, mit der Slowa­kischen Republik, mit Ungarn und mit Polen.

Derzeit ist auf bilateraler Ebene im Verhältnis zur Ukraine das Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die frühzeitige Benachrichtigung bei einem nuklearen Unfall und den Informationsaustausch über Kernanlagen gültig. Das am 8. November 1996 unterzeichnete Abkommen ist gegenüber dem derzeit gültigen bilateralen Abkommen wesentlich umfassender angelegt. Das Abkommen regelt den Informa­tionsaustausch zwischen den beiden Staaten:

–   über den Eintritt der Benachrichtigungspflicht und die Modalitäten der Informationsübermittlung bei nuklearen Unfallsituationen und Ereignissen, die keine Unfälle gemäß Art. 1 Abs. 1 sind, die aber in der Bevölkerung eines Vertragsstaates Besorgnis hervorrufen könnten (in Art. 1 bis Art. 4 geregelt),

–   über die Ergebnisse der Programme zur Messung der ionisierenden Strahlung und der Radionuklide in der Luft, im Trinkwasser, im Oberflächenwasser und im Boden (Art. 5),

–   über stillgelegte, in Betrieb oder in Bau befindliche und geplante Kernanlagen sowie über Betriebsstillegungen (siehe Art. 6 Abs. 2) und

–   über die Nuklearprogramme der Vertragsstaaten, über Erfahrungen aus dem Betrieb von Kernanlagen und die Rechtsvorschriften der Vertragsparteien über nukleare Sicherheit und Strahlenschutz (Art. 6 Abs. 1).

Informationen über nukleare Unfälle werden unverzüglich übermittelt. Die Meßergebnisse über die ionisierende Strahlung und die Radionuklide in der Luft werden einmal jährlich, bei bedeutenden Abweichungen vom Naturzustand unverzüglich ausgetauscht. Informationen über die Nuklearprogramme der Vertragsstaaten, über Erfahrungen aus dem Betrieb von Kernanlagen und die Rechtsvorschriften der Vertragsparteien über nukleare Sicherheit und Strahlenschutz werden wenigstens einmal alle zwei Jahre übermittelt. Informationen über geplante Kernanlagen werden im voraus übergeben, und zwar nicht später als sechs Monate vor dem Beginn der Bauarbeiten.

Bei Bedarf werden gemeinsame Expertentagungen abgehalten (Art. 8), um das Funktionieren des im Abkommen vorgesehenen Informationsaustausches zu erörtern und zu bewerten. Weiters ist anläßlich von Expertentagungen vorgesehen, andere aktuelle Fragen der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes zu erörtern und einander über die Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen auf diesem Gebiet zu informieren.

Ferner verpflichten sich beide Vertragsparteien, zur Ausarbeitung eines Strahlenfrühwarnsystems beizutragen, dem auch andere Staaten beitreten können (Art. 5 Abs. 2).

Nach Art. 10 kann der Inhalt der erhaltenen Informationen zur Informierung der Öffentlichkeit verwendet werden, soweit die andere Vertragspartei sie nicht für vertraulich erklärt. Diese Bestimmung dient zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen. Sie entspricht dem Art. 5 Abs. 3 des Übereinkommens über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen.

An Kosten werden aus diesem Abkommen vorerst nur die für die Abhaltung der gemeinsamen Expertentagungen gemäß Art. 8 erforderlichen Aufwendungen anfallen, die bei Abhaltung in Österreich etwa 30 000 S, bei Abhaltung in der Ukraine etwa 100 000 S betragen dürften. Ferner werden im Falle der Errichtung des gemäß Art. 5 Abs. 2 auszuarbeitenden Strahlenfrühwarnsystems (kein Termin festgesetzt, frühestens in fünf Jahren) Kosten erwachsen. Die für eine internationale Mietleitung Wien–Kiew zu 64Kbit/s einschließlich der nötigen Hardware und Software erwachsenden Kosten können derzeit auf etwa 1,7 Millionen Schilling Errichtungskosten und 700 000 S jährliche Betriebskosten veranschlagt werden. Sie wären bei den Ansätzen des Bundeskanzleramtes zu budgetieren, die Errichtungskosten bei Ansatz 1/10818/6300/904 und die Betriebskosten bei Ansatz 1/10818/6300/903.

Die EU-Kommission wurde am 10. September 1996 gemäß Art. 103 des EURATOM-Vertrages vom Vertragstext verständigt und hat keinen Einwand erhoben.

Besonderer Teil

Zu Artikel 1:

Österreich und die Ukraine gehören den beiden im Rahmen der IAEO abgeschlossenen einschlägigen Verträgen, nämlich dem Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen, BGBl. Nr. 186/1988 (im folgenden: IAEO-Benachrichtigungsübereinkommen), und dem Übereinkommen über die Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder strahlungsbedingten Notfällen, BGBl. Nr. 87/1990 (im folgenden: IAEO-Hilfsübereinkommen), an. Der Vertrag verweist in der Präambel auf diese Überein­kommen. Beide Übereinkommen sind nach ihren Artikeln 10 (Benachrichtigung) bzw. 12 (Hilfeleistung) zum gegenständlichen Abkommen subsidiär.

Unter „Unfall“ gemäß Absatz 1 ist jedes Ereignis beim Betrieb einer Kernanlage oder im Verlauf einer damit zusammenhängenden Tätigkeit, die nicht Teil des ordnungsgemäßen Ablaufes ist, zu verstehen.

Gemäß Absatz 2 umfaßt das neue Abkommen nicht nur alle kerntechnischen Anlagen, sondern auch damit zusammenhängende Tätigkeiten und den sonstigen Umgang mit radioaktiven Substanzen.

Zu Artikel 2:

Absatz 1 in Verbindung mit Anlage B präzisiert den Umfang der Benachrichtigungspflicht.

Nach Absatz 2 ist der andere Vertragsstaat von Ereignissen zu unterrichten, die in der Bevölkerung einer Vertragspartei die Besorgnis eines nuklearen Unfalls hervorrufen könnten; diese Ereignisse sind demonstrativ aufgezählt. Das Abkommen geht hinsichtlich der Benachrichtigungspflicht über das IAEO-Benachrichtigungsübereinkommen hinaus.

Zu Artikel 3:

Zweck dieses Artikels ist es, der jeweils anderen Vertragspartei alle Informationen zu garantieren, die sie benötigt, um die erforderlichen Schutzvorkehrungen zu treffen. Die Informationsinhalte sind in diesem Artikel nur beispielsweise angeführt.

Zu Artikel 4:

Dieser Artikel sieht keine Pflicht zur Hilfeleistung vor, sondern überläßt Art und Ausmaß der Hilfe der Entscheidung der Vertragsparteien im Einzelfall.

Zu Artikel 5:

In Österreich besteht das ins Gesundheitsressort fallende Überwachungsnetz für Radioaktivität, das die nach diesem Artikel erforderlichen Meßprogramme durchführt.

Das geplante System zum Austausch der Daten der Strahlenfrühwarnsysteme ist als Teil eines multilateralen Frühwarnsystems gedacht, das auf eine österreichische Initiative hin im Rahmen der Zentraleuropäischen Initiative konzipiert worden ist. Ein ähnliches bilaterales System besteht bereits zwischen Österreich und der Slowakei. Die Vernetzung mit Ungarn, der Tschechischen Republik und Slowenien ist beabsichtigt bzw. in Vorbereitung.


Im Katastrophenfall könnte durch ein derartiges System die Vorwarnzeit für in Österreich zu treffende Schutzmaßnahmen unter Umständen um viele Stunden erhöht werden.

Zu Artikel 6:

Dieser Artikel regelt den Austausch von Informationen betreffend Kernanlagen. Informationen über Nuklearprogramme, Erfahrungen beim Betrieb von Kernanlagen und über einschlägige Rechtsvor­schriften werden wenigstens alle zwei Jahre übermittelt (Absatz 1).

Absatz 2 in Verbindung mit Anlage A zählt jene Themen auf, zu denen Informationen zum geeigneten Zeitpunkt zu erteilen sind, wobei mitunter eine einmalige Informierung genügen wird. Absatz 3 regelt den Sonderfall der Informationserteilung über geplante Kernanlagen.

Zu Artikel 7:

Als Kontaktstelle ist, wie bei allen anderen einschlägigen Verträgen, die Bundeswarnzentrale im Bundesministerium für Inneres vorgesehen. Die Verpflichtung, das Übermittlungssystem jährlich zu testen, trifft beide Vertragsstaaten.

Zu Artikel 8:

Im Rahmen der Expertentagungen werden u. a. die nach Artikel 6 erteilten Informationen erörtert. Das Ergebnis dieser Erörterungen wird den jeweils zuständigen nationalen Organen übermittelt. Diese Vereinbarung eröffnet einen Konsultationsmechanismus, der es Österreich u. a. ermöglicht, zu Planung, Bau oder Abänderung von Kernanlagen Stellung zu nehmen, ohne daß dies als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates interpretiert werden kann.

Zu Artikel 9:

Die im Außenverhältnis zur Ukraine erfolgte Aufteilung der Funktionen nach diesem Abkommen auf Koordinatoren und Kontaktstellen entspricht den Erfordernissen der Verwaltungsökonomie. Eine Zweigleisigkeit ist auf Grund der Verschiedenartigkeit der Aufgaben nicht zu befürchten.

Zu Artikel 10:

Die österreichischen Behörden können und werden die österreichische Bevölkerung im Alarmfall unein­geschränkt über alle getroffenen Maßnahmen und alle zu befolgenden Vorsichtsmaßregeln informieren. Die ukrainischen Behörden können lediglich zur Wahrung von Betriebsgeheimnissen um die Geheim­haltung technischer Details ersuchen. Diese Bestimmung entspricht Artikel 5 Absatz 3 des IEAO-Benachrichtigungsübereinkommens und Artikel 6 des IAEO-Hilfeleistungsübereinkommens.

Zu Artikel 11:

Aus dem Informationsaustausch werden voraussichtlich keine ins Gewicht fallenden Kosten erwachsen, abgesehen von Kosten für Übersetzung, Expertenbeiziehung oder Reisen in die Ukraine, die von den jeweils tätigen Ressorts zu tragen sind.

Zu Artikel 12 bis 13:

Diese Artikel enthalten die üblichen Schlußbestimmungen.