1067 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Verfassungsausschusses


über die Regierungsvorlage (889 der Beilagen): Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten samt Erklärung


Zum gegenständlichen Rahmenübereinkommen ist folgendes festzuhalten:

1. Generelles

Das „Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten“ ist die erste rechtsverbindliche multilaterale Übereinkunft, die ausschließlich dem Schutz nationaler Minderheiten im allgemeinen gewidmet ist.

2. Zur Entstehung des Übereinkommens

Der internationale Rechtsschutz für nationale Minderheiten war seit 1945 dadurch beeinträchtigt, daß es kein einziges bindendes Völkerrechtsinstrument in diesem Bereich gab. Die einzige völkerrechtlich relevante Bestimmung stellte seit 1966 Art. 27 des Internationalen Pakts für Bürgerliche und Politische Rechte (BGBl. Nr. 591/1978) dar, der jedoch keine hinreichende Grundlage für einen dauernden und umfassenden Minderheitenschutz abgab.

Der Europarat hat die Situation nationaler Minderheiten bei verschiedenen Gelegenheiten über einen Zeitraum von mehr als vierzig Jahren untersucht. Schon im ersten Jahr ihres Bestehens (1949) erkannte die Parlamentarische Versammlung in einem Bericht ihres Ausschusses für Rechts- und Verwaltungs­fragen die Bedeutung des „Problems eines erweiterten Schutzes der Rechte nationaler Minderheiten“. 1961 empfahl die Parlamentarische Versammlung die Aufnahme eines Artikels in ein zweites Zusatz­protokoll, um nationalen Minderheiten bestimmte durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht erfaßte Rechte zu gewährleisten. Der zuständige Sachverständigenausschuß kam 1973 jedoch zu dem Ergebnis, daß es aus rechtlicher Sicht nicht unbedingt notwendig sei, die Rechte von Minderheiten zum Gegenstand eines weiteren Protokolls zur EMRK zu machen. Die Sachverständigen waren allerdings auch der Ansicht, daß der Annahme eines solchen Protokoll, wenn dies aus anderen Gründen zweckmäßig erschiene, kein wesentliches rechtliches Hindernis entgegenstünde.

In jüngerer Zeit hat die Parlamentarische Versammlung mehrere Initiativen für die Erarbeitung eines völkerrechtlich bindenden Minderheitenschutzinstrumentes unternommen. Ihre Empfehlung 1134 (1990) enthält eine Aufstellung jener Grundsätze, welche die Versammlung für den Schutz nationaler Minderheiten als notwendig erachtete. Gleichzeitig wird darin unterstrichen, daß der Europarat die geeignete Organisation für die Ausarbeitung eines Rechtsinstruments für diesen Bereich ist. In ihrer Empfehlung 1177 (1992) wird die Dringlichkeit der Arbeiten an rechtlich verbindlichen Minderheiten­schutzinstrumenten (zB eine europäische Konvention oder ein Zusatzprotokoll zur EMRK) besonders hervorgehoben. Gleichzeitig wird darin das Ministerkomitee des Europarats aufgefordert, eine Deklaration mit den Grundprinzipien über die Rechte von Minderheiten anzunehmen, welche bei der Prüfung von Beitritten neuer Staaten zum Europarat zur Anwendung kommen sollte.

Im Mai 1992 beauftragte das Ministerkomitee den Lenkungsausschuß für Menschenrechte (CDDH), die Möglichkeit der Abfassung spezifischer Rechtsnormen betreffend den Schutz nationaler Minderheiten zu untersuchen. Der CDDH setzte zu diesem Zweck einen Sachverständigenausschuß (DH-MIN) ein, der unter Beachtung des Grundsatzes der gegenseitigen Ergänzung der Arbeiten des Europarats und der KSZE spezifische Rechtsnormen auf diesem Gebiet vorschlagen sollte. Der CDDH und der DH-MIN zogen verschiedene Texte in Betracht, insbesondere den Vorschlag der Europäischen Kommission für die Entwicklung der Demokratie durch das Recht (der sogenannten Kommission von Venedig) für ein Europäisches Übereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, den österreichischen Vorschlag für ein Zusatzprotokoll zur EMRK, den in Empfehlung 1201 (1993) der Parlamentarischen Versammlung enthaltenen Entwurf eines Zusatzprotokolls zur EMRK sowie andere Vorschläge. Diese Untersuchung mündete in den Bericht des CDDH an das Ministerkomitee vom 8. September 1993, in dem verschiedene in diesem Bereich mögliche Rechtsnormen sowie die Rechtsinstrumente genannt wurden, in denen sie niedergelegt werden könnten. Der CDDH wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es in bezug auf die Auslegung des Begriffs „nationale Minderheit“ keine Übereinstimmung gab.

Eine Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen, die im Rahmen des Europarats ausgearbeitet worden ist, ist von Österreich am Tag der Auflagenunterzeichnung, dem 5. November 1992, unterzeichnet worden.

Der entscheidende Schritt erfolgte beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarats in Wien am 8. und 9. Oktober 1993. Dort wurde vereinbart, daß die nationalen Minder­heiten, die durch die geschichtlichen Umwälzungen in Europa entstanden sind, als Beitrag zu Frieden und Stabilität geschützt und geachtet werden müssen. Insbesondere beschlossen die Staats- und Regierungs­chefs, rechtliche Verpflichtungen in bezug auf den Schutz nationaler Minderheiten einzugehen. In Anhang II der Wiener Erklärung wurde das Ministerkomitee beauftragt,

–   möglichst bald ein Rahmenübereinkommen abzufassen, in dem die Grundsätze näher dargelegt werden, zu deren Einhaltung sich die Vertragsstaaten verpflichten, um den Schutz nationaler Minderheiten sicherzustellen. Dieses Übereinkommen würde auch für Nichtmitgliedstaaten zur Unterzeichnung aufgelegt;

–   mit dem Entwurf eines Protokolls zu beginnen, das die Europäische Menschenrechtskonvention im kulturellen Bereich durch Bestimmungen ergänzt, die insbesondere für Angehörige nationaler Minderheiten individuelle Rechte garantieren.

Am 4. November 1993 setzte das Ministerkomitee einen Ad-hoc-Ausschuß zum Schutz nationaler Minderheiten (CAHMIN) ein. Sein Auftrag gab die in Wien gefaßten Beschlüsse wieder. Ende Januar 1994 nahm der aus Sachverständigen aus den Mitgliedstaaten des Europarats bestehende Ausschuß seine Arbeiten auf, die innerhalb von neun Monaten abgeschlossen werden konnten. Einige Bestimmungen des Rahmenübereinkommens, die einer politischen Entscheidung bedurften, sowie die Bestimmungen über die Überwachung der Durchführung des Rahmenübereinkommens wurden vom Ministerkomitee selbst ausgearbeitet.

Auf seiner Sitzung vom 10. bis 14. Oktober 1994 beschloß der CAHMIN, den Entwurf des Rahmenüber­einkommens dem Ministerkomitee zu unterbreiten. Das Ministerkomitee nahm auf seiner 95. Minister­tagung am 10. November 1994 den Text des Rahmenübereinkommens an. Es wurde am 1. Februar 1995 für die Mitgliedstaaten des Europarats zur Unterzeichnung aufgelegt.

Das Vorhaben eines Zusatzprotokolls zur EMRK wurde mangels Einigung nicht abgeschlossen.

3. Ziele des Rahmenübereinkommens

Das Rahmenübereinkommen ist die erste rechtsverbindliche multilaterale Übereinkunft, die dem Schutz nationaler Minderheiten im allgemeinen gewidmet ist. Ihr Ziel ist, die Rechtsgrundsätze näher darzulegen, zu deren Einhaltung die Staaten sich verpflichten, um den Schutz nationaler Minderheiten sicherzustellen. Der Europarat ist damit dem Auftrag in der Wiener Erklärung (Anhang II) gefolgt, die von der Organisation über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE, vormals KSZE) angenommenen politischen Verpflichtungen möglichst weitgehend in rechtliche Verpflichtungen umzusetzen.

In Anbetracht der Verschiedenartigkeit der Gegebenheiten und der Vielfalt der zu lösenden Probleme wurde die Form eines Rahmenübereinkommens gewählt, das im wesentlichen programmatische Bestimmungen enthält, in denen die Ziele genannt werden, zu deren Verfolgung die Vertragsparteien sich verpflichten. Diese Bestimmungen, die nicht unmittelbar anwendbar sind, eröffnen den betroffenen Staaten einen Ermessensspielraum bei der Verwirklichung der Ziele, die zu erreichen sie sich verpflichtet haben, und ermöglichen ihnen so, besonderen Umständen Rechnung zu tragen.

Es ist ferner darauf hinzuweisen, daß das Rahmenübereinkommen keine Definition des Begriffs „nationale Minderheit“ enthält. Es wurde beschlossen, pragmatisch vorzugehen, gestützt auf die Erkenntnis, daß es gegenwärtig nicht möglich ist, zu einer Definition zu gelangen, die von allen Mitglied­staaten des Europarats mitgetragen wird.

Die Verwirklichung der in diesem Rahmenübereinkommen dargelegten Grundsätze erfolgt mittels inner­staatlicher Rechtsvorschriften und geeigneter Regierungspolitik. Die Anerkennung kollektiver Rechte ist damit nicht verbunden. Die Betonung liegt auf dem Schutz von Angehörigen nationaler Minderheiten, die ihre Rechte einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen ausüben können (siehe Art. 3 Abs. 2). In dieser Hinsicht folgt das Rahmenübereinkommen dem Lösungsansatz von Texten, die von anderen inter­nationalen Organisationen angenommen wurden.

4. Gliederung des Rahmenübereinkommens

Außer der Präambel enthält das Rahmenübereinkommen fünf Abschnitte.

Abschnitt I enthält Bestimmungen, die in allgemeiner Weise bestimmte wesentliche Grundsätze festlegen, die der Verdeutlichung der anderen materiellen Bestimmungen des Rahmenübereinkommens dienen können.

Abschnitt II enthält einen Katalog spezifischer Grundsätze.

Abschnitt III enthält verschiedene Bestimmungen über die Auslegung und Anwendung des Rahmenüber­einkommens.

Abschnitt IV enthält Bestimmungen über die Überwachung der Durchführung des Rahmenüber­einkommens.

Abschnitt V enthält die Schlußklauseln, die sich an die Muster-Schlußklauseln für im Rahmen des Europarats geschlossene Übereinkommen anlehnen.

5. Verfahren

Das vorliegende Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten hat gesetzesändernden bzw. gesetzesergänzenden Charakter und bedarf daher der Genehmigung des Nationalrats gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG. Es enthält keine verfassungsändernden Bestimmungen, insbesondere in Hinblick auf die in Aussicht genommene Erklärung mit welcher der Anwendungsbereich des Rahmenübereinkommen auf Volksgruppen im Sinne des Volksgruppengesetzes umgeschrieben wird, und es hat nicht politischen Charakter. Die Bestimmungen des Übereinkommens sind jedoch einer unmittelbaren Anwendung im innerstaatlichen Bereich (vgl. Präambel, letzter Absatz) nicht zugänglich. Daher ist ein Beschluß des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG erforderlich, das Übereinkommen durch Gesetze zu erfüllen. Da Kompetenzen der Bundesländer – insbesondere im Rahmen des Minderheitenschulwesens – mitbetroffen sind, bedarf es gemäß Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG der Zustimmung des Bundesrates. Die Bundesländer haben den Text des Rahmenübereinkommens im Juni 1996 zur Stellungnahme übermittelt erhalten.

Das Rahmenübereinkommen verwendet den Begriff der „nationalen Minderheit“, gibt jedoch keine Definition dieses Begriffes. Im österreichischen Volksgruppenrecht ist in § 1 Abs. 2 Volksgruppengesetz eine Definition des Begriffes der „Volksgruppe“ enthalten, der Anwendungsbereich der Rahmen­konvention soll sich auf diesen Personenkreis beziehen. Um sicherzustellen, daß das Rahmenüber­einkommen im Sinne des österreichischen Begriffs der „Volksgruppe“ angewendet wird, ist bei der Ratifikation die Abgabe einer interpretativen Erklärung erforderlich.

„Die Republik Österreich erklärt, daß für sie unter dem Begriff „nationale Minderheiten“ im Sinne des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten, vom Anwendungsbereich des Volksgruppengesetzes, BGBl. Nr. 396/1976, erfaßten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum zu verstehen sind.

Österreich hat das Rahmenübereinkommen bereits am 1. Februar 1995 unter Vorbehalt der Ratifikation unterzeichnet. Das Rahmenübereinkommen und eine Übersetzung ins Deutsche wurden von der Bundesregierung in ihrer Sitzung am 31. Jänner 1995 genehmigt (Punkt 28 des Beschl. Prot. 7). Im Juni 1995 wurde auf einer internationalen Übersetzungskonferenz eine einheitliche Übersetzung ins Deutsche festgelegt.

Bisher haben insgesamt 35 von 39 Mitgliedstaaten des Europarats das Rahmenübereinkommen unterzeichnet, wobei elf Staaten das Übereinkommen bereits ratifiziert haben (von EU-Staaten sind dies Dänemark, Deutschland und Spanien; Italien hat vorliegenden Informationen zufolge das parlamen­tarische Verfahren bereits abgeschlossen). Das Rahmenübereinkommen tritt völkerrechtlich nach zwölf Ratifizierungen in Kraft, mit deren Vorliegen bis zum zweiten Gipfeltreffen des Europarats am 10/11. Oktober 1997 gerechnet werden kann. Das Übereinkommen dürfte daher gemäß Art. 28 im ersten Semester 1998 in Kraft treten.

Die näheren Bestimmungen für das Verfahren zur Überwachung der Durchführung des Rahmenüber­einkommens sind vom Ministerkomitee zu beschließen. Die Fragen der Zusammensetzung des beratenden Ausschusses, dem die rechtliche Beurteilung sämtlicher Minderheitenschutzmaßnahme auf ihre rechtliche Angemessenheit hin obliegt, sowie der Stimmrechte im Ministerkomitee, das über die politische Angemessenheit der Minderheitenschutzmaßnahmen entscheidet, erwiesen sich jedoch zunächst als Problembereiche. Nach Einigung im für die Entscheidungsvorbereitung beauftragten Expertenorgan [„Ad hoc Committee on the Implementation Mechanism of the Framework Convention for the Protection of National Minorities (CAHMEC)“] am 2. September 1997 wurden diese Verfahrensregeln in weiterer Folge vom Ministerkomitee am 17. September 1997 angenommen (siehe Erläuterungen zu Art. 26).


Das Ministerkomitee des Europarats kann, nach Konsultationen mit den Vertragsstaaten, auch Nicht­mitgliedstaaten des Europarats – gedacht ist in erster Linie an Teilnehmer an der Organisation für die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) – einladen, dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten beizutreten.

Der Verfassungsausschuß hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 28. Jänner 1998 in Verhandlung genommen.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Andreas Khol, Mag. Terezija Stoisits, Mag. Walter Posch, Dr. Volker Kier, Mag. Johann Ewald Stadler, Dr. Michael Krüger und MMag. Dr. Willi Brauneder.

Der Verfassungsausschuß hat einstimmig beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses des vorliegenden Staatsvertrages zu empfehlen.

Der Verfassungsausschuß ist der Meinung, daß das Übereinkommen durch Erlassung von Gesetzen im Sinne des Art. 50 Abs. 2 B-VG zu erfüllen ist.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

           1. Dem Abschluß des Staatsvertrages: Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten samt Erklärung (889 der Beilagen) wird die verfassungsmäßige Genehmigung erteilt;

           2. dieser Staatsvertrag ist durch Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG zu erfüllen.

Wien, 1998 01 28

                                 Karl Donabauer                                                               Dr. Peter Kostelka

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann